Stadt: Heidelberg/Versailles

Frist: 2022-02-15

Beginn: 2022-11-07

Ende: 2022-11-10

Am 8. Dezember 1722 jährt sich zum 300. Mal der Todestag der Elisabeth Charlotte von der Pfalz (1652–1722), gemeinhin bekannt als „Liselotte“ oder – in Frankreich – als „Madame Palatine“. Sie ist noch heute in Deutschland und Frankreich nicht nur geschichts- und literaturwissenschaftlichen Spezialisten der höfischen Kultur der frühen Neuzeit, sondern auch einer breiteren Öffentlichkeit jenseits von Universität und Forschung ein Begriff. Dies verdankt die Tochter eines pfälzischen Kurfürsten und Schwägerin von Ludwig XIV. ihrer Leidenschaft für das Briefeschreiben: Seitdem in der Mitte des 19. Jahrhundert die Mehrzahl ihrer geschätzt 6.000 erhaltenen Briefe publiziert wurden (wenn auch in oft fragmentierten Versionen), wird sie beiderseits des Rheins als zuverlässige „Ankedotenlieferantin“ herangezogen.
Besonders in Deutschland wurde Liselotte zur Kronzeugin der deutsch-französischen „Erbfeindschaft“ der zweiten Hälfte des 19. und der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts. Ihr „urdeutsches Wesen“ wurde der „wüsten Umgebung einer scham- und zuchtlosen Frivolität“, der „sittlichen Zuchtlosigkeit des französischen Hofes“ entgegengestellt. In zahlreichen Theaterstücken und populären Biographien wurde dieses Bild in beiden Ländern vertieft. Erst Arlette Lebigre und Dirk van der Cruysse unternahmen 1986 und 1989 mit ihren Biographien den Versuch der Überwindung dieser noch immer wirksamen Klischees. Ihre Porträts leiteten eine kurze Phase der erhöhten Aufmerksamkeit für Elisabeth Charlotte ein, unterstützt durch die Große „Liselotte“-Ausstellung 1996–97 in Heidelberg. In diesen Jahren formulierte Desiderate der Forschung (u.a. kritische und vollständige Edition ihrer Korrespondenzen) konnten jedoch nicht umgesetzt werden. Dabei bewiesen Forschungen immer wieder die Reichhaltigkeit Ihrer Briefe für Fragestellungen weitab des anekdotischen und der ewigen Betonung ihres „deutschen Wesens“. Erst in den letzten Jahren nahm das Interesse an Liselotte wieder zu, wie mehrere Arbeiten zum literarischen Potenzial ihrer Briefe verdeutlichen.
Der 300. Todestag der Prinzessin soll zum Anlass genommen werden, sich erneut mit ElisabethCharlotte und ihren Briefen auseinanderzusetzen, die Diskussion der frühen 1990er Jahre aufzugreifen, ihre Biographie vor dem Hintergrund aktueller Forschungen zur höfischen Kultur in Versailles neu zu bewerten, innovative Ansätze zur Körperlichkeit und Rhetorik in den Briefen zu bilanzieren und neue Fragestellungen zu entwickeln. Geplant ist eine Tagung, die an zwei aufeinanderfolgenden Tagen in Heidelberg und in Versailles stattfinden wird, den beiden Orten, die das Leben der Herzogin maßgeblich geprägt haben. Ein besonderes Anliegen der Tagung, ist, literaturwissenschaftliche und historische Fragestellungen und Perspektiven zusammenzubringen und einen transdisziplinären Austausch anzuregen. Dabei soll auch die von Van der Cruysse angestoßene Revision des Bildes der „deutschen Liselotte“ fortgeführt und zugleich einem größeren Publikum zugänglich gemacht werden. Ziel der Tagung ist die endgültige Dekonstruktion „klassischer“ oder besser „deutschnationaler“ Liselotte Bilder. Stattdessen gilt es, in Weiterentwicklung der Bemühungen Dirk Van der Cruysses, Elisabeth Charlotte in der Société des Princes zu verorten.
Um kultur- und ideengeschichtliche, (auto-)biographische und literaturwissenschaftliche Fragestellungen miteinander zu verschränken und so spannende Synergieeffekte zu erzeugen, soll die Tagung in vier thematische Schwerpunkte untergliedert werden.

