Jorge Luis Borges als Autorfigur in Literatur und Medien (Monographie)

Selbstinszenierung, Selbstkanonisierung und hagiographische Fortführungen


Allgemeine Angaben

Autor(en)

Anna Gentz

Verlag
Monsenstein und Vannerdat
Stadt
Münster
Stadt der Hochschule
Frankfurt am Main
Publikationsdatum
2014
Abgabedatum
Oktober 2010
Reihe
MV-Wissenschaft
Weiterführender Link
http://www.amazon.de/Jorge-Borges-Autorfigur-Literatur-Medien/dp/3956452372/ref=sr_1_2?ie=UTF8&qid=1408697516&sr=8-2&keywords=anna+gentz
ISBN
978-3956452376 ( im KVK suchen )
Thematik nach Sprachen
Französisch, Italienisch, Portugiesisch, Spanisch, Sprachübergreifend
Disziplin(en)
Literaturwissenschaft, Medien-/Kulturwissenschaft
Schlagwörter
Intermedialität, Borges Jorge Luis, Autor, Kanonisierungsprozesse, Selbstinszenierung, Selbstkanonisierung, Autorfigur, Pantheon, Autordarstellung, Autobiographisches Schreiben

Betreuer

Gerhard Wild


Exposé

Kann ein Autor sich selbst kanonisieren? Nein, aber er kann seine Kanonisierung vorbereiten, behaupten und lenken. Die vorliegende Arbeit bedient ein Desiderat der Literaturinterpretation und stellt ein Konzept der literarischen Selbstinszenierung und -kanonisierung vor.

Denn trotz Roland Barthes folgenreichem Aufsatz über den Tod des Autors bleibt der Autor ein wichtiger Faktor im Literaturgeschehen, im Leseprozess und im literarischen Text selbst, der nicht einfach ignoriert werden kann. Gerade in Kanonisierungsprozessen trägt der Autor nicht nur durch seine Werke zur Kulturbildung bei, sondern wird selbst Teil von Historisierungs- und Tradierungsprozessen.

Der erste Teil der Arbeit untersucht das Werk eines der wichtigsten Literaten des 20. Jahrhunderts: Jorge Luis Borges, Ikone der Universal-Intertextualität und Ikone Argentiniens. Borges hat mit seiner Tendenz, die Bedeutung des Autors herab- und die des Lesers heraufzusetzen, wichtige Impulse gegeben für den weiteren Epochenwandel innerhalb der modernen lateinamerikanischen Literatur. Die Reflexion über die eigene Rolle als Schreibender geht einher mit Techniken der Metareflexion oder der mise en abîme, um den Schreib- und Leseprozess zu ent-automatisieren und bewusst zu machen. Mit dem Erfolg und der beginnenden Kanonisierung des Autors kann man dann allerdings auch von einer Selbst-Thematisierung in seinen Texten sprechen. Die Methoden der Selbst-Reflexion bleiben ähnlich, nur dass mit der Bekanntheit des Autors explizite biographische Verweise oder gar die eigene Namensnennung eine Verstärkung des Illusionsbruchs in den Texten bewirken. Zu beobachten ist auch, dass Borges – trotz der stattfindenden Dekonstruktion der Autoren-Autorität – immer wieder sich selbst Autorität zuschreibt, indem er sich selbst in die Position des wertenden Lesers und Kritikers begibt. Borges positioniert sich selbst innerhalb eines Weltkanons, der zwar nach wie vor als ein eurozentristischer erscheint, innerhalb dessen er aber ein Mitspracherecht in Anspruch nimmt, das dem kolonisierten Subjekt bisher verwehrt geblieben war. Der Autor selbst wird – ganz im Sinne der Spät-Avantgarde – zum eigenen Kunstwerk.

Der zweite Teil untersucht Kunstwerke, die an Borges’ Selbstkanonisierung und seine Mystifizierung anschließen. Es zeigt sich, dass die Figur Borges zu einem eigenen literarischen Motiv geworden ist – wofür der blinde Bibliothekar Jorge da Burgos aus Der Name der Rose wahrscheinlich das bekannteste, aber nicht das einzige Beispiel darstellt. Zahlreiche Werke aus Literatur, Theater, Comic, Film, Musik und Bildender Kunst arbeiten sich an einer Borges-Figur als Symbol für den (über)mächtigen Vorgänger ab. In den Kunstwerken, in denen Borges, der Begründer der Postmoderne schlechthin, auftaucht, zeigen sich Besonderheiten im Umgang mit dem Wechselverhältnis von Authentizität, Fiktion und Ästhetik. Hier dient nämlich z.B. eine filmische Darstellung des Autorenlebens nicht der reinen Kanonpflege und literarischen Didaktik, sondern die Kunstwerke beinhalten Strategien der Inszenierung und Heiligsprechung, bedienen sich des ästhetischen Arsenals des Autors, reflektieren das Spannungsverhältnis zwischen Welt- und Nationalkanon, greifen die Markenwirkung des Autorennamens oder die außerliterarischen, kanonisierenden Diskurse auf etc.

