Reinhard Kiesler (1960-2015)

Mit dem frühen Tod Reinhard Kieslers verliert die Würzburger Romanistik einen in jeder Hinsicht vielseitigen Vollromanisten, der in Forschung und Lehre, vor allem aber als Mensch sehr schmerzlich vermisst werden wird. Reinhard Kiesler studierte an den Universitäten Würzburg, Salamanca, Lissabon und Hull (England) Iberoromanische Philologie, Anglistik und Islamwissenschaften und promovierte bei Prof. Theodor Berchem mit einer Arbeit zum Thema Sprachliche Mittel der Hervorhebung in der modernen portugiesischen Umgangssprache (1989 erschienen im Winter Verlag Heidelberg).

Seine profunden Kenntnisse der arabischen Einflüsse auf die (ibero)romanischen Sprachen manifestierten sich zu Beginn der 1990er Jahre in einer Reihe von Publikationen zu lautlichen und lexikalischen Merkmalen im Katalanischen, Portugiesischen und Spanischen und führten schließlich zur Veröffentlichung eines eigenen Wörterbuchs zu den Arabismen im Jahre 1994 (Kleines vergleichendes Wörterbuch der Arabismen im Iberoromanischen und Italienischen ; erschienen im Francke Verlag Tübingen). Neben Studien, die den Wortschatz sowie das Lehngut („Es zeigt sich, dass der Einfluss der Kirche sogar stärker sein kann als der des Englischen!“) der romanischen Sprachen näher beleuchteten, galt sein Forschungseifer der Beschreibung der romanischen Umgangssprachen in Bezug auf die Syntax. Er habilitierte sich daher im Jahr 2000 mit einer kontrastiven Arbeit zur Syntax der diaphasisch niedrig markierten Varietäten in den romanischen Sprachen (Zur Syntax der Umgangssprache: Vergleichende Untersuchungen zum Französischen, Italienischen und Spanischen; 2013 überarbeitet erschienen in der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft Darmstadt). Dabei kommt er u.a. zu dem Ergebnis, dass die syntaktischen Strukturen der umgangssprachlichen Varietäten eine vergleichsweise größere Übereinstimmung aufweisen als diejenigen der Hochsprachen.

Reinhard Kieslers Faszination für das Gesprochene erstreckte sich jedoch nicht nur auf die synchrone Beschreibung der romanischen Sprachen. Seine Einführung in die Problematik des Vulgärlateins (2006 erschienen im Niemeyer Verlag Tübingen) liefert Studierenden wie Lehrenden der Romanistik eine umfassende Gesamtdarstellung des Vulgärlateinischen als historischer Basis der heutigen romanischen Sprachen, an die sich seit den Zeiten Karl Vosslers kein weiterer deutschsprachiger Romanist herangewagt hatte. Sein breites Wissen im Zusammenhang mit dem Sprachkontakt Arabisch-Latein im Mittelalter brachte er seit 2005 als Mitarbeiter der Lichtenberg-Professur für Philosophie- und Wissenschaftsgeschichte der griechisch-arabisch-lateinischen Tradition am Institut für Philosophie der Universität Würzburg in das Teilprojekt „Arabic and Latin Glossary“ mit ein.

Seine durch und durch didaktisch geprägte wissenschaftliche Ausrichtung, gepaart mit einem tiefgreifenden Verständnis für die Belange von Romanistik-Studierenden, veranlasste ihn, eine Einführung in die Satzanalyse auszuarbeiten. Diese legte er wiederum übereinzelsprachlich an, um so auch Studierenden der Einzelphilologien die gesamtromanischen Zusammenhänge zu veranschaulichen und sie zum Selbststudium zu ermuntern. Dieses Projekt konnte er kurz vor seinem Tod noch abschließen (Sprachsystemtechnik – Einführung in die Satzanalyse für Romanisten; 2015 erschienen im Winter Verlag Heidelberg).

Trotz seiner Begeisterung für die romanischen Sprachen und seiner großen Schaffenskraft wurde Reinhard Kiesler nie auf einen Lehrstuhl berufen. Er vertrat Professuren an den Universitäten in Münster, Gießen und Jena sowie von 2012 bis zu seinem Tod den vakanten Lehrstuhl für Romanische Sprachwissenschaft an der Universität Würzburg. Seiner Leidenschaft für das Fach tat die unsichere berufliche Situation keinen Abbruch. Im Gegenteil: Den Kollegen, die mit ihm zusammenarbeiten durften, und den Studierenden, die er mit großem persönlichem Einsatz betreute, war er ein wissenschaftliches wie menschliches Vorbild. Er war ein ausgezeichneter Kenner und Lehrer der romanistischen Sprachwissenschaft und konnte sich für die unterschiedlichsten Themen und Anregungen von Studentenseite begeistern. Sein allseits bekanntes Diktum „Schlagen Sie das mal nach …!“ wurde stets als ein freundlicher und Interesse weckender Rat verstanden. Sein feinsinniger Humor, seine Liebe zu sprachlichen Details, seine Fürsorge und sein bescheidenes Auftreten werden über seinen Tod hinaus wirken.

In der Tradition Eugenio Coserius wollte Reinhard Kiesler die Sachen immer so sagen, wie sie sind. Unermüdlich bis zum Ende hatte er bereits mit den Arbeiten an einem neuen Buch begonnen. Er hätte noch viele Sachen zu sagen gehabt …

Reinhard Kiesler ist am 9. September 2015 nach kurzer und schwerer Krankheit viel zu früh von uns gegangen.

Robert Hesselbach, Würzburg

Beitrag von: Robert Hesselbach

Redaktion: Robert Hesselbach