Die Ars minor des Aelius Donatus (Monographie)

Lateinischer Text und kommentierte deutsche Übersetzung einer antiken Elementargrammatik aus dem 4. Jahrhundert


Allgemeine Angaben

Autor(en)

Axel Schönberger

Verlag
Valentia
Stadt
Frankfurt am Main
Publikationsdatum
2008
Auflage
1
Reihe
Bibliotheca Romanica et Latina, Band 6
ISBN
978-3-936132-31-1 ( im KVK suchen )
Thematik nach Sprachen
Sprachübergreifend, Latein
Disziplin(en)
Sprachwissenschaft, Latinistik
Schlagwörter
Grammatikographie

Exposé

Wie bereits an anderer Stelle angekündigt, sollen für Studenten insbesondere der Romanischen Philologie mit heute oft eher geringen Lateinkenntnissen alle zentralen Texte der antiken lateinischen Grammatiker durch Übersetzungen und Kommentare zugänglich gemacht werden (1). Die hier vorgelegte Ars minor des Donat aus dem vierten nachchristlichen Jahrhundert, eigentlich eine in Dialogform abgefaßte Einleitung zu seiner kurzen lateinischen Grammatik, ist lediglich ein sehr knapper und auch nicht vollständiger Abriß für den Elementarunterricht, zählt aber in Verbindung mit seiner Ars maior durchaus zu den in der Tradition der Spätantike und des Mittelalters wirkungsmächtigen lateinischen Grammatiken.

Mit der umfangreichen Studie von Louis Holtz (1981) liegt zwar bereits eine moderne Textedition sowie ein ausführlicher wissenschaftlicher Kommentar beider Artes des Donat vor, aus Gründen der Vollständigkeit werden aber auch diese Werke in das Vorhaben, die Texte der Grammatici Latini für des Deutschen mächtige Studenten aufzubereiten, einbezogen.

Als Textgrundlage wird die von Heinrich Keil im vierten Band der Grammatici Latini veröffentlichte Ausgabe zugrundegelegt, allerdings an einigen Stellen auch abgeändert. Keils Text ist im Anhang facsimiliert nachzulesen. Die sich an den deutschen Leser richtende zusätzliche Gliederung, wie sie heutigen Darstellungsgewohnheiten eher entspricht, soll verdeutlichen, welches Gliederungsprinzip dem kaiserzeitlichen Text implizit zugrundeliegt.

Beschreibungsgegenstand der donatschen Grammatik ist nicht etwa die keineswegs genormte regionale Umgangssprache seiner Zeit, sondern die im vierten nachchristlichen Jahrhundert gebräuchliche, überregionale Standardsprache für sowohl anspruchsvolle schriftsprachliche Verwendung wie auch für den mündlichen Gebrauch in vielerlei Situationen. Diese zwar lebendig tradierte, aber von der eigentlichen, diatopisch bereits differenzierten lateinischen Volkssprache seiner Zeit abweichende Varietät des Lateinischen geht im wesentlichen auf dessen schriftsprachliche Verwendung zur Zeit der ausgehenden Republik und des beginnenden Kaisertums zurück, wurde indes jedoch fortwährend vor allem in der Lexik und auch Phonetik verändert. Es ist davon auszugehen, daß sie auch von Analphabeten passiv noch weitestgehend verstanden wurde, diese aber bereits mindestens seit dem ausgehenden zweiten nachchristlichen Jahrhundert wohl nicht mehr in der Lage waren, im Sinne der Hochsprache in jeder Beziehung ‘grammatisch richtig’ zu sprechen. Die seit Anbeginn der römischen Expansion angelegte diatopische Ausdifferenzierung des Lateinischen konnte ebensowenig wie der historische Sprachwandel rückgängig gemacht werden, das beinahe flächendeckende Schulsystem und der hohe Alphabetisierungsgrad der freigeborenen männlichen Bevölkerung ermöglichten es jedoch, die ältere Sprachform in lebendigem Gebrauch zu halten. Aus praktischen Gründen war die damalige Vorgehensweise, in der Schriftsprache und der Wissenschaftssprache der Gelehrten einen früheren Sprachzustand großenteils zu konservieren und nur partiell weiterzuentwickeln, naheliegend und nützlich. Sie führte dazu, daß seit dem dritten vorchristlichen Jahrhundert bis heute eine schriftsprachliche lateinische Tradition besteht, die zwar durchaus unterschiedliche Epochen mit ihren jeweiligen Besonderheiten und Veränderungen aufweist, aber doch für jeden, der dieses Latein lernt, relativ leicht verständlich und zugänglich ist. Nur wenige andere Sprachen in der Welt wie etwa Sanskrit waren und sind über einen vergleichbar langen Zeitraum in schriftsprachlichem Gebrauch gewesen. Daß der im 11. oder 12. Jahrhundert lateinisch schreibende Portugiese oder Spanier eine andere Sprache als Muttersprache sprach als die, die er schrieb, ist evident; dies gilt in freilich weitaus geringerem Ausmaße auch für viele Texte der Kaiserzeit ab etwa der zweiten Hälfte des 2. nachchristlichen Jahrhunderts bis zum Ende der Antike, die bisweilen auch Einsprengsel der damals gesprochenen Sprache enthalten und dieser noch relativ nahestehen.

