Die Interaktion in der Orchesterprobe (Promotionsprojekt)

Kommunikations- und Interaktionsmuster zwischen DirigentIn und MusikerInnen in französischen und italienischen Symphonie-Orchestern


Allgemeine Angaben

Hochschule
Universität Innsbruck, Institut für Romanistik
Weiterführender Link
mmorchestrainteraction.com
Thematik nach Sprachen
Französisch, Italienisch
Disziplin(en)
Sprachwissenschaft
Schlagwörter
Konversationsanalyse, Gesprächsanalyse, Kommunikation am Arbeitsplatz

Aktiv beteiligte Person(en)

(z.B. Kooperation, Mitarbeiter, Fellows)

Monika Messner


Exposé

Die vorliegende Studie mit dem Titel „Die Interaktion in der Orchesterprobe: Kommunikations- und Interaktionsmuster zwischen DirigentIn und MusikerInnen in französischen und italienischen Symphonie-Orchestern“ setzt sich zum Ziel, die Art und die Formen des kommunikativen Austauschs zwischen DirigentIn und InstrumentalistInnen zu untersuchen. Die Arbeit widmet sich dem Austausch zwischen DirigentIn und MusikerInnen und erforscht die sozialen Interaktionsmuster während der Probentätigkeit. Durch die Analyse von sprachlichen wie auch nichtsprachlichen Mustern und Handlungen in der Probe sowie deren Zusammenwirken kann die Rolle der Kommunikation in der Herstellung einer sozialen Ordnung illustriert werden. Die Interaktion in der Orchesterprobe ordnet sich ein in den Bereich der Gesprächs- bzw. Interaktionsforschung in Organisationen/Institutionen, obwohl sie dort bis dato kaum beforscht wurde.

Die Schaffung einer sozialen Ordnung im Orchester ist vergleichbar mit jener in einem Unternehmen, einem Betrieb oder noch stärker in der Schule, denn auch hier spielen Führung, Autorität, ritualisierte Handlungsmuster, Interaktionsmodelle, Fachsprachlichkeit und Sprachökonomie eine Rolle (vgl. Gardner 2013, Becker-Mrotzek/Vogt 2009, Mondada 2006, Spiegel 2006, Thörle 2005, Heritage 2004, Rabatel 2004, Becker-Mrotzek/Fiehler 2002, Brünner 2000, Dannerer 1999, Drew/Heritage 1992, Ehlich/Rehbein 1986). Eine weitere Analogie besteht darin, dass in diesen Institutionen der Arbeitsplatz den Kommunikationsraum darstellt und v.a. dem fachsprachlichen Austausch ein großer Platz eingeräumt wird.

Eine Besonderheit lässt die Kommunikation in der Orchesterprobe allerdings gegenüber den oben erwähnten innerinstitutionellen Interaktionssituationen hervorstechen, nämlich ihr vorwiegend monologischer Charakter. Hier kann am stärksten eine Parallele zum LehrerInnen-SchülerInnen-Austausch gezogen werden, denn ein/e LehrerIn leitet, strukturiert das Interaktionsgeschehen und erteilt das Rederecht im Klassenzimmer wie ein/e DirigentIn in der Probe (vgl. Spiegel 2006: 74; Gardner 2013: 594). Außerdem macht im Unterricht der/die LehrerIn instruierende und evaluative Äußerungen, in der Orchesterprobe kommt diese Rolle dem/der DirigentIn zu. Dabei ist jedoch nicht anzunehmen, dass diese „asymmetrische“ (vgl. Gülich/Mondada 2008: 42) Interaktionssituation vorab durch äußere Kontextfaktoren wie z.B. die institutionelle Rollenzuschreibung bestimmt wird. Vielmehr gilt es in der vorliegenden Studie zu klären, wie, wo und wann sich eine solche Konstellation der TeilnehmerInnen in einem Interaktionsgeschehen artikuliert und als relevant gesetzt wird (vgl. Gülich/Mondada 2008: 43; Gardner 2013: 594).

Für die vorliegende Arbeit wird zudem die Erforschung der Rolle der versteckten und unterschwelligen Gespräche zwischen den MusikerInnen, welche vergleichbar sind mit dem Schwätzen der SchülerInnen im Klassenzimmer, ins Gewicht fallen. Dieser „off-task talk“ (Markee 2005: 197) kann sich immer dann äußern, wenn in einer Interaktionssituation mehr als zwei Akteure anwesend sind, so wie es sowohl im Klassenzimmer als auch in der Orchesterprobe der Fall ist (vgl. Goffman 1979: 9). Danach treten untergeordnete Kommunikationscluster (vgl. „subordinate communication“ nach Goffman 1979: 9) auf, deren InteraktantInnen, Zeitpunkt und akustischer Grad eine beschränkte Einmischung in die übergeordnete Kommunikation (vgl. „dominating communication“ nach Goffman 1979: 9) bedingen können. In der Orchesterprobe kann ein „byplay“ (Goffman 1979: 9) angenommen werden, das in Erscheinung tritt, wenn die an einer sekundären Kommunikation Beteiligten keinen Versuch unternehmen, diese zu verstecken.

