Stadt: Leipzig

Frist: 2023-02-12

Beginn: 2023-09-24

Ende: 2023-09-27

Sektion 7
XXXVIII. Romanistentag in Leipzig, „Präsenz und Virtualität“

Persönliche Netzwerke in der Geschichte der Grammatik und der Linguistik der romanischen Sprachen:
Kontakte und Austausch zwischen deutschsprachigen, spanischsprachigen und portugiesischsprachigen Forschenden

Sektionsleitung und Kontakt:
Carsten Sinner (Universität Leipzig), E-Mail: sinner@uni-leipzig.de
Guillermo Toscano y García (Universität Leipzig/ Universität Buenos Aires) E-Mail: guillermo.toscano_y_garcia@uni-leipzig.de

Es gibt eine lange Geschichte der Kontakte zwischen in deutschsprachigen Ländern lebenden und spanisch- oder portugiesischsprachigen Wissenschaftlern, aber abgesehen von Arbeiten zu einigen wenigen herausragenden Persönlichkeiten (wie Humboldt, Lenz oder Lehmann Nitsche) liegen bisher wenige Studien und sehr wenige Veröffentlichungen zu diesen Beziehungen vor. Zudem betrachten diese in der Regel nur punktuelle Aspekte oder konzentrieren sich auf biobibliographische Aspekte, ohne sich mit den im Kontext der Kontakte transferierten Inhalten auseinanderzusetzen (s. z. B., wie in der Forschung mit der Arbeit des Deutschen Gerhard Moldenhauer umgegangen wurde, der sich nach dem Zweiten Weltkrieg nach Argentinien geflüchtet hatte, um sich möglichen Repressalien infolge seiner Rolle im nationalsozialistischen Deutschland zu entziehen, etwa bei Jedlitschka (2006) oder Höpfner (1999)).
Eine wichtige Veröffentlichung liegt mit dem Band von Chicote/Göbel (2011) über die Zirkulation von Wissen und die Querverbindungen zwischen Kultur und Wissensinhalten zwischen der spanischsprachigen Welt und Deutschland vor, aber wie die Mehrzahl der Arbeiten zu dem Thema, das hier im Mittelpunkt stehen soll, fokussiert diese Veröffent¬lichung die Rolle der aus Deutschland kommenden Gedanken und Wissensbestände in der Herausbildung der Wissenschaftssysteme und der höheren Bildung sowie die institutiona-lisierten Wissenschaftsbeziehungen zwischen den Ländern des Cono Sur und Deutschland nach 1945; es behandelt verschiedene Wissensbereiche, in denen es zu einem Transfer oder einer „Bewegung“ von Wissensinhalten gekommen ist, etwa die Ausstrahlungskraft der deutschen Rechtswissenschaft nach Argentinien, soziologische Aspekte, die Geschichte der deutschen Philosophie und ihrer Rezeption in den Ländern des Cono Sur und den Beitrag deutscher Wissenschaftler zur Entwicklung der Anthropologie in Südamerika. Die Arbeit von Linguisten oder Philologen wird nicht gesondert betrachtet, und somit wird auch nicht von den Beziehungen zwischen deutschsprachigen und lateinamerikanischen Wissenschaftlern in diesem Bereich gesprochen. Arbeit wie Toscano y García/ Sinner (2020) oder Pérez Corti (2019) sind diesbezüglich eine Ausnahme.
Aus der Perspektive der Linguistik in Deutschland konzentrierte sich die Aufmerksamkeit vor allem auf das Schicksal einiger deutscher Emigranten, die aus verschiedenen Gründen in Amerika ein besseres Leben suchten – etwa aufgrund der nationalsozialistischen Verfolgung in den 1930er Jahren oder, nach Zusammenbruch des Dritten Reiches, die Flucht dem nationalsozialistischen Regime nahestehender Personen aus Angst, für ihre Rolle im Dritten Reich zur Verantwortung gezogen zu werden (s. Hausmann 1998, 2004, Maas 2010). In einigen in Spanien erarbeiteten Studien werden an einigen Stellen die Aktivitäten deutscher Philologen in Hispanoamerika in rein anthropologischer und ethnographischer Materie (s. Calvo-Calvo 1991 über Fritz Krüger) oder die von diesen getätigte propagandistische Arbeit während der Weimarer Republik berücksichtigt (s. De la Hera Martínez 2002 und Rebok 2011 über Gerhard Moldenhauer), eine Ausnahme sind Beziehungen im Bereich der Linguistik