Die Rezeption des Goldenen Zeitalters in den deutschsprachigen Ländern

Internationale und interdisziplinäre Tagung
8.-9. Oktober 2020, Université Jean Monnet, Saint-Étienne

(Version française: https://celis.uca.fr/actualites/appel-a-communications-du-colloque-international-et-interdisciplinaire-la-reception-du-siecle-d-or-espagnol-dans-les-pays-germanophones—179181.kjsp?RH=1136883222763388 )

Wenn sie auch weiter zurückreichen,1 entwickeln sich die wechselseitigen Einflüsse zwischen Spanien und den deutschsprachigen Ländern besonders stark während des Goldenen Zeitalters. Die königlichen Porträts im Museo del Prado in Madrid und im Wiener Kunsthistorischen Museum zeugen von den durch die Heiratspolitik bedingten zahlreichen Hofwechseln der Prinzessinnen, die ihre Gewohnheiten und ihren Geschmack importieren: so bittet z.B. Kaiserin Margarita, Tochter des Königs Philipp IV. von Spanien und heute vor allem dank des meisterhaften Gemäldes von Velázquez Las Meninas („Die Hoffräulein“) bekannt, ihren Gemahl Kaiser Leopold I. darum, spanische comedias am Wiener Hof aufführen zu lassen. In der Tradition der spanischen pícaros steht zudem der Held des Schelmenromans Simplicius Simplicissimus von Grimmelshausen, dessen geschichtlichen Hintergrund der Dreißigjährige Krieg, der große Teile des deutschen Reichsgebiets verwüstet, bildet.
Nachdem sich das 18. Jahrhundert weniger für die spanische Kultur interessiert zu haben scheint,2 entdecken die Romantiker, Ludwig Tieck und Friedrich Schlegel folgend, das spanische Goldene Zeitalter wieder, in welchem sie den Ausdruck des „echten deutschen“ Geistes erblicken. Sie bieten eine moderne Sicht auf Cervantes’ Roman Don Quijote, der sich nicht mehr in seiner komischen Dimension erschöpft: Die Romantiker stellen die spezifische Mischung von antithetischen Werten (ernst und burlesk, Idealismus und Materialismus usw.) heraus, die für den Roman kennzeichnend ist.3 Ihre Übersetzungen von Calderóns Stücken zeichnen sich durch eine große Treue aus, die sogar die Polymetrie und das Reimschema beibehält.4
Nach den deutschen Romantikern betrachten die österreichischen Autoren des 19. und 20. Jahrhunderts das spanische Goldene Zeitalter unter einer neuen Perspektive. Joseph Schreyvogel (Burgtheaterdirektor von 1814-1832) bearbeitet Calderóns Stücke mehr, als er sie übersetzt;5 Franz Grillparzer interessiert sich neben Calderón vor allem für Lope de Vega, den die deutschen Romantiker vernachlässigt hatten.6 In einer Vorahnung des Untergangs der Habsburgermonarchie ist Hugo von Hofmannsthal schließlich von dem multinationalen und katholischen Reich der spanischen Habsburger fasziniert, dessen literarische und künstlerische Blüte mit einem allmählichen politischen Niedergang einhergeht. In seinen Übersetzungen und Bearbeitungen versucht er, die universelle Bedeutung von Calderóns Stücken herauszuarbeiten.7
Das spanische Goldene Zeitalter fasziniert die deutschsprachigen Schriftsteller und Künstler bis in unsere Tage. Im Jahre 1910 veröffentlicht der Kunsthistoriker und Schriftsteller Julius Meier-Graefe seine Spanische Reise und macht junge Maler seiner Zeit mit den Werken El Grecos bekannt. Meier-Graefe stellt den spanischen Meister als einen Vorgänger der Moderne vor und weckt Interesse und Begeisterung bei Beckmann und Kokoschka sowie bei Mitgliedern der expressionistischen Künstlervereinigung Der blaue Reiter wie August Macke und Franz Marc.8 Auf der Reise nach New York schreibt Thomas Mann 1938 Meerfahrt mit Don Quijote und ganz am Anfang des 21. Jahrhunderts erzählt Peter Handke die quichotteske Reise einer Finanzmagnatin nach Cervantes’ Region La Mancha in Der Bildverlust oder durch die Sierra de Gredos. Schließlich veröffentlicht Flix im Jahre 2012 einen Comic, in welchem Don Quijote auf einem Fahrrad heldenhaft gegen Windräder kämpft…
Die Tagung setzt sich zum Ziel, diachronisch und komparatistisch die Chronologie, die Formen und die Auswirkungen der Rezeption des spanischen Goldenen Zeitalters in den deutschsprachigen Ländern herauszuarbeiten:
- Erweisen sich bestimmte Epochen und Gattungen als besonders empfänglich für einen solchen Austausch? In welchem politischen, kulturellen und ideologischen Kontext?
- Wer sind die Mittler zwischen beiden Kulturen (Übersetzer, Künstler, Mäzene, Reisende, Schriftsteller…)? Welches Bild vom anderen Land vermitteln sie in ihren Werken?
- Welche Funktionen erfüllt die Rezeption des Goldenen Zeitalters (ästhetische, ideologische Ziele)? Inwiefern erweist sie sich als produktiv?