Eine weitere Dimension der Orchesterprobe ist die Fachlichkeit, spielt sich doch der sprachliche und nicht-sprachliche Austausch zwischen den Akteuren in diesem geschlossenen kommunikativen Raum zu großen Teilen in einer Fachsprache ab, die für Außenstehende oder Nicht-MusikerInnen kaum oder gar nicht verständlich ist. Außenstehende können als ZuhörerInnen das Produkt der Orchesterproben in einem Konzert konsumieren, welches in der Regel aber nur einen Bruchteil dessen darstellt, was die Arbeit und die Kommunikation während der Probezeit betrifft. In der Probezeit charakterisiert sich das symphonische Orchester unter einer soziolinguistischen und interaktionsanalytischen Perspektive als Sprachgemeinschaft und als von den Mitgliedern erzeugte soziale Welt.

Methodisch steht die Studie im Rahmen der ethnomethodologischen Konversationsanalyse und sieht daher eine corpusgeleitete Auswahl der zu behandelnden sprachlichen und nichtsprachlichen Phänomene vor, d.h., dass erst eine intensive Auseinandersetzung mit dem Corpus zeigen kann, welche Aspekte von den KonversationsteilnehmerInnen relevant gesetzt werden (vgl. Deppermann 1999: 11, Gülich/Mondada 2008: 29). Daher können am Beginn einer Studie nur Hypothesen aufgestellt und erst später als relevant gesetzt werden.

Die Eingrenzung des Forschungsgegenstands sowie der Miteinbezug der Musik als interaktionelle Reaktion der MusikerInnen auf die verbalen Äußerungen des/der DirigentIn in einer konversationsanalytischen Transkription und Analyse stellen die Herausforderungen in dem Dissertationsprojekt dar. In der vorwiegend monologischen Konversationsstruktur seitens des/der DirigentIn ist zu klären, wie die musikalische Antwort der InstrumentalistInnen in einem Transkript verschriftlicht werden kann und inwieweit das musikalische Werk selbst, an dem gerade gearbeitet wird und auf das intertextuell laufend verwiesen wird, mit in das Forschungsfeld einfließen soll.

Die oben angeführten besonderen Merkmale der Orchesterprobe, die sie von anderen institutionellen Interaktionssettings differenzieren, führen zu verschiedenartigen Fragen: solche, die Macht und Autorität sowie die Regulierung des Rederechts betreffen, oder die Rolle der Musik sowie der Noten/Partitur in der Interaktion zwischen DirigentIn und InstrumentalistInnen mit einbeziehen. Außerdem kommen Fragestellungen hinzu, welche das Sprechen neben Handeln bzw. die multimodale Ausrichtung der Interaktion ins Licht rücken (vgl. „coordinated task activity“ nach Goffman 1979: 16, Goodwin 2000, Mondada 2012, Deppermann 2013). In der Orchesterprobe treffen gleich vier Codes bzw. Kommunikationsmodalitäten aufeinander, nämlich die Sprache, die Musik, die Noten sowie Mimik und Gestik.

Folgende Forschungsfragen sollen in der vorliegenden Arbeit behandelt werden:

1. Die Handlungsmuster betreffend:
1.1. Wie funktioniert die Interaktion zwischen DirigentIn und InstrumentalistInnen?
1.2. Wo treten Elemente der Dialogizität in der prinzipiell monologischen Situation auf? (Dialog: Sprache – Sprache, Dialog: Sprache – Musik)
1.3. Wie drückt sich die Fachsprachlichkeit in der Kommunikation aus?
1.4. Inwiefern kommt der Praxis des code switching eine Bedeutung zu?
1.5. Wo werden Macht und Autorität im sprachlichen Handeln ersichtlich?
1.6. Wie wird das Rederecht reguliert und ausgehandelt?

2. Die Multimodalität der Interaktion betreffend:
2.1. Welche Rolle spielt die Musik in der Interaktion zwischen DirigentIn und MusikerInnen?
2.2. Welche Rolle kommt den Noten bzw. der Partitur zu?
2.3. Welche Rolle spielt stimmliche bzw. gestische Ikonizität?
2.4. Welche Referenzprozesse gibt es in Bezug auf die Partitur und musikalische Passagen (Intertextualität)?

3. Das Sprechen neben Handeln betreffend:
3.1. Wie greifen verbale und nonverbale Kommunikationsmittel, z.B. Dirigiergesten, „Illustratoren“ (vgl. Ekman/Friesen 1969: 68), o.Ä. ineinander?
3.2. Welche Rolle spielt hier Ikonizität?
3.3. Wie beeinflusst die Bezugnahme auf die Partitur/Noten das Sprechen neben Handeln?

