Frist: 2017-03-15

„Comment être plus négligé que ne l’est aujourd’hui Romain Rolland (1866-1944)?“ , fragte Florent Georgesco in einer Chronik, die anlässlich der Veröffentlichung von Rollands Journal de Vézelay in der Monde des livres erschienen ist. Heute ist diese mahnende Frage aus dem Jahr 2012 größtenteils überholt. Im Zuge der medialen wie wissenschaftlichen Begeisterung für den Ersten Weltkrieg ist Rollands Werk aus der Vergessenheit geraten, in die es im Laufe der Geschichte gefallen war. Mehrere Veröffentlichungen haben den Prozess der Wiederbelebung Rollands in Bewegung gebracht: Die Wiederveröffentlichung von Au-dessus de la mêlée (Paris: Petite Bibliothèque Payot, 2013) hat dabei sicher eine herausragende Rolle. Seit ihrem Erscheinen hat die Publikation, mit einem Vorwort von Christophe Prochasson, dem wohl bedeutendsten französischen Spezialisten, der sich mit der Kulturgeschichte des Ersten Weltkrieges beschäftigt, ein gewaltiges mediales Echo erfahren: Man denke an die Sendung von Guyonne de Montjou auf France Inter (29.01.2013), die sich mit der Re-Edition von Au-dessus de la mêlée beschäftigt , oder aber an den Artikel im Nouvel Observateur (22.03.2013) , der zu recht bekräftigt, dass die Wiederveröffentlichung des Büchleins mit der ablehnenden Skepsis Rolland gegenüber aufräumen könnte, die sich angesichts seiner zeitweisen Annäherung an den Stalinismus zu Beginn der 1930er Jahre verbreitet hatte. Auch die rezente Veröffentlichung der Korrespondenz von Romain Rolland und Stefan Zweig (1910-1940) dürfte eine wichtige Rolle bei der Wiederentdeckung Rollands gespielt haben. Da das große Medienecho bei der Fachwelt wie beim breiten Publikum angesichts der Wiederveröffentlichungen bereits 2013 stattfand, erfreut es umso mehr, dass diese Korrespondenz so viele neue Forschungsperspektiven eröffnet, dass sie das Interesse der Forscher zu Romain Rolland und Stefan Zweig auch weiterhin weckt. Weitere für die Forschung ebenso vielversprechende Projekte sind derzeit in Arbeit. Das wichtigste ist zweifelsohne das im Jahr 2014 von den Éditions Garnier lancierte Großprojekt, das Gesamtwerk von Romain Rolland (mit Ausnahme der Tagebücher und der Korrespondenzen) bis 2020 neu zu veröffentlichen. Diese Veröffentlichung soll zum Anlass genommen werden, die direkte wie indirekte Beziehung, die Romain Rolland während des Krieges zu Deutschland, dem „phénomène ambivalent, contradictoire et désaccordé“ , einnahm und wie er dieses in seinen Schriften darstellte, neu zu bewerten. Seit der 1962 von Marcelle Kempf vorgelegten Studie und der ein Jahr später abgeschlossenen Dissertation von René Cheval wurde die Thematik nicht mehr in ihrer Breite untersucht – und dies, obwohl sie zum Verständnis der Person Romain Rollands aber auch eines ganzen Stücks deutsch-französischer Geistesgeschichte von herausragender Bedeutung ist. Kürzlich haben einige Forscher bislang noch unbearbeitet Schriften und Zeugnisse Rollands erschlossen und damit neue Forschungsperspektiven eröffnet, doch handelt es sich um Einzelstudien, die die Breite der Thematik keinesfalls erfassen können.

Verbunden mit dem Wunsch „die Fenster weit zu öffnen und weit zu denken“ möchten wir gleichzeitig den Forschungsfokus auf den gesamten deutschsprachigen Raum öffnen. Abgesehen von einigen Studien zum Verhältnis von Romain Rolland und Stefan Zweig beschäftigen sich bislang nur sehr wenige Untersuchungen mit den Verbindungen, die Rolland mit Österreich und der (deutschsprachigen) Schweiz geknüpft hatte. Ebenso viele Lücken weist die Erforschung von Rollands Bildern von Österreich und der Schweiz sowie die Rezeption und Verbreitung seiner Schriften in diesen beiden Ländern auf.

Sich der besonderen zeitlichen Fokussierung der Fragestellung – dem „penser par cas“ im Sinne Jacques Revels – wohl bewusst, wird das Publikationsprojekt auch die großen Zusammenhänge im Auge behalten. Daher sollen auch Fragen der Rezeption und Verbreitung von Rollands Schriften nach seinem Tod im Jahre 1944 – insbesondere in den beiden Deutschlands im Kontext des Kalten Krieges und der Ost-West-Konflikte – in den Blick genommen werden. Besonderes Augenmerk wird Beitragsvorschlägen geschenkt werden, die sich mit bislang noch gar nicht oder wenig erforschten Aspekten beschäftigen oder eine Neuperspektivierung bereits bearbeiteter Gegenstände vornehmen.

Bitte schicken Sie Ihren Beitragsvorschlag mit einem kurzen Abstract im Umfang von ca. 300 Wörtern zusammen mit einer kurzen Biobibliographie bis 15. März 2017 an Landry Charrier (landry.charrier@univ-bpclermont.fr) und Marina O. Hertrampf (marina.Hertrampf@sprachlit.uni-regensburg.de). Sie werden bis 31. März 2017 über die Annahme Ihres Beitragsvorschlages informiert. Die Beiträge können auf Deutsch und Französisch verfasst werden.

Beitrag von: Marina Ortrud Hertrampf

Redaktion: Christof Schöch