Erstens: Etappen der Liselotte-Wahrnehmung im Laufe der Jahrhunderte. In dieser Sektion soll das stereotype Bild Liselottes, das sich durch die fragmentierte Rezeption ihrer Briefe entwickelte, dekonstruiert werden. Themen der Vorträge könnten lauten: Elisabeth Charlotte in Literatur, Theater und Film. Wie national ist die Wahrnehmung Elisabeth Charlottes in verschiedenen Medien? Wie unterscheiden sich die Liselotte-Bilder in Frankreich und Deutschland? Haben Ausstellungen zum „nationalen“ Liselotte-Bild beigetragen? Möglich sind außerdem Ansätze aus der Editionsphilologie, die die Editionsgeschichte des Briefwerks kritisch beleuchten.

Zweitens: Elisabeth Charlotte am Hof Ludwigs XIV. und der Régence. In dieser Sektion sollen die Selbstzeugnisse Elisabeth Charlottes mit anderen historischen Quellen und Beobachtungen ihrer Zeitgenossen konfrontiert werden. Möglich sind auch Beiträge, die die Beziehungen Elisabeth Charlottes zu anderen Mitgliedern der Familie und des Hofes thematisieren. War sie tatsächlich so isoliert, wie sie immer dargestellt wurde? Welche Rollen und Aufgaben kamen der Schwägerin des Königs zu? Wie lassen sich die Geschlechtergeschichte des Hofes und die Ehe zwischen Elisabeth Charlotte und Philipp von Orléans bewerten? Wie veränderte sich Elisabeth Charlottes Stellung am Hofe während der Régence? Welche Perspektiven ergeben sich aus ihren Briefen auf die Régence? Welchen ideengeschichtlichen Beitrag leisten ihre Briefe zu den Diskursen ihrer Zeit?

Drittens: Lektüren. Ziel der Sektion ist, die Reichhaltigkeit der Briefe Elisabeth Charlottes für Fragen und Problematisierungen der Kulturgeschichte oder Literaturwissenschaften (um nur zwei Disziplinen zu nennen) aufzuzeigen. Ihre Briefe bieten weitaus mehr als die immer wieder zitierten Anekdoten und skatologischen Derbheiten. Beiträge zu den Poetiken und Strategien der diskursiven Selbstthematisierung sind ebenso erwünscht, wie die Analyse unterschiedlicher rhetorischer Register im Werk Liselottes. Auch rezeptionsästhetische Ansätze, die die Briefe Elisabeth Charlottes hinsichtlich ihrer zahlreichen Kommentare zu zeitgenössischen Werken untersuchen, sind willkommen. Schlussendlich begrüßen wir editionsphilologische Überlegungen in Hinblick auf eine Gesamtedition der Briefe.

Viertens: Elisabeth-Charlotte – „Princesse européenne“. In dieser Sektion sollen die verwandtschaftlichen und freundschaftlichen Netzwerke „Madames“ thematisiert werden: Im Fokus stehen „Porträts“ von Verwandten und Freunden, sowie Elisabeth-Charlottes Ruf als „Brokerin“ für den deutschen Adel am französischen Hof. Darüber hinaus soll das Verhältnis zwischen Elisabeth Charlotte und der Pfalz-Simmerschen Dynastie untersucht werden. Aus literaturwissenschaftlicher Perspektive stellt sich hier die Frage, inwiefern Liselotte durch ihren oftmals pikanten Stil und ihre provokante Themenwahl entscheidend an der Kreation und Verfestigung nationaler Stereotype mitwirkt.

Willkommen sind Beiträge aus allen historisch arbeitenden Kulturwissenschaften und verwandten Fächern, gerne mit interdisziplinären Ansätzen. Vorschläge (Abstract von ca. 1 Seite, kurzer akademischer CV) sind in deutscher, französischer oder englischer Sprache bis zum 15. Februar 2022 an Sven Externbrink (sven.externbrink@zegk.uni-heidelberg.de) zu richten. Rückmeldungen erfolgen Anfang März 2021.

Comité Scientifique:
Matthieu Da Vinha, Centre de Recherche du Château de Versailles
Sven Externbrink, Universität Heidelberg
Thomas Maissen, DHI Paris
Sophia Mehrbrey, Universität des Saarlandes

Beitrag von: Sophia Mehrbrey

Redaktion: Robert Hesselbach