Stadt: Zürich, Schweiz

Frist: 2016-12-15

Beginn: 2017-10-08

Ende: 2017-10-12

In der Auseinandersetzung mit migratorischen Situationen im 20. und 21. Jahrhundert – wie jenen der Flüchtenden im Mittelmeerraum oder jüngst auf der sogenannten Balkanroute – konzentrieren sich (sozio)politische Interessen wie auch Forschungsansätze z. B. im Rahmen von Diaspora- oder Mobilitätstheorien verstärkt auf den prozessualen Charakter derartiger Bewegungsströme selbst. Demgegenüber richtet die Sektion das Augenmerk jedoch auf das Danach: auf hochproblematische Komplexe wie das „Ankommen“ oder „Angekommensein“ – Begriffe, die deutlich eine Illusion von Abschluss und Neubeginn etablieren – und damit untrennbar verbunden auf die Bedeutung jenes emotionalen Oszillierens zwischen dem ‚Sich-zu-Hause‘-, dem ‚Sich-fremd‘-Fühlen sowie dem Zerrissensein, das mit derartigen Hybriditätspositionen einhergeht und das gerade die Unabgeschlossenheit jener Prozesse markiert.

Dabei wird auf marginalisierte Subjekt-Positionen fokussiert: Es sollen dezidiert weibliche Stimmen aus der „Afro-Romania“ zu Wort kommen, also jene kulturellen Akteurinnen afrikanischer Provenienz, die diasporische Erfahrungen in der Romania sowie das Bezugssystem „Afro-Romania“ in ihren Werken reflektieren. Diesen ist die Erfahrung der Migration bereits eingeschrieben: In ihnen spiegeln sich – auf semantischer, aber auch auf linguistischer Ebene – Kontakt, Konfrontation und teils neo-koloniale Friktionen mit „euro-romanischen“ Kulturen. Die Bezeichnung „_un_erhörte“ Stimmen bezieht sich entsprechend auf die nach wie vor relativ geringe Rezeption transkultureller Autorinnen und Künstlerinnen in der Wissenschaft, aber auch im Verlagswesen und durch ein breiteres Publikum. In einer weiteren Dimension zielt „_un_erhört“ auf das „Störpotential“ jener Werke ab, in denen zu Klischees geronnene Vorstellungen – von Gender, „race“, aber auch von Identität, Alterität und Zusammenleben etc. – entlarvt bzw. unterminiert werden. Auf diese Weise werden Erfahrungen der „weiblichen Anderen“ sowie Mechanismen intersektionaler Marginalisierung – und nicht zuletzt die Autorinnen und Künstlerinnen selbst – sichtbar.

Gerade das Verhältnis zwischen „Afro-“ und „Euro-Romania“ wird in Texten von diesen Autorinnen unterschiedlicher Generationen reflektiert, so dass eine intensive Auseinandersetzung mit „afro-romanischen“ Identitätskonstruktionen bzw. Sichtweisen auf Europa ungewohnte Einblicke in die stark divergierenden europäischen Gesellschaften und Kulturen ermöglicht. Ebenso wie „Afro-Romania“ als fluides und heterogenes Feld zu verstehen ist – gerade auch angesichts der Migration einiger Autorinnen und Künstlerinnen innerhalb Europas –, wird auch „Euro-Romania“ in diesem Kontext nicht hegemonial, sondern heteroklit gedacht; die unterschiedlichen Felder berühren und überlagern sich auf vielfältige Weise, wie im Rahmen der Sektionsvorträge gezeigt werden soll. Vor allem der Umgang mit der „weiblichen Anderen“, der von „afro-romanischen“ Theoretikerinnen, Schriftstellerinnen, Bloggerinnen und Künstlerinnen wie Léonora Miano, Fatou Diome, Eva Doumbia, Remei Sipi Mayo, Guillermina Mekuy, Lucía Asué Mbomio Rubio, Najat El-Hachmi, Geneviève Makaping, Cecile Vanessa Ngo Noug oder Igiaba Scego thematisiert wird, verspricht im Rahmen eines intersektionalen Ansatzes Erkenntnisse über unterschiedliche Diskriminierungs- bzw. Grenzregime, Migrationskontexte und ‚nationale‘ Identitätsnarrative in Europa. Während das Verhandeln „afro-romanischer“ Subjektpositionen etwa im französischen Kontext bereits Eingang in die theoretische und öffentliche Debatte gefunden hat, ist ein solcher Diskurs, der eine ‚weiß‘ markierte Vision europäischer Kulturen herausfordert, in Ländern wie Spanien oder Italien bislang nur punktuell in die gesellschaftliche Wahrnehmung vorgedrungen.

