Stadt: Zürich, Schweiz

Frist: 2016-12-31

Beginn: 2017-10-08

Ende: 2017-10-12

Im kommenden Jahr wird das Reformationsjubiläum mit zahlreichen Tagungen und Veranstaltungen begangen, die sich kritisch mit der Reformationsthematik auseinandersetzen. Während sich geisteswissenschaftliche Nachbardisziplinen wie Germanistik, Theologie, Geschichte und Kunstwissenschaft wie selbstverständlich an der Planung des Reformationsjahres beteiligen, steht die Romanistik dieser Thematik eher fremdelnd gegenüber. Doch gab es auch in den romanischen Ländern reformatorische Bewegungen, wie die französischen Evangéliques oder die italienischen Spirituali vor dem Konzil von Trient. Zu vergessen sind auch nicht die Hugenotten sowie von katholischer Seite gegenreformatorische Bewegungen. Diese Glaubensvorstellungen haben einen nachhaltigen Einfluss auf die Ästhetik von literarischen Werken ausgeübt und unterschiedliche Konzepte von literarischer Ästhetik entwickelt, man denke hier nur an das Werk prominenter Autoren wie Clément Marot, Marguerite de Navarre, Théodore de Bèze oder Agrippa d’Aubigné, Vittoria Colonna, Michelangelo oder Torquato Tasso, deren Werke im Kontext dieser Reformationsbewegungen und ihrer spirituellen Spannungen entstanden sind. Das Besondere an der spirituellen Literatur im konfessionellen Zeitalter scheint gerade die Dynamik der Einbettung des theologischen Gedankengutes in traditionelle literarische Formen sowie die expliziten oder impliziten konfessionellen Abgrenzungsbemühungen.

Zudem führte religiös und nicht zuletzt auch politisch motivierte Verfolgung sowohl zur Exilierung einzelner, wie Juan de Valdés nach Rom und Neapel, Clément Marot nach Ferrara oder Bernardino Ochino nach Genf, als auch zu Migrationsbewegungen, wie der französischen Hugenotten, die wiederum einen kulturellen Einfluss auf die Aufnahmeländer und –städte wie die Niederlande oder das preußische Berlin ausgeübt haben. Die interkonfessionellen wie auch interkulturellen Begegnungen können zu fruchtbarem Austausch, aber auch zu Konflikten führen.

Die Sektion setzt sich mit diesen Dynamiken zwischen Literatur und den unterschiedlichen Konfessionen in den romanischen Ländern unter vier Teilaspekten auseinander:

1. Konfessionelle Dynamiken in den romanischen Literaturen

Es soll um die Frage gehen, inwiefern einerseits die Konfessionen einen Einfluss auf literarische Ästhetik und andererseits Ästhetik auf die liturgische Gestaltung ausgeübt haben. So schreibt C. Grosse: „Contrairement aux idées reçues, l’esthétique assume bien une fonction dans les formes rituelles adoptées par les Églises de la Réforme calviniste.“ (Grosse 2010: 13). Er spricht von einer „jonction de deux dynamiques“ (ibid.), kognitiv und ästhetisch. Angès Walch gibt zu bedenken, dass „[i]l convient de rappeler, en effet, l’étroite alliance de la poésie et du protestantisme ‘à la française‘, alliance sans laquelle l’histoire particulière de l’Église réformée est illisible, au point que l’on peut se demander si la création poétique n’est pas un trait spécifique de l’expression religieuse huguenote dont elle traduit les principales aspirations“ (Walch 2008: 96) und V. Ferrer bekräftigt, dass „la Réforme calvinienne […] marqua de manière moins connue mais tout aussi décisive la littérature de son temps“ (Ferrer 2009: 55). Jedoch, so erklärt Ferrer weiter, gab es keine „manifestes poétiques […] qui posent les principes d’une langue et d’une inspiration à proportion de la nouvelle doctrine“ (ibid. 56). Das Fehlen solch theoretisch-programmatischer Texte darf jedoch nicht als eine Indifferenz der Literatur gegenüber der religiösen Reformation verstanden werden. Ziel der Sektion ist es nicht allein, die Wechselwirkung zwischen reformatorischer (calvinistischer) Theologie und Ästhetik zu analysieren, auf die sich die Forschung bislang konzentriert hat, sondern auch die katholische Gegenreform in den Blick zu nehmen und sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede zu analysieren. Dazu ist es notwendig zu erforschen, in welchen Kontexten und auf welche Weise bestimmte diskursive Elemente einer bestimmten Konfession zugeordnet werden, d. h. die Konfiguration von Wahrnehmung konfessioneller Marker zu analysieren, durch die die Konfessionalität eines Textes für den Rezipienten erst erkennbar wird und die wiederum eine Wirkung auf die Produktion von spirituellen konfessionell geprägten Texten hat. So soll untersucht werden, ob unterschiedliche protestantische, reformierte oder katholische Ästhetikkonzepte entstehen und ob und wie diese praktisch in literarischen Texten umgesetzt werden.

