Mythos und Gewalt im (post)dramatischen Theater von Wajdi Mouawad und Olivier Py (Monographie)


Allgemeine Angaben

Autor(en)

Lisa Evertz

Verlag
readbox
Stadt
Münster
Stadt der Hochschule
München
Publikationsdatum
2018
Abgabedatum
Juli 2017
Reihe
Dissertationen der LMU, Band 24
Weiterführender Link
http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:19-216997
ISBN
978-3-95925-081-8 ( im KVK suchen )
Thematik nach Sprachen
Französisch
Disziplin(en)
Literaturwissenschaft
Schlagwörter
Mythos, Opfer, Mimesis, Wajdi Mouawad, Olivier Py, Französisches Theater der Gegenwart

Exposé

In den Theaterstücken Wajdi Mouawads (geb. 1968) und Olivier Pys (geb. 1965) zeigt sich die Persistenz des französischsprachigen Mythentheaters, das unsere Gesellschaft in einer Krise verortet, die sich immer wieder in Gewaltausbrüchen manifestiert.
Die Engführung der Theorien Hans Blumenbergs, der den Mythos als narrative Antwort auf einen leidvoll erfahrenen „Absolutismus der Wirklichkeit“ versteht, und René Girards, der die gesellschaftliche Dynamik in mimetischer Rivalität begründet sieht, gewinnt den Theaterstücken eine von der Forschung noch nicht berücksichtigte Lesart ab. Denn auch dem Gegenwartstheater, gern unter den Aspekten des „Performativen“ und „Postdramatischen“ diskutiert, eignet eine zusätzliche Dimension, die in den Raum kultureller Erinnerung zurückreicht. So lässt sich auf der Ebene der représentation der Ursprung der Gewalt im mimetischen Begehren aufdecken, während sich auf der Ebene des représenté ein (meta)theatrales Spiel entfaltet, das bedrohliche Nachahmung in schöpferische, symbolkonstituierende Mimesis verwandelt.
Eine so verstandene Arbeit des Mythos kann der „Hyperrealität“ (Jean Baudrillard) einer übersättigten Konsumwelt, die Simulakren an die Stelle des symbolischen Tauschs setzt und terroristischer Gewalt einen wirkungsvollen Resonanzboden bietet, entgegenwirken.

