Am 26. März dieses Jahres ist Heinz Jürgen Wolf gestorben. Mit ihm verliert die Romanistik einen anerkannten Sprachwissenschaftler, der sich insbesondere durch sein panromanisches Wissen auszeichnete, und mit ihm verlieren seine Schüler einen Lehrer, der ihnen stets ein Vorbild an wissenschaftlicher Genauigkeit war und zugleich jegliche Fachidiotie ablehnte.

Heinz Jürgen Wolf wurde am 16. Januar 1936 in Düsseldorf geboren. Nach dem Studium der Romanistik und Anglistik in Köln und Aix-en-Provence wurde er 1963 bei Joseph M. Piel promoviert 1. 1970 habilitierte er sich mit einer unveröffentlicht gebliebenen Arbeit über historische romanische Ortsnamenkunde.

Darauf vertrat Heinz Jürgen Wolf nach der Emeritierung Harri Meiers den romanistischen Lehrstuhl der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn, den zuvor unter anderem Friedrich Diez, Wilhelm Meyer-Lübke und Ernst Robert Curtius innegehabt hatten. 1974 erhielt er einen Ruf als ordentlicher Professor und unterrichtete in Bonn bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2001.

Heinz Jürgen Wolfs vorrangiges Interesse galt von jeher der Sprachgeschichte und der (Orts-) Namenkunde 2. Zu einem Standardwerk der akademischen Lehre wurde seine Französische Sprachgeschichte 3. Ebenso legte er eine kritische Ausgabe der Glosas Emilianenses vor, eines der frühesten spanischen Zeugnisse in der Volkssprache 4. Für Heinz Jürgen Wolf endete die Romanistik nicht an den Grenze der Linguistik: er äußerte sich auch zu mediävistischen 5 und literarischen Themen 6.

Nichtsdestoweniger ist die historische Sprachwissenschaft als sein Hauptbetätigungsfeld zu bezeichnen. Wie wenige war er dabei in einer Vielzahl romanischer Sprachen zu Hause, und seine Forschungen zeichneten sich oftmals durch ein komparatives Element aus – nicht selten führte der Blick in entfernte Gegenden der Romania zu lexikologischen oder lautgeschichtlichen Erkenntnissen 7. Ebenso hervorzuheben ist Heinz Jürgen Wolfs profunde Kenntnis des Lateinischen in allen seinen Varietäten. Nicht selten staunten seine Mitarbeiter, wenn er ein vordergründig undurchsichtiges sardisches Wort auf eine lateinische Form zurückzuführen wusste, die zwar nicht belegt ist, aber von der Forschung postuliert wurde. Die umfassende Kenntnis des lateinischen wie romanischen Wortschatzes ließ ihn in den Augen vieler als geeigneten Kandidaten erscheinen, eine Neubearbeitung des REW zu besorgen – ein leider nicht verwirklichtes Vorhaben.

In einem anderen Bereich wurde Heinz Jürgen Wolf schließlich zu einem der unbestrittenen Fachmänner. Inspiriert durch die Urtümlichkeit der zentralsardischen Dialekte, mit denen er zu Beginn der 1980er Jahre in Kontakt kam, wurde das Sardische fortan zu seinem champ de prédilection. Ca. 75 Publikationen zeugen von dieser intensiven Beschäftigung, wobei insbesondere die Barbagia di Ollolai im Mittelpunkt stand 8. Der eigentümliche Knacklaut in zahlreichen der barbarizinischen Dialekte sowie die überproportional vorrömisch geprägte Toponymie dieser Region faszinierten Heinz Jürgen Wolf dabei am meisten.

Die Verbindung mit der Barbagia im Speziellen und dem Sardischen im Allgemeinen war so intensiv, dass Heinz Jürgen Wolf sich 1992 über die Ehrenbürgerschaft der Gemeinde Ovodda ebenso freuen konnte wie Ende der 1990er Jahre über die Berufung in eine Spezialistenkommission zur Ausarbeitung eines sardischen Sprachstandards – nicht zuletzt um dem kontinuierlichen Rückgang der einheimischen Dialekte vorzubeugen. Dass es der Kommission letztlich nicht gelang, ein allgemein akzeptiertes Ergebnis vorzulegen, war eine Enttäuschung, die er mit der ihm eigenen Schonungslosigkeit kommentierte.

