Internationale transdisziplinäre und transkulturelle Tagung

Le Monde en mouvement
Identités et nouvelles Diasporas
(Hospitalité – Appartenance – Emotion – Corps – Désir)

The World in Movement
Identity and New Diasporas
(Hospitality – Belonging – Emotion – Body – Desire)

Montag, 14. – Freitag, 18. September 2015
Ibero-Amerikanisches-Forschungsseminar / Frankophones Forschungsseminar der Universität Leipzig
Ibero-American Research Center / Francophone Research Center of the University of Leipzig
Centre de Recherches Ibero-Américain / Centre de Recherches Francophone de l’Université de Leipzig

Unterstützt durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)

Leitung :
Univ.-Prof. Dr. phil. habil. Alfonso de Toro, Annegret Richter, Dr. phil. Juliane Tauchnitz
in Zusammenarbeit mit
Univ.-Prof. Dr. Marta Segarra, Centre Dona i literatura/Càtedra Unesco Dones, desenvolupament i culturesFacultat de Filologia, Universitat de Barcelona und
Dr. Michel Gribenski, Direktor Institut Français Leipzig

Das Hauptziel der Internationalen Tagung besteht in der Analyse von Konstruktionen und Repräsentationen von einer neuen performativen Diasporakonzeption und von performativen Identitäten u.a. im Maghreb, in Europa, Lateinamerika, in den USA und in Israel im Zeitalter der Globalisierung und ferner in der Beschreibung, wie neue, d.h. performative Diasporakonstellationen und performative Identitäten, anders als die traditionellen, vielfältige sozio-kulturelle Relationen bilden, die ambivalente Gefühle und Einstellungen unterhalten. Gastfreundschaft, Zugehörigkeit, Emotion, Körper, Begehren sind die Grundpfeiler dieser performativen Diaspora und der performativen Identitäten, weil sie eine zentrale Rolle in einem dynamischen Prozess kultureller Wertungen, Handlungen und Verhandlungen spielen.

Damit verbunden strebt das internationale Kolloquium an, das Konzept der Integration, das die herkömmliche, lineare Vorstellung und Praxis von Migration beinhaltet, durch das der wechselseitig-dynamisch-sozialen Interaktion im Anschluss an die genannten Basiskonzepte und das der gemeinsam geteilten Verantwortung und Kultur in einem gemeinsamen, teilhabenden Raum zu ergänzen, gar zu ersetzen. Demzufolge soll die daraus resultierende neue Diaspora im Kontext eines Situationsimperativs beleuchtet werden, in dem sie ihren eigenen Raum, ihre eigene Geschichte und Identitätspraktiken konstruiert.

Das Kolloquium wird diese Phänomene in einem transdisziplinären und transkulturellen Ansatz, gestützt aus Kongressteilnehmern, die aus unterschiedlichen sozial- und kulturwissenschaftlichen Disziplinen sowie kulturellen Räumen, und zugleich im Kontext vier zentraler Mikro-Aspekte der aktuellen globalisierten Gesellschaften und der laufenden kulturtheoretischen sowie der politischen Debatte bearbeiten:

  • erstens das Erstreiten/Erschaffen neuer Heimaten im Sinne der neuen Diaspora;
  • zweitens ihre Verräumlichung/Verortung und mediale Erfassung und Darstellung;
  • drittens die tiefgreifenden Veränderungen in den sozialen und Geschlechterrollen der Akteure in der neuen Diaspora;
  • viertens die historische Einordnung dieser Phänomene, um die veränderten Prozesse von Migration, Identität oder Diaspora und die unterschiedlichen Strategien von Gastfreundschaft und Zugehörigkeit zu erklären.

