Stadt: Dresden

Frist: 2018-01-08

Seit dem Beginn der Industrialisierung gilt die Krise als ständige Begleiterin der ökonomisch-technologisch-gesellschaftlichen Modernisierung. Damit wird jener offene Übergangszustand einer Gesellschaft beschrieben, der der Traditionsorientierung entgegensteuert, Orientierungs­unsicherheit provoziert und Unsicherheitskompetenz zur Lebensstrategie erklärt. Das Phänomen der wirtschaftlichen, politischen und damit einhergehenden sozialen Krise entwickelte sich nicht zuletzt innerhalb der letzten Dekade zum wiederbelebten Problembegriff romanischer Kulturräume.

Damit sich ein Ereignis in Diskursen niederschlägt oder gar als Krise etabliert, bedarf es medialer Repräsentationen, wobei visuelle und textuelle Elemente häufig korrelieren. Die soziale Funktion dieser Darstellungsformen ist von großer Bedeutung, denn über die Ästhetisierung lebensweltlicher Elemente entstehen imaginierte Möglichkeiten bzw. neue ‚Wirklichkeiten‘, mithilfe derer Krisenstrukturen schließlich umgeschrieben werden.

Gerade in Momenten der Ausweglosigkeit und unter dem Eindruck einer fundamentalen Entgleisung der Geschichte ist die Latenz neben der offensiven Dokumentation ein zentraler Darstellungsmodus für Krisen. Im Modus des Dokumentarischen werden die ‚Wunden des Sozialen‘ offengelegt und aus der Betroffenheitsperspektive Vulnerabilität und Prekarität beschrieben. Krisennarrationen der Gegenwart sind häufig nicht nur durch Polyphonie und Dialogizität, sondern auch durch eine Resemantisierung nationalhistorischer Ereignisse in der Metanarration gekennzeichnet. Ein Teil der Denkfiguren und Krisentopografien ähnelt sich unabhängig vom krisenverarbeitenden Medium, wozu zum Beispiel dysfunktionale (Stadt)-Landschaften gehören.

Der Sammelband zielt darauf ab, unterschiedliche Ausdrucksformen historischer und gegenwärtiger Krisenreaktionen innerhalb der Romania zu bestimmen und zueinander in Beziehung zu setzen, und zwar unter Beachtung des Mediums (Literatur, Fotografie, Film, Theater etc.), in dem diese sich artikulieren. Er fragt danach, welche Kongruenzen und Spezifika sich im Text-Kontext-Verhältnis der möglicherweise unterschiedliche Narrative transportierenden Krisenerzählungen der Romania feststellen lassen. Um die diagnostische und prognostische Qualität kultureller Artefakte zu betonen, soll für den Sammelband der hippokratische Ansatz zur Kategorisierung von Krankheits- und Krisenverläufen aufgenommen werden, woraus sich folgende Zuordnung Ihres Beitrags ergeben kann: Teil I: Diagnose (Deskription/Analyse), Teil II: Therapie (Intervention/Innovation), Teil III: Prognose (Überwindung/Rekonvaleszenz).

Folgende Fragestellungen können darüber hinaus für die Einzelfallanalyse geeigneter kultureller Artefakte leitend sein:
• Inwieweit bieten Krisen einen Interventions-, Innovations- und Inspirationsraum?
• Über welche Mittel verfügen Akteure des künstlerischen Felds, um Krisenstrukturen umzuschreiben?
• Welche Folgen kann ein krisenbedingter Materialmangel für die narrative Modellierung der Inhalte von Büchern, Filmen oder anderen Medien haben?

Der Sammelband berücksichtigt Krisennarrationen aller Epochen mit einem Schwerpunkt auf jenen kulturellen Artefakten der Romania, die an den Schwellen zum 20. und 21. Jahrhundert entstanden sind.

Wir freuen uns auf Ihre Vorschläge. Bitte senden Sie uns zunächst ein Abstract im Umfang von ca. 300 Wörtern bis zum 8. Januar 2018. Ausgewählte Beiträger/innen werden danach innerhalb einer Woche benachrichtigt. Abgabetermin für die Beiträge ist der 1. März 2018.
Rückfragen und Abstracts bitte an: Dr. Susanne Ritschel und Prof. Dr. Roswitha Böhm, Institut für Romanistik, Technische Universität Dresden (susanne.ritschel@tu-dresden.de, roswitha.boehm@tu-dresden.de).

Beitrag von: Roswitha Böhm

Redaktion: Christof Schöch