tag:www.romanistik.de,2005:/aktuelles/mitteilungen/nachrufRomanistik.de – Meldungen2024-02-06T10:42:23+01:00https://www.romanistik.de/aktuelles/73432024-02-06T10:42:23+01:002024-02-11T23:00:31+01:00Nachruf auf Prof. em. Dr. Rainer Warning (10. April 1936 – 1. Januar 2024)<p>Nachruf auf Prof. em. Dr. Rainer Warning (10. April 1936 – 1. Januar 2024)</p>
<p>Rainer Warning wurde 1936 in Osnabrück geboren. Nach dem Studium in Münster, Besanҫon und Gießen (neben der Romanistik auch Anglistik, Geschichte und Philosophie) war er wissenschaftlicher Assistent in Gießen, in Würzburg und dann in Konstanz. Dort folgte auf die in Gießen von Hans Robert Jauß und Wolfgang Iser betreute Dissertation die Habilitation (wiederum bei Jauß), wonach er im Jahr 1972 an die Münchener Ludwig-Maximilians-Universität berufen wurde. Dort bekleidete Rainer Warning einen Lehrstuhl für Romanische Philologie mit dem Schwerpunkt auf der französischen Literatur, der in den späteren Jahren auch die Allgemeine Literaturwissenschaft umfasste, bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2002 (einen Ruf auf die Jauß-Nachfolge an der Universität Konstanz hatte er 1986 nicht angenommen). Seit 1995 war er Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Durch die herausragende Qualität seiner Forschung und Lehre hat er nicht nur die Münchener Romanistik, sondern auch weit darüber hinaus die Entwicklung des Fachs nachhaltig geprägt. Am 1. Januar 2024 ist Rainer Warning im Alter von 87 Jahren verstorben.</p>
<p>Durch seine wissenschaftlichen Lehrer Hans Robert Jauß und Wolfgang Iser wurde Rainer Warning insofern entscheidend geprägt, als er die von ihnen betriebene Überwindung einer bis dahin überwiegend historischen und gesellschaftswissenschaftlichen Ausrichtung der Literaturwissenschaft übernahm und weiterführte. Weiterhin war es ihm stets ein Anliegen, die literaturhistorisch festgeschriebenen Deutungen von Epochen, Autoren und Werken zu hinterfragen und darüber hinaus reichende Dimensionen freizulegen. Das zeigte sich bereits in seiner Dissertation mit dem Titel <em>Illusion und Wirklichkeit in Tristram Shandy und Jacques le Fataliste</em> (München 1965), in der er sich mit Texten beschäftigte, die es ihm erlaubten, im Gegensatz zu einsinnigen Fortschrittsnarrativen den vielseitigen Charakter der Aufklärung zu betonen. Auch in der Folge hat Rainer Warning die literaturwissenschaftlichen Anliegen häufig im Dialog mit seinen inzwischen den Kern der ‚Konstanzer Schule‘ bildenden Lehrern entwickelt, sowohl in der Habilitationsschrift (<em>Funktion und Struktur – Die Ambivalenzen des geistlichen Spiels</em> , München 1974), die durch Jaußʼ Forschungen zur den romanischen Literaturen des Mittelalters motiviert war, als auch mit dem Sammelband zur Rezeptionsästhetik (<em>Rezeptionsästhetik – Theorie und Praxis</em>, München 1975), deren theoretisches Fundament er in der einleitenden Abhandlung im Sinne einer literaturwissenschaftlichen Pragmatik erweiterte und modernisierte. Hinzu kam die regelmäßige Teilnahme an den Tagungen der Forschergruppe <em>Poetik und Hermeneutik</em>, zu deren Gründungmitgliedern er zählte und die er immer wieder mit wichtigen Beiträgen bereicherte. Zudem war Rainer Warning zusammen mit anderen Repräsentanten des Konstanzer Schülerkreises einer der Initiatoren des <em>Romanistischen Kolloquiums</em>, dem das Fach wichtige Anstöße verdankt.</p>
<p>Zugleich zeichnete sich aber auch schon früh Rainer Warnings eigene Profilbildung ab. Es erscheint wegweisend, wenn er in seiner Einleitung zu Rezeptionsästhetik mit Bezugnahme auf Wolfgang Iser hervorhebt, dass fiktionale Texte vor allem auf das von den geltenden Sinnsystemen Ausgegrenzte, Negierte und für sie möglicherweise Bedrohliche reagieren. Diese Orientierung prägt bereits die Habilitationsschrift zum geistlichen Spiel des Mittelalters, in der er den auf den religiösen Inhalt fokussierten Deutungen die Ambivalenz der körperlichen Drastik von Jesu Leiden sowie auch der parodistischen und komischen Elemente, wie sie sich etwa in den Teufelsauftritten oder auch in den Krämerszenen der Osterspiele finden, entgegensetzt. Damit sollte gezeigt werden, wie der Rahmen der biblisch begründeten Handlungsstruktur überschritten und nicht nur zur Belehrung, sondern zu konträren Zwecken funktionalisiert wird, nämlich zur Entlastung des Publikums von den Zumutungen christlicher Disziplinierung. Die Theatralik wird somit in Widerspruch zu den Annahmen der Dogmatik gesetzt. Fortgeführt wurden die Überlegungen zu genuin ästhetischen, hier im Bühnenspiel angelegten Wirkungsdimensionen der Literatur in Rainer Warnings Beiträgen zur Komödientheorie („Komik und Komödie als Positivierung von Negativität [am Beispiel von Molière und Marivaux]“, 1975; „Elemente einer Pragmasemiotik der Komödie“, 1976), in denen er der – etwa von Bergson – behaupteten sozialen Korrekturfunktion die Widersinnigkeit eines die zensierten Verhaltensweisen geradezu feiernden Komischen gegenüberstellte. Auch hierbei wird theatralisch orientierten spielerischen Episoden, die im Kontext der Haupthandlung beziehungsweise ‚anderweitigen Handlung‘, in der sich die gesellschaftliche Vernunft auf Kosten der komischen Widersacher durchsetzt, eigentlich redundant erscheinen, eine zentrale Rolle zugewiesen.</p>
<p>Zum Fundament von Rainer Warnings theoretischer Ausrichtung wurde – vor allem nach seiner Berufung auf den Münchener Lehrstuhl – die intensive Beschäftigung mit dem literaturwissenschaftlichen Strukturalismus und dann mit zentralen Ansätzen des Poststrukturalismus. Hierbei waren die pragmatisch orientierte Linguistik, der französische Strukturalismus sowie Jurij Lotmans strukturalistische Kulturtheorie wichtige Ausgangspunkte. Hinzu kamen dann als weitere Theoriekomponenten die Schriften Foucaults und die Beiträge des Dekonstruktivismus. Daneben erhielten anthropologisch orientierte Studien zum Imaginären mit einem besonderen Schwerpunkt auf Castoriadis einen zunehmend wegweisenden Charakter, da sie Warnings Interesse am Alteritätscharakter der Fiktion besonders entsprachen. In seinen Publikationen bildete dieses Theorieangebot – häufig im Zusammenspiel mit Texten der früheren geistesgeschichtlichen Tradition, die Rainer Warning immer mit im Blick hatte, – die Basis einer intensiven Reflexion über literaturwissenschaftliche Theoriebildung und die sich daraus ergebenden Konsequenzen für die Textinterpretation. Besonders deutlich kamen diese Voraussetzungen in seinen Studien zum französischen realistischen Roman (<em>Die Phantasie der ‚Realisten‘</em>, München 1999) zum Tragen, welche die Frucht einer jahrzehntelangen Beschäftigung mit diesem Textcorpus darstellen. Der Titel ist bereits programmatisch, da hier als Alternative der gängigen Deutungen, welche die Romane von Stendhal, Balzac, Flaubert und Zola als Gipfelpunkte einer sozialhistorischen Mimesis begreifen, die realitätsüberschreitenden Tendenzen der literarischen Phantasie in den Mittelpunkt gerückt werden. In den zuletzt entstandenen Teilen des Buches, welche die Ergebnisse eindrucksvoll resümieren, schreibt er der Literatur eine grundsätzlich konter-diskursive Funktion zu. Literarische Texte sind keine Nachahmungen bestehender Weltbilder und Diskurse, sondern eine spielerische Mimikry, die ihre Gegenstände performativ erzeugt und dabei einem Imaginären Raum verschafft, das im Sinne von Castoriadis als eine vom Phantasma des sich entziehenden Ursprungs getriebene, ständig neue Bilder und Gestalten erzeugende Dynamik verstanden wird. Bei Stendhal und Flaubert zeigt sich das in den romantisierenden Selbstbildern der Hauptfiguren, mit denen sie sich ihrer sozialen Bedingtheit entziehen, bei Balzac und Zola in der Unterwanderung des positivistischen Anspruchs der sozialen Mimesis durch vitalistische Vorstellungen eines triebgesteuerten und todverfallenen Lebens. So bietet das Buch einen rundum eigenständigen und in vielfacher Hinsicht neuartigen Blick auf die kanonischen Romane des französischen Realismus.</p>
<p>Auf die Beschäftigung mit dem Realismus folgte die wiederum Jahrzehnte umfassende Auseinandersetzung mit dem Werk Marcel Prousts. Zusammen mit dem komparatistisch angelegten Band <em>Heterotopien – Räume ästhetischer Erfahrung</em> (München 2009) bilden bereits die <em>Proust-Studien</em> (München 2000) sowie dann die Monographie <em>Marcel Proust</em> (Paderborn 2016) eine neue Stufe in Rainer Warnings ständig weiter entwickelter Reflexion über das in der ästhetischen Erfahrung aufscheinende Andere und stellen ein in vieler Hinsicht eindrucksvolles Resümee seines Werks dar. Dabei treten zu Castoriadis’ Konzept des Imaginären nun der von Foucault geprägte Begriff der Heterotopie und Gilles Deleuzeʼ Vorstellungen von einem Begehren, das sich in einer differentiellen Repetition ständig neuer Repräsentationen manifestiert, hinzu. Als heterotop kennzeichnet Rainer Warning zunächst ganz im Sinne Foucaults Orte und Räume am Rande oder jenseits der Ränder der gesellschaftlichen Normalität, die er als emblematische Schauplätze für die literarische Inszenierung des Imaginären begreift. Dazu zählen Friedhöfe (u.a. bei Zola), Brücken (in einem Prosagedicht von Réda), das ins Meer ragende Vorgebirge (z.B. in Rimbauds <em>Promontoire</em>) und das Sanatorium (etwa in Thomas Manns <em>Zauberberg</em>). Darüber hinaus kann aber jeder sozial konfigurierte Raum – hier wird auf Michail Bachtins Begriff des Chronotopos Bezug genommen – in dem Maße einen heterotopen Charakter annehmen, wie er sich imaginären Besetzungen und damit der Inszenierung des Wiederholungsspiels des Begehrens anbietet. Auf dieser Basis präsentiert Rainer Warning eine höchst eindrucksvolle Lektüre der <em>Recherche</em>. Dabei stellt er der Rahmenerzählung, welche die gelingende Konstitution einer idealisierten künstlerischen Identität euphorisch feiert, eine Serie ‚erotischer Heterotopien‘ gegenüber, in der die Phantasmen sexueller Transgression sich mit ständig neuen Bildern einer traumatischen Verlustangst verbinden. In ihrem Mittelpunkt steht Albertine, die auf diese Weise zur Allegorie einer Zeiterfahrung wird, die nicht mittels der Erinnerung stillgestellt werden kann, sondern sich in einer rastlosen, schmerzlichen Neugier unaufhaltsam entfaltet. Zugleich will Rainer Warning darin und somit in Prousts Roman ein großes Manifest der einer solchen Neugier verschriebenen modernen Ästhetik sehen. Wie er im Vorwort des zweiten Proust-Buchs zu verstehen gibt, ist damit in gewisser Weise auch die eigene zu keinem Ende kommende wissenschaftliche Neugier gemeint. Mit seinen letzten Arbeiten hat er ihr ein imposantes Denkmal gesetzt.</p>
<p>Für alle Komponenten von Rainer Warnings literaturwissenschaftlichem Werk, das hier nur exemplarisch gewürdigt werden kann, ist es merkmalhaft, dass die sich auf hohem Abstraktionsniveau bewegende theoretische Reflexion sehr genau mit konkreten, detailbewussten Textanalysen verbunden wird. Nicht zuletzt aus dieser Textzugewandtheit erklärt sich auch Warnings Interesse für die Lyrik, die sich in vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert reichenden Studien niederschlug und sich natürlich sehr gut in das Konzept einer konter-diskursiven Literatur einfügen. Zusammengefasst finden sie sich in dem Sammelband <em>Lektüren romanischer Lyrik – Von den Trobadors zum Surrealismus</em> (Freiburg i.Br. 1997), wo er seine Kompetenzen in der hohen Schule der Textinterpretation immer wieder unter Beweis stellt. Rainer Warnings Vielseitigkeit zeigt sich auch in seinem Interesse für die Vergleichende Literaturwissenschaft, das er bereits in seiner Dissertation zu Sterne und Diderot an den Tag legte und das dann später die eingehende Beschäftigung u.a. mit Shakespeare, Fontane, Rilke und Thomas Mann motivierte. Natürlich sind Romanisten immer schon Komparatisten gewesen, und so hat Rainer Warning trotz seiner Konzentration auf die französische Literatur immer wieder Ausflüge in die benachbarten romanischen Sprachen unternommen, so etwa zu Dante, Petrarca und Quevedo. Insgesamt hat Rainer Warning somit ein sehr reichhaltiges wissenschaftliches Werk hinterlassen, in dem er die Besonderheit und die Legitimität der Literaturwissenschaft auf souveräne Weise darstellt und das somit auch für künftige Generationen von Romanisten und überhaupt von Geisteswissenschaftlern nicht nur vielfältige Anregungen enthält, sondern in vieler Hinsicht wegweisenden Charakter besitzt.</p>
<p>Es wäre einseitig, die Bedeutung der wissenschaftlichen Persönlichkeit von Rainer Warning allein in seinen Publikationen zu suchen. Denn daneben und vor allem wirkte er als glänzender akademischer Lehrer mit charismatischer Ausstrahlung, der keiner hochschuldidaktischen Hilfestellungen bedurfte, um eine herausragende Form der wissenschaftlichen Lehre zu entwickeln. Dabei spielte sein Interesse am Strukturalismus eine maßgebliche Rolle, da er daraus eine Methodik der Textanalyse gewann, die auch für die Studierenden zugänglich war und sie zu einer eigenständigen Beschäftigung mit den Texten ermutigte und befähigte. Seine Seminare gewannen daher ihren besonderen Reiz aus der Möglichkeit, auf einer soliden Basis der Textanalyse anspruchsvollen Fragen sowohl der Textinterpretation als auch der literaturwissenschaftlichen Theoriebildung nachzugehen. Das glanzvolle Kernstück von Rainer Warnings akademischer Lehre waren allerdings die Vorlesungen. In ihnen gelang es ihm meisterhaft, literaturgeschichtliches Überblickswissen mit innovativen Thesen und vor allem mit der Praxis einer äußerst genauen Textanalyse zu verbinden. Dabei verstand er es, seine Ausführungen in einer Weise zu gliedern und begrifflich zu präzisieren, dass Studierende aller Niveaus in seinen Bann geschlagen wurden. Seine Vorlesungen fanden häufig ein Publikum von 300 bis 500 Studierenden nicht nur der Romanistik, sondern auch von Interessenten aus anderen Fächern. Es liegt auf der Hand, dass Rainer Warnings Wirken als akademischer Lehrer sich auch darin niederschlug, dass er eine Vielzahl von Schülerinnen und Schülern ausbildete, die er über das Staats- oder Magisterexamen hinaus zu einer Promotion und möglicherweise auch Habilitation führte. Es wurden daher zahlreiche Qualifikationsschriften publiziert, die seine wissenschaftliche Prägekraft bezeugen, und zudem war das Ambiente des Lehrstuhls Warning der Ausgangspunkt zahlreicher erfolgreicher akademischer Karrieren, auch über das Fach hinaus. Rainer Warnings Lehre trug und trägt an vielen deutschsprachigen Universitäten ihre Früchte. Nicht zuletzt gilt dies für die Entwicklung des literaturwissenschaftlichen Felds der deutschsprachigen Hispanistik, da viele Schülerinnen und Schüler aufgrund der Struktur des Münchener Instituts die spanischsprachige Literatur als zweiten Schwerpunkt wählten. Die deutschsprachige Romanistik und viele ihrer augenblicklichen Vertreterinnen und Vertreter sind Rainer Warning zu großem Dank verpflichtet, und das gilt in besonderem Maße für die beiden der ersten Schülergeneration angehörenden Unterzeichneten.</p>
<p>München, 2. Februar 2024<br />
Wolfgang Matzat und Bernhard Teuber</p>Prof. Dr. Lars Schneiderhttps://www.romanistik.de/aktuelles/73082024-01-19T11:05:40+01:002024-01-21T20:27:25+01:00Prof. Dr. Johannes Kramer (25.10.1946 - 19.12.2023)<p>Am 19.12.2023 verstarb für uns plötzlich und unerwartet unser geschätzter Kollege, Lehrer und Freund Johannes Kramer. Mit ihm verliert die Universität Trier sowie die akademische Welt einen herausragenden Romanisten und Universalgelehrten.<br />
Johannes Kramer studierte an der Universität zu Köln Klassische und Romanische Philologie und legte in den Fächern Griechisch, Lateinisch, Italienisch, Französisch und Niederländisch 1971 sein Staatsexamen ab. Während seiner anschließenden Assistenzzeit in Köln promovierte er zunächst in der Klassischen Philologie mit einer Dissertation zum Thema <em>Didymos der Blinde, Kommentar zum Ecclesiastes</em> (1972) auf dem Gebiet der Papyrologie mit griechischen Texten, bevor er sich dann im Rahmen seiner Habilitationsschrift <em>Historische Grammatik des Dolomitenladinischen</em> (1977/78) verstärkt der Romanistik zuwandte. Im Alter von nicht einmal 30 Jahren wurde Johannes Kramer 1979 zum Ordinarius an der Universität Siegen ernannt. Im Jahre 1996 folgte er dem Ruf auf eine C4-Professur für Romanistische Sprachwissenschaft an die Universität Trier, die er zunächst im Wintersemester 1996/97 vertrat und sodann ab dem 01. April 1997 bis zum 31.03.2012 innehatte.<br />
Das einstige <em>Augusta Treverorum</em> als Lebensmittelpunkt spielte jedoch auch schon zuvor für ihn eine wichtige Rolle: Da seine Frau Bärbel als Professorin für Papyrologie an der Universität Trier tätig war, pendelte Johannes Kramer bereits während seiner Siegener Zeit regelmäßig mit der Eisenbahn an die Mosel. Wenngleich der Status eines ‚Pendelprofs‘ damit im Jahr 1996 damit ein Ende hatte, prägte die Leidenschaft für das Zugfahren weiterhin sein Leben: Kaum eine romanistisch-sprachwissenschaftliche Tagung wurde von nun an ohne seine Beteiligung durchgeführt und nur wenn es gar nicht anders ging, nahm er dafür das Flugzeug, viel lieber noch das Schiff. Daneben besuchte Johannes Kramer allzeit gerne seine Kolleg:innen an anderen Universitäten im In- und Ausland – so kannte wohl sicherlich niemand besser die Bahnstrecke Trier-Jena. Ebenso fuhr er gerne mal nach Köln in seine Heimatstadt des Herzens, um nebenbei ein Fässchen Kölsch mit dem Zug nach Trier zu bringen.<br />
Seit dem Beginn seiner Amtszeit gestaltete Johannes Kramer engagiert das Profil der Trierer Romanistik. Dabei hatte er immer die lateinischen Wurzeln der Romania und eine gesamtromanistische Ausrichtung im Blick. Viele Jahre leitete Johannes Kramer die Trierer Romanistik als Geschäftsführer und offizieller Vertreter des Fachs. <br />
Seinen ursprünglich italianistischen Schwerpunkt in der Lehre weitete Johannes Kramer allmählich auf das Spanische und auf das (von ihm nicht ganz so geliebte) Französische, zuweilen auch auf das Portugiesische aus. Zudem bot er immer wieder über sein eigentliches Deputat hinaus Veranstaltungen in der Klassischen Philologie an. Mehrere Studierendengenerationen der Romanistik und der Klassischen Philologie an der Universität Trier kannten und schätzten seine oft disziplinübergreifenden und mehrsprachigen Seminare und Vorlesungen zu unterschiedlichsten Themen, von der philologischen Analyse der Bibel über die Troubadourlyrik bis hin zur Geschichte und Gegenwart der romanischen Sprachen, der romanistischen Wissenschaftsgeschichte sowie den romanisch basierten Kreolsprachen.<br />
Als eloquenter Redner zog Johannes Kramer Studierende wie gleichwohl erfahrene Fachkolleg:innen in seinen Bann. Unabhängig davon, ob es sich um neuere Forschungsergebnisse auf einer Tagung, um eine curriculare Vorlesung oder um einen Vortrag im Rahmen des Seniorenstudiums handelte, seine Veranstaltungen waren stets gut besucht und vor allem wegen ihrer interdisziplinären Breite und Tiefe allseits sehr geschätzt. <br />