wie Regueira Fernández 1991 über den Einfluss deutscher Romanisten auf das Studium des Galicischen). Die Beziehungen zwischen Linguisten in den deutschsprachigen Ländern und Portugal oder Brasilien wurden – anders als die Geschichte von Vertretern anderer Wissenschaftsdisziplinen, wie z. B. Henrique da Rocha Lima im Bereich der Medizin oder Helmut Sick in der Ornithologie (da Silva 2013, Cueto/Palmer 2015) – bisher praktisch nicht ausführlicher untersucht; im Kontext Brasiliens wurden vornehmlich die Netzwerke mit englischsprachigen Wissenschaftlern betrachtet (z. B. Altman 2004, 2015), im Fall Portugals v. a. die Rolle italienischer und französischer Forscher (s. dazu Sinner 2011, 2012).
Eine Auseinandersetzung mit der Geschichte des Wissenstransfers zwischen deutsch-sprachigen, spanischsprachigen und portugiesischsprachigen Forschenden, welche die Frage nach Inhalten, Methoden und wissenschaftlichen Positionen und nach der Orga¬nisation von Lehre und Forschung im Bereich der Romanistik und, konkreter, der Hispanistik und Lusitanistik in den Mittelpunkt stellen, steht noch aus. In unserer Sektion möchten wir Fachleute zusammenbringen, die über den Wissenstransfer zwischen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen in deutschsprachigen Ländern, Spanien, Portugal und Lateinamerika arbeiten und Aspekte wie die Adaptation und Anwendung von Resultaten, Positionen, Inhalten und Methoden in den Mittelpunkt ihrer Analysen stellen. Für die Sektionsarbeit von Bedeutung sind sowohl die entsprechenden Aussagen der Personen selbst, wie sie in ihren Texten konstatiert werden können, als auch die Hinweise auf Kontakte und die Belege für die Anwendung, Adaptation usw. von transferierten Aspekten, die sich in der Forschung der jeweiligen Akteure nachweisen lassen.
Die Sektion soll ein Forum für Fachleute bieten, in dem sowohl über die Resultate der Analysen der Werke deutschsprachiger, spanischsprachiger und portugiesischsprachiger Wissenschaftler gesprochen werden kann, welche als Resultat persönlicher Kontakte interpretiert werden können, als auch über Einzelstudien hinausgehende Auswirkungen dieser Kontakte: Konzeption von Lehrveranstaltungen, Lehrpläne der Studiengänge im hier betrachteten Bereich, Anfertigung von Übersetzungen zwischen den jeweiligen Sprachen, Planung und Edition von Büchern und Zeitschriften sowie Organisation von wissenschaftlichen Kolloquien und andere aus diesen Beziehungen herrührende Aktivitäten.
Viele Wissenschaftler, die zwischen dem deutschsprachigen Raum, Spanien, Portugal und Amerika mittelten, lebten und arbeiteten zumindest zeitweise auch in anderen romanischsprachigen Ländern: Eugenio Coseriu z. B. kam von Rumänien erst nach Italien, bevor er nach Uruguay auswanderte, von wo er dann schließlich nach Tübingen ging; der polnischstämmige Argentinier Ángel Rosenblatt lebte nach einem Studienaufenthalt in Nazideutschland und dem Entzug der argentinischen Staatsbürgerschaft zuerst in Paris, bevor er nach Venezuela migrieren konnte. Daher sind Beiträge aus der Perspektive anderer romanischsprachiger Länder, die ergänzende Blickwinkel auf wissenschaftliche Netzwerke zwischen dem deutsch¬sprachigen Raum, Spanien, Portugal und Lateinamerika einbringen oder vergleichende Betrachtungen erlauben, in der Sektion willkommen.
Neben dem Deutschen, Spanischen und Portugiesischen als Sektionssprachen können in den Vorträgen und Debatten auch andere romanische Sprachen wie Französisch, Italienisch, Katalanisch oder Galicisch gebraucht werden.

Abstracts und Fristen

Ihr Abstract sollte maximal 4000 Zeichen (inklusive Leerzeichen und bibliographische Angaben) umfassen und unter Angabe des Titels sowie von Namen und Kontaktdaten des/der Vortragenden an die Sektionsleiter geschickt werden.

