Am 19.12.2023 verstarb für uns plötzlich und unerwartet unser geschätzter Kollege, Lehrer und Freund Johannes Kramer. Mit ihm verliert die Universität Trier sowie die akademische Welt einen herausragenden Romanisten und Universalgelehrten.
Johannes Kramer studierte an der Universität zu Köln Klassische und Romanische Philologie und legte in den Fächern Griechisch, Lateinisch, Italienisch, Französisch und Niederländisch 1971 sein Staatsexamen ab. Während seiner anschließenden Assistenzzeit in Köln promovierte er zunächst in der Klassischen Philologie mit einer Dissertation zum Thema Didymos der Blinde, Kommentar zum Ecclesiastes (1972) auf dem Gebiet der Papyrologie mit griechischen Texten, bevor er sich dann im Rahmen seiner Habilitationsschrift Historische Grammatik des Dolomitenladinischen (1977/78) verstärkt der Romanistik zuwandte. Im Alter von nicht einmal 30 Jahren wurde Johannes Kramer 1979 zum Ordinarius an der Universität Siegen ernannt. Im Jahre 1996 folgte er dem Ruf auf eine C4-Professur für Romanistische Sprachwissenschaft an die Universität Trier, die er zunächst im Wintersemester 1996/97 vertrat und sodann ab dem 01. April 1997 bis zum 31.03.2012 innehatte.
Das einstige Augusta Treverorum als Lebensmittelpunkt spielte jedoch auch schon zuvor für ihn eine wichtige Rolle: Da seine Frau Bärbel als Professorin für Papyrologie an der Universität Trier tätig war, pendelte Johannes Kramer bereits während seiner Siegener Zeit regelmäßig mit der Eisenbahn an die Mosel. Wenngleich der Status eines ‚Pendelprofs‘ damit im Jahr 1996 damit ein Ende hatte, prägte die Leidenschaft für das Zugfahren weiterhin sein Leben: Kaum eine romanistisch-sprachwissenschaftliche Tagung wurde von nun an ohne seine Beteiligung durchgeführt und nur wenn es gar nicht anders ging, nahm er dafür das Flugzeug, viel lieber noch das Schiff. Daneben besuchte Johannes Kramer allzeit gerne seine Kolleg:innen an anderen Universitäten im In- und Ausland – so kannte wohl sicherlich niemand besser die Bahnstrecke Trier-Jena. Ebenso fuhr er gerne mal nach Köln in seine Heimatstadt des Herzens, um nebenbei ein Fässchen Kölsch mit dem Zug nach Trier zu bringen.
Seit dem Beginn seiner Amtszeit gestaltete Johannes Kramer engagiert das Profil der Trierer Romanistik. Dabei hatte er immer die lateinischen Wurzeln der Romania und eine gesamtromanistische Ausrichtung im Blick. Viele Jahre leitete Johannes Kramer die Trierer Romanistik als Geschäftsführer und offizieller Vertreter des Fachs.
Seinen ursprünglich italianistischen Schwerpunkt in der Lehre weitete Johannes Kramer allmählich auf das Spanische und auf das (von ihm nicht ganz so geliebte) Französische, zuweilen auch auf das Portugiesische aus. Zudem bot er immer wieder über sein eigentliches Deputat hinaus Veranstaltungen in der Klassischen Philologie an. Mehrere Studierendengenerationen der Romanistik und der Klassischen Philologie an der Universität Trier kannten und schätzten seine oft disziplinübergreifenden und mehrsprachigen Seminare und Vorlesungen zu unterschiedlichsten Themen, von der philologischen Analyse der Bibel über die Troubadourlyrik bis hin zur Geschichte und Gegenwart der romanischen Sprachen, der romanistischen Wissenschaftsgeschichte sowie den romanisch basierten Kreolsprachen.
