Stadt: Mainz

Frist: 2017-04-30

Beginn: 2017-09-13

Ende: 2017-09-16

URL: http://www.lusitanistenverband.de/

Dr. Sarah Burnautzki (Mannheim), Dr. Ute Hermanns (Berlin), Janek Scholz (Aachen)
Kontakt: vozesdoalem2017@gmail.com

Der Tod ist zweifellos ein klassisches Thema der Literatur und Literaturwissenschaft. Vom mittelalterlichen Totentanz über den personifizierten Tod als typische Vanitas-Allegorie des Barock hin zur mystischen Todessehnsucht des lyrischen Ichs in der Romantik – nicht zuletzt ist die phantastische Literatur von Geistern, Toten und Wiedergängern bevölkert und aus dem Medium Film ist die Repräsentation von Tod und zum Leben erweckten Toten kaum wegzudenken. Die Faszination für den Tod verbindet die unterschiedlichsten Epochen, Medien, Gattungen und Kulturen und der Tod als äußerste Grenzerfahrung bietet gleichermaßen Anlass zur metaphysischen Sinnfrage wie zu literarischen Transgressionen an der Schwelle zwischen Fiktion und Wirklichkeit.

Doch wie verhält es sich mit Überlegungen zum Tod aus narratologischer Perspektive? Welche besonderen Implikationen haben die fiktionale Resurrektion von Figuren und das Erzählen toter Erzähler? Wiederkehrende Tote und tote Erzähler sind bei näherer Betrachtung keine literarische Seltenheit und man findet sie überall im lusophonen Raum. Sie erscheinen in Romanen von José Saramago oder Mia Couto, bei José Eduardo Agualusa oder Machado de Assis, Jorge Amado sowie bei Murilo Rubião, um nur ein paar Autoren zu nennen und treten in Literaturverfilmungen, wie Dona Flor e seus dois maridos (1977) von Bruno Barreto und A morte e a morte de Quincas Berro d’Água (2010) von Sérgio Machado auf, in denen Tote an der Filmhandlung mitwirken. André Klotzels Verfilmung von Memórias Póstumas de Brás Cubas (2001), in dem die tote Hauptfigur ihr Leben als Retrospektive erzählt und aus dem „Jenseits“ kommentiert, zeigt durch die Narrative im Off, wie eng und selbstverständlich Tote mit den Lebenden in Verbindung stehen und mit diesen in einen Dialog treten.

Auch die Lebenden suchen den Dialog mit den Toten, warten auf Botschaften aus dem Jenseits oder suchen nach Antworten aus der Zukunft: So gibt es in der brasilianischen Literatur zahlreiche Texte, in denen Protagonisten Halt, Erklärungen oder Handlungsanweisungen im Besuch einer Wahrsagerin suchen. Das Kommunizieren mit den Toten und Lesen in der Zukunft als Rezeptionsakt ist dabei handlungstragend, führt jedoch zumeist nicht zur erhofften Verbesserung der aktuellen Lebensumstände, sondern im Gegenteil, zum Tod der Protagonisten. Dass der Tod der Protagonisten die Narration auf besondere Weise herausfordert, wird auch genreübergreifend deutlich: So erzählen Fábio Moon und Gabriel Bá in ihrer Graphic Novel Daytripper den wiederholten Tod des Protagonisten Bras, der in jedem Kapitel ein anderes Lebensalter erreicht und schaffen auf diese Art und Weise eine Serialität, die von der Todesmotivik getragen wird. Eine Produktion wie Cartas da guerra (2016) von Ivo M. Ferreira nach den Aufzeichnungen Antonio Lobo Antunes D’este viver aqui neste papel descripto – cartas da guerra (2005) widmet sich dem Kolonialkrieg Portugals in Angola, inszeniert den Erzähler als entsetzten Beobachter, hinterlassen in einer Welt, die mit Toten korrespondiert und bezeugt, dass die Aufarbeitung der Vergangenheit in den letzten Jahren eine wichtige Rolle im lusophonen Film gespielt hat.

Hatte Barthes im Sinne des Poststrukturalismus den „Tod des Autors“ konstatiert und Foucault dessen romantisch-genialische Aura zur minimalen Autorfunktion im Text reduziert, so wollen wir in dieser Sektion der Frage nach den narratologischen Konsequenzen des „Todes des Erzählers“ sowie der literarischen und filmischen Präsenz toter Handlungsträger oder sogar toter Erzähler nachgehen und diese mit Bachtins Begriff des Polyperspektivismus verknüpfen. Bachtins Überlegungen zum Polyperspektivismus im modernen Roman undogmatisch fortführend werden wir diskutieren, inwiefern der Tod ein verändertes (Selbst)verständnis der Figuren, des Erzählers sowie des Autors zum Ausdruck bringt, was narratologisch nach dem „Tod des Erzählers“ geschieht und in welcher Weise tote, scheintote, untote Figuren und Erzähler in ein möglicherweise konkurrierendes Verhältnis zum Autor oder zu anderen Erzählern treten. Beobachten lässt sich dies beispielsweise in Texten von Clarice Lispector, wo der drohende Tod der Protagonisten zu einem anderen Erzählen anstiftet und der Erzähler nicht nur bewusst in den Vordergrund tritt, sondern auch seine Rolle aktiv reflektiert, was wiederum das poststrukturalistische Diktum vom „Tod des Autors“ in ein neues Licht rückt.

In dieser Sektion werden wir der Frage nachgehen inwiefern tote Figuren und Erzähler das realistisch verbürgte referentielle Verhältnis zur Wirklichkeit, aber auch das Verhältnis zwischen Leben und Tod, Poesie bzw. Kunst und Realität herausfordern. Zu welchen besonderen philosophischen Gedankenspielen und metaphysischen Grenzgängen laden uns tote Erzähler und Figuren ein? Welche besonderen kulturellen oder gesellschaftskritischen Stimmen sprechen zu uns aus dem fiktionalen Jenseits? Auch die Repräsentation von Toten aus der Literatur, die im Film zum Leben erweckt werden, verdient im Kontext einer polyperspektivischen Analyse eine besondere Betrachtung. Welche Konsequenzen dies für Literaturverfilmungen und deren Mittel hat, soll untersucht werden.

Ausgehend von der Beobachtung, dass sich das narratologische Phänomen des paranormalen und postmortalen Polyperspektivismus in sämtlichen Kulturen des lusophonen Raums beobachten lässt, wollen wir zur medienübergreifenden kultur- und literaturvergleichenden Betrachtung der unterschiedlichen Gestaltungen und Konfigurationen toter Figuren einladen, um zu einem umfassenderen Verständnis des Phänomens zu gelangen.

Wir freuen uns über die Zusendung Ihres Abstracts (ca. 400 Wörter) für einen 20-minütigen Vortrag sowie einer kurzen bio-bibliographischen Übersicht bis zum 30. April 2017 an: vozesdoalem2017@gmail.com. Vortrags- und Diskussionssprachen sind Deutsch, Portugiesisch und Galizisch. Kosten für Anreise und Unterkunft können von der Organisation leider nicht getragen werden.

XII. Deutscher Lusitanistentag, 13.-16.9.2017, Johannes-Gutenberg-Universität Mainz
Sektionsleistung: Dr. Sarah Burnautzki (Mannheim), Dr. Ute Hermanns (Berlin), Janek Scholz (Aachen)

Tagungshomepage: http://www.lusitanistenverband.de/

Beitrag von: Janek Scholz

Redaktion: Christof Schöch