Stadt: Saarbrücken

Frist: 2017-05-12

Beginn: 2017-09-27

Ende: 2017-09-29

Dietmar Hüser, Universität des Saarlandes
Call for Papers – Workshop, Villa Lessing, Saarbrücken, 27.-29.9. 2017

FILM-MACHT-FRANKREICH – Zur Präsenz und Rezeption des französischen Spielfilms im Deutschland der 1960er und 1970er Jahre

Eine Rezeptions- und Aneignungsgeschichte französischer Populärkultur der ersten Nachkriegsjahrzehnte liegt bislang weder für Deutschland noch für andere europäische Länder vor. Dabei hatte nicht allein Amerikanisches oder Britisches damals Konjunktur, auch Französisches faszinierte zahlreiche Menschen außerhalb des Hexagons: Kulturelles und Kulinarisches, Mode und Lifestyle, selbst Politisches wie etwa das offenbar intakte republikanische Nationsmodell machten neugierig, galten mitunter als vorbildlich: gerade beim deutschen Nachbarn. Im bunten Spektrum populärer Künste, seien es diverse Chanson-Sparten oder eben Spielfilme, korrelierte offenbar das Attraktionspotential etlicher französischer Stars, Genres und Szenen mit einer großen Offenheit gegenüber Neuem und Nicht-Einheimischem unter jungen Leuten im Nachkriegsdeutschland und ließ die Verflechtungsbilanz filmischer Transfers asymmetrisch zugunsten Frankreichs ausfallen. Dass manche kulturelle “Grenzüberschreitung” eher das Lebensgefühl “einer frankophil disponierten Minderheit” (Marieluise Christadler) traf, sagt wenig darüber aus, wie eindringlich, wirkungsvoll und nachhaltig dies dennoch lebensweltlich prägen und Verstärkereffekte in Deutschland zeitigen konnte. Auch wenig darüber, ob wichtige Impulse für Wertewandel und Informalisierungstrends, die amerikanischer und britischer Populärkultur für die 1950er, 1960er und 1970er Jahre gern zugeschrieben werden, nicht auch aus anderen europäischen Ländern und nicht zuletzt aus Frankreich stammten.

FILM-MACHT-FRANKREICH” setzt da an und betont einerseits die gewichtige Rolle des septième art-Landes im europäischen Nachkriegskino, andererseits die rezeptions- und perzeptionshistorische Dimension laufender Bilder aus und über Frankreich: französische Filme in Deutschland, die im Zuge selektiver und transformativer Aneignung relevante Elemente einer gesellschaftlich “gemachten” Realität “Frankreich” freilegen können, zugleich die politisch-kulturelle und sozio-strukturelle Bedingtheit solcher Wahrnehmungsmuster. Der geplante Workshop bildet den Abschluss des DFG-Projekts “Filme(n) für eine ‘bessere Welt’ – Filmkritik und Gesellschaftskritik im Westeuropa der Nachkriegszeit in Vergleich, Transfer und Verflechtung”, das zwischen 2013 und 2016 an der Universität Kassel, später an der Universität des Saarlandes angesiedelt war und das sich vornehmlich auf Filmschaffen, Filmkritik und nonkonformistische Filmkultur im Italien und Westdeutschland der 1950er und 1960er Jahre konzentriert hat. Der Workshop möchte das Themenfeld dreifach ausweiten: räumlich auf Frankreich, das sich damals als wichtigste Inspirationsquelle und Plattform der europäischen Filmlandschaft etablierte; zeitlich auf filmhistorisch lange 1970er Jahre bis zu den Anfängen cinéma de la télévision (René Prédal); inhaltlich auf Mainstream-Produktionen, die ohne ausdrücklich sozial- oder politikkritische, ohne avantgardistische filmtechnische oder ästhetische Ambitionen auskamen. In den Blick geraten soll das ganze Spektrum französischer Filmkultur, für das gestern wie heute das Internationale Filmfestival in Cannes stand und steht sowie sein fortwährender Spagat zwischen Kommerz- und Autorenkino.