Literatur

Becker-Mrotzek, Michael / Fiehler, Reinhard (Hrsg.) (2002): Unternehmenskommunikation. Tübingen: Gunter Narr
Becker-Mrotzek, Michael/Vogt, Rüdiger (2009): Unterrichtskommunikation. Linguistische Analysemethoden und Forschungsergebnisse. Tübingen: Niemeyer
Brünner, Gisela (2000): Wirtschaftskommunikation. Linguistische Analysen ihrer mündlichen Formen. Tübingen: Niemeyer
Dannerer, Monika (1999): Besprechungen im Betrieb. Empirische Analysen und didaktische Perspektiven. München: iudicium
Deppermann, Arnulf (1999): Gespräche analysieren. Eine Einführung in konversationsanalytische Methoden. Opladen: Leske + Budrich
Depperman, Arnulf (2000): “Ethnographische Gesprächsanalyse. Zu Nutzen und Notwendigkeit von Ethnographie für die Konversationsanalyse“, IN: Gesprächsforschung 1, 96-124
Deppermann, Arnulf (2013): “Multimodal interaction from a conversation analytic perspective“, IN: Journal of Pragmatics, 46 (2013), 1-7
Drew, Paul/Heritage, John (eds.) (1992): Talk at work. Interaction in institutional settings. Cambridge: University Press
Ehlich, Konrad/Rehbein, Jochen (1986): Muster und Institution. Untersuchungen zur schulischen Kommunikation. Tübingen: Narr
Ekman, Paul/Friesen, Wallace V. (1969): “The Repertoire of Nonverbal Behavior. Categories, Origins, Usage, and Coding”, IN: Semiotica 1, 49-98
Gardner, Rod (2013): “Conversation Analysis in the Classroom”, IN: Sidnell, Jack/Stivers, Tanja (eds.): The Handbook of Conversation Analysis. Malden: Wiley-Blackwell, 593-611
Goffman, Erving (1979): “Footing”, IN: Semiotica, 25-1/2, 1979, 1-29
Goodwin, Charles (2000): “Action and embodiment within situated human interaction“, IN: Journal of Pragmatics, 32 (2000), 1489-1522
Gülich, Elisabeth/Mondada, Lorenza (2008): Konversationsanalyse. Eine Einführung am Beispiel des Französischen. Tübingen: Niemeyer
Have, Paul ten (2007²): Doing conversation analysis. A practical guide. Los Angeles et al: Sage
Heritage, John (2004): “Conversation Analysis and Institutional Talk“, IN: Sanders, Robert/Fitch, Kristine (Hrsg.): Handbook of Language and Social Interaction. Mahwah NJ: Erlbaum, 103-146
Heritage, John (2010): “Conversation Analysis. Practices and methods”, IN: Silverman, David (Hrsg.): Qualitative sociology. London: Sage, 208-230
Imo, Wolfgang (2013): Sprache in Interaktion. Analysemethoden und Untersuchungsfelder. Berlin/Boston: de Gruyter
Markee, Numa (2005): “The Organization of Off-task Talk in Second Language Classrooms“, IN: Richards, Keith/Seedouse, Paul (eds.): Applying Conversation Analysis. London: Palgrave Macmillan, 197-213
Mondada, Lorenza (2006): “Interactions en situations professionnelles et institutionnelles. De l’analyse détaillée aux retombées pratiques“, IN: Revue française de linguistique appliquée, 2/XI, 5-16
URL: https://www.cairn.info/revue-francaise-de-linguistique-appliquee-2006-2-page-5.htm
Mondada, Lorenza (2012): “Organisation multimodale de la parole-en-interaction. Pratiques incarnées d’introduction des référents“, IN: Langue française, 2012/3, n°175, 129-147
Rabatel, Alain (2004): Interactions orales en contexte didactique. Lyon: PUL
Sacks, Harvey (1984): “Notes on methodology“, IN: Atkinson, John Maxwell/Heritage, John (Hrsg.): Structures of social action. Studies in conversation analysis. Cambridge: University Press, 21-27
Schönherr, Beatrix (2014): “Die Methode ‘Datensitzung’ und ihre Nutzbarmachung für die Erforschung von Theatergestik: ‘Ich sehe was, was du nicht siehst … oder doch?’”, IN: Schwarze, Cordula/Konzett, Carmen (eds.): Interaktionsforschung. Gesprächsanalytische Fallstudien und Forschungspraxis. Berlin: Frank & Timme, 177-208
Schütte, Wilfried (1991): Scherzkommunikation unter Orchestermusikern. Interaktionsformen in einer Berufswelt. Tübingen: Narr
Spiegel, Carmen (2006): Unterricht als Interaktion. Gesprächsanalytische Studien zum kommunikativen Spannungsfeld zwischen Lehrern, Schülern und Institution. Mannheim: Verlag für Gesprächsforschung
Thörle, Britta (2005): Fachkommunikation im Betrieb. Interaktionsmuster und berufliche Identität in französischen Arbeitsbesprechungen. Tübingen: Narr


Anmerkungen

keine

Ersteller des Eintrags
Monika Messner
Erstellungsdatum
Samstag, 09. März 2024, 23:48 Uhr
Letzte Änderung
Samstag, 09. März 2024, 23:48 Uhr