Ausgangspunkt vieler phonologischer Theorien sind Lautsegmente bzw. Lautmerkmale, die ihre Eigenschaften vom Kleineren, gewissermaßen von „unten“ nach „oben“ zum Größeren projizieren. Der gestaltphonologische Ansatz, der auf Karl Bühler zurückgeht und forschungsprogrammatisch nicht dominant wurde, wechselt die Perspektive, indem er die Ganzheit, das Alles-und-Zugleich-Präsente der Lautgestalt eines Wortes zum Ausgangspunkt der Theoriebildung nimmt. Laute sind dann Gestaltungsprinzipien neben anderen. Wortgestalten überdauern die Jahrhunderte, wenngleich sich die konkrete lautliche Ausgestaltung zuweilen vollständig ändern kann. Am Beispiel romanischer Vokalsequenzierungen wird gezeigt, dass Lautwandelprozesse wie Hiatus-Neutralisierungen, Verschmelzungsdiphthongierungen oder konsonantische Entwicklungen die silbische (rhythmische) Strukturierung der Wortgestalt affizieren, während Diphthongierungen von Vokalen diesen Aspekt der Wortgestalt intakt lassen. Lastet die Einzelsprache die möglichen Kontraste in Vokalsequenzen phonologisch nicht stark aus, bekommen apriorische Diphthongtheorien Analyseprobleme, da zuweilen eine klare Zuordnung zu der einen oder anderen Kategorie nicht möglich ist. Hier besteht ein Anknüpfungspunkt zur neueren Exemplar Theory. Neben einer vergleichenden diachronen Darstellung werden synchronische phonetische Parameter der Vokalsequenzgestaltung (Formantkonturen, Intensitätsverläufe, Dauer) und psycholinguistische Aspekte (Reime, Sprachlautbewusstheit) in die Betrachtung einbezogen.