Cfa – Lettere aperte No 5

Ciao, Gideon – für eine kritische Auseinandersetzung mit dem Werk von Gideon Bachmann

«Ich habe die folgenden Seiten mehr oder weniger zufällig aus dem Tagebuch gewählt, weil mir schien, dass sie einen Eindruck vom Menschen Pasolini und nicht in erster Linie vom Filmemacher vermitteln». Mit diesen Worten beginnt der jüdische Journalist, Fotograf und Regisseur Gideon Bachmann das Tagebuch, in dem er 1975 seine Eindrücke von der Arbeit auf dem Set von Pier Paolo Pasolinis Salò o le 120 giornate di Sodoma (1975) verarbeitet. Genauso wie seine vor Ort realisierten Filminterviews gewährt Bachmanns Tagebuch einen speziellen Einblick in die Entstehung der kontroversen Verfilmung von De Sades Roman. Vor allem aber vermittelt es ein einzigartiges Portrait von Pasolini – einzigartig insofern, als der distanzierte Blick des Journalisten darin gedoppelt wird von einer sehr persönlichen Perspektive, die Pasolinis «verzweifelten Widerstand gegen das Bewusstsein des Scheiterns des zivilrechtlichen Engagements seiner Generation» (Roberto Chiesi) von einer beeindruckend menschlichen Seite zeigt.
Pasolini ist nicht die einzige große Persönlichkeit aus der Film- und Literaturgeschichte, die Gideon Bachmann begleitet und aus nächster Nähe porträtiert. Im Laufe seiner Karriere, die ihn in unterschiedlichsten Rollen – hier als unabhängiger Journalist, da als Filmkritiker oder Regisseur – auftreten lässt, spinnt Bachmann ein reiches Netzwerk an prominenten Bekanntschaften, das sich über Italien, Frankreich, Deutschland, nicht zuletzt über Israel und Amerika erstreckt. Seiner Begeisterung für das Kino, seiner Neugier für die Arbeit und die Menschen, die sich hinter der damals blühenden italienischen Filmszene verbargen, hat er mitunter den euphorischen Ruf eines «Vasari des Films» (Edgar Reitz) zu verdanken – eine Bezeichnung, die nicht zuletzt am Beispiel von Ciao, Federico! (1970) nachvollziehbar wird, einer Hommage an Fellini, in der er dessen Arbeit am Set zum Satyricon (1969) dokumentiert. Aber auch andere, von seinem Interesse an den Protagonisten des europäischen Films unabhängige Produktionen hat Bachmann verwirklicht. In seinem Underground New York (1968) hält er die Aufbruchsstimmung der New Yorker Filmszene in den 60er Jahren fest. Dabei ist er stets weniger «ein Kritiker, sondern ein Begleiter der Regisseure und Schauspieler» (Wilhelm Roth). Aus diesen unmittelbaren Kontakten schöpft er das Privileg, als vermittelnde Stimme der Filmpersönlichkeiten und ihrer Werke zu fungieren.

Die fünfte Ausgabe von lettere aperte ist Gideon Bachmann (* 18. Februar 1927 – † 24. November 2016) als zentraler, aber dennoch wenig bekannter Figur des (insbesondere deutsch-italienischen) Kultur- und Wissenstransfers gewidmet. Welches Wissen hinterlässt er der Nachwelt über die Persönlichkeiten und Werke, die er zum Teil im Entstehen begleitete? Was kennzeichnet seinen Blick? Und inwiefern entspricht Bachmanns Werk nicht nur einer mehr oder weniger subalternen Funktion der Vermittlung, sondern einer relativ autonomen künstlerischen Tätigkeit? Ja inwiefern lässt sich Vermittlung nicht grundsätzlich auch als Gestus der Kunst begreifen?
Das Anliegen besteht in einer kritischen Würdigung Bachmanns facettenreicher, zu großen Teilen noch unveröffentlichter Arbeit, die zwischen den verschiedenen Kulturräumen entstand, in denen er sich bewegte. Der Filmemacher über Filmemacher soll hier selbst als Protagonist im Zentrum des Interesses stehen. Lettere aperte knüpft damit aus wissenschaftlicher Perspektive an eine posthume Auseinandersetzung mit Gideon Bachmann und seiner Arbeit an, die 2016 mit einer Ausstellung im Karlsruher Zentrum für Kultur und Medien (ZKM) begonnen hat.

Bewerbungen für einen Artikel werden bis zum 15. April 2018 erbeten. Bitte senden Sie Ihr Abstract im Umfang von ca. 300 Wörtern an vitali@romanistik.uni-kiel.de und/oder andrea_stueck@gmx.net

Bibliographie

Primärliteratur

Bachmann, Gideon (2018), Salò o Le 120 giornate di Sodoma di Pier Paolo Pasolini. Diario di Gideon Bachmann, Einleitung v. Chiesi, Roberto (noch unveröffentlicht, erscheint demnächst in deutscher Übersetzung, Hamburg: Laika).

Bachmann, Gideon (1977), Bewegte Bilder: Macht und Handwerk des Films, Weinheim: Beltz.

Pasolini, Pier Paolo (2015), Polemica Politica Potere. Conversazioni con Gideon Bachmann, a cura di Costantini, Riccardo, Milano: Chiarelettere (deutsche Übersetzung erscheint 2018, Hamburg: Laika).

Pasolini, Pier Paolo (1999), Saggi sulla politica e sulla società, ed. Siti, Walter/ De Laude, Silvia, con un saggio di Bellocchio, Piergiorgio, Milano: Mondadori.

Sekundärliteratur

Buchholz, Helmut (2004), „Nach 57 Jahren wieder in Heilbronn. Ungewöhnliche Heimkehr: Der jüdische Gideon Bachmann (77) besucht seine Geburtsstadt“, http://www.stimme.de/archiv/stadt-hn/top1-Nach-57-Jahren-wieder-in-Heilbronn;art1925,391122 vom 07.09.2004, abgerufen am 13.03.18.

Reitz, Edgar (2017), „Gideon Bachmann, der ‘Vasari des Films’", http://zkm.de/edgar-reitz-gideon-bachmann-der-vasari-des-films, abgerufen am 13.03.2018.

Roth, Willhelm (2016), „Weltbürger des Films: Nachruf auf Gideon Bachmann, Publizist und Filmemacher 18.2.1927 – 24.11.2016", https://www.epd-film.de/meldungen/2016/weltbuerger-des-films-nachruf-auf-gideon-bachmann vom 02.12.2016, abgerufen am 13.03.18.

Sassi, Paolo (2017), „Ich sprach die Sprachen dieser Welt. Gedenken an Gideon Bachmann", http://zkm.de/paolo-sassi-ich-sprach-die-sprachen-dieser-welt, vom 18.02.17, abgerufen am 13.03.2018.

Beitrag von: Fabien Vitali

Redaktion: Marcel Schmitt