Das Kolloquium strebt damit an, zu einer neuen kulturpolitischen Agenda und zu einem neuen politischen Denken beizutragen, wobei die allgemeinen Ziele des Kolloquiums über vier miteinander verzahnte Makro-Aspekte oder Schwerpunkte umgesetzt werden sollen, die auch die Hauptargumentationsachsen des Kolloquiums darstellen:

1. ALTERNATIVEN ZUR AKTUELLEN MIGRATIONSPOLITIK ODER DIE KONSTRUKTION/REPRÄSENTATION DER PERFORMATIVEN DIASPORA: ZUGEHÖRIGKEIT/ GASTFREUNDSCHAFT AUSGEHEND VON DEN BEREICHEN LITERATUR, KULTUR, FILM UND INSTITUTIONEN

Erläuterung im Einzelnen:
A) Bei der neuen Diaspora wird im Kolloquium der Fokus auf die Oszillation zwischen Differenz und Verhandlung von Identitäten als spannungsvoller Prozess neuer ökonomischer, sozialer, kultureller und religiöser Praktiken gelegt sowie auf die Herausbildung diasporischer Formationen, die nicht nur auf ethnischen Merkmalen, sondern a) auf plurikulturellen sozialen Konstellationen fußen, in der neuen Realität, nicht nur im Ankunfts-, sondern auch im Herkunftsland (u.a. Bewegung: räumliche und zeitliche, Vertreibung, Arbeits- oder Handelsmigration, (neo-)koloniale Projekte); ferner b) auf der Beschreibung unterschiedlicher identitätsstiftender Konstellationen; auf unterschiedlichen diasporischen Bewusstseinsausprägungen; c) auf ähnlichen Erfahrungen und Schicksalen, ähnlichen emotionalen und Lebenssituationen; d) auf der temporären Rückkehr zur Ursprungsheimat: Wiederkehr ins Ankunftsland: Pendeln; e) auf Dispositiven und Imperativen der jeweiligen Situationen; f) auf ähnlichen Repräsentations- und symbolischen Ausdrucksformen; g) auf transethnischen, transkulturellen und transgender-Identitäten; h) auf der Re-Invention des Eigenen und der Erschaffung einer neuen Heimat; i) auf dem mangelnden Gefühl der Akzeptanz im Gastland: Spannungen; j) auf der Möglichkeit der Kreativität und eines zufriedenstellenden Lebens im Gastland aufgrund von Toleranz und Pluralismus; k) auf neuen Gender-Rollen.
B) In diesem Kontext werden im Kolloquium Fragen behandelt, wie Individuen und diasporische Gemeinschaften mit der Zeit ein Gefühl der Zugehörigkeit im neuen Land entwickeln und ob und wie sie Gastfreundschaft erfahren.
C) Damit verbunden ist die Frage, wie neue Ideen und Vorstellungen von einer Migrations- und Integrationspolitik und Staatsangehörigkeit in der konkreten Politik entstehen.
D) Wie entstehen neue Konzepte und neue Erfahrungen von Emotion, Körper und Begehren (die von zentraler Bedeutung bei der Entwicklung von Integrationsstrategien im diasporischen Leben sind) sowie ihre psychologischen, affektiven und subjektiven Aspekte für eine „gefühlte bzw. erlebte Staatsbürgerschaft“.
E)Letztlich die Frage der Bestimmung und Spezifizität der neuen Diaspora durch einen Situationsimperativ bzw. ein Situationsdispositiv, das im Verhältnis zu Nationalstaat, urbanen Räumen und Genderkonstruktionen behandelt wird.