Johannes Kramer war ein Universalgelehrter klassischer Prägung, ein Wissenschaftler mit überaus weit gefächerten sowie sprach- und philologieübergreifenden Forschungsinteressen. Die institutionellen Fächergrenzen der Klassischen und Modernen Philologien existierten für ihn nicht. Mit spielerischer Leichtigkeit und einer schier unerschöpflichen Sachkompetenz variierte er seine Forschungsthemen und Forschungsfelder von der Papyrologie über die Klassische Philologie bis hin zur Romanistik, von der Rumänistik zur Kreolistik, von der Geschichte der Sprachen, Literaturen und Kulturen bis in ihre Gegenwart, von der sprachsystematischen zur soziolinguistischen Perspektive, von der Betrachtung einer internationalen Weltsprache bis hin zur Beleuchtung eines regional begrenzten Idioms, von der Fokussierung auf Entstehungs- und Entwicklungsgeschichten unzähliger Einzelwörter bis zur Erstellung monumentaler lexikographischer Werke. Eine weitere Auszeichnung erhalten seine Forschungen durch ihre Breite, die weit über das Latein-Griechische und das Panromanische hinausgeht: Immer wieder stellte Johannes Kramer interdisziplinäre Bezüge zum Slavischen und Hebräischen und zu vielen weiteren Sprachen bzw. Sprachfamilien her. Es ist daher nahezu unmöglich, das Forschungsspektrum von Johannes Kramer thematisch adäquat zu umreißen. <br />
Auch die quantitative Erfassung seines wissenschaftlichen Œuvres kann aus vielerlei Gründen nur approximativ sein: 19 eigenständig verfasste Monographien, 4 (zumeist mehrbändige) Wörterbücher, 12 herausgegebene Textanthologien und Übersetzungen, 10 herausgegebene Festschriften, rund 50 herausgegebene Sammelbände und Tagungsakten sowie an die 500 – nahezu ausschließlich allein verfassten und in zahlreichen Publikationsorganen verstreuten – Aufsätze, die schier endlose Zahl an Rezensionen gar nicht erst mitgezählt!<br />
In der gegenwärtigen Wissenschaftspraxis, die klar umrissene Forschungsthemen, Forschungsprofile, Forschungsprojekte und Forschungsverbünde vorsieht, erscheint das Lebenswerk Johannes Kramers aufgrund seines philologischen Facettenreichtums und endlos wirkenden Forschungshorizonts wie aus einer anderen Zeit. So widmeten sich mehrere seiner Monographien bestimmten Einzelsprachen, etwa dem Vulgärlatein (<em>Literarische Quellen zur Aussprache</em> , 1976; <em>Alltagsdokumente auf Papyri, Ostraka, Täfelchen und Inschriften</em> , 2007), dem Dolomitenladinischen (<em>Historische Grammatik</em> , 1977-78; <em>Sprachgeschichte und hochschuldidaktische Aspekte</em> , mit Sylvia Thiele, 2020), dem Hebräischen (<em>Einführung in die hebräische Schrift</em> , mit Sabine Kowallik, 1994) oder dem Papiamento (<em>Die iberoromanische Kreolsprache Papiamento. Eine romanistische Darstellung</em> , 2004; <em>Etymologische Studien</em> , 2015). Andere hingegen rückten den Themenkomplex „Mehrsprachigkeit und Sprachkontakt“ in den Fokus (<em>Deutsch und Italienisch in Südtirol</em> , 1981; <em>Zweisprachigkeit in den Benelux-Ländern</em> , 1984; <em>Straßennamen in Köln zur Franzosenzeit</em> (1794-1814), 1984; <em>English and Spanish in Gibraltar</em>, 1986; <em>Das Französische in Deutschland</em> , 1992; <em>Italienische Ortsnamen in Südtirol</em> , 2007; <em>Romanisch und Germanisch in Belgien und Luxemburg</em> , 2016). Auch die weiteren sprach- und philologieübergreifenden ausgerichteten Monographien (<em>Didymos der Blinde, Kommentar zum Ecclesiastes</em> , 1972; <em>Die Sprachbezeichnungen Latinus und Romanus im Lateinischen und Romanischen</em> , 1998; <em>Troubadourdichtung. Eine dreisprachige Anthologie mit Einführung, Kommentar und Kurzgrammatik</em> , mit Christine Felbeck, 2008; <em>Von der Papyrologie zur Romanistik</em> , 2011) mögen einen ersten Eindruck von der vielschichtigen und immensen Forschungsleistung Johannes Kramers vermitteln.<br />
Wichtig waren ihm auch regional bezogene sprachwissenschaftliche Studien. Von seinem nahe gelegenen Hochschulstandort und Lebensmittelpunkt aus vermochte Johannes Kramer in Forschung und Lehre entscheidende wissenschaftliche Impulse zur Beschreibung der Sprachsituation und Sprachstruktur im Nachbarland Luxemburg zu geben. Die (Sprach-)Geschichte seiner ‚Wahlheimat‘ Trier erhellte Johannes Kramer zudem u.a. durch Publikationen wie „Jean d’Outremeuse und die Trierer Gründungssage“ (2001), „Ein moselromanisches Reliktwort: <em>Viez</em> (lat. <em>faex</em>)“ (2002) oder „Der Name der Stadt Trier“ (2003).<br />
Johannes Kramer war Mitbegründer und bis zu seinem Tod Mitherausgeber der in Trier 1995 entstandenen Zeitschrift <em>Romanistik in Geschichte und Gegenwart</em>. Auch gründete er im Jahre 2010 mit Trierer Kolleg:innen das <em>America Romana Centrum</em>.<br />
Hinter diesen additiven und zugleich nur selektiven bio(biblio)graphischen Angaben verbarg sich aber vor allem ein herausragender Lehrer und Wissenschaftler mit internationaler Reputation und ganz besonders eine faszinierende Persönlichkeit. Bei den regelmäßigen gemeinsamen Mittagessen, den sich anschließenden Kaffeerunden in der ‚Romanistik-Sitzecke‘ und bei einem gelegentlichen abendlichen Gläschen Wein nebst gutem Essen, deren Herzstück und Zentrum Johannes Kramer war, staunte die Trierer ‚Mannschaft‘ immer wieder über sein enzyklopädisches Gedächtnis und sein enormes Wissen: Originalzitate aus dem Alten Testament, trierische Phraseologismen, Details zur jüngsten Geschichte kleinerer Gemeinden Südtirols, aromunischer Dörfer auf dem Balkan oder auch der Halbinsel Krim, daneben <em>Dönekes</em> über <em>Dit un Dat</em> sowie Erzählungen von Begegnungen mit allen, die im Wissenschaftsbetrieb Rang und Namen haben. Seine Erzählungen, in denen er seine eigene Person nie in den Mittelpunkt stellte oder erhöhte, waren stets geprägt von seinem bewundernswerten, oftmals spitz-trockenen Humor und seiner Selbstironie. <br />
Uns allen werden zahlreiche beeindruckende, bereichernde und vergnügliche Momente der gemeinsamen Jahre mit Johannes Kramer in wertvoller Erinnerung bleiben.<br />
Die Trierer Romanistik wird dem national wie international anerkannten Wissenschaftler ein würdiges und ehrendes Andenken bewahren.</p>
<p>In dankbarer Verbundenheit mit unserem verehrten Kollegen, Lehrer und Freund.</p>
<p>Dr. Christine Felbeck und Prof. Dr. Andre Klump (Universität Trier)<br />
Prof. Dr. Lidia Becker (ehem. Universität Trier, heute Leibniz Universität Hannover)<br />
Dr. Michael Frings (ehem. Universität Trier, heute Sebastian-Münster-Gymnasium Ingelheim)<br />
Prof. Dr. Aline Willems (ehem. Universität Trier, heute Universität zu Köln)</p>Prof. Dr. Andre Klumphttps://www.romanistik.de/aktuelles/71462023-10-25T19:17:53+02:002023-10-29T20:16:41+01:00Prof. em. Dr. Dr. h.c. Fritz Nies (13.02.1934–09.10.2023)<p>Fritz Nies verstarb nach langer Krankheit am 9. Oktober in Schweisweiler in der Pfalz.</p>
<p>Die romanische und französische Literaturwissenschaft verdanken ihm ein umfangreiches Oeuvre. Spuren hinterlässt auch sein organisatorisches Wirken, als Verbandsvorsitzender (<span class="caps">DRV</span>, 1983–1987), als Initiator des Studiengangs Literaturübersetzen und des Frankreichzentrums Freiburg. Für seine Verdienste wurde er mit zahlreichen renommierten Ehrungen und Preisen ausgezeichnet, u.a. dem Bundesverdienstkreuz am Bande (1989) und als Officier de l’Ordre des Arts et des Lettres (2009).</p>
<p>Die Romanistik und die Frankoromanistik bewahren Fritz Nies ein ehrendes Andenken. Gern verweisen wir auf den von Hans-Jürgen Lüsebrink verfassten Nachruf.</p>
<p>Jörg Dünne (<span class="caps">DRV</span>) und Annette Gerstenberg (<span class="caps">FRV</span>)</p>Prof. Dr. Annette Gerstenberghttps://www.romanistik.de/aktuelles/69372023-06-22T15:23:42+02:002023-06-25T21:57:17+02:00Juniorprofessor Dr. Dimitri Joaquim Meneses Guimaraes de Almeida (19.6.1981 – 12.6.2023) <p>Am 12. Juni 2023, eine Woche vor seinem 42. Geburtstag, ist Dimitri Almeida nach langer, schwerer Krankheit in Göttingen verstorben. Bis zuletzt hatte er mit ungebrochener Leidenschaft, Neugier und Hingabe als Juniorprofessor für Inter- und transkulturelle Studien am Institut für Romanistik der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg geforscht und gelehrt und noch am 23. Mai 2023 in der Aula des Löwengebäudes der <span class="caps">MLU</span> seine Antrittsvorlesung mit dem Titel »Hijab Stories: Wie ein neues Genre uns helfen kann, die französische Laizität neu zu verstehen« gehalten – frei, hochkonzentriert und mit jener unnachahmlichen Präzision, Klarheit und Zugewandtheit, die seine Vorträge und Texte gleichermaßen auszeichneten. Mit seiner Antrittsvorlesung und dem anschließenden Empfang schenkte er allen, die von nah und fern nach Halle gekommen waren, noch einen unvergesslichen Abend.</p>
<p>Geboren in Porto, aufgewachsen mit den drei Sprachen Portugiesisch, Französisch und Deutsch, erschien Dimitri Almeida, der auch die portugiesische, französische und deutsche Staatsbürgerschaft besaß, biographisch geradezu prädestiniert für die Denomination seiner Hallenser Professur. Sein wissenschaftlicher Weg war außergewöhnlich: Indem er unterschiedliche Wissenskulturen in Kontakt brachte, gelang es ihm mit Leichtigkeit, Fachgrenzen zu überwinden und neue Perspektiven in Forschung und Lehre zu eröffnen.</p>
<p>Nach dem Abitur an der Deutschen Schule zu Porto studierte Dimitri Almeida zunächst Ethnologie und Politikwissenschaft an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg, mit mehreren Auslandsaufenthalten in Basel, Straßburg und Jassy. 2010 wurde er im Fach Gesellschaftswissenschaften mit einer von Sabine Ruß-Sattar betreuten Arbeit promoviert, die unter dem Titel <em>The Impact of European Integration on Political Parties: Beyond the Permissive Consensus</em> 2012 bei Routledge erschien und in den folgenden Jahren zweimal neu aufgelegt wurde. Bereits ein Jahr vor der Promotion war Dimitri Almeida als Lehrkraft für besondere Aufgaben in französischer Landes- und Kulturwissenschaft am Seminar für Romanische Philologie der Georg-August-Universität Göttingen eingestellt worden. Damit vollzog er eine sich immer deutlicher abzeichnende Bewegung von der Politik- zur Kulturwissenschaft, freilich nicht im Sinne eines Bruchs oder einer Umorientierung, sondern als souveräne, theoretisch und methodisch reflektierte Verknüpfung unterschiedlicher disziplinärer Zugänge, die ihm eine multiperspektivische Deutung verschiedener soziokultureller Phänomene ermöglichte. Vor allem ein ebenso wichtiges wie aktuelles Thema rückte in den Fokus seines Interesses, nämlich die diskursive Verhandlung von religiösen und säkularen Identitäten in Frankreich. Neben einer Reihe von englischsprachigen Aufsätzen publizierte Dimitri Almeida hierzu 2017 bei Springer VS eine zweite Monographie mit dem Titel <em>Laizität im Konflikt: Religion und Politik in Frankreich</em>, eine Arbeit, die man als Standardwerk im deutschsprachigen Raum bezeichnen muss. Beispielhaft sei an dieser Stelle auch sein raumanalytisch ausgerichteter Aufsatz »Marianne at the Beach: The French Burkini Controversy and the Shifting Meanings of Republican Secularism« (Journal of Intercultural Studies 39,1/2018, S. 20-34) genannt, eine feinsinnige Reflexion über die heterotopische Ordnung des Strandes in der französischen Kultur der Gegenwart. 2020 begann Dimitri Almeida, einen zweiten kulturwissenschaftlichen Schwerpunkt auf dem Gebiet der Border Studies zu entwickeln. Hier zeigte er unter anderem, wie die Grenzräume der banlieues im nationalen und im postkolonialen Raum ein imaginäres Anderes hervorbringen, welches in einer dekonstruktiven Bewegung die Idee einer homogenen französischen Republik gleichzeitig bestätigt und unterläuft.</p>
<p>Die Berufung Dimitri Almeidas auf die Juniorprofessur für Inter- und transkulturelle Studien (mit Tenure Track) im Jahr 2022 war für das Institut für Romanistik der <span class="caps">MLU</span> in jeder Hinsicht ein Glücksfall. Man mag seine feinfühlige, großherzige und liebenswürdige Persönlichkeit und seine intellektuelle Brillanz auch daran ermessen, dass er am Institut für Romanistik sofort, d.h. von den ersten Gesprächen und Unterrichtsstunden an, heimisch wurde. Trotz seiner Erkrankung brachte er die Kraft und Energie auf, in seinen Kursen die Studierenden zu begeistern, eine Reihe bedeutender Aufsätze zu veröffentlichen und in Zusammenarbeit mit Kolleg:innen der Universitäten Louvain Saint-Louis Bruxelles, Amsterdam und Lorraine (Metz) sowie dem Verein Plurivers’elles ein vielversprechendes, in die Zukunft weisendes EU-Forschungsprojekt mit dem Titel »RE-<span class="caps">VISUALIZE</span>: Genre et Islam dans le monde digital francophone« auf den Weg zu bringen. Wie nebenbei gelang ihm aber auch das staunenswerte Wunder, in dem einen Jahr, das ihm hier beschieden war, sowohl seine Studierenden als auch seine Kolleg:innen mit seiner Klugheit, seinem Ideenreichtum und nicht zuletzt mit seiner außerordentlichen Großzügigkeit, Zugewandtheit und Freundlichkeit nachhaltig zu inspirieren und zu prägen.</p>
<p>Dimitri Almeidas Tod ist ein kaum fassbarer Verlust für das Institut für Romanistik. Wir trauern um einen wundervollen Menschen und einen herausragenden Wissenschaftler, der uns in kürzester Zeit ans Herz gewachsen ist, der unser Leben und unsere Arbeit sehr bereichert hat und mit dem wir uns so gerne noch viele Jahre lang weiterentwickelt hätten.</p>
<p>Für das Institut für Romanistik der Martin-Luther-Univesität Halle-Wittenberg<br />
Prof. Dr. Robert Fajen und Prof. Dr. Natascha Ueckmann</p>Prof. Dr. Robert Fajenhttps://www.romanistik.de/aktuelles/68952023-06-04T13:22:22+02:002023-06-05T09:56:54+02:00Nachruf Prof. Dr. Rolf Kloepfer (Universität Mannheim)<p><strong>Nachruf für Prof. Dr. Rolf Kloepfer</strong></p>
<p>Das Romanische Seminar der Universität Mannheim trauert um seinen langjährigen Ordinarius Prof. Dr. Rolf Kloepfer. Mit ihm verliert die akademische Welt einen herausragenden und vielfach renommierten Romanisten, Literatur- und Medienwissenschaftler und (Film-)Semiotiker.<br />
Rolf Kloepfer war von 1971 bis zu seiner Emeritierung 2008 Professor für Romanische Philologie an der Universität Mannheim. In diesem Zeitraum bekleidete er neben seiner Forschungs- und Lehrtätigkeit wichtige Ämter: Von 1975 bis 1979 war er Vorsitzender des Deutschen Romanistenverbandes, von 1985 bis 1987 Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Semiotik und im Zeitraum von 1987 bis 1998 wiederholt Direktor des damaligen Instituts für Kommunikations- und Medienwissenschaften (<span class="caps">IKM</span>) der Universität Mannheim.<br />
Rolf Kloepfer war in vielen Forschungsfeldern aktiv, seine wissenschaftlichen Interessen waren breit gefächert. Seine Forschungsschwerpunkte lagen im Bereich der Literaturtheorie/Narrativik, der Semiotik und den romanischen Literatur- und Medienwissenschaften. Mit seinen umfangreichen wissenschaftlichen Publikationen und seinem bereits in den achtziger Jahren dezidiert verfolgten Engagement für den Aufbau einer fachspezifischen romanischen Medienwissenschaft bereicherte Rolf Kloepfer in innovativer Weise das Romanisches Seminar der Universität Mannheim und prägte somit entscheidend dessen aktuelles Profil mit. Diese Weichenstellung ist bis heute sichtbar und in der Struktur aller drei philologischen Fächer unserer Fakultät institutionalisiert.<br />
Seine Aufgeschlossenheit für neue universitäre Entwicklungen, sein stets interdisziplinär bzw. interkulturell ausgerichtetes Denken und sein Interesse an der Umsetzung zukunftsträchtiger wissenschaftlicher Ausbildungsoptionen für Studierende führte maßgeblich zur Etablierung neuer interdisziplinärer Studiengänge in den neunziger Jahren, die es erlaubten, das Studium romanischer Kultur- und Sprachräume mit einer grundlegenden wirtschaftswissenschaftlichen Qualifikation zu verbinden. In der Lehre setzte Rolf Kloepfer diese interkulturelle und medienwissenschaftlich geprägte Sichtweise praxisnah um. Er vertrat vor allem die französische/frankophone und spanische/hispano-amerikanische Literatur- und Medienwissenschaft, widmete sich aber gleichermaßen literaturtheoretischen und insbesondere auch filmsemiotischen bzw. -analytischen Fragestellungen. Mit großem Engagement organisierte er Exkursionen, die dank seiner Kreativität nicht nur den Studierenden, sondern auch den Mitarbeiter:innen des Romanischen Seminars positiv in Erinnerung bleiben werden. Mit vergleichbarer Konsequenz und Unbeirrtheit setzte er sich in schwierigen Zeiten, zuletzt im Jahre 2006, erfolgreich für den Erhalt des Romanischen Seminars in Mannheim ein, wofür ihm unser ganz besonderer Dank gebührt.</p>
<p>Unser tiefes Mitgefühl gilt seiner Familie. Wir werden Rolf Kloepfer ein würdiges Andenken bewahren.</p>
<p>Inge Beisel, Claudia Gronemann, Eva-Martha Eckkrammer, Johannes Müller-Lancé, Cornelia Ruhe</p>
<p>und das Romanische Seminar der Universität Mannheim</p>Johannes Müller-Lancéhttps://www.romanistik.de/aktuelles/66902023-03-09T19:37:02+01:002023-03-12T23:07:26+01:00Helmut Feldmann in memoriam<p>Die Lusitanistik trauert um Helmut Feldmann, Professor für Romanische Philologie (1970-1997) und Direktor des Portugiesisch-Brasilianischen Instituts (1993-1998) an der Universität zu Köln.</p>
<p>Helmut Feldmann wurde am 30.12.1934 im Sauerland geboren. In Drolshagen verlebte er seine Jugend. Von dort ging er zum Studium nach Köln, Genua und Madrid. Nach dem Abschluss in Germanistik und Romanistik wurde er Lektor des <span class="caps">DAAD</span> in Fortaleza. Er begann seine Doktorarbeit über Graciliano Ramos bei Joseph Maria Piel und wurde Assistent bei Fritz Schalk. In Fortaleza waren es Hesíodo Facó und José Gomes de Magalhães, die ihn besonders tief beeindruckten. Sie kamen dann auch als erste einer Reihe brasilianischer Professoren, Dichter und Persönlichkeiten nach Deutschland, angezogen von Helmut Feldmann, den ich zu dieser Zeit als Assistent in der Ruhr-Universität Bochum kennenlernen konnte.</p>
<p>Die Ruhr-Universität war damals (1965) im Aufbau. Es gab viele Baugruben und nur wenige Studenten. Kurzum, es war nichts los. Wir mussten alles organisieren, auch unsere Freizeit. Helmut Feldmann war ein kommunikativer Mensch. Er konnte nicht lange ohne Kontakte sein. So brachte er seine Kollegen in die Welt seiner Gewohnheiten: in seine Gedankenwelt, die von Brasilien bestimmt war, in sein Elternhaus in Olpe und in die romanischen Literaturen. Viele von uns wurden beeinflusst von der trikontinentalen Romanistik, die Eberhard Müller-Bochat uns nahebrachte, und Helmut Feldmann wurde zusammen mit Georg Rudolf Lind nicht müde, die portugiesischsprachigen Literaturen zum Dauerthema zu machen.</p>
