Nach einer Phase des intensiven Austauschs zwischen Traumkunst und Traumforschung zwischen 1850 und 1950 bleibt der Traum, auch nach dem Zweiten Weltkrieg, ein zentraler Gegenstand der Künste wie der Wissenschaften. Allerdings zeichnen sich im Umgang mit ihm deutliche Veränderungen ab, die auch Hinweise darauf sind, dass das »Jahrhundert der Psychologie« zu einem Ende gekommen ist: Die Neurowissenschaften, die das Wissen über das menschliche Gehirn und das menschliche Bewusstsein auf eine neue Grundlage stellen, avancieren zum dominierenden Forschungsparadigma, finden in den artistischen Traumkulturen aber zunächst kaum Widerhall. Ähnliches gilt für die bildgebenden Verfahren der Computertomografie, die im Rahmen der Schlaflaborforschung neue Einsichten über das träumende Gehirn vermitteln.

Die Allianz zwischen den Künsten und der medizinisch-psychologischen Forschung, die sich in der Auseinandersetzung mit dem Traum ein Jahrhundert lang als so fruchtbar erwiesen hat, verliert für mehrere Jahrzehnte an Bedeutung. Dagegen nimmt der Dialog mit der Psychoanalyse an Intensität zu, besonders was Literatur und Film angeht. Literarische und filmische Subjektivitätsentwürfe werden nun, häufig in Rückgriff auf Freuds Konzept des Unbewussten, mittels traumhafter Darstellungsverfahren gestaltet. Innerhalb der Psychoanalyse selbst dagegen scheint der Traum seine zentrale Stellung als »Via regia zur Kenntnis des Unbewußten« verloren zu haben, auch wenn er innerhalb der Behandlungspraxis weiterhin eine große Rolle spielt: In der psychoanalytischen Theoriebildung tritt die Auseinandersetzung mit dem Traum zugunsten anderer Paradigmen zurück. Gleichzeitig rücken Träume in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verstärkt in den Fokus von Geschichts-, Sozial- und Politikwissenschaften, die sie als Reaktion eines meist psychoanalytisch gedachten Unbewussten auf Veränderungen auch der kollektiven Lebenswelten verstehen und als Seismografen für soziale und politische Veränderungen zu würdigen beginnen.

Mit der Zunahme virtueller Welten im Rahmen geänderter technischer Möglichkeiten, ihrer theoretischen Diskussion und ihrer künstlerischen Erprobung ab den 1990er Jahren, wird der Traum wieder zunehmend im Spannungsfeld von Wissenschaft, Technik und Kunst verhandelt. Die wissenschaftlichen wie künstlerischen Darstellungsverfahren des Traums ebenso wie die subjekttheoretische Auseinandersetzung mit der Traumerfahrung im späten 19. und im 20. Jahrhundert scheinen, wie ein medienarchäologischer Ansatz zeigt, zum Modell immer neuer Immersionstechniken zu werden. Gleichzeitig knüpfen Simulationsfilme und Computerspiele seit der Jahrtausendwende offensichtlich formal und thematisch gern an überlieferte onirische Welten an und gestalten sie neu. Im literarisch-künstlerischen wie im philosophischen Diskurs schließlich läuft die Auseinandersetzung mit dem Thema Virtualität, die darauf abzielt, das Konzept von Realität als solches neu zu denken bzw. gänzlich ad acta zu legen, nicht selten entlang der Diskussionslinien, die auch die Auseinandersetzung mit dem Traum bestimmt haben bzw. bestimmen.

