Das Seminar für Romanische Philologie der Universität Göttingen trauert um Professor Dr. Dieter Steland, der am 29. April 2021 im 88. Lebensjahr verstorben ist.1964 kam er mit Jürgen von Stackelberg als dessen wissenschaftlicher Assistent nach Göttingen. Nach seinem Studium der Romanistik, Germanistik und Philosophie in Freiburg, München und Paris, das er mit dem Staatsexamen und 1961 mit der Promotion abschloss, hatte er von 1962 bis 1964die Stelle eines wissenschaftlichen Assistenten am Lehrstuhl für Vergleichende Literaturwissenschaft (Prof. W. Naumann) der Technischen Hochschule Darmstadt inne. In Göttingen erfolgte nach seiner Assistententätigkeit die Ernennung zum Akademischen Rat (1968) mit späterer Beförderung zum Oberrat und Akademischen Direktor. 1979 habilitierte er sich im Fach Romanische Philologie (Literaturwissenschaft)und wurde in der Folge 1982 zum Professor ernannt. In der Lehre waren seine Schwerpunkte Französische und Italienische Literatur. Am 1. Oktober 1997 trat er in den Ruhestand.Dieter Steland war ein allseits geschätzter und beliebter akademischer Lehrer. Er hat zur wissenschaftlichen und menschlichen Prägung des Seminars einen gewichtigen Beitrag geleistet. In den schwierigen Zeiten der hochschulpolitischen Auseinandersetzungen war er ein ruhender Pol und hielt zur Mäßigung an. In vorbildlicher Weise verband er als Person intensive und verantwortliche Lehr-und Prüfungstätigkeit mit seinen ausgeprägten Forschungsinteressen.Schon in seiner Freiburger, von seinem Lehrer Hugo Friedrich betreuten Dissertation über Mallarmés Sprach-und Dichtungsverständnis zeigte sich seine Fähigkeit, sehr schwierige Texte analysierend zu erschließen und überzeugend zu interpretieren. Die überarbeitete Dissertation erschien 1965 unter dem Titel „Dialektische Gedanken in Stéphane Mallarmés ’Divagations’“. Der Titel verrät auch das in Stelands Arbeiten gegenwärtige philosophische Interesse.Auch bei der Wahl des Themas für seine Habilitationsschrift wirkte die Freiburger Studienzeit nach. Hugo Friedrichs Montaigne-Buch und die Beschäftigung mit der Moralistik hatten seine Aufmerksamkeit geweckt. Es ging darum, den Zusammenhang zwischen der sich entwickelnden Moralistik und der psychologisch vertieften Erzählkunst von La Rochefoucauld und Mme de Lafayette bis Marivaux zu erforschen. Das Werk erschien 1984 als Buch.Dieter Steland hatte ein besonderes Gespür für geschichtlichen Wandel, wie er sich in literarischen Texten manifestiert. Ein sehr eindrucksvolles Beispiel ist seine Untersuchung einer Erzählung aus dem 19. Jahrhundert, Balzacs „Un Épisode sous la Terreur“ (1829), die Steland unter dem Titel „Balzac und der Scharfrichter der Revolution“ in dem Band „Romanistik und Französische Revolution. 200 Jahre Französische Revolution –100 Jahre Seminar für Romanische Philologie Göttingen“ (1991) veröffentlicht hat. In sehr subtiler Weise wird der Kerngedanke entwickelt, wie die unaufhebbare Grunderfahrung der Geschichtlichkeit des menschlichen Daseins im schicksalhaften Erlebnis des Scharfrichters und im Erzählvorgang zum Ausdruck kommt.Im Laufe der Zeit und verstärkt nach dem Eintritt in den Ruhestand hat sich in den Arbeiten Dieter Stelands ein Interessenschwerpunkt herausgebildet, der in zahlreichen Aufsätzen fruchtbar geworden ist: die Erforschung der oft verborgenen Quellen von Themen, Motiven, Aphorismen, Emblemata in literarischen Werken und deren Fortleben. In seiner Publikationsliste (http://steland.net/?Dieter_Steland) sind die Beiträge getrennt nach Literaturen aufgeführt: zur italienischen Literatur (z.B. Petrarca, O. Lando, Foscolo, Bufalino, Moravia, Calvino); zur
französischen Literatur (z.B. Du Bellay, Bussy-Rabutin, La Rochefoucauld, Racine, Voltaire, Balzac, Maupassant, Mallarmé, Sartre); zur deutschen Literatur (z.B. Schiller, Stifter, Fontane, Hofmannsthal, Botho Strauß). Diese Untersuchungen zeugen von großer Gelehrsamkeit und erstaunlicher Belesenheit als Voraussetzung für viele aufschlussreiche Entdeckungen. Dadurch dass sich Steland nicht auf die rein stofflichen Nachweise beschränkt, sondern die Funde in ihrem literarischen Zusammenhang interpretiert, entsteht ein dichtes Bild literarischer Traditionen und geschichtlicher Wandlungen.Die Universität Freiburg hat Dieter Steland 1988 mit dem „Freiburger Forschungspreis zu Ehren von H. Friedrich und E. Köhler“ gewürdigt.Unter dem Titel „Nachschriften“ hat Dieter Steland selbst eine Darstellung seines Lebens-und Werdegangs von der Kindheit bis zum Alter veröffentlicht (in: Klaus-Dieter Ertler, Hg., Romanistk als Passion. Fachgeschichte: Romanistik, Bd. 6, Wien 2018, S. 353-386). Er schildert darin sein an prägenden Begegnungen und Freundschaften so reiches Leben und würdigt auch den Anteil, der seiner Ehefrau, der Kunsthistorikerin Dr. Anne Charlotte Steland, in seiner geistigen Welt zukommt. Der Tod von Dieter Steland bedeutet für das Seminar einen großen Verlust. Er wird unvergessen bleiben.
Hermann Krapoth

Beitrag von: Birgit Schädlich

Redaktion: Christine Montmasson