Journée d’études, Universität Paderborn, 6. – 7. Dezember 2018

Der aus der antiken Historiographie (Livius, Appian, Diodor) überlieferte Stoff um die kathargische Königin Sophonisbe, ihren Ehemann Syphax, ihren Geliebten Massinissa und den feindlichen römischen Feldherrn Scipio zeigt in der Kultur der Frühen Neuzeit eine bemerkenswerte Präsenz, die Malerei (Rembrandt, Tiepolo), Musik (Caldara, Gluck) und Literatur, vor allem aber die italienische und französische Tragödie umfasst. Gian Giorgio Trissinos 1514/15 verfasste Sofonisba stellt die erste ,reguläre‘ frühneuzeitliche Tragödie antiken Zuschnitts dar, und mit Jean Mairets Sophonisbe ist es 1634 wiederum ein Sophonisbe-Drama, das die Herausbildung der ,klassischen‘ französischen Tragödie und der doctrine classique initiiert. Von dieser keineswegs zufälligen Koinzidenz ausgehend, zielt die geplante Journée d’études darauf ab, die Bedeutung des Sophonisbe-Stoffes für die Frühe Neuzeit im Allgemeinen und für die ,Renaissancen‘ der frühneuzeitlichen Tragödie im Besonderen herauszuarbeiten. Fokussiert werden können dabei die drei folgenden Fragenkomplexe:

(1) Sowohl Trissino als auch Mairet legen Tragödien vor, die insofern mustergültig sind, als sie die aristotelische Konzeption dieser Gattung reaktualisieren. Indes stellt sich die Frage, an welches Tragödienmodell beide Autoren und ihre Nachfolger anschließen bzw. welcher Aristotelismus den jeweiligen Sophonisbe-Tragödien zugrunde liegt. In seiner Poetik unterscheidet Aristoteles zwischen zwei Tragödienmodellen, dem idealen Ödipus von Sophokles und der Medea des Euripides, die vor allem deshalb problematisch ist, weil sich ihre Titelfigur das männlich gedachte Handlungsprinzip der Tragödie zu eigen macht (vgl. 1453a und 1454a). In der Frühen Neuzeit geraten diese beiden Tragödienmodelle unweigerlich in ein Spannungsverhältnis: Verdanken sich die ,Renaissancen‘ der Tragödie einerseits einer sophokleisch gedachten Reaktualisierung dieser Gattung, so führen sie andererseits und zugleich deren euripideisch orientierte Neubegründung als Liebestragödie herbei. Aus der Einführung der Liebe in die Tragödie ergibt sich die Notwendigkeit einer grundlegenden, hier näher zu betrachtenden Neubestimmung dieser Gattung in Hinblick auf Handlung, Charaktere und Wirkung.

(2) Die Frage nach dem Aristotelismus der frühneuzeitlichen Sophonisbe-Tragödien wirft ihrerseits weiterführende Fragen nach dem Verhältnis von Stoff und Gattung auf. Zum einen ist zu diskutieren, welche Konsequenzen die Wahl des Sophonisbe-Stoffes für die frühneuzeitliche Tragödie bzw. genauer: für deren konzeptuelle Ausrichtung zeitigt. Sind der Sophonisbe-Stoff und seine komplexe Figurenkonstellation möglicherweise dazu prädestiniert, eine Transformation der traditionellen ,Staats- und Heldentragödie‘ in eine Liebestragödie zu leisten? Umgekehrt stellt sich die Frage nach den Modifikationen des Sophonisbe-Stoffes, welche die Tragödienautoren der Frühen Neuzeit auf der Grundlage ihrer jeweiligen Gattungskonzeption vornehmen. Hierbei gilt es vor allem das Verhältnis dieser Stoffmodifikationen zu den ,Liebessemantiken‘ der Frühen Neuzeit in den Blick nehmen: Inwieweit folgt beispielsweise Corneille mit seiner Sophonisbe (1663) dem ,galanten‘ Zeitgeschmack, wenn er seiner Titelfigur eine weibliche Rivalin an die Seite stellt und die Liebesproblematik dementsprechend potenziert? Zugleich sind hier Phänomene der Transgenerik zu berücksichtigen: Inwiefern sind die frühneuzeitlichen Modifikationen des Sophonisbe-Stoffes zurückzuführen auf Ausrichtungen der Tragödie auf andere Gattungen und Genres? Zu denken wäre hier etwa an die Trionfi Petrarcas und die Novellen Bandellos, die für Trissino und Mairet wegweisend sind, sowie an die Elegie, die neben Corneilles Sophonisbe auch Lohensteins gleichnamiges Trauerspiel von 1669 prägt, das den Geist der Vergil’schen Dido in Szene setzt.