Leitfragen und Erkenntnisinteressen der Saarbrücker Veranstaltung verweisen auf mehrere, miteinander verschränkte Forschungskontexte. Allgemein geht es – erstens – um transnationale Geschichte und deutsch-französische Kulturtransfers. Lange eher im Bereich von Hochkultur und Elitenaustausch in Zeiträumen vor 1945 angesiedelt, sind zuletzt auch populärkulturelle Mittler, Phänomene und Produkte in der Zweiten Nachweltkriegszeit verstärkt untersucht worden. Was französische Filme der 1960er und 1970er Jahre in Deutschland angeht, wird es dem Workshop zunächst darum gehen müssen, schlaglichtartig eine doppelte Bestandsaufnahme vorzunehmen: einerseits von Transferpraktiken zwischen Ausgangs- und Aufnahmeland, andererseits von Präsenz und Stellenwert der Filme und Genres, Künstlerinnen und Künstlern aus Frankreich in deutschen Kinos wie auch in anderen Sparten des eng vernetzten Medienensembles der Zeit: Radio und Fernsehen sowie Printmedien von der Tagespresse über Publikumszeitschriften bis hin zu Fachjournalen.

Auf der Folie solcher Transfers zielt “FILM-MACHT-FRANKREICH” – zweitens – darauf, eine weiter gern bemühte Amerikanisierung der (west-)deutschen Gesellschaft zu hinterfragen und mit einem innereuropäischen (Populär-)Kulturaustausch abzugleichen, der in den Nachkriegsjahrzehnten ebenfalls spürbar zunahm und Spuren hinterließ. Es erscheint alles andere als ausgemacht, dass die “Populärkultur der Welt” nach 1945 bis auf Sport amerikanisch gewesen oder provinziell geblieben sei (Eric J. Hobsbawm). Da zudem “Amerikanisches” vielfach eher place in the mind war, da Europäerinnen und Europäer, die dies wollten, verfügbare Angebote ausgewählt, genutzt und dabei wieder Eigenes, Europäisches “gebastelt” haben, wäre zu fragen, ob nicht auch für die Filmkultur gängige Amerikanisierungsgeschichten offener und differenzierter als Europäisierungs- oder transatlantische Verflechtungsgeschichten zu erzählen sind: mit “beiden symbolischen Hauptstädten: Paris und Hollywood” (Vanessa R. Schwartz).

Am Beispiel des französischen Films in Deutschland möchte der Workshop – drittens – Aussagen über das bilaterale Verhältnis in Gesellschaft und Kultur machen und besonders den Spezifika und Effekten populärkultureller Mittler-Phänomene und Mittler-Figuren nachspüren, die erst seit kurzem in den Fokus zeithistorischer Transferforschung geraten sind. Anders als beim schon breit durchleuchteten zivilgesellschaftlichen deutsch-französischen Austausch nach 1945 haben wir es beim Spielfilm nicht immer, aber häufig mit Produkten und Protagonisten zu tun, die im Kulturbetrieb tätig sind, ohne absichtsvoll verständigungspolitische Akzente setzen zu wollen. Zugleich fungieren aber Filme wie Akteure zwangsläufig als nicht-intentionale Mittler, die im Zuge grenzüberschreitender Übersetzung und Aneignung empirisch schwer fassbare Erwartungen, Vorstellungen, Repräsentationen generieren, hier eher stabilisieren, dort eher modifizieren. Nicht-intentionale Mittler der französischen Filmkultur näher zu benennen und deren mögliche Effekte – das Entstehen von Filmclubs etwa – zu diskutieren, soll ein Anliegen von “FILM-MACHT-FRANKREICH” sein.

