Stadt: Mannheim

Frist: 2024-03-15

Beginn: 2024-07-11

Ende: 2024-07-12

CfP: Romanistische Text- und Diskurslinguistik: Methoden, Prozesse, Analysen

Wie lässt sich der Stand der Text- und Diskurslinguistik in der heutigen Romanistik verorten? ‚Text‘ und ‚Diskurs‘ haben als komplexe linguistische Konzepte eine Fülle von unterschiedlichen Definitionen erfahren. Nachdem sich der Text ab Mitte der 1960er Jahre (z.B. Hartmann 1964) zunächst im Sinne einer transphrastischen, dann kommunikativen Einheit als sprachwissenschaftlicher Gegenstand etabliert (cf. Coseriu 1980), ist es das Verdienst der deutschsprachigen Romanistik, kontrastive Textsortenanalysen etabliert zu haben. Doch wo steht die kontrastive Textlinguistik 40 Jahre später nach Spillners (1981, 1983) Pionierarbeiten zu kontrastiven Analysen von Hochzeitsanzeigen und Wetterberichten? Mit dem Begriff der Diskurstraditionen (cf. Koch 1997) gelingt es der Romanistik, einen verstärkt historischen Blickwinkel auf tradierte sprachliche Formen und Formeln beim Sprechen innerhalb von Diskursgemeinschaften zu lenken und kann damit beispielsweise hispanophone Forschung außerhalb Deutschlands prägen (cf. Ciapuscio et al. 2006; Méndez Orense/Carmona Yanes 2023). Doch hält die historische Perspektive dem Zeitalter des genre emergence (cf. Eckkrammer 2019) stand oder kann gar letztlich nur eine historische Betrachtung die stetige Entwicklung von Normen und Regeln vor Augen führen (cf. Pietrini 2021: 249)?

Im Rahmen einer romanistischen Selbstreflexion – auch im Austausch mit der germanistischen und sprachübergreifenden Forschung (cf. Beaugrande/Dressler 1981; Brinker et al. 2000/2002; Heinemann/Heinemann 2002; Adamzik 2004; Bendel-Larcher 2015) – in Bezug auf konzeptionelle und methodische Zugriffe von Text und Diskurs ergeben sich eine Vielzahl an Fragen, die es im Rahmen der Tagung zu reflektieren gilt. Dazu bieten sich beispielsweise folgende Bearbeitungsthemen und Fragestellungen an:

• Welche methodischen Zugriffe auf Texte werden innerhalb der Romanistik aktuell praktiziert?
• Welche Konzeptionalisierungen (z.B. in Bezug auf Textsorte, Texttyp, Textgattung oder Textklasse) finden Anwendung?
• Mit welchen Konzepten und Methoden werden textuelle Strukturmerkmale, Versprachli-chungsstrategien oder Handlungsmuster greifbar gemacht? Und wie können dabei sprachübergreifende und einzelsprachliche Charakteristika herausgearbeitet werden?
• Welchen Stellenwert hat angesichts des Wandels unserer kommunikativen Handlungsmuster (cf. Rentel/Schröder/Schröpf 2015) der diachrone Blick bzw. das Konzept der Diskurstraditionen?
• Welche konzeptionell-methodischen Anpassungen sind bei der Textanalyse durch die Veränderung des traditionellen Textbegriffs auf Ebenen der Dialogizität, Veränderlichkeit, Multimodalität und Hypertextualität (cf. Marx/Weidacher 2019) beobachtbar und mit welchen konkreten Analyseinstrumenten werden sie bei romanistischen Analysen messbar gemacht?
• Welche verschiedenen Verständnisse von Diskurs (im Sinne eines unter sozio-historischen Bedingungen entstandenen „kollektive[n], gesellschaftlich relevante[n] Phänomen[s] der menschlichen Kommunikation“, Danler 2012: 363) lassen sich in der Romanistik festmachen und wie werden die Diskursbegriffe im Rahmen linguistischer Diskursanalysen für die Sprachwissenschaft operationalisierbar gemacht?
• Welche Verhältnisbestimmungen gibt es zwischen Text und Diskurs (z.B. statisch vs. prozessual, cf. Drescher 2008: 322) und vor allem welche Verzahnungen von Diskursanalyse, Diskurstradition und Textlinguistik sind feststellbar?
• Orientieren sich Romanist:innen bei der Text- und Diskursanalyse methodisch an der Germanistik (v. supra) oder gelingt es uns, durch den uns per se gegebenen Blick über den deutschsprachigen Tellerrand methodisch-konzeptionelle Einflüsse aus romanischsprachigen Ländern erfolgreich zu integrieren?
• Wie einflussreich ist diese Rezeption in der konkreten romanistischen Analysepraxis (z.B. in Bezug auf den von Pietrini (2021) festgestellten Stellenwert hybrider und diasystematischer Kriterien bei der Textklassifikation in der Sprachwissenschaft Italiens)?