<p>Aber Helmut Feldmann konnte auch anders. Er habilitierte sich über ein italienisches Thema (Carlo Gozzi) in Köln, wohin er zusammen mit Professor Müller-Bochat und einigen Kollegen aus Bochumer Zeiten wechselte und verschwand wieder. Wohin? Nach Brasilien. Er verbrachte auf Einladung von Afrânho Coutinho ein Jahr in Rio de Janeiro als postgraduierter Professor für Vergleichende Literaturwissenschaft, trat dann eine Stelle als Dozent an der Kölner Universität an, heiratete die Musikerin und Sängerin Yoko Hanabusa und ging als Lektor für Deutsch an die Universität von João Pessoa (Universidade Federal de Paraíba).</p>
<p>Dem Drängen seiner jungen Frau folgend wechselte sein wissenschaftliches Interesse in den fernen Osten. Davon zeugt sein Buch über Wenceslau de Moraes (1854 – 1929), der die letzten 30 Jahre seines Lebens in Japan verbrachte. Darüber hinaus entstehen Studien zu portugiesischen Reiseschriftstellern des 16. und 17. Jahrhunderts, die den Zugang nach Japan eröffneten. 1991 findet unter Leitung von Helmut Feldmann in Köln das Kolloquium „Portugal e Japão nos séculos <span class="caps">XVI</span> e <span class="caps">XVII</span>: a cultura Nanban“ statt.</p>
<p>Immer mehr verbindet sich der Lebensweg von Helmut Feldmann mit der Universität zu Köln. In Köln gab es das von Leo Spitzer 1932 gegründete Portugiesisch-Brasilianische Institut, das ab 1950 von Joseph Maria Piel und ab 1968 von Eberhard Müller-Bochat geleitet wurde. Hier konzentrierte sich die Aktivität Helmut Feldmanns, der schließlich die Leitung des Instituts übernahm. Das brasilianische Lektorat wurde zeitweilig durch einen Lehrstuhl für brasilianische Studien ersetzt, wodurch eine Vielzahl von brasilianischen Schriftstellern und Professoren nach Köln kommen konnte, um die brasilianische Kultur verstärkt neben der portugiesischen zu Gehör zu bringen. Publikationen und administrative Zusammenarbeit zeugen von diesem Bemühen. Aktuelle Themen aus der Zeit der Militärherrschaft (1964-1984) wurden von Helmut Feldmann zusammen mit Dietrich Briesemeister und Silviano Santiago bearbeitet und Verträge zwischen der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln und dem Centro de Humanidades der Universidade Federal do Ceará geschlossen (1983), die 1990 auf die Ebene der Rektorate der beiden Universitäten erhoben wurden. Dadurch wurde der Austausch von jungen Wissenschaftlern der beiden Seiten verstärkt. Helmut Feldmann sorgte dafür, dass der Studiengang Regionalwissenschaft Lateinamerika nicht nur Erasmusstudenten aus Portugal, sondern auch Studierende aus Fortaleza und Campinas, die vom <span class="caps">DAAD</span> Stipendien erhielten, aufnahm, und er erweiterte die Bindungen zwischen der Universidade Federal do Ceará und Köln durch Verträge mit der Fachhochschule Köln und der Universidade de Carirí in Crato.</p>
<p>Wichtig waren die gesellschaftlichen Abende im Hause Feldmann. Anlässe waren meistens Einladungen an Schriftsteller und Kollegen aus dem In- und Ausland, die Vorträge in der Universität Köln hielten. António Lobo Antunes aus Portugal, Linhares Filho und Teoberto Landim aus dem Ceará, Domício Proença Filho aus Rio de Janeiro – um nur einige zu nennen – bevölkerten sein Haus, und wir profitierten von Helmut Feldmanns Freigebigkeit und Yokos Arbeitseinsatz.</p>
<p>1992 erfolgte die Gründung des „Zentrum Portugiesischsprachige Welt“ mit Abteilungen zu Portugal, Brasilien, zu Afrika und Asien. Als An-Institut war ein Trägerverein notwendig. Alles hatte Helmut Feldmann bedacht: Er gründete die Gesellschaft für Wissenschaft, Kulturen und Wirtschaft der Länder Portugiesischer Sprache (<span class="caps">GLPS</span>). Die Gesellschaft existiert noch heute. 1994 initiierte er die zweiwöchige spektakuläre Reise von rund einhundert Angehörigen der Universität zu Köln, der Stadt und wichtiger Industriebetriebe nach Fortaleza. Die Lufthansa organisierte den bis heute einmaligen Direktflug von Köln nach Fortaleza.</p>
<p>Schon 1984 sorgte er an der Seite von Prof. Manfred Kuder für die Gründung der Deutschen Gesellschaft für die Afrikanischen Staaten Portugiesischer Sprache (<span class="caps">DASP</span>). Als Ehrendoktor der Bundesuniversität von Ceará umspannte er in der Forschung und der Lehre die gesamte portugiesischsprachige Welt. „Goa und Portugal“ oder “O movimenteo sócio-religioso de Canudos“ wurden Themen von Kolloquien in Köln.</p>
<p>Nach seiner Pensionierung wurde es ruhiger um Helmut Feldmann. Krankheit und Tod seiner Frau Yoko machten ihn häuslicher, ohne seine Sehnsucht nach Brasilien zu stillen. Immer wieder zog es ihn hin an den Ort, an dem sein akademisches Leben als Universitätslehrer begonnen hatte. Die Stationen seiner Vita zeigen darüber hinaus auch, dass die lusitanische Welt in vier Kontinenten seine Heimat war. In all diesen Bereichen hat er geforscht und publiziert.</p>
<p>Helmut Feldmann verstarb am 22.02.2023 im Kreise seiner Familie. Die Universität zu Köln verliert ein umtriebiges Mitglied. Wir alle verlieren einen großartigen Menschen. Wir verneigen uns vor Helmut Feldmann.</p>
<p><strong>Helmut Siepmann</strong><br />
<em>Leiter der Portugalabteilung des „Zentrums Portugiesischsprachige Welt“ am Portugiesisch-Brasilianischen Institut der Universität zu Köln</em></p>Dr. Janek Scholzhttps://www.romanistik.de/aktuelles/66632023-02-23T20:58:44+01:002023-02-26T22:30:43+01:00Bernd Spillner (1941-2023)<p>Das Institut für romanische Sprachen und Literaturen der Universität Duisburg-Essen sowie seine Schülerinnen und Schüler trauern um Bernd Spillner. Bernd Spillner war von 1972 bis zu seiner Emeritierung Professor für Romanistik und Allgemeine Sprachwissenschaft an der Universität Duisburg bzw. nach der Fusion 2003 an der Universität Duisburg-Essen. Er gehört damit zur Gründergeneration der Duisburger (später Duisburg-Essener) Romanistik. Von 1979 bis 1981 war er Dekan und Prodekan an der Universität Duisburg. In der Lehre vertrat er vor allem die französische Sprachwissenschaft. Seine wissenschaftlichen Interessen gingen weit darüber hinaus, wie allein schon sein sehr umfangreiches Publikationsverzeichnis – und sein unerschöpfliches Archiv sprachwissenschaftlicher Sekundärliteratur – zeigen. Seine wissenschaftlichen Interessen waren breit gefächert. Fragen der Stilforschung – hier gehörte er zu den Pionieren der Anwendung quantitativer, computerlinguistischer Methoden an der Schnittstelle von Literatur- und Sprachwissenschaft – stehen im Zentrum seiner Dissertation über den Stil Marcel Prousts wie auch in dem 1974 erschienenen Werk Linguistik und Literaturwissenschaft. Stilforschung, Rhetorik, Textlinguistik, das auch in spanischer und arabischer Übersetzung erschien. Darüber hinaus war er in vielen anderen Forschungsfeldern aktiv, etwa in der Kontrastiven Linguistik, der Interkulturellen Kommunikation, der Textwissenschaft oder der Fachsprachenforschung. Sein besonderes Interesse galt Fragen der angewandten Sprachwissenschaft. So war er von 1987 bis 1994 Vorsitzender der Gesellschaft für Angewandte Linguistik. Mit großer Sorgfalt organisierte er Exkursionen für die Studierenden, bei denen kulinarische und önologische Fragen nicht zu kurz kamen. <br />
Über die Universität Duisburg hinaus war Bernd Spillner vielfach im In- und Ausland tätig, durch Gastdozenturen, Forschungsaufenthalte und Vorträge in Europa und (fast) allen Kontinenten, von Oran über Dakar, Nouméa und Quito bis nach Shanghai. Auch nach seiner Emeritierung im Jahr 2007 absolvierte er zahlreiche internationale Forschungsaufenthalte und Kurzzeitdozenturen. 2011 ehrten Kolleginnen und Kollegen Bernd Spillner anlässlich seines 70. Geburtstages im Glaspavillon auf dem Essener Campus mit einem Festakt und einer Festschrift zu seinen Ehren.<br />
Wir erinnern uns an Bernd Spillner auch als einen Kollegen, der noch lange nach seiner Emeritierung regelmäßig auf dem Campus präsent war. Er war stets ein geschätzter, offener und angenehmer Gesprächspartner und zeigte viele Kompetenzen, u.a. auch als kulinarischer Experte und Restaurantkritiker. Geradezu sprichwörtlich waren seine perfekten Sprachkompetenzen im Französischen; viele Anekdoten ranken sich um seine Kenntnis französischer Fachlexeme (‟Wie, Sie wissen nicht, was ‟gespickter Rehrücken” auf Französisch heißt?”). <br />
Bernd Spillner zeichnete sich durch einen äußerst feinsinnigen und intelligenten Humor und ein Gespür für groteske Alltagssituationen aus. Neben den hohen Anforderungen an das methodisch saubere und systematische Arbeiten an (auch schwer zu beschaffenden) Korpora, die er an seine Studierenden und insbesondere Promovend*innen stellte, kam die Maßgabe, dass die gewählten Themen letztendlich auch Spaß machen sollten, nie zu kurz. Als akademischer Lehrer verstand er es, die Begeisterung für Fragestellungen der Angewandten Linguistik an seine Schüler*innen weiterzugeben und in ihnen das ihm eigene Gespür für innovative sprachliche Phänomene, die es verdienen erforscht zu werden, zu wecken. Erfolge im akademischen Alltag wurden so auch regelmäßig mit kulinarischen Schätzen aus der Romania gefeiert – niemals jedoch ohne eine angemessene, auf dem unermesslichen Wissens- und Erfahrungsschatz Bernd Spillners basierende Würdigung.<br />
Sein kritischer Blick auf die akademischen Leistungen seiner Schüler*innen, stets verbunden mit einer gesunden pragmatischen Distanz, hat deren Arbeitsethos nachhaltig geprägt und vielen von ihnen den Weg in die wissenschaftliche Karriere geebnet. Vieles davon wird in ihnen weiterleben und an zukünftige Generationen Studierender weitergegeben werden.</p>
<p>Unser tiefes Mitgefühl gilt seiner Familie. Wir werden Bernd Spillner ein ehrendes Andenken bewahren.</p>
<p>Institut für romanische Sprachen und Literaturen der Universität Duisburg-Essen<br />
stellvertretend für Bernd Spillners Schülerinnen und Schüler Nadine Rentel (Zwickau)</p>Prof. Dr. Dietmar Osthushttps://www.romanistik.de/aktuelles/65292022-12-10T15:49:30+01:002022-12-11T19:49:01+01:00Prof. Dr. Dieter Messner (1942-2022)<p>Am 4. Dezember 2022 ist Em. O. Univ.-Prof. Dr. Dieter Messner nach langem, schwerem Leiden, nur wenige Wochen nach seinem 80. Geburtstag, verstorben.</p>
<p>Dieter Messner wurde am 19. Oktober 1942 in Oppeln (Schlesien) geboren. Seine Kindheit und Jugend verbrachte er in Niederösterreich, in der Nähe von Wien. Nach dem Studium der romanischen und klassischen Philologie in Wien und Paris wurde er 1967 bei Carl Theodor Gossen mit einer Arbeit über Pierre Bersuire zum Dr. phil. promoviert (‘Pierre Bersuire, Übersetzer des Titus Livius. Eine Wortschatzuntersuchung zum ersten Buch der ersten Dekade’). Mit dem Thema der Dissertation zeichnete sich schon der zentrale Forschungsschwerpunkt von Dieter Messner ab: Lexikologie und historische (Meta-)Lexikographie. Auch die 1974 vorgelegte und 1976 publizierte Habilitationsschrift (‘Dictionnaire chronologique de la langue portugaise’) schreibt sich in diese Forschungsfelder ein.</p>
<p>Drei Jahre nach der Promotion übersiedelte Dieter Messner von Wien nach Salzburg, wohin der Gründungsprofessor der Salzburger Romanistik, Rudolf Baehr, den aufstrebenden Jungwissenschaftler geholt hatte. Dieser sollte die damals traditionell auf das Studium der älteren Stadien der romanischen Sprachen (und insbesondere des Französischen) fokussierte Sprachwissenschaft in Forschung und Lehre an dem noch jungen Institut für Romanistik (heute: Fachbereich Romanistik) aufbauen bzw. modernisieren.</p>
<p>Damit einher ging der Ausbau der Hispanistik und Lusitanistik in Salzburg, die Dieter Messner von 1981 bis zu seiner Emeritierung im Jahre 2011 als Lehrstuhlinhaber in der Linguistik vertreten hat. Gastprofessuren haben ihn in diesen 30 Jahren u.a. nach Klagenfurt, Innsbruck, Wien und Salamanca geführt. Auch in den ersten Jahren seines Ruhestandes – bevor ihn 2014 ein Schlaganfall an den Rollstuhl gefesselt hat – konnte er noch intensiv wissenschaftlich arbeiten, u.a. an seinem Anfang der 1990er Jahre ins Leben gerufenen Großprojekt ‘Dicionário dos Dicionários Portugueses’ (1994ff.).</p>
<p>Dieter Messner hat in seiner aktiven Zeit mehr als 250 Publikationen verfasst. Für seine lusitanistischen Forschungen wurde er 1997 mit dem <em>Grande Prémio Internacional de Linguística “L. F. Lindley Cintra”</em> ausgezeichnet; der spanische Staat hat ihm 2001 für seine Verdienste um die Verbreitung der spanischen Sprache und Kultur die <em>Gran Cruz del Orden del Mérito Civil</em> verliehen. Er war Korrespondierendes Mitglied der <em>Real Academia Española</em>, der <em>Academia das Ciências de Lisboa</em> sowie der <em>Academia Brasileira de Letras</em>.</p>
<p>Mit Dieter Messner verliert die (Salzburger) Romanistik einen ihrer großen Vertreter und einen hochgeschätzten Kollegen, Lehrer und Freund.</p>Prof. Dr. Bernhard Pöllhttps://www.romanistik.de/aktuelles/65302022-12-09T18:59:07+01:002022-12-11T19:49:01+01:00Zum Tode von Heinz Thoma (1944-2022)<p>Es gibt vermutlich nicht viele so emblematische Bilder für den Umbruch nach 1990 in Halle wie das Ex-Stasi-Gebäude am Gimritzer Damm. Kaum war es überstürzt vom „Schild und Schwert der Partei“ geräumt worden (das sich über drei Etagen erstreckende abmontierte Metall-Wappen war als Schatten noch Jahre später auf den Mauern zu erkennen), da zogen in die unteren Etagen das Finanzamt, in die oberen die Martin-Luther-Universität mit ihren Neuphilologien ein. Im obersten Stock befand sich fortan die Romanistik, die wie die Anglistik ein Stockwerk darunter in kürzester Zeit von einem streng zulassungsreglementierten zu einem studentischen Massenfach geworden war. Heinz Thoma, der erste nach den neuen Berufungsregeln ernannte Professor der Romanistik, hatte dort ab 1993 sein Dienstzimmer: einerseits mit spektakulärem Blick über die ganze Stadt, andererseits, versteckt in einem Wandschrank, mit den herausgerissenen Kabeln jener Abhöranlagen, mit denen der Geheimdienst zuvor noch seine eigenen Mitglieder im Gebäude überwacht hatte. Kein sehr attraktives Ambiente, aber immerhin relativ viel Platz: Von hier aus versuchte Thoma, zusammen mit uns in kurzer Folge nachberufenen Kolleginnen und Kollegen, eine moderne Romanistik unter gegenüber der Zeit zuvor völlig veränderten Rahmenbedingungen zu profilieren. Das konnte nicht ohne Konflikte abgehen, nicht einmal so sehr mit den Kolleginnen und Kollegen aus der gerade untergegangenen <span class="caps">DDR</span> (das natürlich auch), als vielmehr mit einer sich selbst erst findenden Verwaltung, aber es gelang. Dass die Hallesche Romanistik heute sehr gut dasteht, ist auch ein Verdienst des geglückten Anfangs. Das war bekanntlich nicht überall so.</p>
<p>Die Zusammenlegung der beiden deutschen Staaten hatte Thoma von Anfang an kritisch begleitet. „Rasante Zeiten“ nannte er sein, in gewollt sehr kleiner Auflage und in einem Hamburger Politik-, nicht in einem Wissenschaftsverlag erschienenes Tagebuch, das ebenso scharfsinnig wie scharfzüngig den veränderten Wissenschaftsprozess und vor allem auch dessen westdeutsche Protagonisten von 1990 bis 1993 begleitete (mehr als einer der erwähnten Kollegen soll ihn danach nicht mehr gegrüßt haben). Aufzeichnungen nach der Berufung nach Halle hat er dann nicht mehr veröffentlicht.</p>
<p>Dieses Interesse für die politischen Rahmenbedingungen von Wissenschaft und für das jeweilige Verhalten des Individuums in ihnen war insgesamt sicher eines der am stärksten prägenden Motive seiner Forschung, gerade auch in der historischen Perspektive. Aufklärung und nachrevolutionäres Bürgertum hieß seine Dissertation von 1976 bei Erich Köhler, also die Freilegung von Strukturen der Rezeption von Aufklärung unter den ganz anderen sozialen Bedingungen des französischen 19. Jahrhunderts nach der Revolution: der monarchistischen Restauration unter den beiden jüngeren Brüdern des geköpften Ludwig <span class="caps">XVI</span>., der Juli-Monarchie des „Enrichissez-vous“, der Revolution von 1848 und dem Kaiserreich unter Napoleon <span class="caps">III</span>. Henning Krauß, ein Jahr jünger als Thoma und ebenfalls Schüler von Erich Köhler, fand dreißig Jahre später zu Recht, die Studie, „damals ideologiekritisch genannt“, sei „aus heutiger Sicht ein Beitrag zur Kulturwissenschaft“. Auf die Zeit zwischen 1815, dem Ende der Napoleonischen Ära, und 1851, dem Staatsstreich Napoleons <span class="caps">III</span> – also nochmals die Restauration, die Julimonarchie und die Revolution von 1848 – kam Thoma auch in seiner Habilitationsschrift (Wuppertal 1984) zurück. Sie hieß Die öffentliche Muse, verband also gerade das Moment der kritischen Öffentlichkeit und der Zeitgenossenschaft mit der Literaturproduktion, und zwar anhand der ‚geringeren‘ Gattungen: der panegyrischen Gelegenheitslyrik (die Krönung von 1825), der Verssatire und der Frühgeschichte des politischen Chansons in der Nachfolge von Béranger, Gattungen also, die von vorneherein auf eine öffentliche Wirkung und nicht auf das stille Lesen im Zimmer hin angelegt waren. Ein noch immer vorzüglicher, merkwürdigerweise in der Forschung nur wenig rezipierter Sammelband zur Lyrik des gesamten 19. Jahrhunderts im Rahmen des von Krauß initiierten Großprojektes „Interpretation Französische Literatur“ schloss Thomas Beschäftigung mit dem Gegenstand 2009 weitgehend ab. Eine lange Zeit geplante Studie zur italienischenLyrik der Gegenwart kam am Ende nicht zustande, aber ein ganzes Corpus von systematisch gesammelten Bänden und Bändchen dazu kündet im Romanistik-Bestand der Universitätsbibliothek noch davon.</p>
<p>In Halle hatte sich Thoma schnell jener Epoche der Literatur und Kultur zugewandt, die dann sein Hauptthema für die folgenden dreißig Jahre werden sollte, der französischen Aufklärung. Auch hier galt es wieder, einen Neuanfang zu organisieren. Das Aufklärungszentrum der Universität, als letztes deutsch-deutsches Kooperationsprojekt noch vor der ‚Wende‘ begonnen, wankte unter dem Druck der Umstände bedenklich; Thoma wurde der neue Direktor nach der Pensionierung von Ulrich Ricken und musste sich in der neuen Funktion zwangsläufig um alles kümmern – von den Verhandlungen mit der <span class="caps">ULB</span> zur Zentrierung der umfangreichen Bestände des 18. Jahrhunderts im neuen Zentrum, wo sie prominent aufgestellt werden sollten, bis hin zur Auswahl der Lampen im Lesesaal. Gerne erzählte er, wie er bei seinem ersten Besuch in der ehemaligen Schule, deren Umbau die Volkswagenstiftung bezahlte, im Dachgeschoss – dem heutigen Lesesaal – Hunderte toter Tauben vorfand. Zugleich musste ein – ebenfalls nicht immer einfacher – Modus Vivendi mit den Franckeschen Stiftungen gefunden werden, auf deren Gelände das Aufklärungszentrum liegt. Allen, die dabei waren, wird bis heute unvergessen sein, wie er Paul Raabe, dem Stiftungsdirektor, zu dessen 70. Geburtstag in dem nach dem pietistischen Liederdichter Gottlieb Freylinghausen benannten Festsaal der Stiftungen einen großformatigen Kupferstich mit dem Porträt Voltaires überreichte.</p>