Es mag auf den ersten Blick anachronistisch anmuten, trotz der zur Zeit Donats bereits erfolgten phonetischen und phonologischen Veränderungen der damaligen lateinischen Volkssprache den lateinischen Beispielwörtern Quantitäten der Sprachnorm der ausgehenden Republik und frühen Kaiserzeit zugrundezulegen. Da Donat jedoch insbesondere die Sprache dieser Zeit beschreibt, erscheint es durchaus nicht unangebracht, den älteren Lautstand anzugeben, obgleich in der Umgangssprache seiner Zeit wohl niemand mehr etwa die 1. Person Singular Indikativ Präsens Aktiv der Verben mit einem zweimorigen [o:] zu sprechen gewohnt war, sondern dieses auslautende -o vielmehr einfach nur geschlossen und – wie das offene [ɔ] – lediglich einmorig gesprochen worden sein dürfte (2).

Die moderne deutsche Vorgehensweise, das ‘klassische’ Latein vor allem auf dem schriftsprachlichen Gebrauch bestimmter Autoren – meist Caesar und Cicero – basieren zu lassen, ist dem antiken Usus ähnlich. Den antiken Grammatikern war Caesar indes kein sprachliches oder stilistisches Vorbild, der erste Rang gebührte Vergil, und nach ihm kamen eine Reihe weiterer Autoren, zu denen auch Cicero zählte; Caesar galt weder als besonderer Autor noch als stilistisches Vorbild. Will man die jahrtausendealte Tradition lateinischer Schriftsprachigkeit verstehen, muß man sich von modernen Vorstellungen vermeintlicher Klassizität lösen und das im antiken Grammatikunterricht vermittelte Latein sowie dessen literarische Grundlagen analysieren. Aber auch zur kaiserzeitlichen Umgangssprache verschiedener Jahrhunderte vermag man aus dem überlieferten Corpus der Grammatici Latini vieles zu gewinnen und zu erschließen.

Die beiden Artes des Donat mögen aufgrund ihrer Kürze auch heute noch eine gute Einführung in das Grammatikverständnis der Alten sein, so daß das Distichon des Joannes Glandorpius, das der von Andreas Thierfelder bearbeiteten elften Auflage 1953 des Repetitoriums der lateinischen Syntax und Stilistik von Hermann Menge (3) vorangestellt ist, auch im 21. Jahrhundert seine Gültigkeit bewahrt:

Discite Donatum, pueri, puerilibus annis,
ne spretus iuuenes uos notet atque senes (4).

Leipzig, im September 2008
Axel Schönberger

Anmerkungen:

(1) Vgl. die Vorbemerkung zu Axel Schönberger: Priscians Darstellung der lateinischen Präpositionen: lateinischer Text und kommentierte deutsche Übersetzung des 14. Buches der Institutiones Grammaticae, Frankfurt am Main: Valentia, 2008, S. 7-16. Diesem Ziel dienen auch die nach scholastischem Vorbild vorgenommene Untergliederung des Textes sowie der tabellarische Satz der Formenreihen. Zu Beispielwörtern und Formen wird für Leser mit geringen Lateinkenntnissen eine (in vielen Fällen lediglich auf das Wesentliche beschränkte) Auswahl möglicher deutscher Übersetzungsäquivalente angemerkt.
(2) In der antiken Metrik sprach man in der Regel von tempora und unterschied lange (zweimorige) Silben mit zwei tempora von kurzen (einmorigen) Silben mit einem tempus.
(3) Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 191990.
(4) Tayeb Adnane (Lessing-Gymnasium, Frankfurt am Main), dem ich für sein genaues Lektorat vorliegenden Buches danke, las selbst die Ars minor Donats erstmals bereits im Alter von elf Jahren als Quintaner. Bei grundständigem Lateinunterricht, der in der Sexta beginnt, scheint mir dies genau die richtige Altersstufe für eine erste Begegnung mit der antiken Lateingrammatik zu sein, wenn man heutigen Schülern fundierte Sprachkenntnisse des Lateinischen vermitteln möchte.

Inhalt

Textprobe
(ohne die zugehörigen Anmerkungen und Vokalquantitäten):

3 Vom Verb

[3.1 Definition des Verbs]

Was ist ein Verb? Ein Redeteil mit temporaler und personaler Markierung ohne Deklination, das ausdrückt, daß man entweder etwas tut oder erleidet oder keines von beiden.