Einsendefrist: 12. Februar 2023

Bibliographie
Altman, Maria Cristina Fernandes Salles (2004): „Mattoso Câmara e o Círculo Lingüístico de Nova Iorque“. DELTA 20 (especial), 129-158.
— (2015): „A correspondência Jakobson-Mattoso Câmara (1945-1968)“. Confluência 49 (1), 9-42.
Calvo-Calvo, Luis (1991): „Fritz Krüger y los filólogos del ‘Seminario de Lengua y Cultura Románicas’ de la Universidad de Hamburgo. Sus aportaciones a la etnografía peninsular“. Revista de Dialectología y Tradiciones Populares 1, 349–361.
Chicote, Gloria B. / Barbara Göbel (Hrsg.) (2011): Ideas viajeras y sus objetos: El intercambio científico entre Alemania y América austral. Madrid: Iberoamericana / Frankfurt am Main: Vervuert.
Cueto, Marcos / Steven Palmer (2015): Medicine and Public Health in Latin America. A History. Cambridge: Cambridge University Press.
Da Silva, André Felipe Cândido (2013): „Um brasileiro no Reich de Guilherme II: Henrique da Rocha Lima, as relações Brasil-Alemanha e o Instituto Oswaldo Cruz, 1901-1909“. História, Ciências, Saúde – Manguinhos 20 (1), 93–117.
De la Hera Martínez, Jesús (2002): La política cultural de Alemania en España en el período de entreguerras, CSIC: Madrid.
Hausmann, Frank-Rutger (1998): „Auch eine nationale Wissenschaft? Die Deutsche Romanistik unter dem Nationalsozialismus”. Romanistische Zeitschrift für Literaturgeschichte 22, 1–39 und 261–313.
— (2004): „Die deutschsprachige Romanistik in der Zeit des Nationalsozialismus“. In: Hartmut Lehmann / Otto Gerhard Oexle (Hrsg.): Nationalsozialismus in den Kulturwissenschaften: Fächer, Milieus, Karrieren, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 33–66.
Höpfner, Hans-Paul (1999): Die Universität Bonn im Dritten Reich. Akademische Bibliographien unter nationalsozialistischer Herrschaft. Bonn: Bouvier.
Jedlitschka, Karsten (2006): Der Fall des Münchner Historikers Ulrich Crämer (1907–1992). Berlin: Duncker & Humblot.
Maas, Utz (2010): Verfolgung und Auswanderung deutschsprachiger Sprachforscher 1933-1945. Bd. 1: Dokumentation: bibliographische Daten A–Z; Bd. 2: Auswertungen: Verfolgung, Auswanderung, Fachgeschichte, Konsequenzen. Tübingen: Stauffenburg.
Mücke, Johannes / Silvio Moreira de Sousa (2020): „De Santiago de Chile a Graz, Austria: la correspondencia entre Rodolfo Lenz y Hugo Schuchardt“. Boletín de Filología 55 (2), 205–252.
Pérez Corti, Sol (2019): „Fritz Krüger en la Argentina: sobre El argentinismo ‘es de lindo’“. Boletín de la Sociedad Española de Historiografía Lingüística 13, 257–275.
Rebok, Sandra (2011): „Las primeras instituciones científicas alemanas en España: los comienzos de la cooperación institucional en los albores del siglo XX“. Arbor. Ciencia, pensamiento y cultura 187 (2011), 747, 169–182.
Regueira Fernández, Xosé Luis (1991): „A contribución alemana á lingüistica galega“. In: Mercedes Brea / Francisco Fernández Rei (Hrsg.): Homenaxe ó profesor Constantino García. Vol. 2. Santiago de Compostela: Universidade de Santiago de Compostela, 155–178.
Sinner, Carsten (2011): „Língua e terminologia nas Memórias económicas de Domingos Vandelli de 1789“. Estudis Romànics 33, 7–22.
— (2012): Wissenschaftliches Schreiben in Portugal zum Ende des Antigo Regime (1779–1821). Die Memórias económicas der Academia das Ciências de Lisboa. Berlin: Frank&Timme.
Toscano y García, Guillermo / Carsten Sinner (2020): „Ángel Rosenblat le escribe a Amado Alonso (1930-1952), ¿o para qué sirve la correspondencia entre lingüistas?“. Revista Internacional de Lingüística Iberoamericana 35, 1, 67–81.

Beitrag von: Maria Sol Perez Corti

Redaktion: Robert Hesselbach