Stadt: Zürich

Beginn: 2018-11-22

Ende: 2018-11-24

URL: https://www.rose.uzh.ch/de.html

Was geschieht mit der Stadt und dem urbanen Leben in Kriegszeiten? Dass Städte vom Krieg nie unberührt waren, ist offensichtlich, doch ist es ein Merkmal staatlich verordneter und organisierter Gewalt spätestens ab dem Ersten Weltkrieg, dass die Grenzen der Front sich auflösen und zwischen der sogenannten Heimatfront und dem eigentlichen Kriegsgeschehen ein Kontinuum entsteht, das sich besonders an solchen Schnittstellen zwischen Militär- und Zivilleben artikuliert, wie sie an Bahnhöfen oder Krankenhäusern in den Großstädten zu beobachten sind. Wie gestaltet sich unter diesen Bedingungen die kulturelle Produktion – zwischen privatem Notat und öffentlichem Auftritt, zwischen Zensur und propagandistischer Instrumentalisierung? Welche Art von Literatur entsteht in dieser Situation, und welche Art von Literatur reflektiert sie im Rückblick? Wie verhalten sich etwa die urbane Erfahrung des Kriegs und die europäischen Avantgardebewegungen zueinander? Auf welche Weise wird die Stadt zum ideologischen Schlachtfeld – sowohl während des Konflikts als nicht zuletzt auch im Ringen um den Entwurf einer Nachkriegskunst und Nachkriegsgesellschaft? Wie unterscheiden sich in dieser Hinsicht Großstädte, die während des Kriegs durchgehend oder zeitweise okkupiert sind wie Brüssel, Bukarest oder Trieste im Ersten Weltkrieg, von solchen, die in unmittelbarer Nähe des Kampfgeschehens liegen wie Paris, oder weit entfernt wie London, Berlin, Rom oder Lissabon? Welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten lassen sich zwischen den urbanen Kulturen in den Großstädten kriegführender und neutraler Staaten beobachten (Paris und Berlin im Vergleich mit Zürich oder Madrid). Wie verlaufen das Kriegsende und die Demobilisierung in den europäischen Großstädten, wie wirkt sich die Kriegserfahrung, die an vielen Orten nach Kriegsende in Bürgerkriegszustände übergeht (russische Revolution, Anfänge der Weimarer Republik, Kriege im Baltikum, italienischer Faschismus und Marsch auf Rom…), auf die urbane Kultur der Nachkriegszeit aus? Wie werden andererseits die Reflexe außereuropäischer Kriege wie der Kolonialkriege in Nordafrika in der Zwischenkriegszeit in den europäischen Metropolen wahrgenommen? Im Anschluss an neuere kultur- und literaturhistorische Forschungen wie Jay Winters und Jean-Louis Roberts Capital Cities at War. Paris, London, Berlin 1914–1919 (2 Bde., 1997 u. 2007) oder Eva Krivanecs Kriegsbühnen. Theater im Ersten Weltkrieg. Berlin, Lissabon, Paris und Wien (2012) soll diesen Fragen in einer vergleichenden europäischen Perspektive für die Zeit von 1914 bis 1945 nachgegangen werden.
Die Tagung bildet den zweiten Teil eines gemeinsamen Projekts der Universitäten Zürich, Frankfurt am Main und Marburg zum Thema ‘Stadt und Krieg von der Französischen Revolution bis zum Zweiten Weltkrieg’. Den Auftakt bildete im Mai 2018 eine internationale Tagung an der Goethe-Universität Frankfurt (https://www.hsozkult.de/event/id/termine-35811, Organisation: Frank Estelmann und Aurore Peyroles), die sich der Frage nach dem Verhältnis von Stadt und Krieg für die Zeit von den napoleonischen Kriegen bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts gewidmet hat.

