Stadt: Siegen

Beginn: 2014-07-09

Ende: 2014-07-11

Tagungskonzept:

Seit dem Gilgamesch-Epos, d.h. den Anfängen der Literatur, erfolgt die narrative Ausgestaltung von Maskulinität unter Einbezug von Gewalt bzw. der Ausübung und Inszenierung von Männlichkeitsritualen, die sich auf der Grundlage von gewaltgenerierenden Machtstrukturen vollziehen. Keine antike Tragödie, kein Ritterepos, kein Schelmenroman kommt aus ohne das Zusammenspiel von Männlichkeit und Gewalt, und auch in der Neuzeit gehört Gewaltbereitschaft in all ihren Facetten zum festen Inventar der literarischen Konstruktion des klassischen Männerhelden. Männliche Gewalt gilt häufig als legitimierte „Naturtatsache“ (Hagemann-White), was angesichts (de)konstruktivistischer Genderforschung und der deutlich markierten soziokulturellen Dimension von Gewalt einigermaßen paradox erscheint. Aus dieser vorherrschenden Auffassung von männlicher Gewalt- und Dominanzlogik resultiert die Unvereinbarkeit von Männlichkeit und Opferstatus sowohl im homosozialen Kontext als auch im Fall von Gewalt zwischen den Geschlechtern. Aktive Gewalt in all ihren unterschiedlichen Formen fungiert demnach als integraler Bestandteil des männlichen Habitus und dient oft genug als performative Resouveränisierungsstrategie bedrohter oder krisenhafter Maskulinität. Insofern ließe sich konstatieren, dass Gewalt auch dazu dient, Ordnungen herzustellen, aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen, d.h. Gewalt besitzt zugleich destruktive als auch konstitutive Funktionen, die nicht immer klar zu trennen sind. Zu fragen wäre in diesem Zusammenhang nach dem Verhältnis von Macht, Gewalt und hegemonialer Männlichkeit.

Die Forschungsliteratur zum Themenkomplex „Männlichkeit und Gewalt“ ist umfangreich, insbesondere im angloamerikanischen Raum, wobei einschlägige Studien v.a. aus den Sozial- und Erziehungswissenschaften stammen. In der Literatur- und Medienwissenschaft wird männliche Gewalt eher im Zusammenhang der Filmanalyse berücksichtigt. Umfassende Studien zu Inszenierungen von Männlichkeit und Gewalt im Medium Literatur gibt es bislang kaum.

Das 2. Siegener Forum für Literatur & Men’s Studies widmet sich dem Komplex „Männlichkeit und Gewalt“ unter folgenden Prämissen:

1. Die zur Diskussion gestellte These, dass es sich bei der Gewalt um eine männlich codierte anthropologische Konstante handelt, soll in diachroner Perspektive auf ihre Historizität überprüft werden. Der historische Rahmen umfasst daher die Literaturen vom Mittelalter bis zur Gegenwart.
2. Aus einer phänomenologischen Perspektive sollen zunächst die unterschiedlichen Artikulationsformen von Gewalt (z.B. physische, symbolische oder sexualisierte Gewalt) und deren Funktionalisierung innerhalb von literarischen Texten analysiert werden. Des Weiteren werden die soziokulturellen Bedingungs- und Legitimationsstrukturen männlicher Gewalt betrachtet; hierbei spielen u.a. Konzepte wie Ehre, Initiation, Faustrecht und Ritualisierung wichtige Rollen. Zu fragen wäre in diesem Zusammenhang nach der Verankerung männlicher Gewalt in der moralischen Ordnung gesellschaftlicher Systeme.
3. Schließlich soll von einem übergeordneten Standpunkt das vorherrschende Gendering von Gewalt kritisch erörtert werden. Hier steht nicht zuletzt das tradierte Schema ‚männlicher Täter – weibliches Opfer‘ zur Diskussion. Auch wenn es immer wieder vereinzelte Studien über weibliche Gewalt gegen Männer gibt, taucht dieses Phänomen im Gewaltdiskurs kaum auf. Hier wäre zu fragen, ob diese Leerstelle auch in der Literatur abgebildet wird oder ob es z.B. in femme fatale-Texten subversive Tendenzen gibt.

Organisation: Uta Fenske / Gregor Schuhen (Philosophische Fakultät, Universität Siegen)

TAGUNGSPROGRAMM

MI, 9. Juli 2014

19.00h
Begrüßung / Grußworte

19.30h
Eröffnungsvortrag:

Jürgen Martschukat (Erfurt)
„No duty to retreat“: Waffengewalt und die Remaskulinisierung Amerikas in den 1980er Jahren

20:30h
Eröffnungsbuffet / Book Release Party „Der verfasste Mann“

DO, 10. Juli 2014

9.00h
Uta Fenske / Gregor Schuhen (Siegen)
Männlichkeit und Gewalt. Einleitung

9.30h
Andreas Kraß (Berlin)
Kämpfende Freunde. Männlichkeit, Gewalt und Begehren im Artusroman

10.10h
Silke Segler-Meßner / Christoph Gabriel (Hamburg)
Von Blut und Tränen. Männlichkeitsmodelle in der altfranzösischen Chanson de geste und im höfischen Roman

10.50h
Kaffeepause

11.20h
Tobias Brandenberger (Göttingen)
Formen und Funktionen männlicher Gewalt in der iberoromanischen Narrativik des 15. und 16. Jahrhunderts

12.00h
Marcus Stiglegger (Mainz)
Scorpio Rising! Hypermännlichkeit als Todesmetapher in homoerotischen Fiktionen von Jean Genet zu Cruising
12:40
Mittagspause

14.00h
Karin Peters (Mainz)
Der ‚theatrale Grund‘ der Autorität. Rechtsgewalt und phobische Männlichkeit im spanischen und französischen Barockdrama

14.40h
Christian Grünnagel (Gießen)
Der Held der italienischen Barockoper als Opfer. Die Männlichkeit des primo uomo in Leonardo Vincis Artaserse (1730)

15.20h
Kaffeepause

15.50h
Christian von Tschilschke (Siegen)
Sehnsucht nach der Barbarei? Ambivalenzen männlicher Gewalt in der präfaschistischen Literatur über den spanisch-marokkanischen Rifkrieg (1921-1926)

16.30h
Hans-Ulrich Weidemann (Siegen)
Gewalt zwischen Männern in der Bergpredigt

20.00h
Gemeinsames Abendessen

FR, 11. Juli 2014

9.00h
Michael Ott (München)
Gewalt und Ritual. Duellszenen bei Arthur Schnitzler

9.40h
Angela Schwarz (Siegen)
„The virtue of a good whip“: Henry Morton Stanley und die Unterwerfung des ‚dunklen Kontinents‘

10.20h
Kaffeepause

10:50h
Niels Werber (Siegen)
Mating means dying. Zur Männlichkeit der Drohnen in Entomologie und Literatur

11.30h
Sabine Sielke (Bonn)
Sexuelle Gewalt und Geschlecht. Grenzgänge literarischer Repräsentation

12:10h
Mittagsimbiss

13.00h
Claudia Benthien (Hamburg)
Zur Verschränkung von Gewalterfahrung und Demaskulinisierung in neueren Prosatex-ten zur Shoah

13.40h
Abschlussdiskussion

Beitrag von: Gregor Schuhen

Redaktion: Christof Schöch