Gerade in jüngerer Zeit sind im Bereich der epistemologisch und konstruktivistisch ausgerichteten Diskursanalyse „nach Foucault“ in der Romanistik Arbeiten beobachtbar, die bei der Diskursanalyse germanistische Zugriffe mit romanistischen Konzepten und Methoden verzahnen, u.a. durch eine Integration des Polyphoniekonzepts aus der französischen Äußerungslinguistik (cf. Peter 2020; Weiland 2020; Harjus i.Dr.).

• Welche neuen Blickwinkel ergeben sich durch die Rezeption romanischsprachiger Arbeiten hierbei ganz konkret?

Ziel der Tagung ist es, einen Austausch darüber anzustoßen, wie in der aktuellen romanistischen Diskussion Texte und Diskurse konzeptionalisiert und methodisch behandelt werden und welche spezifischen Zugriffe die Romanistik im Sinne einer romanischen Text- und Diskurslinguistik ganz selbstbewusst bieten kann.

Gegenstand der Untersuchung können dabei grundsätzlich alle romanischen Sprachen sein.

Vortragssprachen sind Deutsch und die romanischen Sprachen (bevorzugt Französisch, Spanisch, Italienisch). Die Vortragsdauer beträgt 30 Minuten mit anschließender Diskussion von +/- 10 Minuten.

Abstracts (ca. 300-500 Wörter, kurze Auswahlbibliographie) werden bis zum 15. März 2024 an die Veranstalter erbeten.

Die Tagung findet vom* 11. bis zum 12. Juli 2024* an der Universität Mannheim statt.

Veranstalter sind: PD Dr. Roger Schöntag (roger.schoentag@uni-mannheim.de) und Dr. Svenja Dufferain-Ottmann (svenja.dufferain-ottmann@uni-mannheim.de).

