Diderots Entwurf einer materialistischen Moral-Philosophie (1745-1754). Methodische Instrumente und poetologische Vermittlung (Monographie)


Allgemeine Angaben

Autor(en)

Kristin Reichel

Verlag
Königshausen & Neumann
Stadt
Würzburg
Publikationsdatum
2012
Weiterführender Link
http://www.verlag-koenigshausen-neumann.de/product_info.php/info/p7371_Diderots-Entwurf-einer-materialistischen-Moral-Philosophie--1745-1754---Methodische-Instrumente-und-poetologische-Vermittlung-----49-80.html
ISBN
978-3-82604-940-8 ( im KVK suchen )
Thematik nach Sprachen
Französisch
Disziplin(en)
Literaturwissenschaft
Schlagwörter
Poetik, Philosophie, Aufklärung

Exposé

Mit der Studie soll anhand der Analyse von sechs Texten Diderots, die von 1745 bis 1754 entstanden sind (Essai sur le mérite et la vertu, Lettre sur les aveugles, La Promenade du sceptique, Les Bijoux indiscrets, Encyclopédie-Artikel „beau“, Pensées sur l’interprétation de la nature), der Nachweis erbracht werden, dass Diderot versucht, eine materialistische Philosophie theoretisch, methodisch und ethisch zu begründen und mit seiner Schreibpraxis zu realisieren.
Diderot geht von der notwendigen Erneuerung bzw. Aufklärung der gegenwärtigen Philosophie aus, die er als spekulative, von lebensweltlichen Problemen abgewandte Philosophie der „idéalistes“ charakterisiert. Eine aufgeklärte Philosophie sieht er im Dienst des optimalen Lebensvollzugs und hierin des irdischen Glücks aller Menschen. In dieser Zielsetzung ist sie für ihn von vornherein Moral-Philosophie. Die Art und Weise der Erneuerung der Philosophie orientiert er an den Methoden und Gegenständen der Naturwissenschaft. In dieser Hinsicht spricht er auch von einer Moralwissenschaft. Seinen dezidiert philosophischen Ansatz untermauert er mit der Ausarbeitung von spezifischen Denkinstrumenten eines materialistischen Philosophierens: Sie sind morphologisch an der Verfasstheit des Untersuchungsgegenstands der neuen Philosophie – des bzw. der Menschen in der Welt – orientiert und gleichzeitig als rationale Konstrukte und hierin als an der materiellen Wirklichkeit zu prüfende, hypothetische und korrigierbare Hilfsmittel ausgewiesen. In beiden Aspekten ähneln sie wissenschaftlichen Modellen im heutigen Verständnis.
Dass dieses anspruchsvolle philosophische Anliegen Diderots bisher der Forschung verborgen blieb, lässt sich auf eine eigenwillige Poetik zurückführen. Der Nachweis ihrer Existenz berechtigt letztlich auch zu dem literaturwissenschaftlich-philologischen Ansatz der Studie, die eine philosophische Bewertung des Denkens von Diderot nicht leisten kann und soll, sondern lediglich das Material dazu auflegt. – Mit Hilfe seiner Poetik organisiert Diderot die Argumentation seiner Texte auf mathematisch exakte Weise, die sich allerdings nur einer analytischen, forschenden Suche nach einer, für den jeweiligen Text gültigen mathematischen Ordnungsregel entdeckt. Innerhalb seiner Philosophiekonzeption motiviert Diderot seine Poetik ethisch bzw. didaktisch mit der Ermunterung seiner Leser zu einer forschenden Lektüre seiner Texte, die ihrerseits einen kritisch analytischen Blick auf die materielle und gesellschaftliche Wirklichkeit, deren Erforschung und letztlich optimierende Umgestaltung vorbereiten soll. Darüber hinaus erklärt Diderot seine chiffrierende Textorganisation mit Restriktionen, die er im katholischen absolutistischen Frankreich zu erwarten hatte.
Für die Diderotforschung ergeben sich aus diesem neuen Textbefund vielfach Konsequenzen: Die These eines zwar originellen, seiner Zeit voraus greifenden, aber (bzw. darum) ungeordneten Denkens und Schreibens Diderots lässt sich mit dem Nachweis einer methodisch und konzeptionell bedingten systematischen Denk- und Schreibweise Diderots widerlegen. Gezeigt werden kann nebenbei auch, dass Originalität und Progressivität (auch) im Fall Diderots ein systematisch-rationales Vorgehen nicht ausschließen. Weiter erlaubt die Umsetzung seines philosophischen Projekts, Diderot als Begründer eines (natur)wissenschaftlich und methodisch fundierten philosophischen Materialismus historisch neu einzuordnen. Lohnenswert im ideengeschichtlichen Zusammenhang ist sicher auch die Prüfung des Einflusses des neuen Denkens von Diderots auf Gestalt und Inhalt der Encyclopédie. Schließlich lassen sich von seiner Poetik, ihren praktischen Umsetzungen und ästhetischen Verallgemeinerungen Parallelen zu semiologischen und ästhetischen Konzepten des 20. Jahrhunderts (z.B. Roland Barthes’ Mythostheorie oder Wassily Kandinskys Schriften im Kontext der funktionalen Bauhaus-Ästhetik) ziehen.
In Bezug sowohl auf die vorgetragene Thesen als auch auf den damit eröffneten neuen Forschungsraum zu Diderot kann die vorliegende Studie ihrerseits nur beanspruchen, Entwurf zu sein: Die Präsentation der Untersuchungsergebnisse musste sich aus Gründen der Lesbarkeit auf wenige Textbeispiele begrenzen. Um die Thesen zu erhärten und für das Gesamtwerk Diderots zu befestigen, müssten sie auch an später entstandenen Texten geprüft werden. Zudem bringt der Charakter der Poetik Diderots mit sich, dass für einen Text mehrere mathematische Ordnungsregeln denkbar, vorgeschlagene Interpretationen folglich ergänzbar und – da nicht alle möglichen Fälle geprüft werden konnten – anfechtbar bleiben. Die angeführten Textbelege sind jedoch m.E. ausreichend, um die Existenz des philosophischen Erneuerungsprogramm Diderots und seiner mathematisch rationalen (Chiffrierungs-)Poetik, – mithin die Systematik seines Denkens und Schreibens, plausibel zu machen.

30.06.2012, Kristin Reichel


Anmerkungen

keine

Ersteller des Eintrags
Kristin Reichel
Erstellungsdatum
Mittwoch, 11. Juli 2012, 19:31 Uhr
Letzte Änderung
Mittwoch, 11. Juli 2012, 19:31 Uhr