[3.2 Die Akzidentien des Verbs]

Welche Akzidentien kommen dem Verb zu? Sieben. Welche? Qualität, Konjugation, Genus, Numerus, Figur, Tempus und Person.

[3.3 Beschreibung der Akzidentien des Verbs]

[3.3.1 Qualität der Verben]

Worin liegt die Qualität der Verben? In den Modi und Formen. Welche Modi gibt es? Den Indikativ, wie lego (56), den Imperativ, wie lege (57), den Optativ, wie utinam legerem (58), den Konjunktiv, wie cum legam (59), den Infinitiv, wie legere (60), den Impersonalis, wie legitur (61). Wieviele Formen der Verben gibt es? Vier. Welche? Die perfekte, wie lego, die meditative, wie lecturio (62), die frequentative, wie lectito (63), die inkohative, wie feruesco (64), calesco (65).

[3.3.2 Konjugation der Verben]

Wieviele Konjugationen der Verben gibt es? Drei. Welche? Die erste, zweite und dritte.

Welche ist die erste? Diejenige, die in der 2. Person Singular Indikativ Präsens beim aktiven und neutralen Verb vor dem letzten Laut ein langes a hat, beim passiven und mediopassiven Verb sowie beim Deponens vor der letzten Silbe, wie amo – amas (66), amor – amaris (67); und sie bildet das Futur desselben Modus auf die Silbe bo und bor, wie amo – amabo (68), amor – amabor (69).

Welches ist die zweite Konjugation? Diejenige, die in der 2. Person Singular Indikativ Präsens beim aktiven und neutralen Verb ein langes e vor dem letzten Laut hat, beim passiven und mediopassiven Verb sowie beim Deponens vor der letzten Silbe, wie doceo – doces (70), doceor – doceris (71); und sie bildet das Futur desselben Modus auf -bo und bor, wie doceo – docebo (72), doceor – docebor (73).

Welches ist die dritte Konjugation? Diejenige, welche in der 2. Person Singular Indikativ Präsens beim aktiven und neutralen Verb ein kurzes i oder ein langes i vor dem letzten Laut, beim passiven sowie mediopassivem Verb und beim Deponens ein kurzes e oder ein langes i anstelle des [kurzen] /i/ vor der letzten Silbe hat, wie lego legis (74), legor legeris (75), audio audis (76), audior audiris (77); und sie bildet das Futur desselben Modus auf am und ar, wie lego legam (78), legor legar (79), audio audiam (80), audior audiar (81). Diese können am Imperativ und Infinitiv sofort unterschieden werden, ob der Laut i kurz oder lang ist. Denn ein kurzer Laut i wird zu e gewandelt; falls er lang ist, wird er nicht verändert. Wann bildet die dritte Konjugation das Futur nicht nur auf am, sondern auch auf bo? Bisweilen, wenn sie keinen kurzen, sondern einen langen i-Laut aufweist, wie eo – is – ibo (82), queo – quis – quibo (83).

[3.3.3 Die Genera verbi]

Wieviele Genera verbi gibt es? Fünf. Welche? Aktive, passive, neutrale, mediale [Deponentien] und mediopassive Verben.

Welche sind die aktiven Verben? Diejenigen, die auf o ausgehen und nach Hinzufügung des Lautes r aus sich passive Verben bilden, wie lego → legor.

Welche sind die passiven Verben? Diejenigen, die auf r ausgehen und nach dessen Wegnahme wieder zu aktiven Verben werden, wie legor → lego.

Welche sind die neutralen Verben? Diejenigen, die wie die aktiven auf o ausgehen, aber im Falle einer Hinzufügung des Lautes r keine lateinischen Verben sind, wie sto (84), curro (85): Wir sagen nämlich nicht *stor (86), *curror (87).

Welche sind die medialen Verben [Deponentien]? Diejenigen, die wie die passiven auf r ausgehen, aber im Falle seiner Auslassung keine lateinischen Verben sind, wie luctor (88), loquor (89).

Welche sind die mediopassiven Verben? Diejenigen, die wie die medialen Verben [Deponentien] auf r ausgehen, aber zwei Formen aufweisen, die eines Leidenden und die eines Tätigen, wie osculor (90), criminor (91): Wir sagen nämlich osculor te (92) und osculor a te (93), criminor te (94) und criminor a te (95).


Anmerkungen

Erste kommentierte Übersetzung der Ars minor ins Neuhochdeutsche.

Ersteller des Eintrags
Axel Schönberger
Erstellungsdatum
Freitag, 08. Januar 2010, 11:12 Uhr
Letzte Änderung
Sonntag, 10. Januar 2010, 13:21 Uhr