Inhalt

  1. Einleitung
  2. Annäherung an eine Theorie der mythischen Gewalt
    2.1 Wajdi Mouawad: Anima – eine Zusammenführung von Hans Blumenberg und René Girard
    2.2 Die Mythos-Theorie von Hans Blumenberg
    2.2.1 Funktion des Mythos: Arbeit am Abbau des Absolutismus der Wirklichkeit
    2.2.2 Beschaffenheit des Mythos: Variationsfähigkeit des Grundmythos
    2.3 Die performative Kraft des Mythos: André Jolles, Ernst Cassirer und Mircea Eliade
    2.3.1 Definition des Mythos bei André Jolles und die Bedeutung des Orakels
    2.3.2 Ambivalenz des Mythischen bei Ernst Cassirer: manipulative Macht und symbolische Funktion des Mythos
    2.3.3 Die Performativität der Erinnerungsarbeit in der Mythos-Theorie von Mircea Eliade
    2.4 Die Mythos-Theorie von René Girard
    2.4.1 René Girards soziologisch-anthropologischer Ansatz
    2.4.2 Subjektive, objektive und mythische Gewalt – eine Begriffsklärung
    2.4.3 Psychosozialer Ursprung der Gewalt im mimetischen Begehren
    2.4.4 Das Heilige und die Gewalt: soziale Funktion des Opferkults
    2.4.5 Opferkultkrise und die Rolle des Mythos in der griechischen Tragödie
    2.5 Terror und Spiel – die Stellung des Mythischen in einer
    Welt der Simulakren: Jean Baudrillards semiotische Gesellschaftstheorie
    2.5.1 Hyperrealität in einer entdifferenzierten Gesellschaft
    2.5.2 Die gewaltsame Rückkehr des Symbolischen: der Terrorismus und die Sehnsucht nach dem absoluten Ereignis
    2.6 Die strukturalistische Mythos-Theorie von Claude Lévi-Strauss
    2.6.1 Mythos und Sprache: die syntaktische Struktur der Mythen
    2.6.2 Mythen-bricolage: die Theaterautoren als Bastler am Mythos
    2.7 Theatralität und postdramatische Strukturen – die Frage nach einer zeitgemäßen Form der Mythendramen
    2.7.1 Zum Begriff der Theatralität: Theater als ästhetisches Bewusstsein (Matzat) oder als performative culture (Fischer-Lichte)
    2.7.2 Selbstreferentielles Spiel und Episierung: Versuch einer (Ein-)Ordnung der von Hans-Thies Lehmann katalogisierten Merkmale des „postdramatischen Theaters“
  3. Konstruktion und Dekonstruktion mythischer Gewalt in den Theatertexten von Wajdi Mouawad
    3.1 Le Soleil ni la mort ne peuvent se regarder en face: die Geschichte von Kadmos als mythischer Auftakt zur Tetralogie Le Sang des promesses
    3.1.1 Die Anagnorisis des blinden Ödipus
    3.1.2 Opfergewalt und mimetisches Begehren in Le Soleil ni la mort ne peuvent se regarder en face
    3.1.3 Weitere wiederkehrende Mytheme
    3.2 Woher kommt die Gewalt? – Entwurf einer mythisch verdichteten Genealogie der Gewalt in Forêts
    3.2.1 Die Genealogie der Familie Keller vor dem Hintergrund der Konflikte des 19./20. Jahrhunderts
    3.2.2 Mimetisches Begehren als Auslöser von Konflikten und die Problematik der Vater-Sohn-Beziehungen
    3.2.3 Dekonstruktion des Paradiesmythos: die Symbolik der Zwillingsgeburten
    3.2.4 Der Opfergang Luciens und die Auflösung der Waldgemeinschaft
    3.2.5 Ein Amoklauf als Ereignis und die Reaktivierung des symbolischen Denkens durch eine sterbenskranke Pythia
    3.3 Opferkrisen in unserer heutigen Zeit
    3.3.1 Ödipus im Bürgerkrieg
    3.3.2 Symmetrien der Gewalt in Incendies/DIE FRAU DIE SINGT: Enthüllung künstlicher Differenzen im Medium des Films
    3.3.3 Über Mutter- und Vaterschaft: Kindesopfer und Konflikte im Mikrokosmos des privaten Raumes
    3.4 Aufdeckung systemischer Gewalt und die Grenzen der Integralen Realität
    3.4.1 „Ciel dense des voix humaines“: Simultaneität und Virtualität, mythische Polyphonie, Sadismus und Obszönität
    3.4.2 Objektive Gewalt in Form von Kollektivdruck
    3.4.3 Repressive Maßnahmen zur präventiven Abwehr von gesellschaftsbedrohender Gewalt
    3.5 Ritualisierte Mimesis: Gedächtnis und Erinnerung in Ritual und Kunst
    3.5.1 Bestattungsrituale und ihre Katharsis
    3.5.2 Das Schweigen brechen: Wege der Verständigung mit dem Anderen und die zentrale Funktion des mythischen Erzählens
    3.5.3 Fiktionsironie und Meta-Ebene: zur Rolle der (Theater-)Kunst in der Tetralogie
  4. Die metatheatralen Mythendramen von Olivier Py
    4.1 Die Konfrontation des Menschen mit dem Absolutismus der Wirklichkeit
    4.1.1 Das mythologische Material für Pys bricolage
    4.1.2 Mythische Grenzerfahrungen: Tod, Trennung, Krankheit
    4.1.3 Orpheus und die Macht der Poesie: Initiation und performative Arbeit am Mythos
    4.2 Die menschliche Konstruktion der gewaltsamen Wirklichkeit
    4.2.1 Die Definition des „Bösen“ in Olivier Pys Dramen
    4.2.2 Mimetisches Begehren als Movens des (gewaltsamen) Handelns: Konstellationen mimetischer Rivalität in L‘Apocalypse joyeuse
    4.2.3 Inzest und Vater-Sohn-Konflikte in Les Enfants de Saturne
    4.2.4 Vererbte Gewalt: generationelle Konflikte in L’Exaltation du labyrinthe
    4.3 Obszönität, Sadismus, Käuflichkeit: das Gemach der Prostituierten als Raum des Simulakrums
    4.3.1 Lavinias Loge: dionysische Orgien in Le Visage d’Orphée
    4.3.2 Circés Bordell und die Funktion der Puppe in L’Apocalypse joyeuse
    4.3.3 Die Liebesgöttin Cythère und ihre Doppelgängerin in Les Vainqueurs
    4.4 Entdifferenzierung, Krise und systemische Gewalt in hyperrealen Gesellschaften
    4.4.1 Suche nach einem neuen Arkadien: die Instabilität der Gesellschaftsmodelle in Les Vainqueurs
    4.4.2 Der Zerfall von Saturnes Reich in Les Enfants de Saturne
    4.4.3 Kirkes Schweinemob: Entdifferenzierung und Gewalt im Sardinenstaat von L’Apocalypse joyeuse
    4.5 Dominanz der theatralischen Perspektive: Meta-Ebene und Performanz
    4.5.1 Rollenspiele, Theater im Theater und die theatralische Inszenierung der dramatischen Intrigen durch teuflische Spielleiterfiguren
    4.5.2 Der Einfluss von Paul Claudel: Heiliges und Burleskes, das Opfer von Don Rodrigue und die theatralische/lyrische Öffnung des Dramatischen zum Symbolischen
    4.5.3 Transformation und Performanz: Theater als Ort der Mimesis, der kollektiven Erinnerung und der Erfahrung der „différence“
  5. Zusammenfassung und Ausblick auf weitere (post)dramatische Mythenbearbeitungen

Anmerkungen

keine

Ersteller des Eintrags
Lisa Evertz
Erstellungsdatum
Mittwoch, 02. Mai 2018, 13:45 Uhr
Letzte Änderung
Freitag, 04. Mai 2018, 13:43 Uhr