Als eloquenter Redner zog Johannes Kramer Studierende wie gleichwohl erfahrene Fachkolleg:innen in seinen Bann. Unabhängig davon, ob es sich um neuere Forschungsergebnisse auf einer Tagung, um eine curriculare Vorlesung oder um einen Vortrag im Rahmen des Seniorenstudiums handelte, seine Veranstaltungen waren stets gut besucht und vor allem wegen ihrer interdisziplinären Breite und Tiefe allseits sehr geschätzt.
Johannes Kramer war ein Universalgelehrter klassischer Prägung, ein Wissenschaftler mit überaus weit gefächerten sowie sprach- und philologieübergreifenden Forschungsinteressen. Die institutionellen Fächergrenzen der Klassischen und Modernen Philologien existierten für ihn nicht. Mit spielerischer Leichtigkeit und einer schier unerschöpflichen Sachkompetenz variierte er seine Forschungsthemen und Forschungsfelder von der Papyrologie über die Klassische Philologie bis hin zur Romanistik, von der Rumänistik zur Kreolistik, von der Geschichte der Sprachen, Literaturen und Kulturen bis in ihre Gegenwart, von der sprachsystematischen zur soziolinguistischen Perspektive, von der Betrachtung einer internationalen Weltsprache bis hin zur Beleuchtung eines regional begrenzten Idioms, von der Fokussierung auf Entstehungs- und Entwicklungsgeschichten unzähliger Einzelwörter bis zur Erstellung monumentaler lexikographischer Werke. Eine weitere Auszeichnung erhalten seine Forschungen durch ihre Breite, die weit über das Latein-Griechische und das Panromanische hinausgeht: Immer wieder stellte Johannes Kramer interdisziplinäre Bezüge zum Slavischen und Hebräischen und zu vielen weiteren Sprachen bzw. Sprachfamilien her. Es ist daher nahezu unmöglich, das Forschungsspektrum von Johannes Kramer thematisch adäquat zu umreißen.
Auch die quantitative Erfassung seines wissenschaftlichen Œuvres kann aus vielerlei Gründen nur approximativ sein: 19 eigenständig verfasste Monographien, 4 (zumeist mehrbändige) Wörterbücher, 12 herausgegebene Textanthologien und Übersetzungen, 10 herausgegebene Festschriften, rund 50 herausgegebene Sammelbände und Tagungsakten sowie an die 500 – nahezu ausschließlich allein verfassten und in zahlreichen Publikationsorganen verstreuten – Aufsätze, die schier endlose Zahl an Rezensionen gar nicht erst mitgezählt!
In der gegenwärtigen Wissenschaftspraxis, die klar umrissene Forschungsthemen, Forschungsprofile, Forschungsprojekte und Forschungsverbünde vorsieht, erscheint das Lebenswerk Johannes Kramers aufgrund seines philologischen Facettenreichtums und endlos wirkenden Forschungshorizonts wie aus einer anderen Zeit. So widmeten sich mehrere seiner Monographien bestimmten Einzelsprachen, etwa dem Vulgärlatein (Literarische Quellen zur Aussprache , 1976; Alltagsdokumente auf Papyri, Ostraka, Täfelchen und Inschriften , 2007), dem Dolomitenladinischen (Historische Grammatik , 1977-78; Sprachgeschichte und hochschuldidaktische Aspekte , mit Sylvia Thiele, 2020), dem Hebräischen (Einführung in die hebräische Schrift , mit Sabine Kowallik, 1994) oder dem Papiamento (Die iberoromanische Kreolsprache Papiamento. Eine romanistische Darstellung , 2004; Etymologische Studien , 2015). Andere hingegen rückten den Themenkomplex „Mehrsprachigkeit und Sprachkontakt“ in den Fokus (Deutsch und Italienisch in Südtirol , 1981; Zweisprachigkeit in den Benelux-Ländern , 1984; Straßennamen in Köln zur Franzosenzeit (1794-1814), 1984; English and Spanish in Gibraltar, 1986; Das Französische in Deutschland , 1992; Italienische Ortsnamen in Südtirol , 2007; Romanisch und Germanisch in Belgien und Luxemburg , 2016). Auch die weiteren sprach- und philologieübergreifenden ausgerichteten Monographien (Didymos der Blinde, Kommentar zum Ecclesiastes , 1972; Die Sprachbezeichnungen Latinus und Romanus im Lateinischen und Romanischen , 1998; Troubadourdichtung. Eine dreisprachige Anthologie mit Einführung, Kommentar und Kurzgrammatik , mit Christine Felbeck, 2008; Von der Papyrologie zur Romanistik , 2011) mögen einen ersten Eindruck von der vielschichtigen und immensen Forschungsleistung Johannes Kramers vermitteln.