(3) Wie Erich Auerbach in seiner Mimesis-Studie besonders anschaulich gezeigt hat, wird die frühneuzeitliche „Vorstellung vom Schicksal“ auf das Engste mit dem „Charakter der Person“ verknüpft; dementsprechend aufschlussreich ist die Frage nach der Figurenkonzeption der Sophonisbe-Tragödien. In der aristotelischen Konzeption der Tragödie sind die Charaktere über den zentralen Begriff der andreia an eine spezifische Form ,starker‘ Männlichkeit gebunden; ,richtige‘ Handlungsträger sind Männer tüchtigen, tapferen und energischen Charakters, während bei Frauen diese Charaktereigenschaften zwar als Möglichkeit eingeräumt, jedoch als Verstoß gegen das Stilideal der Angemessenheit gewertet werden (vgl. Poetik 1454a). Folglich wirft die Aneignung des Sophonisbe-Stoffes durch die frühneuzeitliche Tragödie auch im Bereich der Figurenkonzeption mehrere Fragen auf: Welchen Platz nimmt Sophonisbe in den einzelnen Tragödienkonzeptionen der Frühen Neuzeit ein, wenn sie durchgehend als Titelfigur fungiert, strikt aristotelisch gedacht indes nicht die handlungstragende Protagonistin einer Tragödie sein kann? Umso nachdrücklicher stellt sich diese Frage, wenn man bedenkt, dass die Figur Sophonisbes in der Frühen Neuzeit zu einem komplexen weiblichen Referenzmodell avanciert, das sowohl auf die Selbstermächtigung und patriotische Charakterstärke der femme forte als auch die keusche Tugendhaftigkeit der bonne femme ausgerichtet ist. Lohnenswert erscheint deshalb ein genauerer Blick auf die Ambivalenzen, die der Sophonisbe als Weiblichkeitsmodell eingeschrieben sind, und das konkrete Profil, das sie beispielsweise in Madeleine de Scudérys Femmes illustres (1642) und auf sie rekurrierenden Tragödien erhält.
Wenn über den Sophonisbe-Stoff die Liebe in die frühneuzeitliche Tragödie eingeführt und dort prominent platziert wird, so stellt sich darüber hinaus die Frage, inwieweit sich damit Konzeptionen Sophonisbes und ihrer männlichen Partnerfiguren ergeben, die sich nicht (mehr) mit dem antiken Konzept der andreia in Einklang bringen lassen. Es ist kaum überraschend, dass die Sophonisbe-Tragödien im Allgemeinen und ihre Protagonisten im Besonderen einen zentralen Platz in den frühneuzeitlichen Querelles und den mit ihnen geführten ,Kulturpolitiken‘ einnehmen: Während Mairets Sophonisbe in der Querelle du Cid (1637) als positives Gegenbeispiel zu Corneilles opus magnum fungiert, entzündet sich an Corneilles Sophonisbe-Tragödie eine eigene heftige Kontroverse, die einen deutlichen Widerhall in den Gattungsdiskussionen über das deutsche Trauerspiel findet. Der Blick führt hierbei von Lohenstein bis hin zu Lessing, dessen Vorrede zu Des Herrn Jakob Thomson sämtliche Trauerspiele (1756) eine Reflexion darstellt über die Sophonisbe-Bearbeitungen Thomsons, Mairets und Corneilles und deren kulturpolitische, von Lessing jeweils ,national‘ gedachte Ausrichtungen. Bedenkt man dabei, dass mit dem Sophonisbe-Stoff veränderte Figurenkonzeptionen nicht nur notwendig, sondern auch möglich werden, so stellt sich schließlich auch die Frage, welche Subjektmodellierungen die Sophonisbe-Tragödien der Frühen Neuzeit leisten: Inwiefern erproben sie neue Formen der Identitätsstiftung, und wie sind diese vor allem geschlechtlich, aber auch – über den Konflikt Karthago-Rom – ethnisch und stratisch gebunden?

Für die geplante Journée d’études sind vor dem skizzierten Hintergrund Beiträge willkommen, die exemplarische Sophonisbe-Bearbeitungen der Frühen Neuzeit aufgreifen, einzelne bzw. übergreifende, transnationale Kontexte beleuchten sowie hier vorgeschlagene und / oder weitere ausgewählte Fragestellungen verfolgen. Vorschläge (Titel und kurze Beschreibung) werden bis zum 1. März 2018 per Mail an hendrik.schlieper@uni-paderborn.de erbeten.

Organisation:
Kontakt:
Jun.-Prof. Dr. Hendrik Schlieper
Universität Paderborn
Institut für Germanistik und Vergleichende Literaturwissenschaft

Beitrag von: Hendrik Schlieper

Redaktion: Christof Schöch