<p>Wichtig war ihm nicht zuletzt die durch die Benennung zum Ausdruck kommende Programmatik. Am Ende langer Diskussionen setzte sich sein Vorschlag „Interdisziplinäres (!) Zentrum für die Erforschung der Europäischen (!) Aufklärung“, kurz <span class="caps">IZEA</span>, durch. Die Bewilligung eines zusammen mit Jörn Garber konzipierten mehrjährigen Förderprojektes unter dem Generalthema „Selbstaufklärung der Aufklärung“ durch die <span class="caps">DFG</span> konsolidierte das Zentrum sowohl inneruniversitär als auch in der Außenwirkung. Mit einer ganzen Forschergruppe fragte er hier nun nicht mehr nach der Rezeption, sondern nach dem Selbstverständnis der Epoche; er selbst befasste sich in seinem Teilprojekt mit Diderot, der ihm von allen Aufklärern am nächsten stand. Das erst mit Verzögerung im Januar 2015 erschienene Handbuch Europäische Aufklärung mit dem Untertitel Begriffe – Konzepte – Wirkung, das in etwa 50 Beiträgen wichtige Schlüsselthemen der Epoche beleuchtete, war ein spätes Ergebnis dieser Forschungsinitiative.</p>
<p>Heinz Thoma war ein Mann mit Ecken und Kanten; er ‚konnte‘ Diplomatie, wenn es nötig war, aber lieber war ihm die spielerische Provokation seines Gegenübers – mal sehen, wie der/die damit umging, ob er/sie zurückzuckte oder den Ball aufnahm und zurückgab. Wer das schaffte – unerschrockene ‚Untergebene‘ ebenso wie Kolleg:innen, in Gremiensitzungen wie im eher privaten Gespräch –, konnte seines Interesses und Respekts sicher sein, wenn erforderlich, auch seiner Loyalität oder diskreten Hilfestellung. In Halle hat er in der Romanistik und in der gesamten Universität wichtige Spuren hinterlassen, die noch längere Zeit nachwirken werden. Zuletzt hat er sich der deutschen Übersetzung des epochemachenden Werks zum Energiebegriff in der Spätaufklärung des Pariser Kollegen und Freundes Michel Delon gewidmet, das Ende Oktober erschienen ist. Kurz darauf, am 27. November 2022, ist Heinz Thoma 77-jährig in Halle gestorben. Wir werden seiner mit Respekt gedenken.</p>
<p>Thomas Bremer</p>Prof. Dr. Thomas Bremerhttps://www.romanistik.de/aktuelles/65112022-12-01T14:06:59+01:002022-12-04T22:44:04+01:00Nachruf auf Prof. Dr. Friederike Hassauer (1951-2021)<p>Der Frankoromanistikverband trauert um sein Mitglied Friederike Hassauer und wird ihr ein ehrendes Andenken bewahren. Prof. Dr. Friederike Hassauer hatte 30 Jahre lang die Professur für Romanische Philologie an der Philologisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien inne und war eine herausragende Literaturwissenschafterin.</p>
<p>https://phil-kult.univie.ac.at/news/aktuelle-meldungen/nachruf-friederike-hassauer/</p>
<p>L’assiociation des franco-romanistes allemands a la tristesse de faire part du décès de Friederike Hassauer et souhaite lui rendre un hommage respectueux. Friederike Hassauer a occupé pendant 30 ans la chaire de philologie romane à la Faculté de Philologie et de Sciences Culturelles de l’Université de Vienne et était une éminente spécialiste de la littérature.</p>
<p>https://phil-kult.univie.ac.at/news/aktuelle-meldungen/nachruf-friederike-hassauer/</p>Prof. Dr. Anne-Sophie Donnarieixhttps://www.romanistik.de/aktuelles/64042022-10-31T13:48:55+01:002022-10-31T20:22:58+01:00Prof. Dr. Franz-Joseph Meißner (16.04.1946–29.08.2022)<p>Der Frankoromanistenverband trauert um sein Mitglied Prof. Dr. Franz-Joseph Meißner, der nicht nur während seines langjährigen Wirkens an der Universität Gießen die Didaktik der romanischen Sprachen und Literaturen wesentlich geprägt hat.</p>
<h2>Nachruf von Hélène Martinez (Universität Gießen), Marcus Reinfried (Universität Jena) und Christiane Fäcke (Universität Augsburg)</h2>
<h1>In memoriam Franz-Joseph Meißner</h1>
<p>Am 29. August 2022 ist er in Linden-Leihgestern bei Gießen im Alter von 76 Jahren gestorben. Mit Franz-Joseph Meißner ist ein außerordentlich engagierter, vielseitig interessierter, sowohl in deutschen Fachkreisen als auch international bekannter Fremdsprachendidaktiker von uns gegangen. <br />
Franz-Joseph Meißner studierte romanische Philologie (Französisch und Italienisch) sowie Geschichte, Philosophie und Pädagogik an den Universitäten Köln, Paris, Pavia und Düsseldorf. Dann unterrichtete er als Lehrer an einem Gymnasium in Duisburg-Rheinhausen, schrieb aber auch noch in seiner Freizeit an einer lexikologischen Dissertation. Anschließend verbrachte Meißner als abgeordneter Oberstudienrat im Hochschuldienst einige Jahre wieder an der Universität Köln und fasste eine zweite lexikologische Qualifikationsschrift ab, eine Habilitationsschrift mit diesmal aber international vergleichender Ausrichtung, für die er den Straßburg-Preis erhielt. Es folgten fünf Jahre als „Oberassistent“ (angemessener wäre wohl die Bezeichnung Hochschuldozent) an der FU Berlin, in denen Meißner für den Bereich Didaktik der spanischen Sprache und Literatur zuständig war. 1994 erhielt er (als Nachfolger von Herbert Christ) den renommierten Lehrstuhl für Didaktik der französischen Sprache und Literatur an der Universität Gießen, dessen Zuständigkeitsbereich auf romanische Sprachen und Literaturen erweitert wurde.<br />
Bereits in der Kölner Zeit hatte Franz-Joseph Meißner ein ausgeprägtes Interesse an Mehrsprachigkeit entwickelt, vor allem unter dem traditionellen sprachwissenschaftlichen Gesichtspunkt des lexikalischen und des strukturellen Vergleichs romanischer Sprachen. Nach der Fertigstellung seiner Habilitationsschrift trug er diesen auf Sprachtransfer ausgerichteten Blickwinkel in die romanistischen Fachdidaktiken hinein. Ein Novum präsentierte der 1993 auf einer Tagung der Deutschen Gesellschaft für Fremdsprachenforschung in Gießen gehaltene und in der Langfassung 1995 gedruckte Vortrag, in dem Meißner Mehrsprachigkeitsdidaktik als Wissensgebiet und als Forschungsprogramm erstmalig systematisch beschrieb. Drei Jahre später erschien ein von Franz-Joseph Meißner und Marcus Reinfried herausgegebener Sammelband mit dem Titel <em>Mehrsprachigkeitsdidaktik</em>, der die umfangreichen Ergebnisse eines Rauischholzhausener Kolloquiums enthält und bis zur Gegenwart hin oft gelesen und zitiert worden ist. Hier werden allgemeine theoretische Überlegungen zu den Vor-, aber auch Nachteilen des mehrsprachigen Unterrichts und des Sprachentransfers dargestellt, es werden Bezüge zwischen Mehrsprachigkeitsdidaktik und Lehrplanentwicklung, bilingualem Fremdsprachenunterricht, muttersprachlichem Deutschunterricht und Werteerziehung analysiert und es wird über mehrsprachige Unterrichtserfahrungen und -modelle in konkreten Lehr-Lern-Bereichen berichtet.<br />
Neben der Mehrsprachigkeitsdidaktik, von der weiter unten noch die Rede sein wird, interessierte sich Meißner ebenfalls sehr für Sprachenpolitik. 1993 veröffentlichte er ein Buch mit dem Titel <em>Schulsprachen zwischen Politik und Markt: Eine Einführung in die Sprachenberatung</em>. 1994 wurde er zum Ersten Vorsitzenden der Vereinigung der Französischlehrerinnen und -lehrer gewählt, ein arbeitsintensives Ehrenamt, das er bis zum Jahr 2005 bekleidete und mit dem auch noch die 14-jährige schriftführende Herausgeberschaft der Zeitschrift französisch heute verbunden war. Zwischen 2006 und 2009 war Meißner Gründungspräsident des Gesamtverbands Moderne Fremdsprachen und damit auch Mitherausgeber der Zeitschrift <em>Die neueren Sprachen</em>.<br />
Die intensive Beschäftigung mit unterschiedlichen Aspekten der Mehrsprachigkeitsdidaktik wurde in den zwei Jahrzehnten nach der Jahrtausendwende kontinuierlich von Franz-Joseph Meißner fortgesetzt. Es entstanden dabei über hundert Aufsätze zu diesem Themenbereich und eine Reihe von Sammelbänden, in deren Zentrum oft die Interkomprehension in den romanischen Sprachen stand. Vor allem in den nuller Jahren spielte dabei auch die Zusammenarbeit mit Horst G. Klein und Tilbert D. Stegmann, zwei romanistischen Professoren an der Universität Frankfurt a. M., eine größere Rolle. Diese hatten mit dem EuroComRom-Verfahren einen Textlesekurs in sechs romanischen Fremdsprachen entwickelt, zu denen Meißner eine umfangreiche didaktische Theorie beitrug (Meißner & Meissner 2004). In diesen Zeiten erarbeitete er ebenfalls ein psycholinguistisches Modell des Mehrsprachenerwerbs, das Gießener Interkomprehensionsmodell (Meißner 2004), das bis heute als Referenzmodell im Mehrsprachigkeitsdiskurs gilt. Dem mit Peter Doyé, einem anglistischen Fachdidaktikprofessor an der Technischen Universität Braunschweig gemeinsam herausgegebenen Band <em>Lernerautonomie durch Interkomprehension: Projekte und Perspektiven</em> liegt Meißners erweiterten Transfertypologie zugrunde. Dabei wird Interkomprehension zu einer wirkungsvollen Lern- und Lehrstrategie, die zur Förderung von Sprachenlernbewusstheit und Lernerautonomie dient; diese Verbindung zwischen Mehrsprachigkeit und Sprachlernkompetenz führte zu einer intensiven Zusammenarbeit zwischen Franz-Joseph Meißner und Hélène Martinez (Martinez & Meißner 2017).<br />
Mit <span class="caps">REDINTER</span> (‘rede europeia de intercompreensão’) und <span class="caps">MIRIADI</span> (‘Mutualisation et Innovation pour un réseau de l’Intercompréhension à Distance’) entstand außerdem ein europäisches Netzwerk, das von Meißner mitorganisiert wurde und auf Tagungen in Erscheinung trat. Darüber hinaus wirkte er als Mitglied in wissenschaftlichen Beiräten für einschlägige internationale Fachzeitschriften mit, u.a. für <em>Le français dans le monde</em> und für <em>Recherches et Applications</em> (in Paris).<br />
Im Laufe der Zeit entwickelte sich die Universität Gießen auch dadurch immer mehr zu einem Zentrum für Mehrsprachigkeitsdidaktik. So wirkte Franz-Joseph Meißner mit seinem damaligen Team als deutscher Partner an der im Rahmen eines Sokrates-Projekts erstellten Attitudinalstudie „Pour le Multilinguisme. Exploiter la diversité linguistique à l’école“ mit und erforschte empirisch die Haltungen, Einstellungen und Lernmotivationen gegenüber Sprachen und Mehrsprachigkeit von Schüler*innen der Jahrgangsstufen 5 und 9. Die in dem Band <em>Mehrsprachigkeit fördern, Vielfalt und Reichtum Europas in der Schule nutzen</em> (<span class="caps">MES</span>) (Meißner, Beckmann & Schröder-Sura 2008) präsentierten Ergebnisse prägen bis heute den Fachdiskurs in der Didaktik der romanischen Sprachen. Ebenso war er an der Entstehung und Bekanntmachung des <em>Referenzrahmens für Plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen</em> (<span class="caps">REPA</span>/<span class="caps">CARAP</span>) in besonderem Maße beteiligt (Candelier et al. 2009; Meißner 2013). In diesem Zusammenhang wurden zahlreiche Qualifikationsarbeiten, darunter mehrere einschlägige deutsche und französische Dissertationen und Habilitationsschriften (z.B. Bär 2009, Morkötter 2016 und Prokopowicz 2017) von Meißner betreut und begleitet. <br />
In den letzten Jahren widmete sich Franz-Joseph Meißner der Erstellung einer mehrsprachigen Datenbank, dem <em>Kernwortschatz der romanischen Mehrsprachigkeit</em> (<span class="caps">KRM</span>) (zuletzt 2021) und erstellte die Lernapp „EuroComDidact ToGo“. Die Lernapp basiert auf der Methode der Interkomprehension und erlaubt den Nutzern die selbstständige Aneignung des Kernwortschatzes der romanischen Sprachen und den Erwerb von Lesekompetenz (https://eurocomdidact.eu/). Konzeptuelle Überlegungen und Ziele dieser enorm umfassenden Arbeit hat Meißner u.a. in der 2016 erschienenen Monographie <em>Der Kernwortschatz der romanischen Mehrsprachigkeit</em> dargestellt.<br />
Diese zahlreichen Publikationen zur Mehrsprachigkeit und zur Interkomprehension trugen zentral zur breiten Erforschung des Themengebiets bei. Daher war es nur konsequent, den etablierten Forschungsdiskurs in einem Handbuch zusammenfassend zu präsentieren. Diesem Projekt widmete Meißner sich gemeinsam mit Christiane Fäcke, die das Handbuch <em>Mehrsprachigkeits- und Mehrkulturalitätsdidaktik</em> 2019 herausgaben. <br />
In einem nächsten Schritt war geplant, diesen Diskurs auf die internationale Bühne zu tragen. Ein weiteres Projekt, <em>The Handbook of Plurilingual and Intercultural Language Learning</em> (hrsg. v. Christiane Fäcke, Andy Gao, Paula Garrett-Rucks. Oxford: Wiley) wurde von Meißner aktiv mitgestaltet, doch kann er dessen Abschluss nun leider nicht mehr selbst miterleben.<br />
Franz-Joseph Meißner liebte Frankreich und war ein überzeugter Europäer. Er lebte für die Wissenschaft und pflegte zu sagen „Le travail, c’est la santé!“ Er war ein hervorragender Wissenschaftler, ein geschätzter akademischer Lehrer und beliebter Kollege und für viele ein Förderer und ein Freund. Er wird uns fehlen.</p>
<h3>Bibliographische Angaben</h3>
<p>Bär, Marcus (2009): <em>Förderung von Mehrsprachigkeit und Lernkompetenz. Fallstudien zu Interkomprehensionsunterricht mit Schülern der Klassen 8 bis 10</em>. Tübingen: Narr.<br />
Candelier, Michel, Camilleri-Grima, Antoinette, Castellotti Véronique, de Pietro Jean-François, Lörincz Ildiko, Meissner Franz-Joseph, Schröder-Sura, Anna, Noguerol, Artur & Molinié, Muriel (2009): <em>Referenzrahmen für plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen (<span class="caps">CARAP</span>/<span class="caps">REPA</span>)</em>. Graz: Europäisches Fremdsprachenzentrum des Europarates. <br />
[Online: https://carap.ecml.at/Accueil/tabid/3577/language/de-DE/Default.<br />
aspx]<br />
Doyé, Peter & Meißner, Franz-Joseph (Hrsg.) (2010): <em>Lernerautonomie durch Interkomprehension. Promoting Learner Autonomy Trough Intercomprehension. L’autonomie de l’apprenant par l’intercompréhension</em>. Tübingen: Narr.<br />
Martinez, Hélène & Meißner, Franz-Joseph (2017): „Sprachlernkompetenz.“ In: Bernd Tesch, Xenia von Hammerstein, Petra Stanat & Henning Rossa (Hrsg.) (2014): <em>Bildungsstandards aktuell: Englisch/Französisch in der Sekundarstufe II</em>. Braunschweig: Diesterweg, 220-243.<br />
Meißner, Franz-Joseph (1979): <em>Wortgeschichtliche Untersuchungen im Umkreis von französisch enthousiasme und génie</em>. (Kölner romanistische Arbeiten, Bd. 55.) Genf: Droz [Dissertation 1978].<br />
Meißner, Franz-Joseph (1990): <em>Demokratie. Entstehung und Verbreitung eines internationalen Hochwertwortes mit besonderer Berücksichtigung der Romania</em>. Stuttgart: Steiner [Habilitationsschrift 1988].<br />
Meißner, Franz-Joseph (1993): <em>Schulsprachen zwischen Politik und Markt: Sprachenprofile, Meinungen, Tendenzen, Analysen. Eine Einführung in die Sprachenberatung</em>. Frankfurt am Main: Diesterweg. (2., aktualisierte Auflage 2010.)<br />
Meißner, Franz-Joseph (1995): „Umrisse der Mehrsprachigkeitsdidaktik.“ In: Lothar Bredella (Hrsg.): <em>Verstehen und Verständigung durch Sprachenlernen? Dokumentation des 15. Kongresses für Fremdsprachendidaktik (veranstaltet von der Deutschen Gesellschaft für Fremdsprachenforschung (<span class="caps">DGFF</span>). Gießen, 4.-6. Oktober 1993</em>. Bochum: Brockmeyer, 172-187.<br />
Meißner, Franz-Joseph (2004): „Transfer und Transferieren. Anleitungen zum Interkomprehensionsunterricht“. In: Horst G. Klein & Dorothea Rutke (Hrsg.): <em>Neuere Forschungen zur Europäischen Interkomprehension</em>. Aachen: Shaker, 39-66.<br />
Meißner, Franz-Joseph (2013): <em>Die <span class="caps">REPA</span>-Deskriptoren der ‚weichen‘ Kompetenzen. Eine praktische Handreichung für den kompetenzorientierten Unterricht zur Förderung von Sprachlernkompetenz, interkulturellem Lernen und Mehrsprachigkeit</em>. (GiF:on = Gießener Fremdsprachendidaktik: online, Bd. 2.) Gießen: Giessen University Library Publication.<br />
[<span class="caps">URL</span>: http://geb.uni-giessen.de/geb/volltexte/2013/9372/]<br />
Meißner, Franz-Joseph (2016): <em>Der Kernwortschatz der romanischen Mehrsprachigkeit (<span class="caps">KRM</span>). Didaktische, lexikologische, lexikographische Überlegungen zur Erstellung und Präsentation einer elektronischen Mehrsprachenwortliste und von Lernapps zur romanischen Mehrsprachigkeit</em>. (GiF:on = Gießener Fremdsprachendidaktik: online, Bd. 7.) Gießen: Giessen University Library Publication.<br />
[<span class="caps">URL</span>: http://geb.uni-giessen.de/geb/volltexte/2016/11950/]<br />
Meißner, Franz-Joseph (2021): <em>The Core Vocabulary of Romance Plurilingualism. Word lists.</em> (GiF:on = Gießener Fremdsprachendidaktik: online, Bd. 18.1 und 18.2) Gießen: Giessen University Library Publication.<br />
[<span class="caps">URL</span>: http://geb.uni-giessen.de/geb/volltexte/2021/16034/] <br />
[<span class="caps">URL</span>: http://geb.uni-giessen.de/geb/volltexte/2021/16035/]<br />
Meißner, Franz-Joseph, Beckmann, Christine & Schröder-Sura, Anna (2008): <em>Mehrsprachigkeit fördern. Vielfalt und Reichtum Europas für die Schule nutzen (<span class="caps">MES</span>). Zwei deutsche Stichproben einer internationalen Studie in den Klassen 5 und 9 zu Sprachen und Fremdsprachenunterricht</em>. Tübingen: Narr.<br />
Meißner, Franz-Joseph & Fäcke, Christiane (Hrsg.) (2019): <em>Handbuch der Mehrsprachigkeitsdidaktik und Mehrkulturalität</em>. Tübingen: Narr.<br />
Meißner, Franz-Joseph & Meissner, Claude (2004): „Introduction à la didactique de l’eurocompréhension.“ In: dies., Horst G. Klein & Tilbert D. Stegmann (Hrsg.): <em>EuroComRom – Les sept tamis: lire les langues romanes dès le départ</em>. Aachen: Shaker, 1-140.<br />
Meißner, Franz-Joseph & Reinfried, Marcus (1998): <em>Mehrsprachigkeitsdidaktik: Konzepte, Analysen, Lehrerfahrungen mit romanischen Fremdsprachen</em>. Tübingen: Narr.<br />
Morkötter, Steffi (2016): <em>Förderung von Sprachlernkompetenz zu Beginn der Sekundarstufe. Untersuchungen zu früher Interkomprehension</em>. Tübingen: Narr. <br />
Prokopowicz, Tanja (2017): <em>Mehrsprachige kommunikative Kompetenz durch Interkomprehension. Eine explorative Fallstudie zu romanischer Mehrsprachigkeit aus der Sicht deutschsprachiger Studierender</em>. Tübingen: Narr.</p>Prof. Dr. Annette Gerstenberghttps://www.romanistik.de/aktuelles/64032022-10-25T09:42:14+02:002022-10-31T20:22:58+01:00Nachruf auf Hans Manfred Bock<p>Hans Manfred Bock (1940 – 2022) ist als Politikwissenschaftler eng mit der Geschichte der Romanistik des vergangenen halben Jahrhunderts verbunden. Am 13. Mai 1940 in Kassel geboren, stirbt er am 22. August 2022 in Zierenberg (bei Kassel). 1968 promoviert er bei Wolfgang Abendroth mit einer Arbeit zum Syndikalismus und Linkskommunismus von 1918 bis 1923. Ab 1969 arbeitet er an der Reform des Germanistik-Studiums am Institut d’Allemand d’Asnières, wo er 1970 zum „professeur associé“ ernannt wird, 1971 erhält einen Ruf auf eine politikwissenschaftliche Professur an der Gesamthochschule Kassel, die er bis zu seiner Pensionierung im Jahre 2005 wahrnimmt. Nach der Veröffentlichung der Geschichte des ‚linken Radikalismus‘ in Deutschland. Ein Versuch (Suhrkamp 1976), untersucht er seit Mitte der 1970er Jahre vor allem die politische und soziale Situation des gegenwärtigen Frankreich sowie Konzeption und Didaktik der „Civilisation“.</p>