Die in der Sektion zu untersuchenden „_un_erhörten Stimmen“ sind demgemäß immer auch im Kontext der z. T. äußerst heterogenen Ausgangsbedingungen zu lesen – hinsichtlich unterschiedlicher (post)kolonialer politischer und zivilrechtlicher Praxen, historischer bzw. geografischer und imagologischer Dimensionen von Migration sowie „nationaler Gemeinschaftsentwürfe“ innerhalb der Romania. Die komparatistische und transversale Ausrichtung der Sektion hat entsprechend zum Ziel, divergierende, aber auch vergleichbare Tendenzen der länderspezifisch heterogenen Diskurse aufzuzeigen. Hierbei liegt der Schwerpunkt auf Texten der Gegenwart; diachrone Perspektiven sind als Kontrastfolie jedoch durchaus erwünscht.

Das zu analysierende Korpus besteht dabei aus fiktionalen ebenso wie faktualen (z.B. journalistisch-essayistischen) Texterzeugnissen, Blogs wie Afro-Europe bzw. Afrøpean, Afroféminas oder Nappytalia und anderen medialen Erscheinungsformen (u. a. Spiel- und Dokumentarfilmen, Comics, Musik, kulturellen Performances). All diese Ausdrucksformen können zu Instrumenten der Selbstinszenierung werden, wobei bereits die Wahl einer bestimmten Textsorte oder eines Mediums Rückschlüsse auf auktoriale Inszenierungsstrategien zulässt: So können beispielsweise (auto-)fiktionale Texte größere Freiräume im Umgang mit Realitätsentwürfen eröffnen, während z.B. journalistische Beiträge einen Anspruch auf Nachprüfbarkeit und „Faktentreue“ implizieren können.

In diesem Zusammenhang lässt sich der Frage nachgehen, ob die Autorinnen in einen „Selbstdialog“ treten und sich – je nach Textsorte – unterschiedliche Positionen feststellen lassen, die auf eine Beweglichkeit „afro-romanischer“ Stimmen hindeuten und dadurch ebenfalls die Vorstellungen einer kohärenten (Text-)Identität als Illusion entlarven. Daran lässt sich die Frage anschließen, in welchen Medien und Zusammenhängen eine theoretische Debatte „afro-romanischer“ Identitätsentwürfe stattfindet. Und inwieweit sind wiederum diese Autorinnen an einem solchen Diskurs beteiligt? Inwiefern eröffnen ihre Texte subversive Räume der Selbstartikulation innerhalb oder an den Rändern eines solchen Diskurses oder schlagen alternative „Blickbahnen“ (Makaping) vor? Wird in diesen Texten und Medien die Problematik eines hegemonialen „Sprechens-für“ bzw. „Sprechens-über“ kritisch reflektiert und relativiert, beispielsweise über dezentrierende und dialogische Vertextungsverfahren? Gleichermaßen soll in diesem Kontext die Rezeption dieser „unerhörten“ Stimmen (innerhalb und außerhalb „afro-romanischer“ Gemeinschaften) und ihre Vermarktung z.B. durch Verlage beleuchtet werden.

Es werden ausdrücklich alle Länder und Regionen der Romania einbezogen, wobei v.a. jene, zu denen sich gerade in jüngerer Zeit ein gesteigertes Forschungsinteresse beobachten lässt (wie Italien oder Spanien) bzw. die bisher allenfalls am Rande betrachtet wurden (z. B. Portugal), neue und „_un_erhörte“ Perspektiven versprechen. Hierbei soll ausdrücklich der Dialog mit diesen Stimmen gesucht werden durch die Beteiligung von Vertreterinnen „afro-romanischer“ communities an der Sektion.

Als Konferenzsprachen sind alle romanischen Sprachen sowie in Ausnahmefällen auch Englisch vorgesehen.

Neuer Einsendeschluss ist der 15. Dezember 2016. Bitte senden Sie Ihr Abstract (inkl. Bibliographie max. 500 Wörter) per E-Mail an

Dr. Julia Borst, Universität Bremen (borst@uni-bremen.de)
JunProf. Dr. Stephanie Neu-Wendel, Universität Mannheim (neu@phil.uni-mannheim.de)
Dr. Juliane Tauchnitz, Universität Leipzig (jtauch@rz.uni-leipzig.de)
Maria Zannini M. A., Universität Mannheim (zannini@phil.uni-mannheim.de)

Beitrag von: Stephanie Neu-Wendel

Redaktion: Christof Schöch