Stadt: Augsburg

Frist: 2021-01-31

Beginn: 2021-10-04

Ende: 2021-10-07

Sektionsbeschreibung:
Hinsichtlich der (interlingualen) Textproduktion rückt spätestens mit der Skopos-Theorie und anderen handlungstheoretischen Ansätzen die Zielrezipientenschaft in den Fokus der Sprach- und Translationsforschung. Die Vielfalt übersetzerischer Herangehensweisen an denselben Ausgangstext und, daraus hervorgehend, die Vielfalt der entstehenden Übersetzungen lassen sich in dieser Hinsicht aus der Pluralität möglicher Rezipientengruppen ableiten. Eine – wenn auch sehr heterogene – Zielgruppe stellen Laien dar, für die anspruchsvolle Inhalte intralingual, interlingual und intersemiotisch neu aufbereitet werden. Anhand dieser von Jakobson (1959) geprägten Trias ließe sich jeder Wissenstransfer als ‚Übersetzung‘ charakterisieren, da er aus der Verwendung neuer sprachlicher bzw. anderer kommunikativer Mittel resultiert. Man könnte ihn auch, einer prinzipiellen Unterscheidung von Schreiber (1993) folgend, je nach Varianzgrad in das Kontinuum zwischen Übersetzung und Bearbeitung verorten. Solche Texttransferprozesse, die die Verständlichkeit bei einer breiten Laienrezipientenschaft bezwecken und nicht auf einer fundierten Expertise (Bromme/Jucks 2014) aufbauen, weisen spezifische Merkmale auf (Van Vaerenbergh 2010) und umfassen verschiedene Operationen, die in der Fachkommunikations- und Translationsforschung als Optimierung, Vereinfachung, polysemiotische/multimodale Gestaltung etc. bekannt sind. Diese Prozesse laufen sowohl innerhalb einer Sprachgemeinschaft als auch über Sprachgrenzen hinweg ab.

In der gegenwärtigen vernetzten Welt ergreifen aber immer wieder auch die Laien selbst in eigenverantwortlicher und selbstbewusster Weise das Wort. Nicht zuletzt deswegen gilt das World Wide Web u. a. als Infrastruktur für die demokratischsten Kommunikationsformen. Wenn Wissens- und Sprachtransfer auch jenseits von akademisch angeeigneter Expertise betrieben werden, birgt dies zum einen Gefahren der Trivialisierung bzw. der Wiedergabe sowie Zirkulation von fehlerhaftem Wissen, fördert aber auch kreative und unkonventionelle, sich abseits von wissenschaftlichen Mainstream-Theorien befindende Lösungen zutage. Dies gilt sowohl für Vermittlung von Wissen über Sprache und Sprachtransfer wie auch über jeden anderen Gegenstand im Medium der (Fremd-)Sprache.

Das Ziel der Sektionsarbeit besteht u. a. darin, in bewusster Fortführung der Theoreme der Laienlinguistik den Stellenwert von Laienurteilen in der translatorischen und translatologischen Praxis zu erforschen. Dieser Zielsetzung liegt die Erfahrung zugrunde, dass sich das „Laieninteresse an Sprache und Kommunikation“ (Antos 1996: 5) nicht nur monolingual manifestiert, sondern auch bei zwei- und mehrsprachigen Personen eine Fortsetzung im bi- sowie multilingualen Bereich erfährt und damit einer Reflexion auf der Ebene von Sprachkontrastierung und Sprachtransfer Tür und Tor öffnet. Die Laienlinguistik ist damit nicht nur eine für und oft auch von Laien betriebene „Sprach- und Kommunikationslehre zur Lösung muttersprachlicher Probleme“ (Antos 1996: 13), sondern auch solcher Zweifelsfälle, die sich beim Fremdsprachenerwerb und Sprachtransfer einstellen. So vermag es die Translationswissenschaft nicht nur, existierende Untersuchungen zur „Laienkommunikation“ (Busch 1994) fortzuführen, sondern auch um neue Perspektiven zu ergänzen. Dies tut sie, indem sie genuin sprachkontrastive und sprachübergreifende Korpora erschließt, welche die metasprachliche Reflexion auf eine neue Stufe heben.