<p>Seit 1975 veröffentlicht er regelmäßig in der neugegründeten Zeitschrift lendemains, und seit dieser Zeit kooperiert er auch mit dem Deutsch-Französischen Instituts in Ludwigsburg, in beiden „Institutionen“ engagiert er sich umfassend seit der Mitte der 1980er Jahre. Von 1991 bis 2005 ist Manfred Bock neben Robert Picht, Marieluise Christadler und anderen Mitherausgeber des Frankreich Jahrbuchs, und es wird erfolgreich versucht, mit den jährlichen Frankreichforscher-Tagungen ein Netzwerk der Frankreichforschung zu etablieren. Programmatisch steht dafür ein Beitrag des Jahres 1991: „Von der geisteswissenschaftlichen zur sozialwissenschaftlichen Frankreichforschung“.</p>
<p>Seit 1988 gibt Manfred Bock mit Michael Nerlich die Zeitschrift für „Vergleichende Frankreichforschung“, lendemains, heraus. Er wird einer ihrer regelmäßigen und wohl ihr profiliertester sozialwissenschaftlicher Mitarbeiter. Den Bereich der sozialwissenschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Frankreich-Forschung sollte er fast ein Vierteljahrhundert (bis 2012) betreuen. Im Zentrum seiner Frankreichforschung steht die Mittler-Problematik, und damit auch die Frage der Perzeption. Symptomatisch dafür ist eine kritische Revision des Selbstbildes der Romanistik, etwa in seinem höchst kontrovers diskutierten Artikel „Zu Ernst Robert Curtius‘ Ort im politisch-intellektuellen Leben der Weimarer Republik“ (1990). Mit einem Dossier zu französischen Intellektuellen der Zwischenkriegszeit erschließt Manfred Bock ein neues Forschungsfeld, die Vergleichende Intellektuellenforschung, wie sie auch den zweibändigen Sammelband Entre Locarno et Vichy. Les relations culturelles franco-allemandes dans les années 1930 (<span class="caps">CNRS</span>-Éditions 1993, mit Reinhart Meyer-Kalkus und Michel Trebitsch) charakterisiert. Dem folgen Großprojekte in Kooperation mit Michel Grunewald (Metz), etwa: Le discours européen dans les revues allemandes in vier Bänden (1996 – 2001) oder, erneut mit Michel Grunewald, vier Bände zum Milieu intellectuel en Allemagne (2002 – 2008). Noch 2012 nimmt er mit dem Beitrag „Nekrologe auf Widerruf. Legenden vom Tod des Intellektuellen“ am Schwerpunkt „Macht und Ohnmacht der Experten“ des Septemberheftes des Merkur teil.</p>
<p>Zwei Bände der edition lendemains bilden eine Bilanz des Bockschen Konzepts der „Frankreichforschung“: Die Studien zu „Mittlern zwischen Deutschland und Frankreich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts“, so der Untertitel, Kulturelle Wegbereiter politischer Konfliktlösung (Band 2, 2005), und der voluminöse Band Versöhnung oder Subversion? Deutsch-französische Verständigungs-Organisationen und -Netzwerke der Zwischenkriegszeit (Bd. 30, 2014).</p>
<p>Manfred Bock repräsentiert schon wegen seiner akademischen Sozialisation im Marburg der 1960er Jahre einen sozial- und ideologiekritischen Aufbruch, mit dem der Versuch verbunden ist, Studium und Forschung auf die Gesellschaft hin zu öffnen, und d.h. die Fächer und ihre Struktur, in diesem Falle die Romanistik, zu verändern. Mit seinem Forschungsprofil einer historischen Intellektuellenforschung, den Untersuchungen transnationaler Gesellschafts- und Kulturbeziehungen, der Wegbereiter und Mittler zwischen Nationen und von nationalen und transnationalen Milieus und Netzwerken sowie der damit verbundenen Ideengeschichte steht Manfred Bock für eine „andere“ Romanistik, die sich auch dem kulturellen, intellektuellen und politischen „Kontext“ ihres Ziellandes widmet. Doch seine Hoffnung, Elemente der „Civilisation“, zu deren Konzeption und Institutionalisierung in der französischen Germanistik er maßgeblich beigetragen hat, für die Romanistik akzeptabel und mit ihr kompatibel zu machen, stellt sich als eine Illusion heraus, die er am Ende seines wissenschaftlichen Engagements verloren geben muss, auch weil die Romanistik, die anders als die französische Germanistik, mehrere Sprachen und Literaturen vereint, von denen in dieser Zeit gerade das Spanische immer wichtiger wird, sich einem solchen Paradigmenwechsel, zumal angestoßen durch einen „Nicht-Romanisten“, verweigert hat.</p>
<p>Manfred Bock ist 2005, herausgegeben von François Beilecke und Katja Marmetschke, eine 800seitige Festschrift gewidmet worden: Der Intellektuelle und der Mandarin. Für Hans Manfred Bock (Kassel UP, Intervalle 8). Neben mehr als 30 Beiträgen enthält sie auch eine Bibliographie sämtlicher bis zu diesem Zeitpunkt veröffentlichter Arbeiten.</p>
<p>Manfred Bock ist zum Grenzgänger und Mittler zwischen den Sozialwissenschaften und der Romanistik geworden. Gerade in der Distanz dieser beiden Fächer zu seinen Forschungsprojekten wird deren Bedeutung umso deutlicher. Die Kultur- und Gesellschaftsbeziehungen zwischen Frankreich und Deutschland, aber auch in ihrer europäischen Dimension, sind durch seine Studien nicht nur in außergewöhnlich gut dokumentierter Weise und häufig erstmals aufgearbeitet worden, kultur- und sozialgeschichtliche Forschungen, insbesondere wenn sie der Zwischenkriegszeit gewidmet sind, werden an ihnen nicht vorbeigehen können.</p>
<p>Eine ausführliche Würdigung der Person und des Werkes von Hans Manfred Bock wird in Heft 185 (2022) von lendemains erscheinen.</p>
<p>Wolfgang Asholt</p>Prof. Dr. Lars Schneiderhttps://www.romanistik.de/aktuelles/63662022-10-14T20:48:47+02:002022-10-16T20:44:26+02:00Nachruf auf Christian Schmitt (1944-2022)<p>Am 4. September 2022 ist Christian Schmitt gestorben. Christian Schmitt, Jahrgang 1944, war nach Promotion und Habilitation in Heidelberg ab 1977 zunächst in Hamburg, dann von 1979 bis 1984 in Bonn, von 1984 bis 1988 am Institut für Übersetzen und Dolmetschen in Heidelberg und ab 1988 bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2009 wieder in Bonn tätig. Als seine Schülerinnen und Schüler, die ihn in seiner zweiten Bonner Zeit erlebt haben, erinnern wir uns an einen enorm fleißigen, thematisch sehr breit orientierten romanistischen Sprachwissenschaftler, der als einer der vielleicht letzten Vertreter seiner Art in Forschung und Lehre die sprachliche Vielfalt der Romanistik vom Latein bis zu den romanischen Minderheitensprachen der Gegenwart, die methodische Breite von klassischen etymologischen Studien über die sprachwissenschaftliche Ideengeschichte bis zu Medien-, Text- und Korpuslinguistik abdeckte. Der Blick in die 2004 anlässlich seines 60. Geburtstags erschienene Festschrift zeigt ein enormes, allein schon vom Umfang und der unermesslichen thematischen Breite her beeindruckendes Publikationsverzeichnis. Die Übergabe ganzer Manuskript-Blattsammlungen an seine Sekretärin zur Typoskripterstellung war ein fast wöchentliches Ritual. Selbst in den Zeiten, in denen er als Dekan der Philosophischen Fakultät (1992-1996) mit administrativen Aufgaben mehr als ausgelastet war, verfasste er an den Wochenenden neben Gutachten für Abschlussarbeiten mindestens eine Buchbesprechung.</p>
<p>Christian Schmitt war leidenschaftlicher Forscher, der mit großer Freude und einer ihm eigenen gewissen Maßlosigkeit etwa von seinen etymologischen Entdeckungen auf dem Feld der Ornithonymie schwärmen konnte (zahlreiche Beiträge zu dieser Thematik sind in der ZRPh publiziert worden), und ein höchst engagierter akademischer Lehrer. Es war nicht unüblich, dass seine offiziell von 18-20 Uhr angesetzte wöchentliche Sprechstunde bis 22 Uhr dauerte und er dann am späten Montagabend mit den letzten Studierenden das Bonner Schloss über den Notausgang verließ. Es gelang ihm, zahlreiche begabte Studierende zu ermuntern, nach erfolgreichem Studienabschluss eine Promotion anzuschließen. Allein in der Reihe Bonner Romanistische Arbeiten gehen knapp dreißig Monographien auf die Förderung und Betreuung von Christian Schmitt zurück. Unter Studierenden, Promovierenden und Habilitanten war er bekannt für seine sehr zügigen und zugleich ausführlichen Korrekturen. Die von den Prüfungsämtern vorgegebenen Korrekturfristen unterschritt er systematisch. Dabei nahm er sich stets die Zeit für Besprechungen. Was ihn als Betreuer wissenschaftlicher Forschungen unter anderem auszeichnete, war der Blick für gelungene – oder auch misslungene – Formulierungen. In seinen Lehrveranstaltungen vermittelte er die Fähigkeit, wissenschaftliche Fragestellungen zu entwickeln und diese methodisch stringent zu bearbeiten. Er gehörte zu den ersten, die die Erstellung eines Merkblatts zum wissenschaftlichen Arbeiten anregten. Die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses lag ihm am Herzen. Er unterstützte bereits Studierende noch vor Abschluss ihres Examens dabei, an wissenschaftlichen Konferenzen teilzunehmen, ermutigte diese sogar zu eigenen Vorträgen. In seinen Urteilen und Bewertungen war er häufig sehr klar, wobei er die Studierendenschaft durchaus polarisierte. Kritik an seiner Auffassung nach nicht angemessenen Leistungen war mitunter genau so scharf wie das Lob für gelungene Beiträge überschwänglich<br />
sein konnte. Dieser Charakterzug führte durchaus auch zu Zerwürfnissen und Verletzungen, so dass einige ihre wissenschaftliche Laufbahn nicht zu Ende gingen oder an anderen Orten fortsetzten.</p>
<p>Christian Schmitt liebte den wissenschaftlichen Austausch. Inhaltlichen Widerspruch schätzte er, auch wenn er am Ende meist die Widersprechenden eines Besseren, d.h. seiner Ansichten, belehrte. Selbst in Vorlesungen suchte er den kontroversen Austausch mit den anwesenden Studierenden und Promovierenden. Er wurde von den Bonner Studierenden wahrgenommen als Person, die sich und andere für das eigene Fach wirklich begeistern konnte. Gelungene Seminarsitzungen waren ein wahres Feuerwerk an klugen Gedanken, inspirierenden Ideen und spannenden Diskussionen. Er hatte die Gabe, im akademischen Gespräch seine Zuhörer zu packen. Unter allen Hochschullehrern gehörte er sicher zu denjenigen, die bei Studierenden die intensivsten Erinnerungen hinterlassen.</p>
<p>Christian Schmitt gehörte noch der Generation romanischer Philologen an, die mit Zettelkästen, handschriftlichen Notizen und mechanischen Schreibmaschinen arbeitete. Gleichzeitig war ihm die Bedeutung etwa der Computerlinguistik oder der automatisierten Korpusanalyse wohl bewusst, so dass er sich innerhalb der Universität stark für den Ausbau der technischen Infrastruktur einsetzte und die Beherrschung der neuen Medien durch Studierende grundsätzlich als Schlüsselkompetenz betrachtete. Die neuesten fachlichen Entwicklungen hielt er stets im Blick. Von seinen Tätigkeiten als Mitherausgeber des Lexikons der romanistischen Linguistik (<span class="caps">LRL</span>), der Handbücher zur Romanischen Sprachgeschichte (<span class="caps">HSK</span> 23.1-3) und des Romanistischen Jahrbuchs profitierten nicht nur zahlreiche wissenschaftliche Hilfskräfte und Mitarbeiterinnen vor Ort, sondern auch die Studierenden. Christian Schmitt lud regelmäßig Fachkolleginnen und Fachkollegen zu Gastvorträgen ein, so dass u.a. Jörn Albrecht, Peter Blumenthal, Horst Geckeler, Hans Goebl, Jutta Langenbacher-Liebgott, Jens Lüdtke, Margot Kruse, Maria Lieber oder Antonio Martínez González regelmäßig die Lehrveranstaltungen durch ihre fachlichen Perspektiven bereicherten. Er organisierte mehrere internationale, hochkarätig besetzte Kolloquien in Bonn, so zur Grammatik von Andres Bello, zur Normendiskussion in Frankreich oder zum 70. Jahrestag der grammaire des fautes von Henri Frei.</p>
<p>Im Februar 2009 hielt Christian Schmitt seine Abschiedsvorlesung in Bonn. Bei dieser Gelegenheit würdigten ihn und dankten ihm zahlreiche Studierende, Promovierende, ehemalige Kolleginnen und Kollegen. Seine Tätigkeit war für die Bonner Romanistik eine sehr prägende Epoche. Seine letzten Lebensjahre waren – wie vielen bekannt ist – aufgrund von privaten und persönlichen Problemen voller Tragik. Am 4. September 2022 schied Christian Schmitt aus dem Leben.</p>
<p>Sein Vermächtnis als Forscher und Lehrer bleibt für die romanische Sprachwissenschaft von höchster Bedeutung. Er hinterlässt ein großes, inspirierendes und sehr breit angelegtes Gesamtwerk, und es bleiben lebendige Erinnerungen an eine der herausragenden Figuren unserer Disziplin. Wir erinnern uns an unseren akademischen Lehrer.<br />
Rom, Essen, Saarbrücken und Bochum</p>
<p>Alberto Gil<br />
Dietmar Osthus<br />
Claudia Polzin-Haumann<br />
Judith Visser</p>Prof. Dr. Dietmar Osthushttps://www.romanistik.de/aktuelles/63582022-10-12T11:58:04+02:002022-10-16T20:44:26+02:00Nachruf auf Herrn Prof. Dr. Eberhard Gärtner (9. September 1942 – 29. September 2022)<p>Herr Professor Dr. phil. habil. Eberhard Gärtner hatte von 1994 bis 2007 die Professur für spanische, hispanoamerikanische, portugiesische und brasilianische Sprachwissenschaft am Institut für Romanistik der Universität Leipzig inne und prägte das Profil des Instituts als Hochschullehrer und Sprachwissenschaftler.</p>
<p>Im November 2007 fand am Institut ein Ehrenkolloquium aus Anlass des 65. Geburtstages Eberhard Gärtners, das unter dem Thema „Sprache(n) leben“ stand, statt. Dieses Thema beschreibt in gleichsam idealer Weise sein Leben und Wirken, seine berufliche wie auch seine persönliche Leidenschaft.</p>
<p>Eberhard Gärtner war studierter Lateinamerikawissenschaftler. Im Jahre 1961 nahm er ein Studium der Französistik und Lateinamerikanistik an der Universität Rostock auf und blieb dieser „ersten Liebe“ ein Leben lang treu. Studierende und Kolleg:innen an den Universitäten Rostock, Dresden und Leipzig schätzten ihn in der Zeit seiner langjährigen akademischen Tätigkeit als Kenner fremder Sprachen, der mit seinem Detailwissen zum Spanischen, Portugiesischen, Französischen, Lateinischen, aber auch zum Russischen, Ungarischen und anderen Sprachen beeindruckte. Seine Begeisterung für sprachliche Strukturen, die er mit großer Akribie erforschte, gab er an seine Studierenden genauso weiter wie an seine Mitarbeiter:innen und an Wissenschaftler:innen in Deutschland und in vielen anderen Ländern, darunter insbesondere in Brasilien.</p>
<p>In seiner Zeit als Professor an der Leipziger Romanistik haben Institutsangehörige und Studierende Eberhard Gärtner stets als engagierten Hochschullehrer kennenlernen dürfen, der sich bleibende Verdienste in der akademischen Lehre und auch in der akademischen Selbstverwaltung erworben hat. In einem Klima von Neubeginn und Umbrüchen nach der Wiedervereinigung erfuhr er als kompetenter und jederzeit sachorientierter Kollege, aber auch als Mensch, bei dem man aufgrund seiner ausgleichenden und wohlwollenden Art gern Rat suchte, hohe Wertschätzung.</p>
<p>Seine Lehr- und Forschungsschwerpunkte legte er auf die Syntax des Spanischen und Portugiesischen, die Sprachvariation des Portugiesischen sowie die Geschichte der spanischen und luso-brasilianischen Grammatikographie. Beredtes Zeugnis seiner Untersuchungen der portugiesischen Sprache ist seine 1998 veröffentlichte Grammatik der portugiesischen Sprache. Dieses Opus bleibt bis heute Referenz für Generationen von Lusitanistinnen und Lusitanisten, die von Gärtners Wirken inspiriert wurden, und weckt weiterhin vor allem Neugierde auf die Grammatik des Portugiesischen im deutschsprachigen Raum. Zwei große Festschriften zum 60. und zum 65. Geburtstag spiegeln den Umfang Eberhard Gärtners nationaler und internationaler Kontakte sowie die Bewunderung wider, die ihm als Wissenschaftler und Lehrer entgegengebracht wurde.</p>
<p>Noch weitere 15 Jahre nach dem Eintritt in den Ruhestand konnte sich Eberhard Gärtner Sprache, Literatur, Musik und Geschichte widmen. Viel Kraft und Zuversicht wurden ihm und seiner Frau Hannelore dadurch geraubt, dass sie zweimal massiv vom Hochwasser in Dresden-Gohlis betroffen waren. Seine geliebten Bücher und seinen wunderschönen und liebevoll gepflegten Garten unter Wasser zu sehen, war zu schmerzhaft.</p>
<p>Eberhard Gärtner verstarb plötzlich und unerwartet am 29. September 2022 kurz nach seinem 80. Geburtstag.</p>
<p>Die Lusitanistik, der Deutsche Lusitanistenverband (<span class="caps">DLV</span>), die Universität Leipzig und das Institut für Romanistik verneigen sich vor <em>dem</em> großen Lusitanisten, einem authentischen Menschen, einem außerordentlich geschätzten Kollegen und Freund und seinem einzigartigen Lebenswerk, das besonders die deutschsprachige Lusitanistik nachhaltig prägte, weiterhin prägen wird und große Anerkennung in der gesamten portugiesischsprachigen Welt genießt.</p>
<p>Wir behalten ihn in dankbarer Erinnerung.</p>
<p>Unser aufrichtiges Beileid gilt seiner Ehefrau.</p>
<p>Prof. Dr. Benjamin Meisnitzer (Präsident des Deutschen Lusitanistenverbandes und Nachfolger von Professor Gärtner an der Universität Leipzig)<br />
Dr. Christine Hundt und Dr. Cornelia Döll (wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und jahrelange wissenschaftliche Weggefährtinnen von Prof. Dr. Eberhard Gärtner)</p>Prof. Dr. Benjamin Lucas Meisnitzerhttps://www.romanistik.de/aktuelles/63002022-09-10T18:47:33+02:002022-09-11T23:17:58+02:00Prof. em. Dr. Karl-Richard Bausch (23.02.1939–31.03.2022)<p>Der Frankoromanistenverband trauert um sein Mitglied Karl-Richard Bausch und wird ihm ein ehrendes Andenken bewahren.</p>Prof. Dr. Annette Gerstenberghttps://www.romanistik.de/aktuelles/61922022-06-27T12:07:19+02:002022-06-27T14:40:26+02:00Nachruf auf Uwe Petersen (1941-2022)<p><strong>Nachruf auf Uwe Petersen (1941-2022)</strong></p>
<p>Uwe Petersen gehörte zu jenen Romanisten klassischer Prägung, die ihren Weg über den Schwerpunkt Französisch hin zu anderen romanischen Sprachen (Italienisch und Spanisch) fanden. Nach einer Jugend in Brunsbüttelkoog am Nordseeausgang des Nord-Ostee-Kanals kam er Anfang der 1960-er Jahre zum Studium der romanischen (soweit das damals existierte) und der klassischen Philologie nach Tübingen, unterbrochen von einem Auslandsstudium in Lille (Frankreich). Besonders geprägt wurde er durch die Linguistik des gerade nach Tübingen berufenen Eugenio Coseriu, dessen grundlegende frühen Aufsätze er in Zusammenarbeit mit Hansbert Bertsch und Gisela Köhler 1970 und, in verbesserter zweiter Auflage 1971 in deutscher Übersetzung herausgegeben hat: Eugenio Coseriu, <em>Sprache: Strukturen und Funktionen. <span class="caps">XII</span> Aufsätze</em>, Tübingen: Narr. Weitere neun Aufsätze Coserius aus den siebziger und achtziger Jahren hat er 1987 ebenfalls in deutscher Übersetzung im gleichen Verlag herausgegeben: Eugenio Coseriu, <em>Formen und Funktionen. Studien zur Grammatik</em>.</p>