Wichtig waren ihm auch regional bezogene sprachwissenschaftliche Studien. Von seinem nahe gelegenen Hochschulstandort und Lebensmittelpunkt aus vermochte Johannes Kramer in Forschung und Lehre entscheidende wissenschaftliche Impulse zur Beschreibung der Sprachsituation und Sprachstruktur im Nachbarland Luxemburg zu geben. Die (Sprach-)Geschichte seiner ‚Wahlheimat‘ Trier erhellte Johannes Kramer zudem u.a. durch Publikationen wie „Jean d’Outremeuse und die Trierer Gründungssage“ (2001), „Ein moselromanisches Reliktwort: Viez (lat. faex)“ (2002) oder „Der Name der Stadt Trier“ (2003).
Johannes Kramer war Mitbegründer und bis zu seinem Tod Mitherausgeber der in Trier 1995 entstandenen Zeitschrift Romanistik in Geschichte und Gegenwart. Auch gründete er im Jahre 2010 mit Trierer Kolleg:innen das America Romana Centrum.
Hinter diesen additiven und zugleich nur selektiven bio(biblio)graphischen Angaben verbarg sich aber vor allem ein herausragender Lehrer und Wissenschaftler mit internationaler Reputation und ganz besonders eine faszinierende Persönlichkeit. Bei den regelmäßigen gemeinsamen Mittagessen, den sich anschließenden Kaffeerunden in der ‚Romanistik-Sitzecke‘ und bei einem gelegentlichen abendlichen Gläschen Wein nebst gutem Essen, deren Herzstück und Zentrum Johannes Kramer war, staunte die Trierer ‚Mannschaft‘ immer wieder über sein enzyklopädisches Gedächtnis und sein enormes Wissen: Originalzitate aus dem Alten Testament, trierische Phraseologismen, Details zur jüngsten Geschichte kleinerer Gemeinden Südtirols, aromunischer Dörfer auf dem Balkan oder auch der Halbinsel Krim, daneben Dönekes über Dit un Dat sowie Erzählungen von Begegnungen mit allen, die im Wissenschaftsbetrieb Rang und Namen haben. Seine Erzählungen, in denen er seine eigene Person nie in den Mittelpunkt stellte oder erhöhte, waren stets geprägt von seinem bewundernswerten, oftmals spitz-trockenen Humor und seiner Selbstironie.
Uns allen werden zahlreiche beeindruckende, bereichernde und vergnügliche Momente der gemeinsamen Jahre mit Johannes Kramer in wertvoller Erinnerung bleiben.
Die Trierer Romanistik wird dem national wie international anerkannten Wissenschaftler ein würdiges und ehrendes Andenken bewahren.

In dankbarer Verbundenheit mit unserem verehrten Kollegen, Lehrer und Freund.

Dr. Christine Felbeck und Prof. Dr. Andre Klump (Universität Trier)
Prof. Dr. Lidia Becker (ehem. Universität Trier, heute Leibniz Universität Hannover)
Dr. Michael Frings (ehem. Universität Trier, heute Sebastian-Münster-Gymnasium Ingelheim)
Prof. Dr. Aline Willems (ehem. Universität Trier, heute Universität zu Köln)

Beitrag von: Andre Klump

Redaktion: Robert Hesselbach