Stadt: Augsburg

Frist: 2021-01-31

Beginn: 2021-10-04

Ende: 2021-10-07

URL: http://deutscher-romanistenverband.de/romanistentag/

Das theoretische Paradigma der Konstruktionsgrammatik erfreut sich in den letzten Jahren bekanntlich auch in der romanischen Sprachwissenschaft wachsender Beliebtheit (vgl. z.B. die Sammelbände in Vorbereitung: Döhla/Hennemann, Gévaudan/Hennemann, Hennecke/Wiesinger). Dies überrascht kaum, denn der genuin funktionalistische Ansatz, den sämtliche konstruktionsgrammatischen Modelle verfolgen, ist mit der europäischen Theoriebildung sowohl des an der Sprachgeschichte interessierten 19. als auch mit dem Strukturalismus des 20. Jahrhunderts in hohem Maße kompatibel (vgl. Tacke 2020; im Druck). Durch die Erweiterung des Saussure’schen Zeichenbegriffs bietet die Konstruktionsgrammatik ein theoretisch überzeugendes Instrument und einen kognitiv plausiblen Ansatz zur Beschreibung sprachlicher Einheiten, die von der morphologischen über die Wort- bis zur syntaktischen Ebene und darüber hinaus reichen können. Während der Fokus dabei zunächst auf Randphänomenen wie Phraseologismen (z.B. let alone bei Fillmore/Kay/O’Connor 1988), sodann vor allem auf der Grammatik im engeren Sinn lag, lässt sich zuletzt ein wachsendes Interesse an der Beschreibung und theoretischen Erfassung sprachlicher Muster beobachten, die potentiell weit über die Satzebene hinausgreifen. So integriert Croft (2001: Kap. 9) die Analyse ‚komplexer Figur-Grund-Satzschemata‘ im Sinne konventionalisierter Konstruktionsmuster mit definierbaren Form- und Funktionseigenschaften, während Östman (2005) – im Anschluss an Fillmores auf die Interpretation von Texten angewendeten Framebegriff (1982) – dafür plädiert, den (konstruktionsgrammatischen) Begriff der Grammatik auf „discourse patterns“ bzw. „discourse-level constructions“ zu erweitern. Östman (2005: 121, 130) zufolge handele es sich dabei um „conventionalizations of specific linguistic properties, which places them on an equal footing with the conventionalized patterns known as ‚grammar‘“. Auch Langackers einflussreiche Cognitive Grammar reiht sich hier ein, insofern in deren Synthese im Kapitel „Frontiers“ ein Ausblick auf die Analyse der „numerous kinds of genres of discourse, both spoken and written“ (2008: 477) geboten wird, die als konventionalisierte Muster ebenso verfestigt sein können (entrenchment), wie Ausdrücke niedrigerer levels of organization. Weitere Arbeiten, die in diese Richtung gehen, sind in den letzten Jahren noch hinzugekommen (vgl. u.a. Bücker/Günthner/Imo Hg. 2015, Hoffmann/Bergs 2018).

Ziel der Sektion soll es sein, sich aus romanistischer Perspektive mit dieser noch jungen Theorieentwicklung auseinanderzusetzen und diese mit konkurrierenden Paradigmen zu kontrastieren. Leitfragen betreffen die Leistungen und Grenzen konstruktionsgrammatischer Analysen sprachlicher Einheiten, welche die Grenzen des traditionellen Begriffs von Grammatik transzendieren. Hierunter fallen neben komplexen Sätzen und informationsstrukturell markierten Satzmustern insbesondere auch Textsorten und Gattungen, deren Betrachtung unter dem Begriff der Text- bzw. Diskurstraditionen in der Romanistik und darüber hinaus im Rahmen der Textlinguistik gut etabliert ist (vgl. Winter-Froemel et al. Hg. 2015). Anknüpfungspunkte bieten sich zudem hinsichtlich der Rolle der Kognition bei der Produktion und Rezeption textueller Muster (vgl. Meier 2020). Des Weiteren bietet sich auch die Betrachtung jedweder Form ‚wiederholter Rede‘ an, insofern diese, z.B. als Formeln, zu den Bausteinen komplexerer Diskurskonfigurationen gezählt werden können. So kann die Gattung ‚Märchen‘ als Diskurstradition und zugleich als teilschematisierte Konstruktion aufgefasst werden (vgl. Coseriu 3-1994: 188f.; Fillmore 1982: 117; Wilhelm 2001: 469; Östman 2005: 131; Langacker 2008: 117). Schließlich wäre auch die Kontrastierung der kognitiven Theoriebildung mit diskurslinguistischen Ansätzen denkbar (vgl. Lebsanft/Schrott Hg. 2015). In diesem Sinne versteht sich die Sektion als Diskussionsforum und lädt dazu ein, sich vor dem Hintergrund bewährter (romanistischer) Ansätze mit der konstruktionsgrammatischen Theoriebildung und der Frage nach Leistungen und Grenzen, gerade auch mit Blick auf die empirische Operationalisierung der Modelle, auseinanderzusetzen.