Organisation: Henning Hufnagel (Universität Zürich), Thomas Klinkert (Universität Zürich) und Olaf Müller (Universität Marburg)

Programm

Donnerstag, 22.11.2018 (KOL-G-212, Universität Zürich, Hauptgebäude, Rämistrasse 71, 8006 Zürich)

14:00 Begrüßung/Einführung: Henning Hufnagel, Thomas Klinkert, Olaf Müller

Die Stadt im Krieg – Zeugenschaft und literarische Konstruktion

14:15 Anna Seidel (Berlin), Leningrad, Warschau, Sarajevo – Literarische Rekonstruktionen der Stadt im Ausnahmezustand

15:00 Thomas Klinkert (Zürich), Guerre, ville et mémoire chez Proust et Céline

15:45 Joseph Jurt (Freiburg), Le Paris insurgé 1944 : les réactions de Camus, Sartre, Simone de Beauvoir

16:30 Kaffeepause

Die Stadt im Krieg – jüdische Perspektiven

17:00 Maria Coors (Gießen), „Ich habe aufgeschrieben, was ich selbst gesehen und mitgemacht habe“ – Jüdische Kriegserinnerung in Osteuropa am Beispiel Jakub Wygodzkis

KOL-H-321, Universität Zürich, Hauptgebäude, Rämistrasse 71

18:15 Marino Ferri (Luzern), Urbane Räume des Geistes: Jüdische polnische Studierende in Zürich, 1939–1945

19:00 Alfred Gall (Mainz), Stadt und Vernichtung: Die Shoah in der literarischen Erinnerungsarbeit bei Danilo Kiš und Bogdan Wojdowski

Freitag, 23.11. (KOL-G-212, Universität Zürich, Hauptgebäude, Rämistrasse 71, 8006 Zürich)

Die Stadt in der Revolution – die Revolution in der Stadt

9:00 Nicolas Offenstadt (Paris), Les mémoires urbaines des marins révoltés en Allemagne (Berlin, Cologne, Kiel, Rostock, Wilhelmshaven) depuis la guerre

09:45 Anna Eremeeva (Krasnodar), “…But, quite unexpectedly, it became a capital”: Cultural Transformation in the Cities of Southern Russia during the Time of World War I and Civil War

10:30 Kaffeepause

Die Stadt im Krieg der Avantgarde

11:00 Eva Krivanec (Weimar), Dada Zürich als Exilant/inn/enbewegung und die Stadt Zürich zwischen „Zufluchtshafen“ (M. Janco) und „scheintot[er] Stadt“ (H. Ball)

11:45 Wolfgang Asholt (Berlin/Osnabrück), La Guerre des Surréalistes

12:30 Mittagspause

Die Stadt als Waffe – der Fall Belgien

15:00 Steffen Bruendel (Frankfurt a.M.), Löwen. Stadt im Krieg 1914 bis 1945

15:45 Karla Vanraepenbusch (Louvain), Liège 1914, le mythe et la mémoire

16:30 Kaffeepause

Die Stadt im Krieg im Film

17:00 Jean-Marc Largeaud (Tours), Arnhem ou les vertus de l’infortune

18:00 Elisabeth Bronfen (Zürich), Warschau unter Beschuss. Die Verschränkung von Dokumentation und ästhetischer Reformalisierung im Hollywood-Kriegskino

Samstag, 24.11. (RAA-E-08 Rämistrasse 59, 8001 Zürich)

Die Stadt im Bürgerkrieg – der Fall Spanien

9:00 Florian Grafl (München), The First World War and its Impact on Urban Life and the Pistolerismo in Barcelona

09:45 Ulrich Winter (Marburg), Barcelona, 19.7.1936: Der Beginn des Spanischen Bürgerkriegs im photographischen Blick von Agustí Centelles

10:30 Kaffeepause

11:00 Frank Estelmann (Frankfurt am Main), Vom Mystizismus der Stadt zum Bombenkrieg: Die Entwicklung der Stadtbilder in den Reportagen von Manuel Chaves Nogales

Die Stadt im Krieg in allen Gattungen – Lyrik und Theater

11:45 Nikolas Immer (Trier), Sterbende Städte. Zur Kriegsgegenwart in Stephan Hermlins Zwölf Balladen von den Großen Städten (1945)

12:30 Imbiss

13:30 Ludivine Moulière (Pau), La Seconde Guerre mondiale comme matrice de l’imaginaire urbain dans l’œuvre de Philippe Jaccottet

14:15 Ahmed Chéniki (Annaba), L’inscription de Sétif et de mai 1945 dans l’œuvre de Kateb Yacine

15:00 Abschlussdiskussion

Beitrag von: Thomas Klinkert

Redaktion: Robert Hesselbach