Sektionsleitung: Julia Brühne (Mainz), Christiane Conrad von Heydendorff (Mainz), Cora Rok (Bonn)

Ab Mitte der 90er Jahre, spätestens aber seit der Jahrtausendwende, bestimmt die Rede vom „Ende der Postmoderne“ nicht nur verstärkt den philosophischen, sondern auch den literaturwissenschaftlichen Diskurs. Mit dem Ende der Dominanz postmodernistischer Verfahrensweisen treten in der Narration (Literatur, Film, Serie) wieder vermehrt ‘verpönte’ realistische Darstellungsmodi auf den Plan, die aktuellen gesellschaftlichen Krisenherden (prekäre/entgrenzte Arbeit, [organisierte] Kriminalität, Korruption, Krieg, Terror, Rassismus, Migration, Autonomiestatute) Rechnung tragen und die Realität literarisch wie filmisch re-konstruieren. In der Literaturwissenschaft wird darum seit gut 20 Jahren der „renouveau du réalisme“ (Asholt) bzw. der „ritorno alla realtà“ (Allegoria) diskutiert. Während in Italien u.a. Roberto Saviano Repräsentant eines engagierten und hybriden Realismus‘ ist, gilt in Frankreich einerseits Michel Houellebecq als bekanntester und vor allem provokantester „écriteur du quotidien“, wobei sich andererseits Autoren wie Patrick Chamoiseau und Ahmadou Kourouma als Vertreter einer realistischen und politischen postkolonialen Literatur nennen lassen. In den letzten Jahren hat sich in Spanien das Subgenre der autorficción zur autoficción, deren Zuflucht zum ‘authentischen Ich‘ bzw. zur ‘authentischen Erinnerung’ im Nachhall des franquismo als eine Art literarischer Befreiungsschlag wahrgenommen wurde, gesellt bzw. sich mit dieser vermischt – es entstehen Texte, die sich unter dem auch in Spanien mittlerweile proliferierenden Schlagwort der ‘Erinnerungsliteratur’ subsumieren lassen. Im spanischen Kino entwickelte sich besonders in den ersten Jahren des neuen Jahrtausends eine verstärkte Tendenz zum realistischen Erzählen, die Ángel Quintana „realismo tímido“ genannt hat (bspw. Mar adentro, Alejandro Amenábar, 2003). Im lateinamerikanischen Raum macht die seit 2015 sehr erfolgreiche Serie Narcos um die Entwicklung der kolumbianischen Drogenkartelle Medellín und Cali Furore. In Italien wiederum entstehen im Zuge der Flüchtlingskrise Filme wie Fucoammare (Gianfranco Rosi, 2016), die in Erinnerung an den neorealismo neue Formen realistischen Kinos zu etablieren suchen. Der französische Film bringt seit 2014 vermehrt ‘Multikulti-Komödien’ hervor, die zwar genretypische, wenig realistische Happy-Endings inszenieren, dabei aber trotzdem auf sujets und Szenarios rekurrieren, die in Teilen fast erschreckend realistisch scheinen.

Eingesendet werden können Vorschläge, die sich mit realistischen Werken (Literatur, Film, Serie) der (ca.) letzten 25 Jahre in der Romania beschäftigen, wobei inhaltliche sowie formale Aspekte im Mittelpunkt stehen können, die sich an folgenden Fragestellungen orientieren:

- Inwieweit handelt es sich um engagierte Narrationen, lässt sich ein aufklärerisch-didaktischer Gestus erkennen?

- Welcher narrativen Instrumente bedienen sich die Werke, um Authentizität zu vermitteln? Welche Wirkung entfalten literarische oder filmische Hybride aus Fiktion und Dokumentar, Journalismus, Reportage, Sachtext? Welche Funktion erfüllen Intertextualität, Inter- und Transmedialität (Blog, Facebook, Twitter usw.) im Rahmen realistischen Schreibens?

- Inwiefern kann von einer Rehabilitierung des Subjekts gesprochen werden? Gibt es (alte und neue) Formen der „Ich-Erzählung“, die als Authentizitätsmarker fungieren (Schreiben zwischen Autobiographie und Autofiktion, Tagebuch o. Ä.)?

- Lässt sich ein Paradigmenwechsel feststellen? Handelt es sich dabei um eine Rückbesinnung auf die Ansätze der Moderne (wie es Romano Luperini für möglich und geboten hält) oder eine Wiederaufnahme älterer Realismen oder entsteht etwas völlig Neues? Gibt es epochenübergreifende Merkmale realistischen Schreibens oder bildet jede Zeit eigene Charakteristika aus?

Das Abstract (3000 Zeichen, einschließlich Leerzeichen, einschließlich bibliographische Angaben) kann bis zum 31. Dezember 2018 an Dr. Christiane Conrad von Heydendorff (heydendo@uni-mainz.de) gesendet werden. Vortragssprachen sind Italienisch, Französisch, Spanisch und das Deutsche.

Wir freuen uns auf Ihre Einsendungen!

Beitrag von: Cora Rok

Redaktion: Robert Hesselbach