2. IMAGINATION UND TRANSMEDIALE URBANE RÄUME: STÄDTE IN BEWEGUNG ALS VERORTUNG DER REPRÄSENTATION BESCHREIBEN

Erläuterung im Einzelnen: Hier stehen Aspekte im Vordergrund wie
A) die Vermittlung und Darstellung diasporischer Prozesse der Verstädterung im globalisierten 21. Jh. sowie die dynamischen und performativen Dimensionen des Raums, ein Konzept der sozio-kulturellen und symbolischen Aushandlung, das die im städtischen Raum verorteten Geschichten und Machtverhältnisse erfasst;
B) das Imaginäre der Städte als „Polysystem“ durch die Fokussierung inter-/transmedialer und transnationaler/lokaler Dynamiken sowie die Bestimmung der raumkonstituierenden Vorstellungen und der Verschränkung von medialen und sozio-kulturellen Praktiken durch kognitives oder mentales mapping erfasst werden kann;
C) die Erfassung der Merkmale imaginierter Urbanität anhand einzelner Städte aus transkultureller Perspektive – etwa der Maghreb (Algier, Tanger), Paris, Jerusalem/Tel Aviv, Barcelona, Los Angeles, Mexico, usw.;
D) die Erfassung der Rolle unterschiedlicher Medien im transkulturellen diasporischen Raum der Städte mit ihren jeweils unterschiedlichen kolonialen Geschichten, Bildungssystemen und Formen des Zusammenlebens; die Frage also, inwiefern Städte in der Lage sind, einen juristisch begründeten, sozialen Raum des Zusammenlebens in Gastfreundschaft zu schaffen, der ein Gefühl der Zugehörigkeit erwecken kann;
E) z.B. Paris als kontrastiver Imaginationsraum in der frankophonen Literatur des Maghreb, wie der „Mythos Paris“ aus der Perspektive postkolonialer Ansätze neu zu beschreiben ist;
F) die geopolitische Entgrenzung und Vernetzung von Städten im Mittelmeerraum, die literarisch und mythologisch geprägt ist. Dabei soll die Darstellung der unterschiedlichen Migrationen im öffentlichen Diskurs und in den Medien, historisch und aus postkolonialer Perspektive erklärt werden, unter Berücksichtigung der Ebene der Gefühle, der Vorstellungen des männlichen Körpers im polysystemischen Geflecht von Räumlichkeit, Sozialität, Historizität und spezifischen Inszenierungsformen.

3. DIASPORISCHE GENDER-IDENTITÄTEN JENSEITS TRADITIONELLER MASKULINITÄTS- UND FEMINITÄTS-KONZEPTE, IN SOG. „IDENTITES SEXUEES DIASPORIQUES: AU-DELA DES MODELES TRADITIONNELS DE FEMINITE ET DE MASCULINITE“:

Behandelt werden die Fragen:
A) wie diasporische Prozesse das Dasein der Migrant_Innen, v.a. aber ihre Körper, „Sexual-Identität“ und Gender-Subjektivität beeinflussen; etwa die Modifizierung individueller Vorstellungen von Maskulinität/Feminität in Bezug auf herrschende Modelle und soziale Klassifikationen sowie auf ihre Objekte des Begehrens in einem diasporischen Kontext;
B) wie die Repräsentation des privaten Raums in einem von der kulturellen Differenz markierten öffentlichen Raum erfolgt und die daraus entstehenden Schwierigkeiten sowie die resultierende Spannung zwischen Einzelnem und Gemeinschaft, Nähe und Distanz, Fremdheit und Vertrautem im Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen;
C) wie sich jenseits, der in europäischen Gesellschaften liebgewonnenen Emanzipationsmodelle, migrations- und diasporische Phänomene auf weibliche Genderkonzepte der Migrations-Gesellschaften auswirken und wie Migrantinnen eine diasporische Gender-Identität bilden;
D) wie sich jenseits der seit den 1960er Jahren international aufgestellten Modelle von Maskulinität Migrations- und diasporische Prozesse auf männliche Genderkonzepte auswirken, Prozesse, die – mit negativen Auswirkungen auf die individuelle Integration in den Ankunftsgesellschaften – das männliche Selbstbild und das Konzept von Männlichkeit prägen, aber zugleich eine Identitätskonstruktion zulassen, die nicht mehr auf der Opposition Maskulinität vs. Feminität
fußt;
E) wie es in Verbindung mit C) und D) die Analyse der Migrant_Innen-Körper und des Migrant_Innen-Begehrens, des sexuellen Verhaltens, der sexuellen Selbstbestimmung Auskunft über Veränderungen des sexuellen Verhaltens und der Bewertung der Homosexualität gibt. Es werden damit auch Erkenntnisse einer Rückwirkung auf die im Stammland Gebliebenen und auf die Landsleute im Gastland erzielt.

