Stadt: München

Frist: 2015-10-31

Beginn: 2016-02-24

Ende: 2016-02-26

URL: http://www.languagetalks.fak13.uni-muenchen.de/index.html

Languagetalks 2016: Graduiertenkonferenz in München 24. bis 26. Februar 2016

Ein Begriff, der die Hoffnung ebenso wie den nahenden Untergang in sich birgt, die Krise, hat sich in den vergangenen Jahrzehnten zu einem Modebegriff entwickelt: Die Krise ist sprachlich omnipräsent und wird in tagesaktuellen Medien ebenso gerne bemüht wie in der Kulturwissenschaft. Zwischen akuten politischen und militärischen Auseinandersetzungen, deren mediale Darstellungen Untergangsszenarien heraufbeschwören, und gesellschaftlichen Kontroversen, etwa um ein defizitäres Bildungssystem oder um die möglichen Folgen des Klimawandels, die dauerhaft im Hintergrund zu schwelen scheinen, zeigt sich ein breites Spektrum an Zuständen, die mit der Begrifflichkeit Krise belegt werden. Doch je häufiger sie sprachlich beschworen wird, desto schwieriger scheint es, sich auf eine Bedeutung zu verständigen – zu definieren, was eine Krise zu einer Krise macht.

Geht man von einem spezifischen Lebenszyklus der Krise aus, stellt sich die Frage, ob Anfang und Ende einer Krise tatsächlich festzumachen sind, und welche Akteure für die Bestimmung dieser Phasen und für die Lenkung ihrer Rezeption verantwortlich sind. Wodurch wird etwa der Anfang einer Krise deklariert? Ist ihr Ende durch ein Verstummen im medialen Diskurs gekennzeichnet oder wird auch dieses inszeniert?

Languagetalks möchte aus kulturhistorischer, linguistischer und literaturwissenschaftlicher Perspektive verschiedenen begrifflichen Konzeptualisierungen, Manifestationen und Wirkungsweisen der Krise nachgehen. Dabei soll jener viel zitierte Begriff nicht als ontologische Kategorie verstanden werden, sondern als ein kulturelles und sprachliches Konstrukt mit je nach Zuschreibung variierenden Charakteristika und vielfältigen Darstellungsformen in wechselnden Medien. Dabei bieten sich u.a. folgende Themenkomplexe zur Diskussion an:

(1) Identität und Krise(n)
Kann man für den Terminus Krise bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts noch sehr vielfältige, voneinander differenzierbare, Konnotationen verzeichnen (medizinisch, juristisch oder theologisch), hat sich im Rahmen der Etablierung von Massenmedien, ein weniger nuanciertes gesellschaftlich-politisches Verständnis des Begriffes durchgesetzt. Aus kulturhistorischer Sicht ist daher die Beziehung von denjenigen, die Krisen proklamieren, und ihren Rezipienten der entscheidende diskursive Bezugspunkt, um Begründung, Charakter und Verlauf von Krisen nachzuzeichnen. Neben Wahrnehmungsmustern und Legitimationsbelangen werden Krisen oft mit der Frage der Identität verknüpft. Gerade die Konstituierung eines ‚Selbst’ in Abgrenzung zu einem angenommenen ‚Anderen‘ prägt Krisenkontexte. Beispiele hierfür sind der ‘Krieg gegen den Terror’ oder der ‘Kalte Krieg’, da deren mediale Repräsentationen ideologisch verfasste Konstruktionen einer absoluten Andersartigkeit verhandeln. Können historische Krisensituationen überhaupt ohne die binäre Struktur vom ‘Selbst’ und vom ‘Anderen’ gedacht und erzählt werden?

(2) Literarische Darstellungen der Krise(n)
Obwohl in Krisenzeiten häufig der Ruf nach engagierten Autoren und einer realistischen Schreibweise laut wird, zeigt sich in der Literaturproduktion ein vielschichtigerer Umgang mit derartigen Kontexten: Das Spektrum beinhaltet ebenso komische Auseinandersetzungen wie die Parodie und Persiflage oder auch fantastische Erzählungen. Mit krisenhaften Zuständen besonders verbunden ist die Form des Manifests, das dabei ganz unterschiedliche Intentionen verfolgen kann: Die Manifeste des Futurismus beispielsweise stufen den Status quo als krisenhaft ein und streben entsprechend einen Bruch mit der Vergangenheit an. Im Gegensatz dazu versteht Don DeLillo 9/11 als schmerzhaften Bruch, und versucht in seinem Essay “In the Ruins of the Future”, die dadurch ausgelöste Krise mithilfe einer Wiederbelebung der kulturellen Vergangenheit Amerikas abzuwenden. Bemerkenswert werden literarische Darstellungen der Krise auch dann, wenn die Krise die Literatur selbst oder ihr Medium ergreift, beispielsweise im radikalen Zweifel an der Ausdrucksfähigkeit von Sprache oder der Negierung der Möglichkeit originären Schreibens.

(3) Sprache und Krise(n)
Sprache kann nicht nur selbst zum Gegenstand einer Krisendebatte werden, wenn beispielsweise aufgrund des Eindringens von fremdsprachlichen Elementen um das Fortleben der eigenen Sprache und Kultur gebangt wird, oder die Sprache als identitätsstiftender Faktor zur Abgrenzung von Anderssprachigen verwendet wird, sondern das Sprachmaterial selbst kann auch von Krisensituationen beeinflusst werden. Eine Krise kann die Entstehung von Neologismen befördern, die eine öffentliche Debatte zwar abwenden sollen, manchmal jedoch erst entflammen lassen. Solche „Unworte“ des politischen Diskurses finden sich etwa in Kai Biermanns und Martin Haases Nachschlagewerk „Sprachlügen“, beispielsweise „Atomruine“ für ein havariertes Atomkraftwerk. Ebenfalls können bereits vorhandene sprachliche Mittel, wie zum Beispiel das von der Bundeskanzlerin gern bemühte „wir“, im Krisendiskurs semantisch neu aufgeladen werden und neue pragmatische Funktionen bekommen.

Die Ausschreibung richtet sich an Promovierende und Postdocs aus den Literatur- und Sprachwissenschaften sowie der Kulturgeschichte. Die Vorträge sollten für etwa 20 Minuten konzipiert sein und können auf Deutsch oder Englisch gehalten werden. Bitte senden Sie Ihr Abstract (maximal 300 Wörter) mit einer kurzen Vita bis zum 31. Oktober 2015 an languagetalks16@lrz.uni-muenchen.de. Ausgewählte Beiträge sollen im Anschluss an die Konferenz in einem Tagungsband publiziert werden.

Beitrag von: Marko Zejnelovic

Redaktion: Christof Schöch