Frist: 2022-11-30

Einladung zu Beiträgen: Serendipitäres Spurenlesen. Zur kulturellen Relativität des Indizienparadigmas in Detektiverzählungen und Wissenschaft
Sammelband in der Reihe „Diskurse der Kriminalität in Literatur und Medien“ (Metzler Verlag), hrsg. Joachim Harst (Köln) und Reinhard Möller (Frankfurt a.M.)

Der Sammelband beschäftigt sich mit der Bedeutung von Serendipität (Zufallskreativität) für das detektivische und wissenschaftliche Spurenlesen und Schlussfolgern. Dabei geht er von den anregenden und viel diskutierten Arbeiten von Carlo Ginzburg aus, der Spurenlesen und Zeichendeuten als grundlegende Praktiken der Humanwissenschaften erwiesen hat: Detektive und Wissenschaftler teilen sich das sogenannte „Indizienparadigma”. Da Detektive in der Literatur regelmäßig als sowohl professionelle wie kreative Leser dargestellt werden, kann man seither fragen, was die Literaturwissenschaft aus Detektivgeschichten über sich selbst lernen kann.

Der Sammelband spitzt diese Frage auf die literarische Herkunft des Begriffs „Serendipität” und auf seine Anwendbarkeit auf literaturwissenschaftliche (und literarische) Verfahren zu. Er untersucht zum einen, welche Rolle Serendipität für detektivische und wissenschaftliche Erkenntnis- und Erzählpraktiken spielt und in welchem Verhältnis diese „Zufallskreativität” zur (behaupteten) Logik des Schlussfolgerns steht. Zum anderen untersucht er die literarische Ursprungsgeschichte des Begriffs. Er wurde 1754 erstmals von Horace Walpole geprägt, der sich dabei aber auf eine orientalische Geschichte des Spurenlesens und Schlussfolgerns bezog: Hierbei handelt es sich um den Märchenstoff der „Drei Prinzen von Serendip”, der aus den indisch-persischen Literaturen des Mittelalters in der Frühen Neuzeit nach Europa gelangte, im 17. und 18. Jahrhundert Furore machte und Ende des 19. Jahrhunderts das besondere Interesse der frühen deutschsprachigen Komparatistik auf sich zog. Die Prinzen können als Vorbilder klassischer westlicher Detektivfiguren wie Sherlock Holmes (und auch investigativ arbeitender Philologen) gelesen werden, gleichzeitig wenden sie aber andere Verfahren des ,serendipitären Spurenlesens’ an, die sich von westlicher „ratiocination” (Edgar Allan Poe) deutlich unterscheiden – und gerade diese erzählten Verfahrensweisen inspirierten offensichtlich Walpoles Serendipity-Entwurf.

Mit der „kulturellen Relativität des Indizienparadigmas” adressiert der Band daher die Frage nach außereuropäischen Ursprüngen der detektivischen Ratio und vergleicht verschiedene literarische Darstellungen serendipitären Spurenlesens aus unterschiedlichen Epochen und Nationalliteraturen miteinander. Lassen sich verschiedene Logiken des Spurenlesens und Schlussfolgerns in verschiedenen literarischen Kulturen nachweisen? Spiegelt möglicherweise die Geschichte des Genres zwischen Alter und Neuer Welt selbst eine vielfältige Logik wider? Und wie stehen diese verschiedenen Verfahrenslogiken mit unterschiedlichen Modellen (literatur)wissenschaftlicher Investigation in Beziehung?

Der geplante Sammelband wird bei Metzler in der Reihe „Diskurse der Kriminalität in Literatur und Medien“, hg. v. Susanne Düwell und Christof Hamann, erscheinen.

Beiträge können auf Deutsch oder auf Englisch eingereicht werden.
Abgabefrist für Vorschläge/Abstracts von bis zu einer Seite: 30.11.2022
Geplante Abgabefrist für Beiträge: 31.03.2023
Fragen und Vorschläge bitte an jharst@uni-koeln.de und moeller@lingua.uni-frankfurt.de

Beitrag von: Lukas Hermann

Redaktion: Robert Hesselbach