Zeiten der Pandemie sind Epochen der Maskerade. Schon die Pest forderte die Schutzmasken mit Räuchergut, auch die Corona-Epidemie hat die Maske zum Alltagsgegenstand werden lassen. Sie sind nicht mehr nur in der Kunst zuhause. Sie bieten die Möglichkeit, gleichzeitig zu verbergen und zu zeigen. Denn Masken verstecken das Gesicht und die Identität, zugleich sind sie in der Lage, ein Anderes zu behaupten. Dabei hängt die Erkennbarkeit der Maske von ihrer Beschaffenheit ab, ob es eine wie im antiken Theater geschnitzte, eine Ledermaske der Commedia dell’arte, eine Schutzmaske, schlicht Schminke oder gar Metaphorik ist. Dieses Zusammenspiel von Innen und Außen ist eine Frage der Ästhetik und Ethik gleichermaßen, wie in der Konzeption der Kalokagathia bereits deutlich wird. Ist die Maske erkennbar, dann generiert sie maximal die Fiktion einer Identität, ist sie mit dem Träger verschmolzen, zeigt sie die perfekte Simulation, wird zum Träger selbst, behauptet ein Simulacrum.
Der natürliche Umgang mit der Maske, der gleichwohl künstlich generiert, ja als Maskenspiel erlernt ist, behauptet implizit, dass sie weder sichtbar noch vorhanden ist. Die Verfügbarkeit der Maske wird aufgehoben, die Wandelbarkeit ebenso, wenn die Persona entstehen soll. Was in der höfischen Literatur, in der Schauspieltheorie und im Theater immer wieder affirmativ, ironisch und kritisch beleuchtet wurde, wird in der Moderne sodann als Begrifflichkeit genutzt, um die Distanz zum eigenen Ich zu veranschaulichen und um gleichzeitig in einen Dialog mit dem Publikum zu treten. In künstlerischen wie sozialphilosophischen Reflexionen ist dabei nicht zuletzt das Verhältnis der Maske zu dem, was sich hinter ihr befindet, thematisiert worden. Und dieses ist nicht selten selbst innerhalb einer Logik der Maske thematisiert worden. Bergmanns „Persona“ etwa erkundet nicht zuletzt die (ästhetische) Maskenhaftigkeit sozialer Rollen und wirft weitreichende Fragen bezüglich der personalen Identität auf. Michel Foucault hat gegenüber dem mittelalterlichen Topos, dass die Seele die Gefangene des Körpers sei, diesen umgekehrt, was sich wie folgt für die Frage der Maske fruchtbar machen lässt: Hinter der Maske gilt es keine “eigentliche” Identität zu entdecken, sondern unsere Identität ist in bestimmter Weise nicht unabhängig von maskenhaften Verkörperungen zu begreife; eine Person zu sein heißt immer auch, sich zu bestimmten Rollen und ihren prototypischen Ausprägungen zu verhalten. Dies nutzen auch jüngere Medien und Künste im analogen wie digitalen Bereich. Im Computerspiel ist die Persona grundlegendes Element bzw. namensgebend (Atlus).

Die sozialtheoretische Dimension zeigt sich auch im Zusammenhang von Maske und Masse. In der Masse aufgehen und sich von ihr abheben, sind Möglichkeiten, die die Maske erlaubt.
Aber sie wird in der Moderne auch selbst problematisiert, etwa wenn in Victor Hugos NotreDame de Paris der Protagonist Quasimodo zum Narrenkönig gewählt wird, weil sein Gesicht, ja sein ganzer Körper Fratze ist. Für Luigi Pirandello schließlich wird die Maske zur Metonymie seiner Poetik, die ein Kaleidoskop von Menschenbildern entwirft, ja ermöglicht, das in seinem Theaterwerk (Maschere nude) und in seinen Romanen thematisiert und problematisiert wird. Die Identitätsfrage wird nicht zuletzt auch in seinem theoretischen Werk, L’umorismo, durch die Maske namhaft oder als Modell aufgerufen. Die Schminke, der gesamte Aufzug werden für Pirandello zum Interface des Austauschs zwischen Selbst und Anderem, sodass Persona und erlebendes Ich auseinanderfallen, aber für Pirandello eben nicht bloß komisch wirken, sondern eine Reflexion hervorbringen, die den Umorismo auszeichnet.
Solche Formen der Problematisierung und Reflexion der Maskengestaltung, ihrer Verwendung, steht im Zentrum der geplanten Tagung, um im Vergleich der Künste die funktionale Verwendung dieses Theaterrequisits, das eine Technik impliziert, zu untersuchen und die Spezifik der jeweiligen Künste anhand der Masken, eben der Persona herauszuarbeiten. Dabei interessieren uns Beispiele der bildenden Kunst, des Digitalen, des Computerspiels, des Theaters, der erzählenden Literatur und der sozialen Rolle, die jeweils die Maske als Fiktions- oder Simulationsgenerator verstehen, thematisieren oder problematisieren. Pirandello stellt dabei grundsätzlich einen wichtigen, aber nicht die einzige Referenz dar. Die historische Breite wird von der Mitte des 18. Jh. bis heute als epochale Auseinandersetzung und damit als Suspension der Kalokagathia zu fassen sein. Von Interesse sind Ausgestaltungen von Persona in den Künsten, Maskenverwendungen, -gestaltungen und -problematisierungen, die stets die Produktion von Fiktion und / oder Simulation bedenken.

24.11.2022 – Italienzentrum und abk, Universität Stuttgart

Organisation Kirsten Dickhaut, Daniel Martin Feige, Sven Torsten Kilian

Casino, Geschwister-Scholl-Straße 24d

09.00 Einführung Kirsten Dickhaut

Diskussionsleitung: Kirsten Dickhaut

09.15-10.00 Gabriele Brandstetter, Das Versprechen der Maske – Choreographien von Identität in Kunst und Alltag
10.00-10.45 Daniel Martin Feige, Zur Dialektik der Maske in den Künsten

Diskussionsleitung: Sven Thorsten Kilian

11.00-11.45 Kerstin Thomas, Maske und Identität in Ed Atkins’ Videoarbeiten
11.45-12.30 Rostislav Tumanov, Frühneuzeitliche Darstellungen von Commedia dell’Arte – Masken zwischen Konventionalisierung und Bedeutungsoffenheit.

Senatssaal, Keplerstraße 7

Diskussionsleitung: Daniel Martin Feige

13.30-14.15 Sven Thorsten Kilian, Maske und Masse: Pirandellos Uno, nessuno e centomila
14.15-15.00 Roland Meyer, Körperlose Masken. Über digitale Gesichter und die Grenzen ihrer Erkennung
15.00-15.45 Ulrike Pompe-Alama, Vorstellbarkeit und das Problem der personalen Identität

Beitrag von: Selina Seibel

Redaktion: Robert Hesselbach