<p>Einen Namen gemacht hat er sich in der Romanistik durch die deutsche Ausgabe von Carlo Tagliavinis damaligem Standardwerk, <em>De Origini delle lingue neolatine</em> (quinta edizione Bologna 1969), die er 1973 zusammen mit Reinhard Meisterfeld bei C.H. Beck, München, unter dem Titel <em>Einführung in die romanische Philologie</em> herausgebracht hat. An der Übersetzung verschiedener anderer Werke hat er bis in die 1990-er Jahre mitgewirkt, und zwar auch über die Romanistik hinaus. Nachdem er Dänisch gelernt hatte, um Louis Hjelmslevs <em>Prolegomena</em> im dänischen Original (<em>Omkring sprogteoriens grundlæggelse</em>, 1943) lesen zu können, gab er 1992 Rasmus Rasks grundlegendes Werk zur Etymologie von 1818 in Auszügen in deutscher Übersetzung heraus: <em>Von der Etymologie überhaupt. Eine Einleitung in die Sprachvergleichung</em>, Tübingen: Narr. Durch alle diese Arbeiten hat er sich bis zum Schluss ein feines Gespür für die Sprachkritik im Deutschen bewahrt.<br />
Nun ist Uwe Petersen überraschend verstorben. Mit ihm verliert die deutsche Romanistik einen stillen Arbeiter, der nie ein Amt bekleidet, in großer Freiheit, aber auch in materieller Unsicherheit gelebt hat. Alle Arbeiten hat er aus tiefem eigenem Interesse, ohne nachhaltige Anerkennung, nur im Dienst an der Wissenschaft geleistet.</p>
<p>Wolf Dietrich, Münster</p>Redaktion romanistik.dehttps://www.romanistik.de/aktuelles/58872022-03-05T13:27:50+01:002022-04-25T23:12:12+02:00Harald Weinrich, 24. September 1927 (Wismar) bis 26. Februar 2022 (Münster)<p>Die Vorstände der romanistischen Fachverbände trauern um Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Harald Weinrich, Ehrenmitglied des Frankoromanistenverbands. Sein Lebenswerk umspannt fachübergreifend Literaturwissenschaft und Linguistik, Germanistik und Romanistik sowie das Fach Deutsch als Fremdsprache, dessen akademische Institutionalisierung er bewirkte.</p>
<p>Wir gehören einer Generation an, deren Ausbildung in der Spätphase seiner akademischen Lehrtätigkeit oder danach stattfand. Dass uns die Nachricht seines Todes tief berührt und uns sogleich Facetten seines Werks vor Augen stehen, ist Zeichen seiner fortdauernden intellektuellen Präsenz und der Reichweite seiner Ideen. An seinen Plenarvortrag 1999 auf dem Romanistentag an der Universität Osnabrück erinnern wir uns bis heute. Was er über die strukturellen Zusammenhänge der romanischen Sprachen und Literaturen und die daraus entstehende Inspiration wissenschaftlich herleitete, teilte sich in seinem eigenen charismatischen Vortrag im vollbesetzten Hörsaal unmittelbar mit.</p>
<p>Ein neues Wort wird gleich einer Münze geprägt, führte er in einem frühen Aufsatz zur Metapher aus, und belegte das Bildfeld aus einem für ihn charakteristischen breiten Spektrum philosophischer, literarischer und linguistischer Quellen. Wir sind sicher, dass Harald Weinrichs Wortmünzen im Umlauf bleiben.</p>
<p>Die Vorstände des Romanistenverbands, des Frankoromanistenverbands und des Hispanistenverbands, für die AG <span class="caps">ROM</span>, gedenken Harald Weinrichs in tiefem Respekt und großer Dankbarkeit. Wir werden ihm ein bleibendes Andenken bewahren.</p>
<p><strong>Gedenkseiten und Nachrufe der Institutionen seiner Wirkungsorte</strong></p>
<p>Universität Bielefeld, Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft (14. März 2022, Elisabeth Gülich, https://www.uni-bielefeld.de/fakultaeten/linguistik-literaturwissenschaft/Nachruf-Harald-Weinrich_endgultige-Version_14Marz2022_19.30.docx.pdf)<br />
Universität Bielefeld, Zentrum für interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld (https://www.uni-bielefeld.de/ZiF/Allgemeines/nachruf-weinrich.html)<br />
Universität Bielefeld (2. März 2022, Norma Langohr, https://aktuell.uni-bielefeld.de/2022/03/02/die-universitaet-bielefeld-trauert-um-professor-harald-weinrich/)<br />
<span class="caps">LMU</span> München (1. März 2022, Institut für Deutsch als Fremdsprache, https://www.daf.uni-muenchen.de/aktuelles/aktuelles/nachruf/index.html)<br />
Collège de France (3. März 2022, https://www.college-de-france.fr/site/harald-weinrich/Disparition-de-Harald-Weinrich.htm)</p>
<p><strong>Weitere Nachrufe</strong></p>
<p>Deutschlandfunk (28. Februar 2022, Interview mit Jürgen Ritte, https://www.deutschlandfunk.de/sprache-und-sprachkultur-zum-tod-des-linguisten-harald-weinrich-dlf-1b737079-100.html)<br />
Frankfurter Allgemeine Zeitung (28. Februar 2022, Niklas Bender, https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/ein-sprachgelehrter-von-europaeischem-rang-zum-tod-von-harald-weinrich-17840468.html)<br />
Süddeutsche Zeitung (2. März 2022, Thomas Steinfeld, https://www.sueddeutsche.de/kultur/harald-weinrich-nachruf-literatur-linguistik-college-de-france-1.5540025)<br />
Die Welt (2. März 2022, Andreas Kablitz, https://www.welt.de/kultur/article237249931/Nachruf-auf-Harald-Weinrich-Schwarze-Milch-ist-keine-Luege.html)<br />
Neue Zürcher Zeitung (3. März 2022, Roman Bucheli, https://www.nzz.ch/feuilleton/zum-tod-des-romanisten-harald-weinrich-ld.1672722)</p>
<p><strong>Zitiert</strong></p>
<p>Weinrich, Harald. 1976. Münze und Wort. Untersuchungen an einem Bildfeld [zuerst 1958, FS Rohlfs]. In id. (ed.), Sprache in Texten, 276–290. Stuttgart: Klett.</p>Prof. Dr. Annette Gerstenberghttps://www.romanistik.de/aktuelles/57592022-01-17T21:06:45+01:002022-01-24T00:00:38+01:00Nachruf auf Frau emer. o. Univ.-Prof. Dr. Friederike Hassauer, M.A. (USA)<p><em>Abschied von Friederike Hassauer</em></p>
<p>von Georg Kremnitz</p>
<p>Unsere Kollegin Friederike Hassauer, langjährige Ordinaria für Romanische Literaturwissenschaft am Institut für Romanistik der Universität Wien, ist am 2. Dezember 2021 in ihrer Geburtsstadt Würzburg nach kurzer Krankheit gestorben. Sie war eine Pionierin der romanistischen Medientheorie und Geschlechterforschung und ist nur wenige Tage nach ihrem 70. Geburtstag von uns gegangen.</p>
<p>Friederike Hassauer wurde am 29. November 1951 in Würzburg geboren, das Goldschmied- und Juweliergeschäft ihrer Eltern lag im Stadtzentrum, nur wenige Schritte von der zentralen Mainbrücke entfernt. Die Stadt Würzburg strahlt an vielen Stellen eine starke barocke, gegenreformatorische Macht aus, es bedurfte wohl einiger Anstrengung, sich mit emanzipatorischen Gedanken aus diesem Ehrfurcht heischenden Umfeld zu befreien. Nach dem Abitur 1971 studierte Friederike Hassauer Romanistik, Germanistik, Komparatistik, Philosophie, Soziologie und Kunstgeschichte zunächst in ihrer Heimatstadt, später in Tübingen und an der Washington University in St. Louis in den <span class="caps">USA</span>, wo sie einen Master an der Washington University erwarb. Dieser Aufenthalt hinterließ tiefe wissenschaftliche und menschliche Spuren, wie immer wieder durch ihre Texte und Äußerungen hindurchklingt. Sie war danach Stipendiatin der <em>Studienstiftung des Deutschen Volkes</em>, absolvierte Studienaufenthalte in Paris, Madrid, Salamanca, Siena und Perugia und promovierte 1980 mit einer Arbeit über die Fabel in der französischen Aufklärung an der Universität Bochum (als Buch: <em>Die Philosophie der Fabeltiere. Von der theoretischen zur praktischen Vernunft</em>. Untersuchungen zu Funktions- und Strukturwandel in der französischen Aufklärung. München: Fink, 1986). Die Arbeit wurde mit dem Dissertationspreis der Universität Bochum ausgezeichnet. 1988 folgte die Habilitation in Siegen: sie behandelte die mittelalterlichen Jakobswege auf neue Weise (als Buch: <em>Santiago. Schrift – Körper – Raum – Reise</em>. Eine medienhistorische Rekonstruktion. München: Fink, 1993). Noch in der Vorbereitungsphase wurde sie jung 1983 auf eine ehrenvolle Gastprofessur nach Berkeley berufen.</p>
<p>Diese Reihe von Erfolgen ließ sich nicht ohne persönlichen Verzicht und schmerzliche Auseinandersetzungen erzielen. Friederike Hassauer hat immer auf den großen Anteil hingewiesen, den ihr lebenslanger Gefährte und Ehemann Peter Roos daran hatte, dass sie ihre Ziele erreichte. Ihre Monographien sind alle ihm gewidmet. Mit Peter Roos zusammen verfasste sie mehrere Titel zur Frage der Geschlechter, vor allem <em>VerRückte Rede</em>. Gibt es eine weibliche Ästhetik? Berlin: Medusa, 1980 (als Herausgeber); <em>Félicien Rops</em>. Der weibliche Körper, der männliche Blick. Zürich: Haffmans, 1984 und, wieder als Herausgeber, <em>Die Frauen mit Flügeln, die Männer mit Blei?</em> Notizen zu weiblicher Ästhetik, Alltag und männlichem Befinden. Hannover: Wirtschaftsverlag, 1983, später Siegen: Affholderbach & Strothmann, 1986. Diese Arbeiten (die Aufzählung ist nicht vollständig) erlebten teilweise mehrere Auflagen. Es entstanden auch Filme über den belgischen Maler und Graphiker Félicien Rops und den Weg nach Santiago. Diese Titel zeigen bereits, dass das Zentrum ihrer Interessen und Anliegen in den Geschlechterverhältnissen lag. Außerdem schrieb sie für mehrere Zeitungen und Zeitschriften wie den <em>Spiegel</em>, die <em>Zeit</em>, die <em>Frankfurter Allgemeine Zeitung</em> und später auch den <em>Standard</em> in Wien. Dank ihrer publizistischen Tätigkeit erhielt ihr Schreiben eine angenehme Lesbarkeit, wie sie noch immer unter Hochschullehrern die Ausnahme ist.</p>
<p>Daneben bekamen die persönliche Begegnung mit Niklas Luhmann und die intellektuelle mit Michel Foucault auf lange Sicht eine besondere Bedeutung für sie, wie sich aus ihrem Werk unschwer erkennen lässt. Natürlich hinterlässt das Kaudinische Joch der Habilitation als formendes – aber auch verformendes – Element bei jedem/jeder seine Spuren. Darauf und auf die besonderen Umstände der weiblichen Habilitation hat Friederike Hassauer in ihrer Antrittsvorlesung hingewiesen, die auch im Druck erschien (<em>Homo. Academica.</em> Geschlechterkontrakte, Institution und die Verteilung des Wissens. Wien: Passagen-Verlag, 1994). Fast gleichzeitig wandte sie sich mit einem Diskussionsbeitrag (<em>Textverluste</em>. Eine Streitschrift. München: Fink, 1992) gegen die Tendenzen zur Rephilologisierung der Literaturwissenschaft und forderte eine stärkere Berücksichtigung der medientheoretischen Aspekte.</p>
<p>Diese beiden letzten Arbeiten gehören schon in die Wiener Zeit. Nach einer Lehrstuhlvertretung in Siegen (1989-1991) erhielt sie 1990 einen Ruf an die Universität Wien, wo sie am 1. September 1991 ihre Tätigkeit aufnahm und bis zur Emeritierung am 30. September 2020 blieb. Daneben nahm sie Gastprofessuren in Mainz, Madrid und Innsbruck wahr.</p>
<p>Vor allem in den ersten Wiener Jahren gelang es ihr, durch viele Veranstaltungen die Diskussion zu befeuern. So konnte sie etwa Judith Butler einladen, mit dem Spanischen Kulturinstitut eine Reihe der damals jüngeren Autoren präsentieren – etwa die kürzlich verstorbene Almudena Grandes –, alles vor zahlreichem Publikum und mit erheblichem öffentlichem Echo. Zugleich trug sie zur Erneuerung der literaturwissenschaftlichen Lehre am eigenen Institut bei, durch die Einführung neuer Fragestellungen und die Präzisierung der schon bekannten. Vor allem trug sie durch ihre medienwissenschaftlichen Interessen zu einer Ausweitung des Literaturbegriffs und seines Untersuchungsbereichs bei. Jede ihrer Lehrveranstaltungen war bis ins Kleinste vorbereitet, sie setzte ständiges Mitdenken und Mitarbeiten allerdings auch bei den Studierenden voraus. Sie bot Präzision, verlangte sie aber auch. Diejenigen, die sich ihr für eine Qualifikationsschrift anvertrauten, betreute sie mit unglaublicher Intensität. Auf diese Weise führte sie manche zukünftige Wissenschaftlerin, manchen Wissenschaftler an die Disziplin heran, damit sie sich auf diesem Feld bewähren könnten.</p>
<p>Sie selbst benannte als Schwerpunkte ihrer Forschung und ihres Interesses neben der Gender-Forschung in der Romania, verkörpert besonders in der <em>Querelle des femmes</em>, Medientheorie und Mediengeschichte, darunter das Problem von Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Mittelalter und der frühen Neuzeit, die Frage der Sprachverwendung, vor allem im Mittelalter, und nicht zuletzt Literaturtheorie und Literaturgeschichte ganz allgemein. Mit all diesen Gebieten war sie aufs engste vertraut, wenn sie auch nicht zu allem publiziert hat. Sie hat zur Erweiterung des Literaturbegriffes in der Romanistik viel beigetragen.</p>
<p>Schon bald bezog sie auch wissenschaftspolitisch Position. Ein unbedingter Antinazismus verband sich mit dem Anspruch auf Geschlechtergleichheit, sie war zugleich Anhängerin einer deutlichen Hierarchie an den Hochschulen – die Gruppenuniversität des späten zwanzigsten Jahrhunderts war ihre Sache nicht. Damit erwarb sie sich verständlicherweise nicht nur Freunde. Allerdings betrachtete sie die jüngeren Entwicklungen, weg von der Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden und hin zu einer Dienstleistungsuniversität ohne Seele, die oft von Managern geleitet wird, die mitunter zur Bedeutung des Ringens um Wissen und Erkenntnis nur ein gebrochenes Verhältnis haben, mit noch größerem Misstrauen. Ihre Stellungnahmen führten oft zu Kontroversen, die auch über die Medien geführt wurden.</p>
<p>Indes wurde ihre Stimme vielfach gehört, vor allem international. Sie war 1997/98 Mitglied der Strukturreformkommission der Universität Konstanz, dort später auch Mitglied des Hochschulrates, 2002/03 Mitglied der Strukturreformkommission des Landes Schleswig-Holstein, seit 2000 Mitglied der Ständigen Kommission für Forschung der (damaligen) Österreichischen Rektorenkonferenz und schließlich seit 2007 Korrespondierendes Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Die Liste ließe sich erweitern. Diese Tätigkeiten – jenseits der „Ordentlichen Professur“, vor allem in Nischenzeiten und während verfügbarer Momente – haben viel Kraft und Energie gekostet, denn auch da konnte sie nur mit der gewohnten Genauigkeit mitwirken, anders wäre ihr ein Engagement nicht möglich gewesen; sie haben ihr indes auch eine große Reputation im Fach, in der gesamten Republik der Gelehrsamkeit und in der weiteren Gesellschaft gebracht. Es fällt ein wenig auf, dass die eigene Fakultät nur relativ wenig von ihrer Expertise Gebrauch gemacht hat; auf diese Weise hat sie Zeit für Anderes gewonnen. Immerhin brachten ihr diese Zusatzaufgaben einige Auszeichnungen ein. Zwei Festschriften wurden ihr gewidmet: der 2003 von Wolfgang Aichinger u. a. herausgegebene Band <em>The</em> Querelle des femmes <em>in the Romania</em> (Wien: Turia + Kant), und das 2011 von Judith Hoffmann und Angelika Pumberger edierte Buch <em>Geschlecht – Ordnung – Wissen</em> (Wien: Praesens). Sie hielt 2004 der Universität Wien die Treue, als sie einen Ruf nach Freiburg nicht annahm.</p>
<p>Trotz all dieser Verpflichtungen blieben Lehre und Forschung die wichtigsten Aspekte ihres Schaffens. Allerdings nahm notwendig die Geschwindigkeit der Publikationen ab. Immerhin hatte sie nun die Möglichkeit, größere Projekte in die Wege zu leiten, als wichtigstes die Dokumentation und Analyse der <em>Querelle des femmes</em> in der Romania. Sie steht im Zentrum der selbständigen Publikationen der Wiener Jahre, aber auch vieler Aufsätze, die in dieser Zeit geschrieben wurden. Alles reiht sich um das gleichnamige Projekt, das seit den neunziger Jahren Gestalt annahm. Daraus entstanden mehrere Publikationen, so die von Marlen Bidwell-Steiner als Erstherausgeberin betreute Schrift <em>Streitpunkt Geschlecht</em>. Historische Stationen der <em>Querelle des Femmes</em> in der Romania (Wien: Turia + Kant, 2001), später der von Gisela Engel maßgeblich betreute Band <em>Geschlechterstreit am Beginn der europäischen Moderne</em>. Die <em>Querelle des femmes</em> (Königstein/Taunus: Helmer, 2004), die in den großen, von Friederike Hassauer herausgegebenen Sammelband <em>Heißer Streit und kalte Ordnung</em>. Epochen der <em>Querelle des femmes</em> zwischen Mittelalter und Gegenwart (Göttingen: Wallstein, 2008) mündet. Er bildet einen vorläufigen Höhepunkt der Beschäftigung mit diesem Thema und stellt einen Meilenstein der Forschung dar. Natürlich verdichten sich in diesen Bänden die Erkenntnisse von zahlreichen Aufsätzen, die hier keiner besonderen Erwähnung bedürfen. Parallel dazu entsteht eine kompakte Einführung in die Literaturwissenschaft unter dem Titel <em>Was ist Literatur?</em> Einführung in die Romanistik (Hispanistik/Galloromanistik) und in die Allgemeine Literaturwissenschaft, redigiert von Anke Gladischefski (Wien: <span class="caps">WUV</span>, 2001), die unter Beweis stellt, dass neben der Forschung auch die Lehre zu ihrem Recht kommen sollte. Sie hat Generationen von Studenten den Zugang zum Studium erleichtert.</p>
<p>Ihre letzten Lebensjahre waren von wiederholten gesundheitlichen Problemen überschattet. Hatten ihre Kolleginnen und Kollegen, Freundinnen und Freunde nach der schönen Feier zu ihrem sechzigsten Geburtstag gehofft, sie hätte nun noch ein paar geruhsame Jahre an der Universität vor sich, bevor sie als von Alltagspflichten befreite Emerita gewichtige Beiträge zu den von ihr bevorzugten Themen schreiben könnte, so fiel die Emeritierung 2020 in das erste Jahr der Pandemie und musste sie unter erschwerten Umständen die damit verbundene Organisation leisten. Und dann blieb ihr – trotz aller Pläne – nur noch ein Jahr.</p>
<p>Alle, die sie näher gekannt haben, werden ihren wachen Geist und ihre Intelligenz vermissen, ihr forscherisches Interesse, die gewichtigen Fragen, die sie stellte, und ihr menschliches Engagement wird ihnen fehlen. Ihr fordernder Einsatz, ihre wissenschaftliche Hingabe und ihr umfassender Blick über das gesamte Feld hinterlassen eine tiefe Lücke.</p>
<p><em>Georg Kremnitz</em>, Oberwaltersdorf, 17. Januar 2022</p>Prof. Dr. Jörg Türschmannhttps://www.romanistik.de/aktuelles/56622021-12-01T14:15:15+01:002021-12-05T22:56:40+01:00Nachruf auf Herrn Dr. Daniel Eiwen<p><strong>Nachruf auf Dr. Daniel Eiwen</strong><br />
von Sidonia Bauer</p>
<p><span class="caps">BLEI</span></p>
<p>Tief schliefen die Sergen ganz aus Blei,<br />
Und Blumen aus Blei und Grab gewandt,<br />
Ich war alleine in der Gruft… Und es war Wind…<br />
Und knarrten die Kronen ganz aus Blei.</p>
<p>Es schlief die Liebe ganz aus Blei<br />
Auf bleierne Blumen und ich schrie – <br />
Neben den Toten ganz allein… und es war kalt…<br />
Und seine Flügel hingen ganz aus Blei.</p>
(George Bacovia, Poezii/Gedichte, 1916)
<p>Unser Freund, Kollege, Lehrer, Dozent ist von uns gegangen. Ein Mensch, der ebenso von aus der Nähe des Todes wie aus dem Herzen des Lebens sprechen, Gedichte rezitieren, schauspielern, tanzen, lachen und weinen konnte. Ein Mensch, dessen tiefinneres Gefühl den Geist überbordete und immer Leitton für sein Denken, Lehren und Arbeiten angab: (Seit 1989 verheirateter) Dr. Daniel Eiwen, geb. Doru Chirika (*22. November 1945 in Galatz – verstorben am † 26. Juli 2021 an Herzversagen in Varna, Bulgarien). <br />