Bezüge zu Harold Blooms Ausführungen zur »anxiety of influence« kommen bei den Analysen der Borges-Figurierungen immer wieder nicht nur implizit auf, sondern es wird an mancher Stelle deutlich, dass der Einflussangst und der Angst vor Unoriginalität ein ästhetisches Potential abgerungen wird: Es ist eine spielerische Inszenierung dieser Größen und ihrer Theoretisierung durch Bloom und es ist eine Karnevalisierung unterstellter psychologischer Vorgänge – was bleibt, ist Ironie, nicht Angst. Es lassen sich diverse Möglichkeiten der literarischen superatio anhand der Figurierung des Vorgängers beobachten – stets vor dem Hintergrund der Peripherie- und Zentrum-Kräfteverhältnisse der Literaturen. Die Arbeit zeigt, dass Kanonizität insbesondere durch kulturelle Chiffren und Diskurse vermittelt wird, die nur weiter wirken können, weil die Kunst selbst sich weiterhin mit den Fragen nach Wertigkeiten, Hierarchien und Vorgängerschaften auseinandersetzt – und diese auch mit bestimmt.

Inhalt

Inhaltsverzeichnis
Danksagung i
Zur Einführung
Prologomena zur Problemstellung 3
Problemstellung und Vorgehensweise 14
Definition der Arbeitsbegriffe und -konzepte 17
1. Teil:
Die literarische Selbstinszenierung und Selbstkanonisierung Jorge Luis Borges’
1 Einleitung 27
1.1 Kurze Zusammenfassung der Biographie Borges’ und seiner Rezeptions­geschichte 32
1.2 Die Einteilung des Gesamtwerks 43
2 Literarische Selbstinszenierung 46
2.1 Borges als Autorfigur bei Borges 46
2.2 Originalität 56
2.3 Die literarische Selbstdarstellung Borges’ 59
2.3.1 Autobiographie 59
2.3.2 Auto-Ikonographie 65
2.3.3 Transportierte Dichterbilder 67
2.3.3.1 Der Poeta Vates 67
2.3.3.2 Der Sänger 68
2.3.3.3 Der Universalgelehrte 69
2.3.4 Argentinische, universelle oder artifizielle Kollektiv-Identität 70
3 Literarische Selbstkanonisierung 76
3.1 Das Verhältnis von Zentrum und Peripherie 76
3.2 Literarische Autorität 81
3.2.1 Autorität durch Expertise 82
3.2.2 Autorität in der Autointertextualität 84
3.2.3 Borges und seine Kritiker 88
Zweiter Teil:
Hagiographische Fortführungen: Die produktive Rezeption der Au­torfigur Jorge Luis Borges
1 Einleitung 95
2 Borges-Biographien und -Biofiktionen 98
2.1 Die Biographie 98
2.2 Eine Skizze der Konventionen der Borgesporträtierung 101
2.2.1 Borges-Biographien 102
2.2.2 Rodolfo Braceli: Padres nuestros que están en los cielos. Borges-perón (1979) 105
2.2.3 Los paseos con Borges (Adolfo G. Videla: Argentinien, 1977) 107
2.2.4 Borges para millones (Ricardo Wullicher: Argentinien, 1978) 110
2.2.5 Eine multimediale Borges-Biographie: La biblioteca to­tal. Viaje por el universo de J.L.Borges (Nicolás Helft (Hrsg.): Argentinien, 1999) 111
2.2.6 Harto de Borges (Eduardo Montes-Bradley: Argentini­en, 2000) 113
2.2.7 Cosas de Borges für die Reihe documenta von Roman Letjman zum 20. Todestag 2006 114
2.3 Tristán Bauers unkonventionelle Film-Biographie Los li­bros y la noche (Argentinien, 1999) 115
2.3.1 Der Filmanfang (min. 0:00 bis 3:14) 119
2.3.2 Innere Bilder und Themen aus der Kindheit: die Sze­nen von (min.) 4:28 bis 6:28 122
2.3.3 Borges und die Bücher: die Szenen von (min.) 19:35 bis 21:48 124
2.3.4 Zirkularität, Zeit und Raum: die Szenen von (min.) 28:44 bis 31:15 125
2.3.5 Borges und die Mutter: die Szenen von (min.) 50:17 bis 55:09 127
2.3.6 Über den Tod hinaus: das Filmende (min. 76:02 bis 82:00) 128
2.3.7 Fazit 129
2.4 Un destino sudamericano (José Luis Di Zeo: Argentinien, 1975) 131
2.5 »Nuestra amistad es el relato de un amor frustrado«: Un amor de Borges (Javier Torre: Argentinien, 2000) und die in­timistische Vorlage Borges a contraluz (1989) von Estela Canto 134
2.6 Zusammenfassung und Fazit der Biographien und Biofiktio­nen 142