Vorschläge für Abstracts (im Umfang von einer Seite) sowie eine Kurzbiografie mit Schriftenverzeichnis werden* bis zum 31. März 2020* erbeten an:
Morgane Kappès-Le Moing: Morgane.Kappes@univ-st-etienne.fr
Fanny Platelle: Fanny.Platelle@uca.fr

Arbeitssprachen: Französisch, Deutsch, Spanisch

Vorbereitungsteam:
Morgane Kappès-Le Moing, Maître de conférences en civilisation et littérature espagnoles, CELEC (EA 3069), Université Jean Monnet Saint-Étienne.
Fanny Platelle, Maître de conférences en littérature germanophone, CELIS (EA 4280), Université Clermont Auvergne.

1 Nach Felix Czeike würde der kulturelle Austausch zwischen Österreich und Spanien bis ins 13. Jahrhundert zurückreichen. Vgl. Felix Czeike, Historisches Lexikon Wien in 6 Bänden, Wien, München, Zürich, Kremayr & Scheriau, 1992-1997, Bd. 5 Ru-Z, Artikel „Spanier“, S. 256, https://www.digital.wienbibliothek.at/wbrobv/content/pageview/1116298 (letzter Zugriff: 23/09/2019).

2 Die Rezeption setzt sich jedoch fort, wie es z.B. Der teutsche Don Quichotte von W. E. Neugebauer (1753) beweist.

3 Christoph Strosetzki, « La presencia del Quijote en la literatura alemana », ¿Qué Quijote leen los europeos ?, Miguel Ángel Vega Cernuda, Madrid, Universidad Complutense, 2005, S. 58-59.

4 Henry W. Sullivan, El Calderón alemán. Recepción e influencia de un genio hispano (1654-1980), Frankfurt/M., Madrid, TPT, 1998, S. 188.

5 María Luisa Esteve Montenegro, « El drama histórico de Lope de Vega y la Jüdin von Toledo de Franz Grillparzer », 1616 : Anuario de la Sociedad Española de Literatura General y Comparada, Bd. XI, 2006, S. 100.

6 Arturo Farinelli, Grillparzer und Lope de Vega, Berlin, E. Felber, 1894 ; Lope de Vega en Alemania, Barcelona, Bosch, 1936.

7 Egon Schwartz, Hofmannsthal und Calderón, ’S -Gravenhage, Mouton, 1962.

8 Beat Wismer, Michael Scholz-Hänsel, El Greco und der Streit um die Moderne. Fruchtbare Missverständnisse und Widersprüche in seiner deutschen Rezeption zwischen 1888 und 1939, Berlin, De Gruyter, 2015. S. auch den Katalog der Düsseldorfer Ausstellung 2012: Greco und die Moderne, Berlin, Stuttgart, Hatje Cantz Verlag, 2012.

Beitrag von: Dagmar Schmelzer

Redaktion: Redaktion romanistik.de