Literarische Stadtutopien zwischen totalitärer Gewalt und Ästhetisierung (Veranstaltungsprojekt)


Allgemeine Angaben

Projektbeginn
Mittwoch, 29. September 2010
Projektende
Samstag, 02. Oktober 2010
Status
abgeschlossen
Thematik nach Sprachen
Französisch
Disziplin(en)
Literaturwissenschaft
Schlagwörter
Raumtheorie, Utopiegeschichte, Urbanistik, Totalitarismus

Aktiv beteiligte Person(en)

(z.B. Kooperation, Mitarbeiter, Fellows)

Barbara Ventarola


Exposé

Wenngleich die „U-Topie“ zunächst den Nicht-Ort und damit die Distanznahme von konkreten Lebenswelten bezeichnet, fällt doch die enge historische Verbindung zwischen dem utopischen Diskurs und dem Stadtdiskurs auf. Seit Platon und Morus wird der Entwurf des vollkommenen menschlichen Zusammenlebens vor allem anhand von Stadtdarstellungen visualisiert. Als völlig menschengemachter Lebensraum kann der städtische Raum gleichsam als materielle Synekdoche und höchste Verdichtung der Prinzipien des Zusammenlebens begriffen werden. Damit ist neben der Visualisierung auch die performative Seite der Utopie angesprochen, denn entgegen Foucaults Einschätzung in Les mots et les choses dient die utopische Entortung immer auch einer versuchten Relokalisierung. Die Visualisierung des Anderen ist auf das Engste mit einer versuchten performativen Einwirkung auf gegebene historische Realitäten verbunden. Diese oszillierende Performanzstruktur des utopischen (Stadt-)Diskurses wurde bislang allerdings noch nicht genügend problematisiert. Entweder wird sie im Eskapismus- und Ästhetisierungsparadigma ausgeblendet oder allzu schnell mit Totalisierung, Indoktrination und Gewalt gleichgesetzt, zu der utopische Ideale mit ihren Ausschließlichkeitsansprüchen zweifellos neigen. Damit wird der ‚realen‘ Vielfalt der möglichen Zuordnungen von Performanz und Ästhetik allerdings nicht genügend Rechnung getragen, was in der jüngeren Zeit dazu führte, dass das „utopische Prinzip“ (Bloch) durch die allzu strikte begriffliche Festlegung letzten Endes aus der Lebenswelt ausgeschlossen wurde.
Dies soll Anlass sein, in der geplanten Sektion am Beispiel französischsprachiger literarischer Stadtentwürfe die Geschichte des utopischen Diskurses erneut in den Blick zu nehmen und – auch unter Berücksichtigung von eher heterodoxen Stadtutopien – dessen Lebensweltbezug stärker zu fokussieren. Als Leitfaden der Untersuchung sollen drei Fragekomplexe dienen: 1) Wie wird anhand der Gestaltung städtischer Räumlichkeit das Verhältnis von Individualität/Subjektivität und Kollektivität bzw. von Homogenität und Heterogenität verhandelt und gegenüber offiziellen (Utopie-)Diskursen verschoben? 2) Welche Beziehung wird jeweils zwischen Raum und Gewalt hergestellt? 3) Wie wird das Verhältnis von Ästhetik und Funktion, Visualisierung und Performanz organisiert, und welche Möglichkeiten und Verfahren der extraliterarischen Realisierung des utopischen Entwurfs werden angeboten bzw. exploriert?
Die Zielsetzung der Sektion ist sowohl historisch als auch zukunftsorientiert: Auf der einen Seite soll die anvisierte Relektüre dazu dienen, das gängige historische Ästhetisierungsparadigma (vgl. Voßkamps Trias von „Raumutopie“ – „Zeitutopie“ – „Ermöglichungsutopie“ sowie Fohrmanns Konzept der Selbstreferentialisierung der Utopie) auszudifferenzieren und orthodoxe (Stadt-)Utopien kritisch auf ihre gewaltsame Besetzung von Räumen zu befragen. Dies soll es auf der anderen Seite ermöglichen, Parameter eines ‚anderen‘, a-dogmatischen, nicht-doktrinären und post-teleologischen Utopismus aufzuspüren, mit deren Hilfe das utopische Imaginieren als ein „Über-das-Bestehende-Hinausgehen“ nicht nur literarisch, sondern auch im Sinne eines „theoretischen Engagements“ (Bhabha) bzw. einer Literaturwissenschaft als (Über)-Lebenswissenschaft (Ette) wieder zukunftsfähig gemacht werden kann.
Die Beiträge entstammen sämtlichen Epochen der Geschichte französischsprachiger Literatur. Untersuchungen, die eher allgemeine theoretisch-methodische Fragestellungen verfolgen, sind ebenso enthalten wie konkrete Fallstudien, die verschiedene interkulturelle, intertextuelle und intermediale (Beobachtungs-)Konstellationen in den Blick nehmen. Auch Fragen der historischen Re-Periodisierung und des Verhältnisses zwischen Krisenerfahrungen und Utopiekonzepten werden behandelt.


Anmerkungen

Sektion auf dem 7. Frankoromanistentag 2010 (Universität Duisburg-Essen)

Ersteller des Eintrags
Barbara Ventarola
Erstellungsdatum
Mittwoch, 05. November 2014, 15:26 Uhr
Letzte Änderung
Mittwoch, 05. November 2014, 15:26 Uhr