Stadt: Augsburg

Frist: 2021-01-30

Beginn: 2021-10-04

Ende: 2021-10-07

Die Frage nach dem Verhältnis von Autor*in und Werk hat in jüngster Zeit verstärkt mediale Beachtung gefunden: Nachdem die aus (post-)strukturalistischer Perspektive vorgebrachte Verabschiedung der Autorkategorie (Barthes, Foucault, Genette) zu einem Gemeinplatz geworden war, kehrte das Thema im Umkreis der Affären um Woody Allen, Gabriel Matzneff und Roman Polanski mit ungeahnter politischer Sprengkraft zurück. Der Forderung, „œuvre“ und „artiste“ voneinander zu trennen, standen dabei diejenigen gegenüber, die in der Unterscheidung eine Akzeptanz, gar eine Apologie von Machtverhältnissen vermuteten. Der Künstler, so ihr Argument, sei ein Mensch wie alle anderen: eine Rechtsperson, die dem Gesetz unterliegt. Virginie Despentes etwa plädierte in ihrem Kommentar zum „Polanski-Skandal“ (Libération, 1. März 2020) deutlich für eine neue Moral der Autorschaft: Nicht alle Übertretungen dürften im Namen der Kunst gerechtfertigt werden. Das Publikum trägt zu diesem neuen, „verantwortlichen Autor“ bei, indem es bei der alten Vorstellung nicht mehr mitspielt: „Maintenant on se lève et on se casse.“ Geht es in diesen Polemiken also darum, einer über der anonymen Masse stehenden Autorfigur einen neuen Platz zuzuweisen?

Wenngleich der Literaturbetrieb den Autor nie vergessen hatte, so kann in der Literaturtheorie seit rund 20 Jahren von einer Rückkehr der Autorkategorie gesprochen werden. Dabei geht es nicht um die reale Autorperson, sondern um medial vermittelte Konstruktionen von Autoridentität (Meizoz), um historische Modelle „auktorialer Szenographie“ (Diaz), um textimmanente Selbstbilder (Amossy) oder um werkpolitische Strategien (Martus), mit denen Autoren die Rezeption ihrer Werke steuern. Besonders in Theorien, die in der Tradition von Foucault bzw. Bourdieu stehen, betrachtet man den Autor als „figure imaginaire“: als „image discursive qui s’élabore aussi bien dans le texte dit littéraire que dans ses alentours“ (Amossy). Selbst- und Fremdkonstruktion, medialer Diskurs und rhetorisches Ethos, intra- und extratextuelle Strategien geraten so zu einem mobilen Feld, dessen Untersuchung vielfältige neue Erkenntnisse verspricht.

Die Sektion nimmt diese methodischen Impulse zum Anlass, die Konstruktion von Autorfiguren in der Gegenwartsliteratur zu untersuchen, und zwar anhand von möglichst breit gestreuten Beispielen aus der gesamten Romania. Vier mutmaßliche Entwicklungen liegen dem zugrunde: a) Die Veränderung des medialen Umfelds im Zeichen der Digitalisierung b) die Herausbildung neuer Grenzen des moralisch Sagbaren c) eine Neuordnung des literarischen Feldes mitsamt sich wandelnder Leserschaft und d) eine Verschiebung der (realen und symbolischen) Topologien von Zentrum und Peripherie. Konstruktionen von Autorschaft reagieren sensibel auf solche Veränderungen: Diaz etwa bestimmt „auktoriale Szenographien“ als historisch variable Modelle, denen sich Autoren angleichen können, um als „Schriftsteller“ zu erscheinen. Welche neuen Szenographien finden sich in der Gegenwart? Wie hängen sie mit der „starification des auteurs“ (Ducas) zusammen, nicht zuletzt mit ihrer paradoxen Spielweise (z.B. bei Enrique Vila-Matas, Elena Ferrante oder Wu Ming)? Was geschieht mit der alten Opposition von hauptstädtischen und regionalen Autoren in Ländern, die ihre blinden Flecken (Nicolas Mathieu), ihre literarischen Nebenschauplätze entdecken (Andrea Camilleri)? Auch die derzeitigen Bedingungen von Medialisierung, Werbung und Digitalem tragen zu einem neuen Begriff des Schriftstellers bei (Éric Chevillard, Nanni Balestrini…). Im Zeitalter von #MeToo erweisen sich bestimmte „postures“ (Meizoz) als nicht länger haltbar, während sich neue durchsetzen: Autor*innen wie Virginie Despentes oder Leïla Slimani stürzen das Bild des (meist männlichen) Ästheten, der die Grenzen der bürgerlichen Sexualmoral einreißt, zugunsten der Haltung einer engagierten und sexuell emanzipierten Schriftstellerin. Welche neuen Funktionen und Pflichten gibt es, was soll oder darf ein Autor, eine Autorin heute – und was nicht?

