Tempus, Aspekt und Diskursstruktur

Jakob Egetenmeyer (Köln), Sarah Dessì Schmid (Tübingen), Martin Becker (Köln)

Bekanntermaßen sind für die Interpretation der temporalen Struktur von Texten unterschiedliche Informationen relevant: Morphologische wie Tempus und Aspekt, lexikalische wie Aktionsart, in Adverbien oder Konjunktionen kodierte Information, zudem Diskursrelationen (vgl. Asher / Lascarides 2003) sowie bspw. Weltwissen (Frames). Überdies sind textuelle Eigenschaften zu berücksichtigen, etwa Textgattung, Position im Text und Diskursmodus (vgl. Smith 2003 u.a.). Auch bestimmte stilistische Faktoren lassen sich linguistisch beschreiben. Die Sektion konzentriert sich auf die Rolle von Tempus und Aspekt und ihre Interaktion mit anderen Elementen und Ebenen des Diskurses, neben den genannten auch die Perspektive, Individuenreferenz, Ereignisstruktur etc.
Weinrichs (1964) Textgrammatik stellt einen wesentlichen Ausgangspunkt für die Analyse der Funktion von Verbalkategorien in Texten dar. Er führt die Reliefbildung ein, die die linear-temporale Strukturierung um die von Vorder- und Hintergrund erweitert. Tempusformen können eine Verortung auf der jeweiligen Diskursebene anzeigen. Die Beschreibungen von Reichenbach (1947) und ihre Weiterführungen in der sich seither entwickelnden Tempussemantik steuern Formalisierungen bei, die mehrere Zeitpunkte miteinander relationieren. So lassen sich auch größere Texteinheiten erfassen, was unter gleichzeitiger Berücksichtigung narrativer Faktoren wie Vorder- und Hintergrund oder der Perspektive bisher aber kaum umgesetzt wird.
Einen besonderen Fokus verdienen die Vergangenheitstempora, v.a. Imperfekt, Aorist (Passé Simple, Indefinido etc.), Plusquamperfekt und zusammengesetztes Perfekt, sowie das Präsens. Die Funktionen der Tempora in den romanischen Sprachen lassen sich in zwei Gruppen gliedern. (i) Die Tempora sind verantwortlich für die temporale Ordnung der referierten Sachverhalte. Durch die aspektuellen Oppositionen [±perfektiv] aber auch [±telisch] (vgl. jedoch Dessì Schmid 2014 für einen monodimensionalen Ansatz) wird eine narrative Strukturierung möglich, die durch perfektische Tempora ausgebaut werden kann (Vorvergangenheit). Die zeitlichen Relationen umfassen Abfolge oder Gleichzeitigkeit, Inklusion oder Überlappung, den Rückgriff etc. (ii) Die gleichen Tempora können auch den Weltbezug spezifizieren und Modalisierungen zum Ausdruck bringen. So findet sich das Imperfekt in epistemisch markierten Kontexten, im Free Indirect Discourse oder in evidentieller Verwendung.

Die Sektion stellt sich den verschiedenen Facetten der textuellen Dynamizität und der Polyvalenz von Tempus-Aspekt-Formen. Ihr Ziel ist, diskursive Eigenschaften der Tempora und ihre Interaktion mit anderen Ebenen des Diskurses aber auch Textgattungen näher zu beleuchten. Die Funktionen, die nicht primär der temporalen Strukturierung dienen, sollen behandelt und hinsichtlich der Einbettung in den Textverlauf diskutiert werden. Die Polyvalenz der Formen führt zu der Frage, wie die Eindeutigkeit der temporalen Struktur dennoch erhalten wird. Willkommen sind neben Korpusanalysen zu Einzelproblemen auch modelltheoretische Beiträge, translatologische Studien und experimentelle Herangehensweisen. Die Berücksichtigung jüngerer Tempus- und Aspektmodelle (vgl. bspw. Dessì Schmid 2014, Becker / Egetenmeyer 2018) wird begrüßt, ist aber keine Voraussetzung.

Bibliographie
Becker, Martin / Egetenmeyer, Jakob. 2018. A prominence-based account of temporal discourse structure. Lingua 214, 28-58.
Dessì Schmid, Sarah. 2014. Aspektualität – Ein onomasiologisches Modell am Beispiel der romanischen Sprachen. Berlin / Boston: De Gruyter.
Asher, Nicholas / Lascarides, Alex. 2003. Logics of Conversation. Cambridge et al.: Cambridge University Press.
Reichenbach, Hans. 1947 / 51956. Elements of Symbolic Logic. New York et al.: Macmillan.
Smith, Carlota S. 2003. Modes of discourse. Cambridge: Cambridge University Press.
Weinrich, Harald. 1964 / 62001. Tempus: besprochene und erzählte Welt, München: Beck.

Abstracts können bis 31.12.2018 eingereicht werden (Kontakt: Jakob Egetenmeyer, j.egetenmeyer@uni-koeln.de) und dürfen inkl. Leerzeichen und bibliographischen Angaben bis zu 3.000 Zeichen umfassen. Vortragssprachen sind alle romanischen Sprachen und das Deutsche.

Beitrag von: Jakob Egetenmeyer

Redaktion: Robert Hesselbach