Damit einher geht – viertens – der Versuch, sich den Chancen und Schranken einer Rezeptionsgeschichte französischer Filmkultur anzunähern und fallstudienartig Aneignungsprozesse – verstanden als Prozesse aktiver, selektiver und kreativer Sinnzuweisung durch einzelne Menschen oder gesellschaftliche Gruppen – zu analysieren: Lassen sich Aussagen machen, wer sich welche Filme und Genres aus dem Nachbarland anschaute, in welchen Formen und an welchen Orten, zu welchen Zeiten und in welchen Rhythmen dies geschah: individuell oder kollektiv, in Familie, unter Freunden oder in Fankreisen, im (Stamm-)Kino oder im Fernsehen, eher regelmäßig und seriell oder eher einmalig und eventhaft? Welche Motive lagen dem zugrunde? Welche Bedeutungszumessungen, welche alltagspraktischen Konsequenzen gingen darauf zurück? Und wie gestalteten sich Aneignungspraktiken im deutschen Ost-West-Vergleich, wo doch die Rahmungen ganz verschieden waren und in der DDR die Präsenz französischer Stars und Sternchen, die Anzahl der gezeigten Spielfilme oder auch der initiierten Ko-Produktionen viel geringer ausfielen.

Nicht alle Fragen wird der Workshop restlos beantworten, nicht in allen Forschungskontexten werden sich die Beiträge verorten können. Zugleich sollen sie als Leitlinien, als roter Faden für “FILM-MACHT-FRANKREICH” dienen und erste Pflöcke einschlagen in das Forschungsfeld einer Rezeptions- und Aneignungsgeschichte französischer Populär- und Filmkultur im Deutschland der frühen Nachkriegsjahrzehnte. Das Spektrum möglicher Vortragsthemen könnte breiter nicht sein. Denkbar sind z.B. Beiträge über die Transferprozesse und Mittlerfiguren, die Französisches oder auch Franko-Italienisches in den deutschen Verleih gebracht haben, über deutsch-französisch-europäische Cinéphilie- und Kritikernetzwerke, über Festivals als Drehscheiben für Produktionen und Austausch. Nicht weniger erwünscht sind Fallstudien über die öffentliche und mediale Rezeption, über individuelles oder gruppenspezifisches Aneignen der Filme selbst, der Genres und Stoffe, der Regisseure und Schauspieler sowie der Alltagspraktiken, Erfahrungen, Weltsichten, die sich damit verbanden. Weiter lassen sich Themen zur Rolle der – ganz verschiedenartigen – Kinos als Orte der Aneignung behandeln oder zu filmischen Frankreichbezügen im damaligen Medienensemble sowie konkreter zum Stellenwert des heimischen Fernsehens, dessen Relevanz als “Zweitdarbieter” eben auch französischer Filmkultur seit Mitte der 1950er Jahre niemand unterschätzen sollte. Auch komparatistisch angelegte Vorträge sind willkommen, fallstudienartige Vergleiche etwa von Produktionen aus Frankreich mit denen anderer Länder auf dem deutschen Markt oder auch Rezeptionsähnlichkeiten und Rezeptionsunterschiede zwischen BRD und DDR.

Die Einladung zum Saarbrücker Workshop richtet sich ausdrücklich auch an junge Forscherinnen und Forscher aus den Geschichts- und Kulturwissenschaften.
Die Beiträge sollten in deutscher Sprache verfasst und auf 20-25 Minuten Redezeit hin angelegt sein. Eine Publikation der schriftlichen Fassungen ist für 2018 geplant. “FILM-MACHT-FRANKREICH” wird dankenswerterweise von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziert, Teilnehmerinnen und Teilnehmer erhalten die Kosten für Reise und Unterkunft zurückerstattet.
Bitte senden Sie bis zum 12. Mai 2017 ein ca. ein- bis zweiseitiges Exposé Ihres Vortragsvorschlages samt Lebenslauf an Dietmar Hüser, Universität des Saarlandes (dietmar.hueser@uni-saarland.de) oder Felicitas Offergeld (felicitas.offergeld@uni-saarland.de).
Wir freuen uns über die eingehenden Vorschläge.

Beitrag von: Felicitas Offergeld

Redaktion: Marcel Schmitt