2001 wurde Heinz Jürgen Wolf von der Gemeinde Villagrande Strisàili gebeten, gemeinsam mit Bonner Romanistikstudenten eine Bestandsaufnahme der lokalen Mikrotoponymie vorzunehmen. Daraus resultierte schließlich (nach langem Hin und Her und unklaren Zuständigkeiten, denn – wie Wolf augenzwinkernd wusste – „Sardinien ist eben anders“) eine weitere Monographie 9.

Viel über Heinz Jürgen Wolf sagen die Titel der beiden Festschriften aus, die ihm gewidmet wurden. Die Studia ex hilaritate 10 zu seinem 60. Geburtstag erinnern an die Heiterkeit, die stets in seinem Umfeld herrschte. Kaffee, Kuchen und Anekdoten waren häufige Begleiter der Arbeit, und Assistenten wie studentische Mitarbeiter versammelten sich zu ihren Arbeitszeiten allesamt im Büro ihres Lehrers. Nicht ganz selten kam man dann auch auf nicht-romanistische Themen zu sprechen. Nicht zuletzt Wolfs zeitweilige Nebenbeschäftigung als journalistischer Begleiter der Tour de France in den 60er Jahren und seine Begeisterung für den Fußball führten zu mancher Fachsimpelei.

Scripta manent lautet der Titel der Festschrift zu Heinz Jürgen Wolfs 75. Geburtstag 11 – denn verba volant. Leeres Gerede und vage Spekulationen waren seine Sache nicht, sondern exakte Forschung und umfangreiche Dokumentation. Legendär sind die Zettelkästen, die die Regale des Büros füllten und stets den sicheren Rückgriff auf Belege erlaubten. Beinahe 150 Publikationen legen ein beredtes Zeugnis von Heinz Jürgen Wolfs Forschungen ab. Und die Vermittlung dieses Forschungsdurstes an seine Schüler ist nicht die geringste seiner Hinterlassenschaften.

Bonn

Moritz Burgmann

1 Die Bildung der französischen Ethnica (Bewohnernamen), Genf/Paris, 1964.
2 Beispielhaft seien genannt: zur Wortbildung „Frz. – ache, – iche, – oche, – uche“, in: H.J. Wolf / W-D. Lange (Hg.), Philologische Studien für Joseph M. Piel, Heidelberg 1969, 224-234; zur etymologischen Fragen: „Das Gelbe vom Ei: lat. vitellus und die Folgen“, in: RRL 34 (1989), 143-146; zur lautgeschichtlichen Fragen: „Knacklaut in Orgosolo. Überlegungen zur sardischen Lautchronologie“, in: ZrP 101 (1985), 269-311; zur Onomastik: „Personennamen in Ortsnamen – Ortsnamen in Personennamen in der Romania“, in: Akten des 18. Internationalen Kongresses für Namenforschung (Trier 1993), Bd. 4, Tübingen 1999, 322-327.
3 Heidelberg 1979, 2. Auflage Heidelberg/Wiesbaden 1991.
4 Glosas emilianenses, Hamburg 1991; spanische Version: Las glosas emilianenses, versión española de Stefan Ruhstaller, Sevilla 1996.
5 So z.B.: „Zu Stand und Problematik der Graalsforschung“, in: RF 78 (1966), 399-418; „L’Amérique chez Wace“, in: W.-D. Lange (Hg.), Diesseits- und Jenseitsreisen im Mittelalter, Bonn 1992, 227-238.
6 U.a.: „Jules Romains: Knock ou le Triomphe de la Médecine“, in: W. Pabst (Hg.), Das moderne französische Drama_. Interpretationen, Berlin 1971, 105-113; „Die Tannhäuser-Version von Giovanni Delle Piatte“, in: Arcadia 14 (1979), 115-132.
7 So noch in einem seiner jüngsten Beiträge: „La « palatalisation secondaire » romane, aussi en Sardaigne“, in:
RLL_ 57 (2012), 357-377.
8 Aufsatzsammlung: Studi barbaricini. Miscellanea di saggi di linguistica sarda, Cagliari 1992; Monographie: Toponomastica barbaricina, Nuoro 1998.
9 I nomi di luogo di Villagrande Strisàili, Nuoro 2014.
10 Hg. Dieter Kremer / Alf Monjour, Straßburg/Nancy 1996.
11 Hg. Philipp Burdy / Moritz Burgmann / Ingrid Horch, Frankfurt am Main u.a. 2011.