Nachruf auf Prof. Dr. Peter Wunderli

Prof. Dr. Peter Wunderli, geboren am 30. Mai 1938 in Zürich, ist am 27. März 2019 im Alter von 80 Jahren in Biel gestorben. Prof. Wunderli war von 1976 bis zu seiner Emeritierung 2003 als ordentlicher Professor Inhaber des Lehrstuhls Romanistik IV für Romanistische Sprachwissenschaft an der Philosophischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Seit 1998 war er ordentliches Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften.

Peter Wunderli studierte Romanistik und Anglistik an der Universität Zürich, mit Auslandssemestern in Aix-en-Provence, Rom und Oxford. An der Universität Zürich waren seine romanistischen Lehrer Persönlichkeiten, die die vielseitigen Facetten des späteren Wirkens von Peter Wunderli inspirieren sollten. So studierte er an der Zürcher Romanistik Mediävistik und Literaturwissenschaft bei Reto R. Bezzola und Georges Poulet, Mitglied der Genfer Schule und Verfasser u.a. der vierbändigen Studie über die Kreativität der Zeiterfahrung – ein Werk, das die Literaturwissenschaft jenseits des Formalismus geführt und zu Philosophie und Psychologie geöffnet hatte. In der Sprachwissenschaft waren seine romanistischen Lehrer Konrad Huber (italienische und rätoromanische Linguistik), Gerold Hilty (französische und spanische Sprachwissenschaft) und Heinrich Schmid (vergleichende romanistische Sprachwissenschaft). Besonders Gerold Hilty dürfte Peter Wunderlis Begeisterung für philologisch unbestechliches Analysieren mittelalterlicher Sprachdenkmäler sowie das Interesse an Verbgrammatik in synchronischer und diachronischer Perspektive entscheidend geprägt haben. Auch die kritische Rezeption von Gustave Guillaumes sprachtheoretischem Werk geht auf Gerold Hiltys Anregung zurück und hat aus Peter Wunderli einen der wenigen Kenner dieses strengen, fast hermetischen, im germanophonen Raum bedauerlicherweise kaum zur Kenntnis genommenen Ansatzes gemacht.

Peter Wunderli wurde bei Gerold Hilty 1963 mit der Arbeit Études sur le livre de l’Eschiele Mahomet: prolégomènes à une nouvelle édition de la version française d’une traduction alphonsine (Winterthur 1965) promoviert. Nach Abschluss des Studiums arbeitete Peter Wunderli zunächst als Assistent von G. Hilty und K. Huber bis 1967 und als Lehrer für Französisch und Italienisch an der kantonalen Oberreal- und Lehramtsschule Winterthur. Schon 1968 konnte er sich an der Universität Zürich mit einer Arbeit zur Teilaktualisierung des Verbalgeschehens (Subjonctif) im Mittelfranzösischen habilitieren. Ein Ruf auf einen Lehrstuhl für Romanistik an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg erreichte ihn 1970, als er gerade 32 Jahre alt war. Dort lehrte er bis 1976, als er an die Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf wechselte.

Peter Wunderli war ein Gesamtromanist aus Berufung und Leidenschaft. Die Grenzen zwischen Sprach- und Literaturwissenschaft, aber auch zwischen Romanistik und anderen Disziplinen waren für ihn Zonen des Kontaktes und der wechselseitigen Befruchtung. In ihm vereinten sich der Gelehrte, der Philologe und der Kulturwissenschaftler. So hat er als Mitglied des interdisziplinären Forschungsinstituts FIMUR (Forschungsinstitut für Mittelalter und Renaissance) an der Heinrich-Heine-Universität wegweisende Themen herausgegeben (u.a. Der kranke Mensch in Mittelalter und Renaissance, 1986; Reisen in reale und mythische Ferne. Reiseliteratur in Mittelalter und Renaissance, 1993; Herkunft und Ursprung. Historische und mythische Formen der Legitimation, 1994). Seine Vorlesungen zu Dante und Castiglione waren ebenso legendär wie die über Lexikologie und Grammatik der Romanischen Sprachen. Der franko-italienische Roman war ihm ebenso vertraut wie die Kategorien Tempus, Modus und Aspekt in den romanischen Sprachen, der spanische subjuntivo war ebenso Gegenstand seiner Forschungen wie der französische subjonctif und der italienische congiuntivo. Dabei gelang es Peter Wunderli, selbst jene Themen, die im ersten Moment unattraktiv wirken können, durch seinen brillanten und geradezu leichtfüßigen Schreibstil verstehbar und spannend zu erschließen.

Als Sprachwissenschaftler hat er richtungsweisende Publikationen zu Intonationsforschung, Verbmorphologie und zu sprachhistorischen Themen, insbesondere zum Mittelfranzösischen verfasst. Schon die Habilitationsschrift war ein Meilenstein und hat innerhalb der Romanistik die Wahrnehmung des Mittelfranzösischen, das lange als diffuses Zwischenstadium der französischen Sprachgeschichte unterschätzt worden war, neu ausgerichtet. Richtungsweisend war Peter Wunderlis Schaffen schließlich auch in ganz anderer Hinsicht: Das Grundlagenwerk Französische Intonationsforschung (1978) war schon weit vor den Zeiten verstärkt drittmittelorientierter Forschung die Frucht eines umfangreichen (und nicht des einzigen) DFG-Projekts.

