Nachruf
Jens Lüdtke (1941-2019)

Plötzlich und völlig unerwartet verstarb am 04.01.2019 Jens Lüdtke, unser hoch geschätzter Lehrer und Kollege. Die Nachricht von seinem Tode hat uns fassungs- und sprachlos gemacht, zu vital und präsent ist er uns.

Jens Lüdtke wurde am 08.10.1941 in Stettin geboren und wuchs in Mecklenburg/ Vorpommern, Berlin und Baden-Baden auf, wo er das Abitur am Humanistischen Gymnasium Hohenbaden ablegte. Danach studierte er in Tübingen und Saarbrücken Romanistik und Anglistik. Sein Studium schloss er mit dem Staatsexamen in diesen Fächern ab. Das wissenschaftliche Denken von Jens Lüdtke wurde insbesondere durch seinen Tübinger Lehrer Eugenio Coseriu geprägt, an dessen Lehrstuhl er als wissenschaftlicher Assistent arbeitete. Von 1972-1975 war Jens Lüdtke als Lektor für Deutsch an der Universität Florenz tätig. Nach seiner Habilitation im Jahre 1983 folgte er den Rufen auf Lehrstühle an die Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn (1983-1987), an die Freie Universität Berlin (1987-1994) und an die Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg (ab 1994), an der er bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand im Jahre 2007 lehrte.

Sein wissenschaftliches Schaffen ist von einem umfassenden Verständnis von Sprache geleitet gewesen. Die Publikationen von Jens Lüdtke behandeln eine Vielfalt von Themen sowohl in der Diachronie als auch in der Synchronie. Seine Veröffentlichungen erstrecken sich auf zahlreiche romanische Sprachen, u.a. das Französische, Spanische, Katalanische, Italienische, Galicische und Asturische sowie selbstverständlich ebenso auf Themen, die die romanischen Sprachen insgesamt vergleichend behandeln. Daher kann er mit Fug und Recht als Vollromanist bezeichnet werden. Dies zeigt sich bereits in einer seiner ersten monographischen Publikationen im Jahre 1978 mit dem Titel Die romanischen Sprachen im Mithridates von Adelung und Vater. Studie und Text (Tübingen, Narr). Mit einigen Forschungsgebieten hat er sich in seinen wissenschaftlichen Arbeiten besonders intensiv und kontinuierlich beschäftigt.

Eines dieser Gebiete, welches sein wissenschaftliches Denken immer begleitet hat, ist die Wortbildung. Diesem gehörte bereits seine Dissertation an: Prädikative Nominalisierungen mit Suffixen im Französischen, Katalanischen und Spanischen (Tübingen, Niemeyer, 1978). Eine Gesamtsicht dieses Themenbereiches stellt seine 2005 erstmals publizierte Monographie mit dem Titel Romanische Wortbildung. Inhaltlich – diachronisch – synchronisch (Tübingen, Stauffenburg) dar. Es handelt sich um ein grundlegendes Werk, welches einen Nachdruck (2007) und eine Übersetzung ins Spanische La formación de palabras en las lenguas románicas. Su semántica en diacronía y sincronía (México, El Colegio de México, 2011) erfuhr.

Die Habilitationsschrift Sprache und Interpretation. Syntax und Semantik reflexiver Strukturen im Französischen (Tübingen, Narr, 1984) spiegelt einen weiteren wissenschaftlichen Schwerpunkt wider, der in der Syntax und Semantik liegt.

Nach seiner Habilitation begann er, sich der Sprachgeschichte des Spanischen auf den Kanarischen Inseln und in Lateinamerika zu widmen, ein Thema, welches ihn fortan interessierte und faszinierte. Zu diesem publizierte er unzählige Aufsätze und hielt zahlreiche Vorträge. Viele Forschungs- und Kongressreisen führten ihn auf die Kanarischen Inseln und nach Lateinamerika. Er war ein national und international anerkannter Forscher und gefragter Gesprächspartner in Lateinamerika, wo er u. a. ein halbes Jahr am Colegio de México lehrte und noch im August 2018 in Lima am Kongress der Asociación de Historia de La Lengua Española auf Einladung der Veranstalter an einer Podiumsdiskussion teilnahm. Die 2014 publizierte Monographie Los origenes de la lengua española en América. Los primeros cambios en las Islas Canarias, las Antillas y Castilla del Oro (Madrid/Frankfurt am Main, Iberoamericana/Vervuert) präsentiert die Ergebnisse seiner intensiven Forschungsarbeit auf diesem Gebiet.

Besonders am Herzen lag ihm auch das Katalanische, zu dem er bereits 1984 eine Monographie veröffentlichte mit dem Titel Katalanisch. Eine einführende Sprachbeschreibung (München, Hueber). Außerdem ist er Mitherausgeber des Bandes zum Katalanischen in der renommierten Reihe der Manuals of Romance Linguistics (Berlin/Boston, De Gruyter). Die Publikation dieses Bandes, die für dieses Jahr vorgesehen ist, wird er leider nicht erleben dürfen. Ebenso wenig ist es ihm vergönnt, die ebenfalls für dieses Jahr geplante Veröffentlichung seiner Einführung in die Romanistik mit dem Titel Romanistische Linguistik (Berlin/Boston, De Gruyter) zu verfolgen. Diese Monographie, welche in einem ersten Schritt auf Vorlesungen basiert, geht weit über diese hinaus und ist zu einem Gesamtwerk herangereift. Weitere Forschungs- und Veröffentlichungsgebiete sind die Sprachgeschichte Italiens und die Geschichte der romanischen Sprachwissenschaft.

Jens Lüdtke hatte ebenfalls ehrenvolle Aufgaben in der wissenschaftlichen Verwaltung inne. Er war Dekan an der Freien Universität Berlin, DFG-Gutachter, Regionaldelegierter der Asociación de Lingüística y Filología de la América Latina für Deutschland, die Schweiz und Österreich, Präsident des Romanistischen Dachverbandes sowie Mitglied der Auswahlsitzungen des DAAD.

Jens Lüdtke war stets höflich, freundlich, unprätentiös und menschlich. Als Wissenschaftler war er ein präzis arbeitender Philologe, der den Dingen gerne genau nachging und daher seine Forschungsthemen kontinuierlich und voller Begeisterung verfolgte.
Mit Jens Lüdtke verliert die Romanistik einen großen Romanisten, der, obwohl er sich im Ruhestand befand, wissenschaftlich höchst aktiv und präsent war. Er wurde mitten aus seinem wissenschaftlichen Schaffen gerissen. Wir bedauern sehr, dass er Forschungs- und Publikationsvorhaben nicht mehr realisieren und unser Wissen nicht mehr wird bereichern können. Als Wissenschaftler und als Mensch wird er uns fehlen.

Heidelberg, im Januar 2019
Waltraud Weidenbusch

Beitrag von: Robert Hesselbach

Redaktion: Robert Hesselbach