Stadt: Bozen (Südtirol, Italien)

Frist: 2016-06-15

Beginn: 2016-09-01

Ende: 2016-09-04

»…at being alive, you’re pretty much on the way out.« Was bei David Bowie wie die Lebenshaltung des ewigen Bohemiens daherkommt, hat auch die Wissenschaft immer wieder beschäftigt: Der Orientalist Navid Kermani nennt es »ungläubiges Staunen«, der evangelische Theologe Jörg Lauster und Ernst Peter Fischer als Historiker der Naturwissenschaften sprechen von der »Verzauberung der Welt«. Das Staunen scheint Konjunktur zu haben, und dies über die Disziplinen hinweg, bei oft wechselnder Terminologie. Als Modus des Noch-nicht-, des Nicht-mehr- oder auch schlicht des Anders-Verstehens beschreibt es einen genuinen Zugang des Menschen zur Welt sowie zu sich selbst und durchdringt Alltag, Wissenschaften, Natur, Technik und Künste. Dabei weist es eine lange kulturhistorische Tradition auf: Kants Sentenz angesichts der »Bewunderung und Ehrfurcht«, welche »der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir« bieten, ist vielleicht dessen berühmtester Ausdruck. In die gleiche Richtung stößt das Bekenntnis Einsteins, dass das »Schönste, was wir erleben können, […] das Gefühl des Geheimnisvollen [ist]. Es ist das Grundgefühl, das an der Wiege von wahrer Kunst und Wissenschaft steht. Wer es nicht kennt und sich nicht mehr wundern, nicht mehr staunen kann, der ist sozusagen tot und sein Auge erloschen.« In diesem Sinne gilt seit der griechischen Antike das Staunen jenseits einer romantischen Verklärung als Beginn der wissenschaftlichen Auseinandersetzung des Menschen mit der systematisch bis dato noch unerkannten Welt.

Ist das Staunen folglich ein Moment, das seine eigene Überwindung konstitutiv impliziert, indem es über sich selbst hinaus zum (eigentlichen) Wissen drängt? Oder verschließt es diesen Zugang gerade, insofern es sich hermetisch selbst genügt – wie wir etwa angesichts eines Zaubertricks letztlich gerade das Nicht-Wissen genießen? Oder steht das Staunen vielmehr am Ende einer (lebens)langen wissenschaftlichen Beschäftigung mit den Phänomenen und bezeichnet dann im Grunde die bescheidene Demut gegenüber der faszinierenden Komplexität einer Welt, die sich uns Menschen zwar prinzipiell, aber eben nicht gänzlich erschließt?

Diese Überlegungen sollen als Impulse dienen, um in einem interdisziplinär angelegten Workshop dem Staunen in seinen verschiedenen Dimensionen und Ausprägungen in einzelnen Disziplinen und Wissenschaftspraktiken nachzugehen. Der Komplex des Staunens soll dabei keineswegs auf das hier heuristisch skizzierte Feld beschränkt werden; Ziel ist vielmehr ein genaueres Verständnis der internen Struktur des Staunens, seines Vorgangs und seiner Position innerhalb der verschiedenen epistemischen und fachspezifischen Haltungen gegenüber der Welt. Methodisches Mittel dafür soll unter anderem die definitorische Abgrenzung des Staunens gegenüber benachbarten Dispositionen wie dem propositionalen Wissen ebenso wie zu verwandten Reaktionen, etwa dem Erschrecken, der Verzückung, der Faszination oder der Neugierde sein.

Im Rahmen des Formats »Stipendiaten machen Programm« der Studienstiftung des deutschen Volkes laden wir Doktorand/inn/en aller Disziplinen herzlich zu einer Bewerbung mit einer kurzen Skizze (max. 450 Worte) zur Motivation und zu einem möglichen inhaltlichen Beitrag aus ihrer Disziplin ein. Sehr willkommen sind in diesem Rahmen außerdem Vorschläge zu Aufsätzen, Essays, Auszügen aus Monographien etc. für den geplanten Reader sowie die Benennung möglicher Keynote Speaker. Die Ausgestaltung des Programms, das sich aus Kurzvorträgen, allgemeinen Diskussionsrunden und Lektüre-Sitzungen zusammensetzen wird, steht dabei für weitere Formatvorschläge – gern auch abseits des etablierten Tagungsbetriebs in kreativem Format – explizit offen. Auch sind Bewerbungen von bildenden Künstler/inne/n und Musiker/inne/n herzlich willkommen.

Bitte sendet Eure Bewerbung bis zum 15.06.2016 an: staunen.wissen.sdv@gmail.com.

Der Workshop wird in Kooperation mit der Elisabeth und Helmut Uhl Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kunst durchgeführt und findet vom 01. bis 04. September 2016 auf dem Buchnerhof in den Südtiroler Bergen unweit von Bozen statt (weitere Informationen: http://www.eh-uhl-stiftung.org/index.php). Die Kosten für Unterkunft und Verpflegung werden von der Uhl Stiftung übernommen, sodass keine Teilnahmegebühren anfallen. Die Reisekosten werden von der Studienstiftung und der Uhl Stiftung pauschal bezuschusst.

Das Organisationsteam besteht aus vier Promotionsstipendiaten der Studienstiftung des deutschen Volkes: Timo Kehren (Romanistik), Carolin Krahn (Musikwissenschaft), Georg Oswald (Philosophie) und Christoph Poetsch (Philosophie).

Beitrag von: Timo Kehren

Redaktion: Christof Schöch