Organisation: Dominic Angeloch, Marie Guthmüller und Kerstin Thomas
Kontakt: angeloch@lingua.uni-frankfurt.de / marie.guthmueller@hu-berlin.de / kerstin.thomas@ikg.uni-stuttgart.de

Programm: http://www.culturaldreamstudies.eu/images/Documents/Flyer19.04.pdf
Broschüre: http://www.culturaldreamstudies.eu/images/Documents/Broschuere19.04.pdf
Plakat: http://www.culturaldreamstudies.eu/images/Documents/Plakat21.04.pdf
Stream: https://hu-berlin.zoom.us/j/68612383583?pwd=V1JtWS9aV-kV5bWYrR1YvTVJmSUM0QT09

12. – 14. Mai 2022 an der Humboldt-Universität zu Berlin
Lichthof (Ost)
Hauptgebäude, Erdgeschoss
Unter den Linden 6
10117 Berlin

TH, 12 MAY 2022
Part I: Traum, Subjekt und Kollektiv in Literatur und Film
Direction: Marie Guthmüller

13.30 Marie Guthmüller
Begrüßung und Einführung

14.00 Brigitte Heymann
Die Traumpoetik Hélène Cixous‘ oder die Praxis der Ver-Fremdung des Subjekts

14.45 Michaela Schrage-Früh
Traum und Subjekt in Kazuo Ishiguros The Unconsoled (1995)

15.30 Coffee break

16.00 Marie Guthmüller
Traum und Ethnologie bei Carlo Levi und Ernesto de Martino

16.45 Susanne Goumegou
Kollektive Träume im afrikanischen Roman der Gegenwart

17.30 Coffee break

18.00 Christiane Solte-Gresser
„Miné par des chauchemars“: Träume der Nazitäter in Romanen von Olivier Guez, Jonathan Littell und Daša Drndić

18.45 Sandra Janßen
Unter dem Kapitalismus träumen. Macht und Traum

20.00 Coming together (optional)

FR, 13 MAY 2022
Part II: Dream and Virtuality

Direction: Kerstin Thomas

09.15 Kerstin Thomas
Introduction

09.30 Annina Klappert
The Virtuality of Dream as ‘Sandy’ Reality

10.15 Julia Weber
Virtual Animation of the Senses: From Ignatius of Loyola’s Spiritual Exercises to Contemporary Forms of Virtual Reality

11.00 Coffee break

11.30 Stefanie Kreuzer
Dream – Film – Immersion: MULHOLLAND DR. (USA/F 2001) and other Films on Dreams from the Turn of the Millenium

12.15 Kerstin Thomas
Dream-Avatars: Emotionality and Alienation in Ed Atkin’s Video-worlds

13.00 Lunch break

14.30 Mireille Berton
Dreamscape (1984): Dreams and Virtuality at the Dawn of the Digital Age

15.15 Andrea Pinotti, Giancarlo Grossi, Elisabetta
Modena
Virtual/Augmented Realities Between Dream and Hallucination

17.15 Coffee break

17.45 Hannah Ahlheim
The Irrelevance of Dreaming: Assessing sleep by “quantification”

18.30 Evening lecture
Devin Zuber
Death is Waking Up: Dreaming with Marina Abramović

20.00 Conference dinner

SA, 14 MAY 2022
Part III: Traum und Psychoanalyse nach 1950: Theorie, Forschung, Praxis

Direction: Dominic Angeloch

09.30 Dominic Angeloch
Einführung

09.45 Hans-Walter Schmidt-Hannisa
Hermeneutik der Serialität. Strategien der Traumdeutung in Detlev von Uslars Tagebuch des Unbewussten

10.30 Heinrich Deserno
Symbole im Traum und der Traum als symbolische Form

11.15 Coffee break

11.45 Dominic Angeloch
Eine Erinnerung an die Zukunft der Traumdeutung: Über Wilfred Bions Spätwerk

12.30 Mai Wegener
Traum und Träumer – Zu den Verschiebungen in der Herangehensweise Lacans

13.15 Peter Schneider
Fritz Morgenthaler. Traumdeutung als strenge Kunst betrachtet

14.00 Collective lunch (optional)

Beitrag von: Manuel Gianotti

Redaktion: Robert Hesselbach