Mögliche Themen:

Neue Ethiken von Autorschaft

  • Ende der traditionellen Szenographie des transgressiven Schriftstellers
  • Skandale und Medien
  • Sexualität und Identitätspolitik
  • „Feminisierungen“ des literarischen Felds

Literarische Topologie: Auktoriale Orte

  • Literatur ohne Zentrum?
  • Quarantäne-Tagebücher und ihre Epigonen
  • Autoren im Spannungsfeld zwischen Nationalliteratur und Europa
  • „La France des ronds-points“, Neapel, Vigata, O Bairro (G. M. Tavares)

Neue Produktionsweisen und Diffusionskanäle

  • „wilde Literatur“ abseits traditioneller Verlage und Distributionswege
  • Autor*innen online: Selbstaushandlungen im digitalen Raum
  • Soziale Netzwerke, Followers und neue Medien als Motiv und Formprinzip in der Fiktion
  • Blogs, Facebook, Instagram: autofiktive Netzwerke?

Leser gegen Autor?

  • neue Spielräume der Theorie: Ermächtigung des Lesers?
  • Inszenierungen literarischer Anerkennung: Publikumspreis, Booktubers, Lesegesellschaften im Internet
  • „Remettre le lecteur à sa place“: auktoriale Szenographien gegen den Leser

Bitte senden Sie Ihren Beitragsvorschlag in Form eines Abstracts (max. 300 Wörter) sowie einer kurzen Bio-Bibliographie bis zum 30.01.2020 an: jknobloch@uni-kassel.de und/oder vplatini@uni-kassel.de. Die Möglichkeit zur Publikation ist vorgesehen.

Geleitet wird die Sektion von Vincent Platini (Kassel/Paris) und Jan Knobloch (Kassel).

Auswahlbibliographie:

Amossy, Ruth/Bokobza Kahan, Michèle (Hrsg.): Éthos discursif et image d’auteur, in: Argumentation et analyse du discours, 3, 2009.
Borgognoni, Debora: Lo scrittore emergente in Italia. Analisi di una subcultura nella comunicazione mediale. Padova 2017.
Diaz, José-Luis: L’écrivain imaginaire. Scénographie auctoriale à l’époque romantique. Paris 2017.
Ducas, Sylvie: La littérature à quel(s) prix? Histoire des prix littéraires. Paris 2013.
Dies.: „L‘écrivain contemporain en réseau web 2.0: retour du refoulé auctorial?“, RHLF, CXXVI, 3, 2016, S. 641-652.
Martus, Steffen: Werkpolitik. Zur Literaturgeschichte kritischer Kommunikation vom 17. bis ins 20. Jahrhundert. Berlin/New York 2007.
Meizoz, Jérôme: La littérature „en personne“. Scène médiatique et formes d’incarnation. Genf 2016.

Beitrag von: Jan Knobloch

Redaktion: Redaktion romanistik.de