Beitragsvorschläge

Abstracts sollten max. 400 Wörter (inkl. Bibliographie) umfassen und spätestens am 31.01.2021 bei den Sektionsleitern eingehen (Mailadressen, s.u.). Sektionssprachen sind das Italienische, Französische, Spanische und Portugiesische sowie das Deutsche (englischsprachige Beiträge sind ebenfalls möglich).

Sektionsleitung

Anja Hennemann (Potsdam): anja.hennemann@uni-potsdam.de
Felix Tacke (Bonn): felix.tacke@uni-bonn.de

Bibliographie

Bücker, Jörg/Günthner, Susanne/Imo, Wolfgang (Hg.): Konstruktionsgrammatik V. Konstruk-tionen im Spannungsfeld von sequenziellen Mustern, kommunikativen Gattungen und Textsorten, Tübingen.
Coseriu, Eugenio (1980 31994): Textlinguistik. Eine Einführung, Tübingen.
Croft, William (2001): Radical Construction Grammar: Syntactic Theory in Typological Perspective, Oxford.
Döhla, Hans-Jörg/Hennemann, Anja (Hg) (in Vorb.): Konstruktionsgrammatische Zugänge zu romanischen Sprachen, Berlin.
Fillmore, Charles J. 1982. „Frame Semantics“. In: The Linguistic Society of Korea (Ed.), Linguistics in the Morning Calm, Seoul, 111-137.
Fillmore, Charles J./Kay, Paul/O’Connor, Mary Catherine (1988): „Regularity and Idiomaticity in Grammatical Constructions: The Case of Let Alone“, Language 64, 501-538.
Gévaudan, Paul/Hennemann, Anja (Hg) (in Vorb.): Chancen und Grenzen der Konstruktionsgrammatik, Tübingen.
Hennecke, Inga/Wiesinger, Evelyn (Hg.) (in Vorb.): Constructions in Spanish, Amsterdam/Philadelphia.
Hoffmann, Thomas/Bergs, Alexander (2018): „A Construction Grammar Approach to Genre“, CogniTextes 18, 1-27.
Langacker, Ronald W. (2008): Cognitive Grammar. A Basic Introduction, Oxford.
Meier, Kerstin (2020): Semantische und diskurstraditionelle Komplexität. Linguistische Interpretationen zur französischen Kurzprosa, Berlin/Boston.
Östman, Jan-Ola (2005): „Construction discourse: a prolegomenon“, in: Östman, Jan-Ola/Fried, Mirjam (Hg.): Construction Grammars. Cognitive Grounding and Theoretical Extensions, Amsterdam, 121–144.
Tacke, Felix (2020): „Linguistic Norm in Cognitive Linguistics“, in: Lebsanft, Franz/Tacke, Felix (Hg.): Manual of Standardization in the Romance Languages, Berlin/Boston, 183-208.
Tacke, Felix (im Druck): „Notizen zu einer historisch-vergleichenden kognitiven Grammatik“, in: Becker, Lidia et al. (Hg.): Fachbewusstsein der Romanistik. Romanistisches Kolloquium XXXII, Tübingen, 71-100.
Wilhelm, Raymund (2001): „Diskurstraditionen“, in: HSK 20.1, 467-477.

Beitrag von: Felix Tacke

Redaktion: Felix Tacke