2. Beitrag der Literatur als Verbreitungsmedium der Konfessionen

Des Weiteren soll untersucht werden, inwiefern literarische Texte einen Beitrag zur Verbreitung konfessioneller Glaubensinhalte geleistet haben. So soll analysiert werden, wie Verfahren der Rhetorik, z.B. das Zusammenspiel von delectare bzw. movere und docere, in der Literatur dazu genutzt werden kann, religiöse Dogmen zu vermitteln und zu verbreiten. Zudem könnte darauf eingegangen werden, wie solche Werke in der alltäglichen Frömmigkeitspraxis eingesetzt wurden, sei es für die persönliche Andacht durch Meditationsbücher oder für die Verbreitung bei größerem Publikum durch dramatische Stücke.

3. Dynamiken von Trans- und Interkonfessionalität in der Literatur

Zudem sollen nicht einfach unterschiedliche konfessionelle Ästhetikkonzepte nebeneinander gestellt werden, sondern die dynamischen interkonfessionellen Inbezugnahmen untersucht werden, d. h. inwiefern literarische Texte explizit oder implizit Bezug auf andere konfessionell geprägte Literaturästhetiken nehmen, um sich selbst davon abgrenzend zu definieren, und eine gegenseitige die Konfessionen übersteigende Beeinflussung erkennbar ist. Weiterhin wäre es interessant zu erforschen, ob neben dem Austausch zwischen den Konfessionen – sei es_ ex negativo_ oder ex positivo – auch Aspekte der expliziten Transkonfessionalität in der Literatur, also Aspekte, die der Literatur aller Konfessionen gemeinsam sind, sichtbar werden. Ein solcher Blickwinkel erlaubt es, Kulturproduzenten der Frühen Neuzeit zwar einer bestimmten Konfession als angehörig zuzuordnen, diese Identitäten – bedingt durch den ständigen Austausch – jedoch als dynamisch zu denken. Dies kann auch zu einer Infragestellung von Phänomenen wie konfessioneller Ambiguität oder Nikodemismus führen und zu einer Berücksichtigung von innerkatholischen Reformationsbewegungen wie die Evangéliques, die eine Affinität zum Protestantismus haben, ohne mit diesem identisch zu sein.

4. Kulturelle Übertragungsdynamiken

Hier soll es um die Frage gehen, inwiefern Exilierung und Auswanderungsbewegungen zum kulturellen Austausch beigetragen haben können. Dabei kann zwischen Begegnungen der christlichen Konfessionen miteinander, aber auch an die Begegnung mit anderen Religionen gedacht werden, wie der des Christentums mit dem Islam oder dem Judentum. Interessant wäre es zu untersuchen, welche kulturellen Entwicklungen diese innerchristlichen sowohl interkonfessionellen als auch interkulturellen Begegnungen für die romanische Literatur in den einzelnen Ländern Europas zur Folge hatte.

Wir bitten um Einsendung von Beitragsvorschlägen (ca. 300 Wörter) und einer kurzen biographischen Notiz bis zum 31. Dezember 2016 an Daniel Fliege (daniel.fliege@uni-hamburg.de) und Rogier Gerrits (rogier.gerrits@uni-hamburg.de).

Zusagen erfolgen bis zum 15. Januar 2017.

Arbeitssprachen sind die romanischen Sprachen und Deutsch. Die Vorträge dauern 20 Minuten gefolgt von einer kurzen Diskussion. Eine Veröffentlichung der Tagungsakten ist geplant.

Literaturverzeichnis (in Auszügen)

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Beitrag von: Daniel Fliege

Redaktion: Christof Schöch