3 Borges in der Lyrik 145
3.1 Die kollektive Hommage an Borges 146
3.1.1 Elbio Fernández (Zeichnungen) / Nicolás Cócaro (Hrsg.): Las ma­nos de Borges (1966). 146
3.1.2 María Hilda Saénz und Jorge Vocos Lescano (Hrsg.): Un jardín para Borges (1984) 148
3.1.3 Javier Marín Ceballos (Hrsg.): Oro en la Piedra. Ho­menaje a Bor­ges (1988) 155
3.2 Francesco Guccini: Via Paolo Fabbri 43 (1978) 156
3.3 Walter Hilsbecher: Borges und ich (1996) 161
3.4 Alberto Mario Perrone: Nada personal (1997) 165
3.5 Andere lyrische Hommagen an Borges 167
3.6 Fazit der lyrischen Auseinandersetzung mit Borges 169
4 Borges im Theater 171
4.1 Borges und das (argentinische) Theater 171
4.2 Héctor Gióvine: Borges, un rostro en el espejo (UA: Bue­nos Aires, 1987) 173
4.3 Luis Gregorich: Borges y el otro. Sobre textos de Jorge Luis Borges (UA: Buenos Aires, 1987) 174
4.4 Borges’ Stimme und Name im Theater 175
4.5 Enrique Estrázulas: Perón & Borges – Entrevista secreta (1996) 176
4.6 Rodrigo García: Borges (UA: Madrid, 1999) 181
4.7 Mario Diament: Cita a ciegas (UA: Buenos Aires, 2005) 182
5 Imaginationen des realen und Figurierungen des historischen Borges im Erzähltext, -kino und in der graphischen Novelle 185
5.1 Borges bei Ernesto Sábato 185
5.2 »Somos un símbolo: Civilización y barbarie.« Inodoro Peyreyra und Borges in Fontanarrosas La pampa de los sen­deros que se bifurcan (1972) 203
5.3 Alberto Breccia / Juan Sasturain: Perramus (1985 ff) 206
5.3.1 Exkurs, 1. Teil: Ein tiefenpsychologischer Blick auf die memoria in der argentinischen Phantastik 206
5.3.2 Alberto Breccia und Juan Sasturain 210
5.3.3 Perramus I 213
5.3.4 Perramus II 221
5.3.5 Exkurs, 2.Teil: Die memoria und das Verschwinden in der argentinischen Phantastik 226
5.3.6 Perramus III 228
5.3.7 Perramus IV 232
5.4 Ricardo Barreiro / Eduardo Risso: Parque Chas (1987) 236
5.5 Manuel Vázquez Montalbán: Quinteto de Buenos Aires (1997) 242
5.6 Borges – »un símbolo de sí mismo«: Die Serie El pequeño Borges imagi­na … (2001 ff) und der Metaroman Quién (1997) von Carlos Cañeque 245
5.7 El amor y el espanto (Juan Carlos Desanzo: Argentinien, 2000) 255
5.8 José Eduardo Agualusa: Borges no Inferno (2000) 262
5.9 Luis Fernando Veríssimo: Borges e os orangotangos eter­nos (2000) 269
5.10 John Berger: Here is where we meet (2005) 275
5.11 Jaime Begazo: Los testigos. (2005) 283
5.12 Marcello Simonetti: La traición de Borges (2005) 288
5.13 Lúcia Bettencourt: A secretária de Borges (2006) 294
5.14 Antonio Bordón: Muchachos, maten a Borges (2009) 297
6 Die auf Borges anspielende Figur 302
6.1 Der genius monachi: Umberto Ecos Il nome della rosa (1980) 303
6.2 Tahar Ben Jellouns L’enfant de sable (1985) 320
6.3 Michael Ende: Der Korridor des Borromeo Colmi (1992) 343
6.4 Daniel Kehlmann: Beerholms Vorstellung (1997) 348
6.5 Mark Z. Danielewski: House of Leaves (2000) 352
6.6 »Wenn das biest wie ein buch Herummarzipant«: Witold Gombrowiczs Trans-Atlantik (1953) 361
7. Borges’ Konterfei als visueller Quellenhinweis 377
7.1 Borges als Fußnote in Performance (Donald Cammell / Nicolas Roeg: England, 1970) 378
7.2 La tigre e la neve (Roberto Benigni: Italien, 2005) 384
Fazit
Zusammenfassung 395
Borges – eine gelungene Selbstkanonisierung 398
Julio Cortázar (1914 – 1984) 405
Psychoanalytische Erklärungsansätze erprobt am Untersuchungskorpus der Ar­beit 412
Literarische Superatio 416
Schlusswort 418
Bibliographie
Primärliteratur von Jorge Luis Borges: 422
Primärliteratur des zweiten Teils: 422
Film: 425
Musik: 426
Zitierte Primärliteratur: 426
Sekundärliteratur: 427


Anmerkungen

keine

Ersteller des Eintrags
Anna Gentz
Erstellungsdatum
Dienstag, 07. Oktober 2014, 11:44 Uhr
Letzte Änderung
Freitag, 10. Oktober 2014, 10:34 Uhr