Stadt: Augsburg

Frist: 2021-01-31

Beginn: 2021-10-04

Ende: 2021-10-07

Europäische Ästhetik(en).
Körperbilder in Kunst und Literatur zwischen europäischem Kanon und regionalen Heterodoxien (13.-17. Jahrhundert)

In seinen wegweisenden Arbeiten zur Respublica literaria begreift Marc Fumaroli die aus dem Wissensaustausch der intellektuellen Eliten im 16. Jahrhundert entstandene paneuropäische Gelehrtengemeinschaft als ein vorpolitisches, modernes Europa. In der Tat geht die diesem intellektuellen Europa avant la lettre zugrundeliegende Geistesbewegung des Humanismus laut Nadeije Laneyrie-Dagen (1997) und Vigarello (2005) mit der Entdeckung des leiblichen Körpers einher, der den allegorischen Stilisierungen des Mittelalters den Rang abläuft. Die Zirkulation von Wissen über den menschlichen Körper und seine idealtypische ästhetische Beschaffenheit sind dabei wiederkehrende topoi in Kunst und Literatur der Renaissance. Angesichts der zunehmend an Bedeutung gewinnenden Body Studies verfolgt die Sektion das Ziel, ‚globale’ und ‚regionale’ Körperbilder dieses geistigen Europas anhand möglichst breit gestreuter Beispiele in den romanischen Künsten und Literaturen vom Mittelalter bis zum Barock zu untersuchen.

Mit Baldassare Castigliones Il Cortegiano (1528) und Giovanni Della Casas Il Galateo (1558) verbreitet sich im 16. Jahrhundert ein aus Italien importiertes ethisches und ästhetisches Ideal, das Künstler und Autoren der im Entstehen begriffenen Staaten trotz ihrer politischen und religiösen Konflikte zu vereinen scheint. In der Literatur etabliert sich der Petrarkismus und die neoplatonische Doktrin weit über die französische Dichtergruppe der Pléiade hinaus als europäische lingua franca. Wie John Shermann in seiner Monographie Mannerism. Style and Civilisation (1967) eindrucksvoll gezeigt hat, entwickelt sich in Folge des Sacco di Roma in der bildenden Kunst der Manierismus als ein in seiner Reichweite von Italien bis Prag mit der Gotik des Mittelalters vergleichbarer gesamteuropäischer Stil.

Parallel zu dieser Herausbildung italienischer und sukzessive europäischer Schönheitsideale bringt die Renaissance jedoch sowohl auf ‚nationaler’ als auf ‚regionaler’ Ebene auch subversive Kanones hervor, welche gemeingültige Vorstellungen von Ästhetik durch die Hervorkehrung des Hässlichen diametral unterlaufen: was die italienische und französische Literatur der Renaissance anbelangt, denke man beispielsweise an die Körpergroteske der karnevalesken Lachkultur, an die paradoxalen Apologien des Hässlichen sowie an die possenhafte poesia bernesca, welche fest etablierte petrarkistische Vorstellungen des Schönen satirisch untergraben. Dieses Phänomen besteht bis in die Komödie des 17. Jahrhunderts fort, in der petrarkistische und neoplatonische topoi zur Quelle der Komik degradiert werden (z.B. Molière, Lope de Vega).

Gewünscht sind Beiträge, die ausgehend von der Renaissance, ‚globale’ und ‚regionale’ Erscheinungsformen des menschlichen Körpers untersuchen. Auch Brüche und Kontinuitäten mit dem Mittelalter sowie Weiterentwicklungen ästhetischer Normen bis ins 17. Jahrhundert sollen in unsere Überlegungen miteinbezogen werden.
Dabei können sich die Vorträge sowohl auf Werke beziehen, deren Autor*innen geographisch weitreichende Dynamiken des Austauschs verkörpern, welche beispielsweise in der internationalen Zirkulation von Buchmalereien und Texten, in der schriftlichen Korrespondenz, dem Reisebericht und dem ästhetischen Traktat (sowie deren Übersetzungen) sinnfällig werden. Gleichzeitig soll auch den lokalen Gegenentwürfen zu diesen europäischen Dynamiken Rechnung getragen werden.

In einzelsprachlicher oder transromanisch vergleichender Perspektive mit der Option einer intermedialen Öffnung auf die Kunstgeschichte sind folgende Leitfragen denkbar:

  • Künstlerische und literarische Herausbildung körperlicher Schönheitsideale der Renaissance als Epoche ästhetischer Normbildung und Kodifizierung;
  • Geschlechtsspezifische Vorstellungen und nationale Stereotype von Schönheit / Hässlichkeit;
  • Phänomene, die der Kanonbildung der Renaissance vorausgehen (Mittelalter) oder diese weiterführen (bis ins 17. Jahrhundert) sowie Hervorhebung von Brüchen und Kontinuitäten sub specie pulchritudinis zwischen Mittelalter, Renaissance, Barock und Klassik;
  • Modalitäten der Verbreitung dieser Kanones (Traktate etc.);
  • Medienspezifische Ausprägungen und Voraussetzungen in der Entstehung von Schönheitsidealen sowie medienbedingte Abweichungen zwischen Bild und Text bzw. zwischen Theorie und künstlerischer Praxis;
  • Stellenwert des griechisch-römischen Erbes in der Festlegung ästhetischer Normen auf europäischer Ebene;
  • Nationale, regionale und lokale Gegenentwürfe;
  • Stellenwert der Sprachwahl in der Anfechtung offiziell anerkannter ästhetischer Normen (Latein, Griechisch, die jeweiligen romanischen Sprachen);
  • Blick auf den Anderen (den Andersgläubigen, den Fremden, die Frau aus männlicher Perspektive…), rassistisches, fremdenfeindliches und misogynes Potential derartiger Stereotype;
    (*)Pluralisierung von Schönheitsidealen und paradoxe Aufwertung des Hässlichen (la belle laideur und die Entstehung einer Ästhetik des Hässlichen in der Frühen Neuzeit)
  • Einfluss anderer Disziplinen auf das ästhetische Verständnis des Körpers (Medizin, Theologie, Recht)
  • Das Verhältnis okzidentaler Kanones zu Kulturräumen, die an den geographischen Rändern des romanischen Europas liegen (z.B. Rumänien) und die dadurch unter dem Einfluss des orientalischen Christentums stehen.

Bitten senden Sie Ihren Beitragsvorschlag mit einem Titel und kurzen Abstract (max. 300 – 400 Wörter) bis zum 30.01.2021 an aesthetiken.europas@gmail.com. Die Möglichkeit zur Publikation ist vorgesehen.

Organisiert wird diese Sektion von Dr. Olivier Chiquet (Collège de France), Sofina Dembruk (Göttingen), Dr. Claudia Jacobi (Bonn), Dr. Ioana Manea (Göttingen/NEC Bukarest).

Beitrag von: Sofina Dembruk

Redaktion: Robert Hesselbach