Bibliographie:
Adamzik, Kirsten (2004): Textlinguistik. Eine einführende Darstellung. Tübingen: Niemeyer (= Germanistische Arbeitshefte, 40).
Beaugrande, Robert-Alain de/Dressler, Wolfgang Ulrich (1981): Einführung in die Textlinguistik. Niemeyer: Tübingen (= Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft, 28).
Bendel-Larcher, Sylvia (2015): Linguistische Diskursanalyse: ein Lehr- und Arbeitsbuch. Tübingen: Narr (= Narr Studienbücher).
Brinker, Klaus/Antos, Gerd/Heinemann, Wolfgang (Hrsg.) (2000/2001): Text- und Gesprächslinguistik. Ein Handbuch zeitgenössischer Forschung. 2 Bände. Berlin: de Gruyter (= Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft, 16.2).
Ciapuscio, Guiomar/Jungbluth, Konstanze/Kaiser, Dorothee/Lopes, Célia Regina (Hrsg.) (2006): Sincronía y diacronía de tradiciones discursivas en Latinoamérica. Madrid u.a.: Iberoamericana/Vervuert.
Coseriu, Eugenio (1980): Textlinguistik. Eine Einführung. Tübingen: Narr (= Tübinger Beiträge zur Linguistik, 109).
Danler, Paul (2012): „Textfunktionen und Diskurstypen“. In: Born, Joachim/Folger, Ro-bert/Laferl, Christopher F/Pöll, Bernhard (Hrsg.): Handbuch Spanisch. Berlin: Schmidt, S. 353-364.
Drescher, Martina (2008): „Diskursstrukturen im Französischen“. In: Kolboom, Ingo/Kotschi, Thomas/Reichel, Edward (Hrsg.): Handbuch Französisch. Berlin: Schmidt, S. 321-332.
Eckkrammer, Eva Martha (2019): „Genre theory and the digital revolution: Towards a multidimensional model of genre emergence, classification and analysis“. In: Brock, Alexan-der/Pflaeging, Jana/Schildhauer, Peter (Hrsg.): Genre emergence : developments in print, TV and digital media. Frankfurt: Lang, S. 163-190.
Harjus, Jannis (i. Dr.): Kontrastive romanistische Diskurslinguistik: multimediale Rivalitätskonstruktionen in portugiesischen, spanischen, katalanischen und französischen Sportzeitungen. München: AVM.
Hartmann, Peter (1964): „Text, Texte, Klassen von Texten“. In: Bogawus. Zeitschrift für Literatur, Kunst und Philosophie, 2, S. 15-25.
Hauser, Stefan, Kleinberger, Ulla/Roth, Kersten Sven (Hrsg.) (2014): Musterwandel – Sortenwandel. Aktuelle Tendenzen der diachronen Text(sorten)linguistik. Bern: Lang (= Sprache in Kommunikation und Medien, 3).
Heinemann, Margot/Heinemann, Wolfgang (2002): Grundlagen der Textlinguistik. Interaktion – Text – Diskurs. Tübingen: Niemeyer.
Koch, Peter (1997): „Diskurstraditionen: zu Ihrem sprachtheoretischen Status und ihrer Dynamik“. In: Frank, Barbara (Hrsg.): Gattungen mittelalterlicher Schriftlichkeit. Tübingen: Narr, S. 43-79.
Marx, Konstanze/Weidacher, Georg (2019): Internetlinguistik. Tübingen: Narr.
Méndez Orense, María/Carmona Yanes, Elena (2023): „Tradicionalidad discursiva y variación morfosintáctica en la prensa económica de la Ilustración española". In: Zeitschrift für romanische Philologie, 139, 1, S. 88-123. https://doi.org/10.1515/zrp-2023-0004.
Palermo, Massimo (2013): Linguistica testuale dell’italiano. Bologna: Il Mulino.
Peter, Benjamin (2020): L’ andalú – Sprache, Dialekt oder lokale Mundart?: zur diskursiven Konstruktion des Andalusischen. Berlin: De Gruyter.
Pietrini, Daniela (2021): „Textfunktionen, Textklassen und Textsorten“. In: Lobin, Antje/Meineke, Eva-Tabea (Hrsg.): Handbuch Italienisch: Sprache – Literatur – Kultur. Berlin: Schmidt, S. 245-250.
Rentel, Nadine/Schröder, Tilman/Schröpf, Ramona (Hrsg.): Kommunikative Handlungsmuster im Wandel?: Chats, Foren und Dienste des Web 2.0 im deutsch-spanischen Vergleich = ¿Convenciones comunicativas en proceso de transformación?: estudios hispano-alemanes de chats, foros y redes sociales. Frankfurt: Lang.
Riegel, Martin/Pellat, Jean-Christophe/Rioul, René (32004): „Texte et discours“. In: ibid: Grammaire méthodique du français. Paris: P.U.F., S. 1017-1064.
Spillner, Bernd (1981): „Textsorten im Sprachvergleich. Ansätze zu einer kontrastiven Texto-logie“. In: Kühlwein, Wolfgang/Thome, Gisela/Wilss, Wolfram (Hrsg.): Kontrastive Linguistik und Übersetzungswissenschaft. Akten des internationalen Kolloquiums, Trier/Saarbrücken, 25.-30.09.1987. München: Fink, S. 239-250.
Spillner, Bernd (1983): „Zur kontrastiven Analyse von Fachtexten – am Beispiel der Syntax von Wetterberichten. In: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik, 13, S. 110-123.
Warnke, Ingo H. (Hrsg.) (2008): Handbuch Diskurs. Berlin/Boston: de Gruyter (= Handbücher Sprachwissen, 6).
Weiland, Verena (2020): Sprachwissenschaftliche Zugriffe auf Diskurse: ein korpuslinguistischer Ansatz am Beispiel des Themas „Sicherheit und Überwachung“ in Frankreich. Berlin: Winter.