Mögliche Anwendungsfelder und Fragestellungen sind:

  • Linguistische/semiotische Theorie: In welchem Maße können Formen des Wissenstransfers für Laien als Translation angesehen werden? Welche Operationen führen zu laiengerechter Kommunikation? Wie sehen konkret Optimierungs- und Vereinfachungsprozesse aus? Inwiefern kann die Übersetzung in ‚Einfache‘ bzw. ‚Leichte Sprache‘ als eine Form der Translation von/für Laien betrachtet werden? Sichert der Einsatz anderer als sprachlicher Mittel bzw. eine Kombination aus Verbalia und Nonverbalia Verständlichkeit? Wie kann ein common ground im Sinne Clarks (1996) bei Kommunikationspartnern mit großen Wissensdivergenzen aussehen?
  • Translationstheorie: Die seit Ende der 1950er Jahre betriebene Translationstheorie ist eine relativ junge akademische Disziplin. Übersetzungstheorien gibt es aber seit der Antike. Sind diese allesamt als Laientheorien zu bezeichnen? Wann gilt eine zwei- oder mehrsprachige Person als Sprachtransfer-Experte? Wie sind also translatorische Expertise und translatorisches Laientum zu definieren?
  • Translationspraxis: In welchen Fällen finden die oben genannten Vereinfachungs- und Optimierungsprozesse über Sprachgrenzen hinweg statt? Mit welchen Zielen übersetzen oder dolmetschen Laien? Welche Gefahren oder Potenziale bestehen bei der Laientranslation? Welche Bedingungen herrschen etwa beim Community Interpreting oder den verschiedenen Formen der Laienübersetzung im Film (Fansubs und Fandubs) vor? Inwiefern sind Laientranslationen von metareflexiven Paratexten und Einschüben begleitet, die zumindest in rudimentärer Weise die Leitlinien der eigenen translatorischen Arbeit festhalten?
  • Gesellschaftliche Relevanz: Inwiefern leistet der auf Laien zugeschnittene Wissenstransfer einen Beitrag zu Inklusion, Partizipation, Empowerment und Demokratisierung der Wissensvermittlung?

Diesen und weiteren Fragen auf den Grund zu gehen ist Ziel der Sektionsarbeit. Interessierte sind herzlich dazu eingeladen, bis zum 31.01.2021 an agnetta@uni-hildesheim.de einen Beitragsvorschlag in deutscher oder einer romanischen Sprache einzureichen.

Auswahlbibliographie:
ANTOS, Gerd (1996): Laien-Linguistik. Studien zu Sprach und Kommunikationsproblemen im Alltag. Am Beispiel von Sprachratgebern und Kommunikationstrainings. Tübingen: Niemeyer.
BREDEL, Ursula / MAASS, Christiane (2016): Leichte Sprache: Theoretische Grundlagen. Orientierung für die Praxis (Deutsch). Berlin: Duden.
BROMME, Rainer / JUCKS, Regina (2014): „Fragen Sie ihren Arzt oder Apotheker: Die Psychologie der Experten-Laien- Kommunikation“. In BLANZ, Mathias / FLORACK, Arnd / PIONTKOWSKI, Ursula [Hrsg.]: Kommunikation. Eine interdisziplinäre Einführung. Stuttgart: Kohlhammer. S. 237–246.
BUSCH, Albert (1994): Laienkommunikation. Vertikalitätsuntersuchungen zu medizinischen Experten-Laien-Kommunikationen. Frankfurt a. M.: Peter Lang.
CLARK, Herbert H. (1996): Using language. Cambridge: Cambridge University Press.
FURNHAM, A. F. (1988): Lay Theories. Everyday understanding of problems in the social sciences. Oxford: Pergamon Press.
JAKOBSON, Roman (1959): „On Linguistic Aspects of Translation“. In: ders. (1971): Word and Language. The Hague: Mouton. S. 260–266.
SCHREIBER, Michael (1993): Übersetzung und Bearbeitung. Zur Differenzierung und Abgrenzung des Übersetzungsbegriffs. Tübingen: Narr.
VAERENBERGH, Leona van (2010): „Writing and Translation in Expert–Non-expert Communication. Methods, Guidelines and Quality Assessment”. In: Synaps 24, S. 13–24.

Organisation:
Marco AGNETTA und Sofia DALKERANIDOU (Institut für Übersetzungswissenschaft und Fachkommunikation der Stiftung Universität Hildesheim)

Beitrag von: Marco Agnetta

Redaktion: Robert Hesselbach