Und wenn sich die so unterschiedlichen Themen zu einer Gesamtschau zusammenfügen – wie die Signatur seines Œuvres in der von Edeltraud Werner u. a. herausgegebenen Festschrift zum 60. Geburtstag lautet ( Et multum et multa, Tübingen 1998) -, so liegt dies an seiner profunden Beschäftigung mit der Sprachtheorie von Ferdinand de Saussure. Seine in verschiedenen Sprachen publizierten Studien und Editionen gehören zu den bahnbrechenden Forschungsarbeiten, die über das Œuvre des bedeutendsten Linguisten des 20. Jahrhunderts entstanden sind. Peter Wunderli begann mit dem komplexen, und über den linguistic turn hinausreichenden Teil der Schriften von Saussure, nämlich den Anagrammen ( Ferdinand de Saussure und die Anagramme. Linguistik und Literatur, Tübingen 1972, Neuauflage bei De Gruyter 2011) und widmete sich konstant der Exegese seines Œuvres, bis über die Emeritierung hinaus. Die Saussure-Forschung verdankt ihm u.a. die deutsch-französische, kommentierte Edition des Cours de linguistique générale (Tübingen 2013, 2014 als Studienausgabe erschienen).

In seinen letzten Lebensjahren widmete sich Peter Wunderli, trotz einer wachsenden gesundheitlichen Beeinträchtigung, neben der Herausgabe des Cours noch einem weiteren Herzensprojekt, der Edition altokzitanischer Bibelübersetzungen. So erschienen in den Jahren 2010, 2016 und 2017 die kommentierten Ausgaben der noch vorliegenden verschiedenen altokzitanischen Manuskripte des neuen Testaments. Mit diesen Publikationen schloss sich ein Kreis, denn Peter Wunderli hatte bereits in den 1960er Jahren begonnen, die altokzitanischen Bibelübersetzungen auszuwerten. Er studierte die Texte in der Bahn, auf regelmäßigen Pendlerfahrten zwischen Zürich und Basel! An beiden Universitäten arbeitete er in jener Zeit als Assistent, dabei war das Jahr in Basel bei Walther von Wartburg und die Mitarbeit an Wartburgs FEW (Französisches Etymologisches Wörterbuch) eine äußerst bereichernde Phase und hat Peter Wunderlis Lust an der Auseinandersetzung mit älteren Sprachstadien entscheidend befördert.

Neben seiner Lehr- und Forschungstätigkeit war Peter Wunderli in zahlreichen wissenschaftlichen Gremien tätig, u.a. dem belgischen ‘Fonds National de la Recherche Scientifique (FNRS)’, der Alfred- Toepfer-Stiftung FVS (als Vorsitzender des Kuratoriums des Herderpreises), der Kommission für die Nationalen Wörterbücher der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften. 1998 wurde er zum ordentlichen Mitglied der Klasse der Geisteswissenschaften der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften ernannt.

Peter Wunderli war nicht zuletzt auch ein faszinierender Lehrer, höchst engagierter Förderer und immer unvoreingenommener Berater und Mentor. Seine Kritik war gefürchtet und wurde doch gerne angenommen, denn sie erwies sich schließlich als konstruktiv, in ihr steckte immer ein positiver Impuls für die weitere Arbeit. Er hat eine Reihe von Promotionen und Habilitationen betreut, erwähnt sei hier nur Edeltraud Werner, die nach ihrer Habilitation und Assistenzzeit in Düsseldorf als Professorin für französische und italienische Sprachwissenschaft an die Universität Halle berufen wurde. Seine exzellente Nachwuchsbetreuung beschränkte sich keineswegs auf den wissenschaftlichen Aspekt, sondern war – gewissermaßen – ganzheitlich angelegt: Die von Peter Wunderli organisierten regelmäßigen Lehrstuhl- oder Doktorandentreffen genossen als kulinarische Highlights Kultstatus.

Peter Wunderli war 1981-1982 Dekan der Philosophischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität. Seine Strukturpläne stellten die Grundlage für die spätere Selbstgestaltung der Fakultät dar. Als starke Führungspersönlichkeit war er Vorbild und gesuchter Ratgeber bei der wachsenden Verantwortung und Komplexität der Aufgaben im Management der Fakultät. Er war unverstellt und offenherzig. Er hielt an der Vernunft sprachlicher Kommunikation fest und beherrschte die Streitkultur. Er glaubte an die Universitas magistrorum et scholarium und konnte als Gelehrter, Wissenschaftler, Lehrer und Kollege darin echte Freunde finden. Auch im Namen dieser Freunde, darunter seine Schülerinnen und Schüler, sowie Kolleginnen und Kollegen, insbesondere Prof. Dr. Christine Schwarzer und Prof. Dr. Herwig Friedl, sowie Prof. em. Dr. Hans Geisler, Prof. Dr. Elmar Schafroth, Tahar Guellil, sprechen wir Peter Wunderli eine tiefe Dankbarkeit aus. Die Philosophische Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf wird sein Andenken in Ehren halten.

Möge das Bonmot, das Peter Wunderli auf die Frage nach dem Warum seines unermüdlichen Tuns einmal zitiert hat, auch für zukünftige Wissenschaftlergenerationen Gültigkeit behalten (dürfen): „Parce que cela … fait plaisir“ – ‚Weil es … Spaß macht.‘

Prof. Dr. Vittoria Borsò und Dr. Martina Nicklaus

Beitrag von: Robert Hesselbach

Redaktion: Robert Hesselbach