3. MANNIGFALTIGE GESCHICHTEN UND GEMEINSAME, TEILHABENDE KULTURELLE RÄUME (HISTOIRES MULTIPLES ET ESPACES CULTURELS PARTAGÉS); SOZIALE, URBANE UND GENDER-KONSTELLATIONEN:

Hier sollen folgende Schwerpunkte behandelt werden:
A) eine kritische Lektüre und Neubewertung von ganz bestimmten Aspekten der Geschichte von Migrationsprozessen als Alternative zu einer aus der Sicht der „Arbeitsmigration“ und der Integration in den „Ankunftskulturen“ geschriebenen Migrationsgeschichte. Diese soll auf Grundlage zentraler historischer Texte sowie Feldforschungen aus der Kolonialperiode im Falle europäischer Länder unter Berücksichtigung der Migration marokkanischer Juden, v.a. seit der 1970er Jahren z.B. nach Israel oder Kanada, aber auch der Migration und des Lebens der sephardischen Juden in Europa und Lateinamerika erfolgen. Damit soll eine Bewertung der neuen Diaspora vorgenommen werden. Der Fokus wird nicht nur auf dem 20. und 21. Jh. liegen, sondern auch auf früheren Epochen, aus denen wir für das Heutige Erkenntnisse gewinnen können;
B) die Behandlung der unterschiedlichen Verortungen von Diaspora: Realität und Rekonstruktion der Ursprungs-, Ankunfts- und Durchgangsorte, die der Diaspora einen spezifischen Charakter verleihen, aber auch Periodisierungen der Migrationsschübe als Teil der Formation von diasporischen Konstellationen von mehr oder weniger geteilten/vielfältigen Geschichten, Räumen und Kulturen an konfliktreichen Schnittstellen. So werden neue Perspektiven und Konzepte für ein friedliches Zusammenleben eröffnet;
C) die Diskussion über den konkreten Ankunftsort sowie die Unterschiede zwischen Arbeits- und Lebenspraktiken und den sich aus der diasporischen Situation ergebenden Diskursen. Hierzu gehört die Untersuchung performativer Prozesse, der Spannung zwischen Vergangenheit (Herkunftsland) und Gegenwart (neue soziokulturelle Orientierung im Ankunftsland und Zukunftsprojekt, definitive Niederlassung im Ankunftsland in unterschiedlichen diasporischen
Situationen, ethnisch-kulturelle Emanzipation);
D) gefragt wird, wie performative sowie transversale Prozesse umgreifen, die Gastfreundschaft und die Entwicklung eines Gefühls der Zugehörigkeit in den Ankunftsländern ermöglichen, die für ein gleichberechtigtes Zusammenleben unerlässlich sind;
E) diskutiert wird, wie „emotionelle Gemeinschaften“ entstehen und wie diese ihre eigenen Räume, Geschichten und Lebensformen bilden, die zu einem neuen Konzept von Integration und politischen Räumen beitragen, die das Gemeinschaftsleben erleichtern, in dem Individuen die gleichen Rechte bei Anerkennung von transversalen und unterschiedlichen Zugehörigkeitsgefühlen haben.

Die so angelegte Tagung will über das im Zentrum stehende wissenschaftliche Ziel zugleich einen Beitrag zur kulturellen Verständigung liefern. Deshalb verzeichnen es die Organisatoren als einen Erfolg, zum zweiten Mal eine Gruppe von Wissenschaftler_Innen aus Israel, der Türkei und dem Maghreb sowie Boualem Sansal (Algerischer Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandles 2011) und u.a. Ruth Fine (Israel) in Leipzig zu haben

Verantwortliche für das Konzept:
Prof. Dr. Alfonso de Toro / Prof. Dr. Marta Segarra

Rückfragen an:
Univ.-Prof. Dr. phil. habil. Alfonso de Toro
Annegret Richter
Dr. phil. Juliane Tauchnitz
Tel.: 9737490
E-Mail: ffsl@rz.uni-leipzig.de

Beitrag von: Redaktion romanistik.de

Redaktion: Christof Schöch