Lange Jahre war er am Romanischen Seminar der Universität zu Köln als Lektor für Rumänistik, in den höheren Stufen als rumänischer Literaturwissenschaftler mit Idealismus, Geduld, Begeisterung und außergewöhnlichem Humor tätig. Wie bei einem Schauspieler umfasste sein Register alle Stilebenen, die sich nahtlos miteinander abwechseln konnten, so wie auch Gesten, Gedanken… Selten hat man Studierende so ausgelassen lachen gehört, wie in seinen Seminaren. Ich erinnere mich an eine meiner ersten Rumänischstunden bei ihm. Die damalige Sekretärin des Romanischen Seminars klopfte an, steckte neugierig den Kopf in den Raum, wurde angesteckt vom Lachen: „Sie sind kein Kind von Traurigkeiten, Herr Dr. Eiwen!“ Oder vielmehr, wie es in Benedict Wells Vom Ende der Einsamkeit heißt: „du bist ein Kind von entsetzlicher Traurigkeit.“<br />
Unvergessen bleiben die Weihnachtsfeiern im Kreis seiner Studierendenschar, sein Sinn für Komik, seine abgründige Tiefsinnigkeit und seine Großzügigkeit, die sich auch auf das Lehrangebot erstreckte, unterrichtete er in den letzten Jahren doch idealistisch unentgeltlich an der Universität zu Köln, immer seinem Auftrag der Kulturvermittlung folgend.<br />
Die generöse und tolerante Gesinnung sowie seine Liebe zur Literatur fand unter anderem in seiner wissenschaftlichen Betätigung Ausdruck, wenn er sich beispielsweise in seiner Dissertation von 1987 „Das Bild Deutschlands und des Deutschen in der rumänischen Literatur“ dank eines Graduiertenstipendiums der Universität zu Köln der interkulturellen Imagologie widmete, die er unter anderem Zeichen in seinen Essays von 1998 „Das Bild des Anderen in Siebenbürgen. Stereotype in einer multiethnischen Region“ und 2015 als Pionier auf dem Gebiert der rumänischen Literaturwissenschaft „Das Bild des ‚Zigeuners‘ in der rumänischen Literatur – vom Sklaven in den Fürstentümern zum Thron Moldaus“ vertiefte. Sein für November 2021 angekündigter Vortrag auf dem <span class="caps">DFG</span>-Kolloquium in Gießen „Warum wollte Anna de Noailles nicht Rumänin sein?“ bleibt Fragment.<br />
Erinnern wir in großer Verbundenheit und Dankbarkeit an den Germanistikstudenten und begnadeten Balletttänzer Doru Chirika, der für die Cântarea României auf der Bühne exzellierte, den Lehrer in Brenndorf/Bod, der zur offenen und toleranten Intelligentia gehörte, den Promovenden und Bibliothekar Daniel Eiwen, den Dozenten an der Universität zu Köln Herrn Dr. Daniel Eiwen, den Dolmetscher für rumänische Roma nach Inkrafttreten des EU-Freizügigkeitsgesetzes, dem Mitarbeiter an einem mehrsprachigen Bilderwörterbuch für Migrantenkinder, kurz, an ihn, der vor allem eines war: eine schillernde Persönlichkeit. Wer einmal mit ihm lachte, dem wird ein Lachen unvergessen unter der Haut verweilen, auch über den Tod hinaus.</p>Dr. Sidonia Bauerhttps://www.romanistik.de/aktuelles/56012021-11-04T14:06:50+01:002022-10-04T08:36:43+02:00Nachruf auf Francisco Caudet Roca (1942-2021)<p>Am 18. Oktober dieses Jahres verstarb in Madrid Francisco Caudet Roca nach kurzer schwerer Krankheit. Francisco Caudet war ein nicht nur in Spanien, sondern auch international renommierter Hispanist, der gerade zur deutschen Hispanistik eine sehr enge Beziehung hatte. Im Jahr 1996 erhielt er den Forschungspreis der Humboldt-Stiftung, wonach er zu Gastdozenturen an zahlreiche deutsche Universitäten eingeladen wurde, so nach Göttingen, Saarbrücken, Tübingen und Wuppertal.</p>
<p>Nach der Ausbildung in Spanien war für Francisco Caudet eine längere Tätigkeit in den <span class="caps">USA</span> an der Los Angeles State University prägend, da er ihr eine besonders differenzierte Sicht auf die spanische Literatur verdankte. Nach seiner Rückkehr nach Spanien hatte er bis zu seiner Emeritierung eine Professur an der Madrider Universidad Autónoma inne. In seinem wissenschaftlichen Oeuvre, das u.a. eine ganze Reihe von Monographien umfasst, beschäftigte sich Francisco Caudet überwiegend mit dem Roman des 19. und 20. Jahrhunderts, wobei ein besonderer Schwerpunkt auf Galdós sowie den modernen Exilautoren wie etwa Max Aub lag. Seine große Studie zum republikanischen Exil in Mexiko ist ein Standardwerk. Darüber hinaus war er ein unermüdlicher Herausgeber, dem wir u.a. die Cátedra-Ausgaben von Galdós‘ Fortunata y Jacinta und Valle-Incláns Tirano Banderas verdanken. <br />
Alle, die Francisco Caudet näher kannten, werden ihn nicht nur als einen durch sein Fachwissen glänzenden Kollegen vermissen, sondern vor allem auch als liebenswerten, hilfsbereiten und durch seine spontane Herzlichkeit äußerst gewinnenden Freund. Wir wollen ihm ein ehrendes Andenken bewahren.</p>
<p>Hans-Jörg Neuschäfer und Wolfgang Matzat</p>Prof. Dr. Lars Schneiderhttps://www.romanistik.de/aktuelles/54662021-08-29T18:34:09+02:002021-09-23T15:43:06+02:00Nachruf auf Prof. em. Dr Annegret Bollée (1937 – 2021)<p><strong>Nachruf auf Prof. em. Dr Annegret Bollée (1937 – 2021)</strong></p>
<p>Annegret Bollée wurde am 4. März 1937 in Berlin geboren und wuchs in einem geisteswissenschaftlich geprägten Umfeld auf: ihr Vater war der renommierte Indologe Ludwig Alsdorf, ihr Ehemann Willem Bollée († 2020) war ebenfalls Professor für Indologie. Sie studierte an den Universitäten Hamburg, Aix – en – Provence und Bonn Romanistik und Anglistik und promovierte 1969 bei ihrem Lehrer Harri Meier mit einem Thema aus der diachronen Sprachwissenschaft (<em>Die lateinischen Verbalabstrakta der u –Deklination und ihre Umbildungen im Romanischen</em>). Während ihrer Zeit als wissenschaftliche Assistentin an der Universität Köln (1969 – 1978) habilitierte sie sich 1976 mit einer zweibändigen Arbeit zu den Frankokreolsprachen im Indischen Ozean und öffnete damit der deutschen Romanistik völlig neue Türen. Mit Fug und Recht kann Annegret Bollée als die „doyenne“ der deutschen Kreolistik und deren führende Vertreterin bezeichnet werden, war sie doch die erste deutsche Wissenschaftlerin, die sich dieser, erst in den 1960er Jahren entstandenen Disziplin widmete. 1978 wurde sie auf den neugeschaffenen Lehrstuhl für Romanische Sprachwissenschaft und Mediävistik an der Universität Bamberg berufen, den sie bis zu ihrer Emeritierung 2002 innehatte. 2014 wurde sie von der Universität Bamberg aufgrund ihrer Verdienste mit dem Ehrentitel Emerita of Excellence ausgezeichnet; noch im Juni 2021 verlieh ihr die Society for Pidgin and Creole Linguistics den Special Award für ihr kreolistisches Lebenswerk.</p>
<p>Annegret Bollée war eine Wissenschaftlerin, die wie kaum eine andere das Fach Romanistik nicht nur in Deutschland, sondern auch auf internationaler Ebene nachhaltig geprägt hat. Sie gehörte zu den Kreolisten der ersten Stunde und hat maßgeblich dazu beigetragen, dass die Kreolistik heute eine anerkannte Teildisziplin innerhalb der Linguistik ist. Annegret Bollées Hauptarbeitsgebiet waren die Frankokreolsprachen und hier vor allem die indo-ozeanischen Varietäten. Der erste Teil ihrer Habilitationsschrift <em>Le créole français des Seychelles. Esquisse de grammaire – textes – vocabulaire</em> (1977) war eine Pionierarbeit und ein Meilenstein auf dem Weg zur Beschreibung und Dokumentation dieses Idioms; noch heute ist dieses Buch das Standardwerk zum Seychellen-Kreol. Sowohl hier als auch im zweiten Teil der Habilitationsschrift <em>Zur Entstehung der französischen Kreolendialekte im Indischen Ozean, Kreolisierung ohne Pidginisierung</em> (1977) setzte sie sich mit der Genese der Kreolidiome auseinander und vertrat eine These, mit der sie die wissenschaftliche Diskussion maßgeblich beeinflusste: Kreolsprachen sind eigenständige Idiome mit einer besonderen Geschichte, deren Entstehung nicht zwangsläufig ein Pidginstadium voraussetzt.</p>
<p>Ihre seit 1973 andauernde wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Kreolischen der Seychellen war von Anfang begleitet von einem exemplarischen persönlichen Engagement für die Aufwertung dieser, von vielen seinerzeit nur als Patois belächelten Sprache und deren Akzeptanz im seychellischen Bildungswesen. Es war Annegret Bollée, die gemeinsam mit der Seychelloise Danielle D’Offay (später de St. Jorre) 1978 eine offizielle Graphie für das Kreolische der Seychellen erarbeitete und so dazu beitrug, dass das Kreolische als Sprache der Bildung und des offiziellen Lebens neben Englisch und Französisch reüssieren konnte. Sie war es auch, die das erste auf Kreolisch verfasste Buch – eine Sammlung seychellischer Märchen – sowie das erste Wörterbuch dieser Sprache (<em>Diksyonner kreol-franse</em> von Danielle de St. Jorre und Guy Lionnet, 1982) veröffentlichte. Mit Weitsicht und Feingefühl hat sie die sprachpolitische Entwicklung auf den Seychellen, die ihr zur zweiten Heimat geworden waren, seit den 1980er Jahren begleitet; als Wissenschaftlerin war sie immer auch eine <em>personne engagée</em>, wobei es ihr stets wichtig war, die vor Ort lebenden Personen einzubinden. Nur so können, und dies war ihre feste Überzeugung, die von außen kommenden Linguisten und Linguistinnen ihr Wissen weitergeben, ohne dass dies als Einmischung empfunden wird. Neben der wissenschaftlichen Neugier und der Begeisterung für diese besonderen Sprachen war für Annegret Bollée immer auch die Verantwortung der Kreolisten und Kreolistinnen für die untersuchten Sprachgemeinschaften eine entscheidende Triebfeder. Da nach ihrem Wissenschaftsverständnis und ihrem Ethos als Sprachforscherin stets die Sprecher und Sprecherinnen selbst im Mittelpunkt stehen müssen, hat sie diese immer wieder aktiv bei der Einforderung eines Grundrechts, nämlich des Rechts auf den Gebrauch der eigenen Sprache in allen Bereichen des täglichen Lebens, unterstützt. Dass auf den Seychellen das Kreolische als dritte offizielle Sprache anerkannt wurde und bis heute als Unterrichtssprache im Primarbereich verwendet wird, ist letztlich auch ihr Verdienst. Einen guten Einblick in Annegret Bollées wissenschaftlichen Werdegang und ihre Pionierarbeit auf den Seychellen geben die Interviews, die Ursula Reutner mit Annegret Bollée geführt hat und die auch die menschliche Seite der Wissenschaftlerin Annegret Bollée, ihre Begeisterungsfähigkeit, ihre Herzlichkeit und ihren unvergleichlichen Humor sehr schön widerspiegeln (in: Annegret Bollée, <em>Beiträge zur Kreolistik</em>, hg. von Ursula Reutner, Hamburg, Buske, 2007, 189 – 215).</p>
<p>Neben dem Kreolischen der Seychellen hat sich Annegret Bollée schon früh auch den beiden anderen Frankokreolsprachen des Indischen Ozeans zugewandt, dem Kreolischen von Réunion und Mauritius, wobei sie insbesondere die Frage faszinierte, inwieweit das Kreolische von Réunion die Basis des Kreolischen von Mauritius und der Seychellen gelten kann. Zu diesem Themenkomplex hat sie eine Reihe exzellenter sprachhistorischer Untersuchungen vorgelegt, ihre Monographie <em>Deux textes religieux de Bourbon du 18e siècle et l’histoire du créole réunionnais</em> (2007) hat zu einer Neubewertung der bisherigen Einschätzungen bezüglich der Genese des Kreols von Réunion geführt. Exemplarisch zeigt dieses Buch, dass sich Annegret Bollées Analysen stets durch philologische Akribie, Belesenheit und fundiertes theoretisches Wissen auszeichnen. Ihre sprachtheoretisch ausgerichteten Schriften, die nicht nur in der Kreolistik, sondern auch in der allgemeinen Sprachwandel- und Sprachkontaktforschung auf große Resonanz stießen, sind vor allem der Genese der Kreolsprachen sowie den für diese Sprachen spezifischen Sprachwandelerscheinungen gewidmet. Sprachtheoretische Reflexionen waren für Annegret Bollée allerdings nie Selbstzweck; da nach ihrer Auffassung nur die Sprache selbst Einblicke in ihr Funktionieren und ihre Geschichte ermöglicht, war die Basis ihrer Überlegungen stets die solide empirische Datenanalyse. Was die Rolle der afrikanischen Substratsprachen anbelangt, so vertrat Annegret Bollée von jeher die Auffassung, dass die kreolischen Sprachen in erster Linie auf ihren europäischen Basissprachen in deren sprechsprachlichen Ausprägungen der Kolonialzeit basieren, was einen partiellen Bruch mit der jeweiligen Basissprache (das Wort <em>lexifier</em> lehnte sie immer ab) nicht ausschließt. Gewisse Einflüsse der am Sprachkontakt beteiligten afrikanischen Sprachen leugnete sie übrigens keineswegs, wie es u.a. aus ihrem wegweisenden Artikel zur <em>Rolle der Konvergenz bei der Kreolisierung</em> (1982) hervorgeht.</p>
<p>Das kreolistische Opus Magnum von Annegret Bollée ist ohne Zweifel das vier Bände umfassende <em>Dictionnaire étymologique des créoles de l’Océan Indien</em> (<span class="caps">DECOI</span>; 1993 – 2007) sowie das ebenfalls vierbändige Nachfolgewerk <em>Dictionnaire étymologique des créoles d’Amérique</em> (<span class="caps">DECA</span>; 2017 – 2018). Mit diesem monumentalen etymologischen Wörterbuch ist sie die Begründerin der kreolistischen etymologischen Forschung und steht damit in der Tradition der renommierten etymologischen Forschung in Deutschland, die u.a. mit den Namen Walther von Wartburg, Wilhelm Meyer-Lübke und Max Pfister verbunden ist. Dabei verstand Annegret Bollée die Arbeit an den Wörterbüchern stets als Teamwork; vor allem mit Jean-Paul Chauveau, Dominique Fattier, André Thibault, Patrice Brasseur, Robert Chaudenson (†), Hector Poullet und Philip Baker (†) pflegte sie über viele Jahre hinweg einen intensiven wissenschaftlichen Austausch. Dass sie die Arbeit zum <span class="caps">DECA</span> erst nach ihrer Emeritierung in Angriff nahm, belegt den unermüdlichen Forschergeist der leidenschaftlichen Sprachwissenschaftlerin Annegret Bollée, für die auch nach Fertigstellung des <span class="caps">DECA</span> 2018 noch nicht Schluss mit der Wissenschaft war: sie nahm aktiv an verschiedenen Kolloquien teil, pflegte intensive Email-Kontakte mit Kollegen im In– und Ausland und arbeitete bis zuletzt an einem Buchprojekt zur kreolischen Wortbildung, dessen Fertigstellung ihr nicht mehr vergönnt war.</p>
<p>Annegret Bollées wissenschaftliche Interessen gingen aber weit über die Kreolistik hinaus. Sie war eine Romanistin <em>pure laine</em>, die neben der Französistik – ein wichtiges Standbein sind hier die Varietäten des Französischen in Übersee (insbesondere in Québec) – auch in der Italianistik und der Hispanistik ausgewiesen war und zwar jeweils sowohl im Bereich der synchronen als auch der diachronen Sprachwissenschaft.</p>
<p>Den absolut gleichen Stellenwert wie die Forschung hatte für Annegret Bollée stets die Lehre. Ihr unermüdlicher Einsatz für die Studierenden, ihre inspirierenden, thematisch breitgestreuten und außerordentlich vielseitigen Veranstaltungen machten sie auch in diesem Bereich zu einer Ausnahmeerscheinung. Davon zeugen sowohl ihre stets mustergültig aufbereiteten Vorlesungsskripte sowie die Lehrwerke <em>Sprachwissenschaftlicher Grundkurs für Studienanfänger Französisch</em> (zusammen mit Wilhelm Pötters, 1975, <sup>5</sup>1983) und die <em>Spanische Sprachgeschichte</em> (zusammen mit Ingrid Neumann–Holzschuh, 2003, <sup>4</sup>2016). Die Lehre war für sie nie eine Last, sondern eine Quelle der Inspiration und eine Gelegenheit, junge Leute, die sie stets als wissenschaftliche Partner betrachtete, für ein Fach zu begeistern, das sie bis zuletzt faszinierte. Als Romanistin aus Passion, als originelle Denkerin und inspirierende Lehrerin war sie ihren Schülerinnen und Schülern im wissenschaftlichen und menschlichen Diskurs immer Vorbild gewesen. Nicht nur für ihre zahlreichen Bamberger Promovenden und ihre Habilitanden, sondern auch für Kreolisten und Romanisten aus dem In– und Ausland war sie eine der wichtigsten Adressen, wenn es um kreolistische Fragestellungen (aber nicht nur!) ging. Es war Annegret Bollées tiefste Überzeugung, dass Wissenschaft nur in der Gemeinschaft von Lehrenden und Forschenden, von Älteren und Jüngeren gedeiht. Aufgrund ihres uneingeschränkten wissenschaftlichen Engagements, ihrer ansteckenden Begeisterung für den besonderen Forschungsgegenstand, aber auch aufgrund ihrer menschlichen Wärme und grenzenlosen Hilfsbereitschaft war Annegret Bollée vielen Romanisten, vor allem aber den deutschsprachigen Kreolisten und Kreolistinnen (u.a. Sibylle Kriegel, Ralph Ludwig, Susanne Michaelis, Ingrid Neumann–Holzschuh, Stefan Pfänder, Ursula Reutner, Evelyn Wiesinger, Ulrike Scholz) immer eine überaus kompetente und verantwortungsvolle Begleiterin; für einige ist aus der Kollegin im Laufe der Jahre auch eine gute und enge Freundin geworden.</p>
<p>Annegret Bollée hinterlässt ein beeindruckendes wissenschaftliches Oeuvre: Ihr Publikationsverzeichnis umfasst das achtbändige etymologische Wörterbuch der Frankokreolsprachen, acht weitere Monographien, zahlreiche herausgegebene Werke, weit mehr als 60 Aufsätze und eine Vielzahl von Rezensionen. Von 1981 bis 2019 war Annegret Bollée die Herausgeberin der international renommierten Schriftenreihe <em>Kreolische Bibliothek</em> (Buske Verlag Hamburg). <br />
Auch im Bereich der akademischen Selbstverwaltung war Annegret Bollée in ihrer aktiven Zeit überdurchschnittlich engagiert und prägte die Geschicke der Universität Bamberg in der 1980er und 1990er Jahren entscheidend mit. Sie war die Leiterin des von ihr konzipierten Sprachenzentrums, Frauenbeauftragte, Dekanin der Fakultät für Sprach- und Literaturwissenschaft (1988 – 1990), Vizepräsidentin der Universität Bamberg (1980 – 1983) und von 1989 – 1992 Mitglied des Senats der Deutschen Forschungsgemeinschaft. 1989 wurde sie als Mitglied in eine Strukturkommission zur Neugliederung der Universitäten in Niedersachsen berufen; von 1985 bis 1989 war sie die stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Romanistenverbandes. Darüber hinaus sollte nicht vergessen werden, dass Annegret Bollée auch eine derjenigen Professorinnen war, die nicht nur viel für die Frauenförderung getan hat, sondern die aufgrund ihres überdurchschnittlich großen Engagements in Forschung, Lehre und Verwaltung maßgeblich dazu beigetragen hat, dass Frauen in akademischen Ämtern allmählich eine Selbstverständlichkeit geworden sind.</p>
<p>Annegret Bollée hat in Forschung und Lehre gleichermaßen Akzente gesetzt und gehört ohne jeden Zweifel zu den großen romanistischen Sprachwissenschaftlerinnen unserer Zeit. Am 20. August 2021 ist die <em>grande dame</em> der deutschen Kreolistik völlig unerwartet verstorben; sie hinterlässt sowohl fachlich als auch menschlich eine große Lücke.</p>
<p>Ingrid Neumann–Holzschuh (Universität Regensburg), 29.08.2021</p>Redaktion romanistik.dehttps://www.romanistik.de/aktuelles/54652021-08-29T18:20:36+02:002021-08-29T22:29:23+02:00Prof. Dr. Annegret Bollée<p>Wir trauern um unsere Kollegin Prof. em. Dr. Annegret Bollée (* 4. März 1937 in Berlin; † 20. August 2021 in Bamberg). Annegret Bollée hatte den von ihr an der Otto-Friedrich-Universität 1978 begründeten Lehrstuhl für Romanische Sprachwissenschaft und Mediävistik bis zu ihrer Emeritierung im Jahr 2002 inne und gilt als führende Vertreterin der deutschen Kreolistik. Sie wurde 1969 in Bonn promoviert mit einer Dissertation über <em>Die lateinischen Verbalabstrakta der u-Deklination und ihre Umbildung im Romanischen</em> und habilitierte sich 1976 mit einer Arbeit über das Seychellenkreolische. Bahnbrechend war dabei die Erkenntnis, dass sich Kreolsprachen auch ohne vorherige Entstehung eines Pidgins entwickeln können.</p>
