Stadt: Regensburg

Frist: 2017-01-06

Beginn: 2017-10-08

Ende: 2017-10-12

Sprachwissenschaftliche Sektion beim XXXV. Romanistentag des DRV: „Dynamik, Begegnung, Migration“, Zürich 2017

Prosodie und konzeptionelle Variation. Kommunikationsbedingungen, Planungsgrad und Aktivitätstypen als Parameter prosodischer Gestaltung

Sektionsleitung: Alexander Teixeira Kalkhoff (Regensburg), Maria Selig (Regensburg), Christine Mooshammer (Berlin)

Als Marie-Annick Morel und Laurent Danon-Boileau 1998 ihre „Grammaire de l’intonation“ vorstellten, formulierten sie ein prosodisches Modell, das sich konsequent von der Orientierung an etablierten syntaktischen Einheiten löst und die Funktionsbestimmung und Abgrenzung prosodischer Phänomene ausschließlich von gesprächsanalytischen Gesichtspunkten ableitet. Zentral ist ihre Einsicht, dass die Konstitution des „Paragraphe oral“ wesentlich von der abschließenden Kontur, in ihrer Terminologie „Rhème“, geleistet wird, die alle vorausgehenden Elemente, unbesehen ihres syntaktischen Statusʼ und ihrer Komplexität, retrospektiv als „Préambule“, d.h. als ‚Auftakt‘, zusammenordnet (Morel & Danon-Boileau 1998: 21-36). Auch der Germanist Peter Auer deutet im Rahmen seiner „online-Syntax“ eine Verortung der Prosodie auf der makrosyntaktischen, d.h. textsyntaktischen, Planungsebene an (Auer 2010: 41).

Es dürfte kein Zufall sein, dass beide Ansätze auf der Analyse sprechsprachlicher, im gesprächsanalytischen Kontext erhobener Korpora basieren. Das ist insofern bemerkenswert, als die prosodische Theorieentwicklung der letzten Jahrzehnte häufig auf semispontane, in Laborsituationen generierte Sprachdaten zurückgriff und die aus dem experimentellen Design resultierenden Merkmale ihrer Datenbasis nicht immer ausreichend thematisierte. Dies betrifft etwa die fehlende Einbettung in einen sich entwickelnden Text-/Gesprächszusammenhang und das damit verbundene Ausblenden zentraler Aspekte der syntaktisch-diskursiven Planung. Weitere Probleme ergeben sich aus der Einschränkung der thematischen und pragmatischen Variation durch das experimentelle Design, vor allem aber durch die mit den Elizitierungsstrategien und der Laborsituation verbundene Veränderung der ‚natürlichen‘ Kommunikationsbedingungen. Untersuchungen, die sprechsprachliche Korpora nutzen, haben allerdings immer wieder gezeigt, dass die Entscheidung für interaktive, thematisch nicht gelenkte und online formulierte Sprachdaten die prosodische Theoriebildung wesentlich beeinflusst (vgl. etwa Bergmann 2009; Schaefer 2013; Moroni 2016) und deshalb weit mehr ist als die Erweiterung der empirischen Basis um einen zusätzlichen Datentypus (so Kügler et al. 2009: 9).

Wir schlagen deshalb vor, von dieser ersten vorläufigen Bestandsaufnahme ausgehend, die Verflechtung von Prosodie und konzeptioneller Variation (Koch & Oesterreicher 2011) weiter zu verfolgen und zu fragen, inwieweit die prosodische Forschung die Variation der Kommunikationsbedingungen, der Planungsgrade, der Aktivitätstypen (Levinson 1979) und der Textsorten/Diskurstraditionen systematisch in ihre empirische Forschung und ihre Theoriebildung einbetten muss.

Wichtige Forschungsfragen wären unseres Erachtens:

  • Welche Herausforderungen stellen sprechsprachliche Korpusdaten an die prosodische Theoriebildung? Wie kann eine datengetriebene Prosodiemodellierung auf der Grundlage derartiger Korpora aussehen?
  • In welchem Verhältnis stehen Labordaten und Korpora? Sind experimentelle Designs und deskriptiv orientierte Auswertungen von sprechsprachlichen Gesprächskorpora komplementär einsetzbar?
  • Inwieweit lassen sich sprechsprachliche Korpusdaten mit dem Modell einer Prosodie-Syntax-Schnittstelle vermitteln?
  • Wie muss die Prosodieforschung auf die teilweise erhobene Forderung nach einer spezifischen Syntax der gesprochenen Sprache reagieren? Kann man den Gedanken der syntaktischen Projektion (Antizipation) bzw. des syntaktischen Inkrements (Retrospektion) für die prosodische Analyse nutzbar machen (Auer 2009; Auer 2010)?
  • Wie ist vor dem Hintergrund der Multimodalität sprechsprachlicher Interaktion die weitverbreitete Beschränkung prosodischer Forschung auf die Intonation im engeren Sinne (F0) zu beurteilen? Ist diese analytische Ausgrenzung der Intonation im Interesse einer Formalisierung der Beschreibungssprache notwendig (Frota & Prieto 2015)?
  • Wie lassen sich die Funktionsbereiche prosodischer Gestaltung in der Interaktion (Phrasierung und Kohärenzsicherung, Prominenzbildung, Gesprächssteuerung in unterschiedlichen „activity types“ etc.) miteinander vermitteln?
  • Gibt es prosodische ‚Normalformen‘ und wie können diese ermittelt werden? Oder weist die hohe Variabilität sowohl zwischen den Sprechern als auch zwischen den Sprechsituationen auf einen prinzipiell anderen Formalisierungsgrad prosodischer Strukturen hin?

Wir sind offen für Beiträge aus den unterschiedlichsten theoretischen und empirischen Richtungen. Bitte senden Sie Ihr Abstract (ca. 300 Wörter) zu einem 30-minütigen Vortrag sowie eine kurze biographische Notiz bis spätestens zum 06.01.2017 per Email an alexander.teixeira-kalkhoff@ur.de. Vortragssprachen sind Englisch, Französisch und Deutsch. Es ist eine Publikation der Sektionsbeiträge geplant.