<p>Dem Seychellenkreolischen war in kolonialistischer Manier lange Zeit der Status einer Sprache abgesprochen worden. Annegret Bollée konnte hingegen mit ihrer grammatischen Skizze des Seychellenkreolischen die Tradition der Grammatographie dieser Sprache begründen. Die heute offizielle Orthographie des Seychellenkreolischen basiert im Wesentlichen auf Arbeiten Annegret Bollées. Viele ihrer zahlreichen Arbeiten erschienen in der von ihr begründeten Kreolischen Bibliothek, einer der wichtigsten Schriftenreihe der Kreolistik.</p>
<p>Neben ihrer unermüdlichen Forschertätigkeit und ihrem Engagement in den romanistischen Studiengängen in Bamberg, wo sie neben den traditionellen Lehramts- und Magisterstudiengängen auch eine Diplomromanistik aufgebaut hat, engagierte sich Annegret Bollée in der akademischen Selbstverwaltung und in der Fachwelt, so als Vizepräsidentin der Universität (1980 – 1983) und als stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Romanistenverbands (1985 – 1989). Zudem baute sie das Sprachenzentrum der Universität auf, das sie von 1991 bis 1996, sowie von 2000 bis 2002 leitete.</p>
<p>Über ihre Emeritierung hinaus blieb Annegret Bollée in der Forschung aktiv, hier im Besondern im Bereich der etymologischen Forschung in den Kreolsprachen, einer Forschungsrichtung, die sie selbst begründet hatte. Sie setzte ihre Arbeit am Etymologischen Wörterbuch der Kreolsprachen des Indischen Ozeans fort, dessen vierter und letzter Band 2007 erschien, um sich danach erneut einem monumentalen Projekt zu widmen, dem Wörterbuch der französischen Kreolsprachen Amerikas, das sie (wieder in vier Bänden) 2018 vollendete.</p>
<p>Wir werden Annegret Bollée als inspirierende Forscherin, passionierte Hochschullehrerin und liebe Kollegin in Erinnerung behalten.</p>Prof. Dr. Martin Haasehttps://www.romanistik.de/aktuelles/52992021-05-25T13:21:56+02:002021-09-24T09:14:46+02:00Nachruf auf Dieter Steland <p>Das Seminar für Romanische Philologie der Universität Göttingen trauert um Professor Dr. Dieter Steland, der am 29. April 2021 im 88. Lebensjahr verstorben ist.1964 kam er mit Jürgen von Stackelberg als dessen wissenschaftlicher Assistent nach Göttingen. Nach seinem Studium der Romanistik, Germanistik und Philosophie in Freiburg, München und Paris, das er mit dem Staatsexamen und 1961 mit der Promotion abschloss, hatte er von 1962 bis 1964die Stelle eines wissenschaftlichen Assistenten am Lehrstuhl für Vergleichende Literaturwissenschaft (Prof. W. Naumann) der Technischen Hochschule Darmstadt inne. In Göttingen erfolgte nach seiner Assistententätigkeit die Ernennung zum Akademischen Rat (1968) mit späterer Beförderung zum Oberrat und Akademischen Direktor. 1979 habilitierte er sich im Fach Romanische Philologie (Literaturwissenschaft)und wurde in der Folge 1982 zum Professor ernannt. In der Lehre waren seine Schwerpunkte Französische und Italienische Literatur. Am 1. Oktober 1997 trat er in den Ruhestand.Dieter Steland war ein allseits geschätzter und beliebter akademischer Lehrer. Er hat zur wissenschaftlichen und menschlichen Prägung des Seminars einen gewichtigen Beitrag geleistet. In den schwierigen Zeiten der hochschulpolitischen Auseinandersetzungen war er ein ruhender Pol und hielt zur Mäßigung an. In vorbildlicher Weise verband er als Person intensive und verantwortliche Lehr-und Prüfungstätigkeit mit seinen ausgeprägten Forschungsinteressen.Schon in seiner Freiburger, von seinem Lehrer Hugo Friedrich betreuten Dissertation über Mallarmés Sprach-und Dichtungsverständnis zeigte sich seine Fähigkeit, sehr schwierige Texte analysierend zu erschließen und überzeugend zu interpretieren. Die überarbeitete Dissertation erschien 1965 unter dem Titel „Dialektische Gedanken in Stéphane Mallarmés ’Divagations’“. Der Titel verrät auch das in Stelands Arbeiten gegenwärtige philosophische Interesse.Auch bei der Wahl des Themas für seine Habilitationsschrift wirkte die Freiburger Studienzeit nach. Hugo Friedrichs Montaigne-Buch und die Beschäftigung mit der Moralistik hatten seine Aufmerksamkeit geweckt. Es ging darum, den Zusammenhang zwischen der sich entwickelnden Moralistik und der psychologisch vertieften Erzählkunst von La Rochefoucauld und Mme de Lafayette bis Marivaux zu erforschen. Das Werk erschien 1984 als Buch.Dieter Steland hatte ein besonderes Gespür für geschichtlichen Wandel, wie er sich in literarischen Texten manifestiert. Ein sehr eindrucksvolles Beispiel ist seine Untersuchung einer Erzählung aus dem 19. Jahrhundert, Balzacs „Un Épisode sous la Terreur“ (1829), die Steland unter dem Titel „Balzac und der Scharfrichter der Revolution“ in dem Band „Romanistik und Französische Revolution. 200 Jahre Französische Revolution –100 Jahre Seminar für Romanische Philologie Göttingen“ (1991) veröffentlicht hat. In sehr subtiler Weise wird der Kerngedanke entwickelt, wie die unaufhebbare Grunderfahrung der Geschichtlichkeit des menschlichen Daseins im schicksalhaften Erlebnis des Scharfrichters und im Erzählvorgang zum Ausdruck kommt.Im Laufe der Zeit und verstärkt nach dem Eintritt in den Ruhestand hat sich in den Arbeiten Dieter Stelands ein Interessenschwerpunkt herausgebildet, der in zahlreichen Aufsätzen fruchtbar geworden ist: die Erforschung der oft verborgenen Quellen von Themen, Motiven, Aphorismen, Emblemata in literarischen Werken und deren Fortleben. In seiner Publikationsliste (http://steland.net/?Dieter_Steland) sind die Beiträge getrennt nach Literaturen aufgeführt: zur italienischen Literatur (z.B. Petrarca, O. Lando, Foscolo, Bufalino, Moravia, Calvino); zur <br />
französischen Literatur (z.B. Du Bellay, Bussy-Rabutin, La Rochefoucauld, Racine, Voltaire, Balzac, Maupassant, Mallarmé, Sartre); zur deutschen Literatur (z.B. Schiller, Stifter, Fontane, Hofmannsthal, Botho Strauß). Diese Untersuchungen zeugen von großer Gelehrsamkeit und erstaunlicher Belesenheit als Voraussetzung für viele aufschlussreiche Entdeckungen. Dadurch dass sich Steland nicht auf die rein stofflichen Nachweise beschränkt, sondern die Funde in ihrem literarischen Zusammenhang interpretiert, entsteht ein dichtes Bild literarischer Traditionen und geschichtlicher Wandlungen.Die Universität Freiburg hat Dieter Steland 1988 mit dem „Freiburger Forschungspreis zu Ehren von H. Friedrich und E. Köhler“ gewürdigt.Unter dem Titel „Nachschriften“ hat Dieter Steland selbst eine Darstellung seines Lebens-und Werdegangs von der Kindheit bis zum Alter veröffentlicht (in: Klaus-Dieter Ertler, Hg., Romanistk als Passion. Fachgeschichte: Romanistik, Bd. 6, Wien 2018, S. 353-386). Er schildert darin sein an prägenden Begegnungen und Freundschaften so reiches Leben und würdigt auch den Anteil, der seiner Ehefrau, der Kunsthistorikerin Dr. Anne Charlotte Steland, in seiner geistigen Welt zukommt. Der Tod von Dieter Steland bedeutet für das Seminar einen großen Verlust. Er wird unvergessen bleiben.<br />
Hermann Krapoth</p>Prof. Dr. Birgit Schädlichhttps://www.romanistik.de/aktuelles/50622021-02-13T17:52:56+01:002022-09-21T09:58:49+02:00Prof. Dr. Ulrich Detges (1958–2021)<p><strong>Prof. Dr. Ulrich Detges (1958–2021)</strong></p>
<p>Am 7. Februar 2021 ist Professor Dr. Ulrich Detges nach schwerer Krankheit in München verstorben. Die Romanistik verliert mit ihm einen klugen, kreativen, international angesehenen Sprachwissenschaftler, der sich neben seiner Forschung in herausragender Weise um akademische Lehre und Selbstverwaltung verdient gemacht hat. Allen, die ihn kannten, wird er als liebenswerter, scharfsinniger, witziger, streitbarer, charakterfester und absolut zuverlässiger Lehrer, Kollege und Freund in Erinnerung bleiben.</p>
<p>Ulrich Detges wurde 1958 in Krefeld geboren und studierte ab 1977 an der Freien Universität Berlin. Auslandssemester führten ihn an die École Normale Supérieure in Paris (1986/87) und an die Université Laval in Québec (1989). 1985 legte er das Erste Staatsexamen in den Fächern Französisch und Geschichte ab; 1992 wurde er von Thomas Kotschi promoviert (Nominalprädikate. Eine valenztheoretische Untersuchung der französischen Funktionsverbgefüge des Paradigmas «être Präposition Nomen» und verwandter Konstruktionen, Tübingen 1996). Nach absolviertem Referendariat ging Ulrich Detges 1996 als Assistent von Peter Koch nach Tübingen. Dort habilitierte er sich im Jahr 2001 (Grammatikalisierung. Eine kognitiv-pragmatische Theorie, dargestellt am Beispiel romanischer und anderer Sprachen). 2003 wurde er an der <span class="caps">LMU</span> München zum Professor für Romanische Philologie ernannt.</p>
<p>Zu Ulrich Detges’ Forschungsschwerpunkten zählten Syntax, Wortbildung, Phraseologie und Konstruktionsgrammatik. Er publizierte zum Französischen, Spanischen, Katalanischen, zu Kreolsprachen und zum Deutschen. Sein größtes Interesse galt pragmatischen Theorien des grammatischen Wandels; diese verstand er in origineller Weise und mit bestechender Klarheit auf verschiedene linguistische Probleme anzuwenden, so etwa den Abbau von Kasusdistinktionen, die präpositionale Markierung direkter Objekte oder die Entstehung von Diskursmarkern. Internationale Beachtung fanden vor allem seine Arbeiten zur Grammatikalisierung französischer Subjektpronomina und romanischer Tempusperiphrasen. Mit Thomas Kotschi und Colette Cortès veröffentlichte er ein fast 1000 Seiten starkes Wörterbuch französischer Nominalprädikate (Tübingen 2009). Von Ulrich Detges’ fachlichem Renommee zeugen auch seine ehrenamtlichen Funktionen als Zweiter Vorsitzender des Frankoromanistenverbands (2008–2014), als Mitherausgeber der beim Erich Schmidt Verlag erscheinenden Reihe „Grundlagen der Romanistik“ (seit 2006) und, seit 2014, als korrespondierendes Redaktionsmitglied der Zeitschrift Revue Romane (John Benjamins).</p>
<p>In München wurde Ulrich Detges nicht nur als exzellenter Linguist und inspirierender Diskussionspartner geschätzt. Mit beispielloser Konsequenz setzte er sich neben seiner Forschungsarbeit für die akademische Lehre und für alle nur erdenklichen Belange seines Instituts und seiner Fakultät ein. Als ausgebildeter Gymnasiallehrer verfügte er über bewundernswertes didaktisches Können und steckte viel Energie in die Betreuung seiner Studierenden. Wie selbstverständlich sprang er ein, wenn Not am Mann war, etwa als Korrektor fachdidaktischer Staatsexamina. Viele Jahre engagierte er sich im Vorstand des Münchener Zentrums für Lehrerbildung. Als Studiendekan der Fakultät für Sprach- und Literaturwissenschaften (2011–2016) trieb er mit großem Erfolg die Umsetzung innovativer hochschuldidaktischer Konzepte im Rahmen des „Qualitätspakts Lehre“ voran, darunter die Einrichtung eines fakultären Schreibzentrums und Programme zur Förderung studentischer Forschung.</p>
<p>Bis kurz vor seinem Tod unterrichtete Ulrich Detges mit übergroßer Anstrengung. Privat kämpfte er als Aktivist gegen rechte Hetze in Sozialen Medien – eine Mission, die er trotz massiver Anfeindungen und persönlicher Bedrohungen unbeirrbar verfolgte. Sein selbstloses Arbeitsethos und sein aufrechter Charakter waren und werden für viele ein Vorbild bleiben.</p>
<p>Klaus Grübl<br />
Institut für Romanische Philologie<br />
Ludwig-Maximilians-Universität München</p>Redaktion romanistik.dehttps://www.romanistik.de/aktuelles/47602020-09-17T13:12:12+02:002022-10-04T08:38:25+02:00Nachruf auf Peter Ronge (1934-2020) <p><strong>Nachruf auf Peter Ronge (1934-2020)</strong></p>
<p>Ein inspirierender Lehrender des Romanischen Seminars der Westfälischen Wilhelms-Universität ist am 13. August 2020 im Alter von 86 Jahren verstorben. Er war ein international anerkannter Forscher und ein passionierter Buch- und Bildersammler. Auch das Fotografieren zählte zu seinen Leidenschaften. Maßgeblich geprägt hat ihn sein Lehrer Heinrich Lausberg, von dem er seinen Hang zur rhetorischen Analyse von Texten und von Bildern und zur Erkundung der Strategien sowie Techniken der Verknüpfung zwischen beiden erbte. Seine Dissertation über <em>Polemik, Parodie und Satire: Elemente einer Theatertheorie und Formen des Theaters über das Theater</em> (1967) wurde von vielen Fachleuten gelobt. Bis zu seiner Emeritierung bot er jedes Semester eine Einführung in die Literaturwissenschaft (oft in französischer Sprache) an und behandelte immer wieder kanonische Schriftsteller wie Diderot, Laclos, Flaubert, Maupassant, Mallarmé. Er setzte sich auch zum Ziel, einen Einblick in den komplexen ethnopolitischen Hintergrund franko-karibischer Autoren wie zum Beispiel Chamoiseau zu vermitteln oder widmete mehrmals Veranstaltungen Chansonniers wie Ferré, Brassens, Brel, Gainsbourg, Renaud oder Boby Lapointe, deren Gabe für Sprache und Sprachspiele er den Studierenden zu vermitteln wußte. Seine persönlichen literarischen Neigungen galten aber vor allem Queneau und der berühmten Literaturvereinigung <span class="caps">OULIPO</span> (OUvroir de LIttérature POtentielle), insbesondere George Perec, den er ins Deutsche übersetzte. Den lipogrammatischen Roman <em>Les Revenentes</em>, worin alle anderen Vokale außer „e“ verbannt sind, hat er z. B. meisterhaft unter dem Titel <em>Dee Weedergengen</em> 2003 wiedergegeben.</p>
<p>Im Laufe seines akademischen Lebens schenkte er jedoch immer mehr der Bildsatire seine Aufmerksamkeit, insbesondere der politischen Pressezeichnung. Der schonungslosen Bildsatire eines Siné oder eines Rainer Hachfeld fühlte er sich sehr nahe. Beide Zeichner waren seine Freunde. Unter seinen zahlreichen Beiträgen in dieser Domäne ragt sicherlich die Ausstellung <em>Von de Gaulle bis Mitterrand – Politische Karikatur in Frankreich 1958 – 1987</em> (Münster, <em>Westfälisches Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte</em>, Dezember 1987 – Februar 1988) hervor. Bisher war in deutschen Museen vorwiegend die historische Bildsatire Frankreichs (vor allem Daumier) beachtet worden: Hier wurde erstmals ein Überblick über die zeitgenössische politische Karikatur des Nachbarlandes geboten. Diese Ausstellung versuchte – mit über 300 Originalzeichnungen von 20 Zeichnern unterschiedlicher Couleur – zu umreißen, was politische Bildsatire während der V. Republik ausmachte, wie sie sich entwickelte und auch durch neue Medien verbreitet wurde. Als Spiegel der Zeitgeschichte ließ die Ausstellung erkennen, wie angriffslustig und vielfältig in der Form wie auch in der Vermittlung die politische Bildsatire Frankreichs war und bis heute ist (man denke nur an die nach den Attentaten wieder aufgelegte Wochenzeitschrift <em>Charlie Hebdo</em>; Von <span class="caps">WDR</span> Aktuell wurde Peter Ronge damals interviewt und er kommentierte kenntnisreich den Kontext). Zur Ausstellung erschien ein umfangreicher Katalog mit Beiträgen über die einzelnen Zeichner, von denen einige (wie Siné, Wolinski oder Reiser) internationalen Ruf genossen, sowie über ihr Werk mit erschließender Kommentierung aller Exponate. Das <span class="caps">LWM</span> Museum liegt eine Rufweite entfernt vom Münsterschen Bischofssitz und einiges an diesen Karikaturen mochte manchen deutschen Betrachter irritieren. Dazu gehörten die scharfen antiklerikalen und anarchistischen Tendenzen sowie ihre ausgesprochene und ausgemalte Sexualfreundlichkeit, vor denen Peter Ronge den Leser im Katalog warnte. Pornographie als Darstellungsmittel eignete sich hervorragend als politische Waffe gegen Einzelpersonen. Jedenfalls war dies ein zu brisanter Stoff für die Museumsleute, die in letzter Minute vor der Eröffnung 16 Zeichnungen entfernen ließen. Das <em>Musée d‘Histoire Contemporaine – <span class="caps">BDIC</span></em> übernahm zwei Jahre später unzensiert die Ausstellung mit dem Titel <em>De de Gaulle à Mitterrand – Trente ans de dessins d’actualité en France</em>. Es wurde ein neuer Katalog hergestellt, der den Erwartungen des französischen Publikums mehr entsprach. Beide Kataloge sind aus einem zweieinhalbjährigen Fachdidaktik-Hauptseminar unter der Leitung von Peter Ronge und Alain Deligne entstanden und zeugen sowohl von der guten Zusammenarbeit zwischen Studierenden und Lehrenden – Karl-Heinrich Biermann schloss sich an – als auch von einer zwar nicht immer reibungslosen, aber dennoch wirksamen Kooperation mit Museen. Schließlich bot sich mit dieser Initiative die Möglichkeit, einen Kontakt zwischen Universität und Öffentlichkeit herzustellen: Peter Ronge war es wichtig, wissenschaftlicher Verantwortung nachkommen zu können. Zwecks Vorarbeiten zu Biographien und Werkanalysen, Interviews mit den Künstlern, Durchforsten von Archiven, Sichtung von Bildsammlungen und Beschaffung von Vorlagen für die Fotodokumentation ist die Arbeitsgruppe unzählige Male nach Paris gefahren. So sind auch Freundschaften mit den Karikaturisten entstanden.</p>
<p>Der Wunsch von Peter Ronge, die wissenschaftliche Beschäftigung mit Bildsatire am Romanischen Seminar zu vertiefen, wurde erfüllt, als er von dem französischen Germanisten Jean-Claude Gardes und der Medienspezialistin Ursula E. Koch 1992 zwecks der Gründung einer theoretisch-historischen Zeitschrift über Bildsatire kontaktiert wurde. Peter Ronge zählt so zu den Mitbegründern von <em>Ridiculosa. L‘Affaire Dreyfus dans la caricature internationale</em> lautete der Titel der ersten Nummer (1994). Gleichzeitig riefen die Begründer eine <em>équipe de recherche</em> (eiris – <em>équipe disciplinaire de recherche sur l’image satirique</em>) ins Leben. Treffpunkt wurden sukzessiv: Paris-Nanterre-Université, La Maison des Sciences de l’homme und im letzten Jahrzehnt die alte Bibliothèque Nationale (rue Richelieu), mit der eine fruchtbare Kooperation entstand: Inzwischen sind 26 Nummern erschienen (die letzte Nummer aus dem Jahr 2019: <em>Caricature et écologie</em>) und viele Kolloquien zur Geschichte und Rolle der internationalen satirischen Presse wurden veranstaltet. Bis zu seinem Tode blieb Peter Ronge Mitherausgeber der Zeitschrift. Die Leser seiner Rezensionen wissen, dass er ein unerbittlicher Kritiker sein konnte. Er ging das Risiko ein, eher ungerecht und exzessiv als lau oder milde zu sein. Ein Mensch solchen Schlages würde auch nicht verstehen, wenn die Schwierigkeiten unerwähnt blieben, die mit seiner direkten und schonungslosen Art verbunden waren. Manche Freundschaft erlitt einen Kollateralschaden.</p>
<p>Jede Reise nach Paris bot Peter Ronge die Gelegenheit, seine Privatsammlung an Kunstkatalogen, Ersteditionen, Zeitschriften, Fotos bzw. Originalzeichnungen zu bereichern. Wir dürfen hoffen, dass das materielle Erbe, das er im Laufe seines Lebens konstituierte, seinen Platz als <em>Fonds Peter Ronge</em> in einer großen der Bildsatire gewidmeten Institution finden wird. So wäre das Überleben eines wichtigen Teils seiner lebenslangen Arbeit gesichert.</p>
<p>Prof. Dr. Alain Deligne<br />
Romanisches Seminar, Münster</p>Karen Forner