Das Drama kennzeichnet sich als ein ‚Als-Ob‘, als Schlüpfen in eine Figur, einen Körper. Dass diese Maskenhaftigkeit immer schon präsent ist und als solche inszeniert wird, zeigt bereits die Etymologie des Wortes ‚Person‘ als ‚per-sonare‘ aus den Masken im antiken Theater.
Während man mit Pirandello grundsätzlich daran zweifeln kann, ob es ein Jenseits der Maske bzw. des Rollenspiels gibt, konzentriert sich die Sektion auf die Inszenierung von Geschlechtsidentitäten, wofür die Theater- und Literatur­wissenschaft den Begriff der ‚Geschlechtermaskerade‘ geprägt hat. In der plurimedialen Gattung des Dramas kommt dem Körper insofern eine besondere Bedeutung zu, als dass sich Geschlechter(re)­konstruktionen nicht nur über den schriftlich fixierten Text, sondern auch durch die physische Inszenierung der SchauspielerInnen definieren.
Dennoch wurde das Spannungsfeld von imitatio und innovatio bzw. Rekonstruktion und Erneuerung in Bezug auf dramatische Darstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit bislang in keiner romanistischen Studie systematisch, vergleichend und flächendeckend untersucht. Ziel der Sektion ist es, an möglichst breit gestreuten Beispielen des Dramas in den romanischen Literaturen vom 17.-20. Jahrhundert, ein umfassendes Bild von Geschlechter(re)inszenierungen zu zeichnen. Seit der Commedia dell’arte sind die Geschlechterrollen im Theater schematisch festgelegt: Die Alten versuchen das Liebesglück der jungen innamorati zu verhindern, wobei der geizige Kaufmann Pantalone entweder als gehörnter Ehemann erscheint oder als lüsterner Witwer jungen Mädchen nachstellt.
Die Komödie des 17. und 18. Jahrhunderts greift solche fest gefügten Rollenbilder auf, versieht sie jedoch gleichzeitig mit wesentlichen Neuerungen, die zu komplexeren Darstellungen von Weiblichkeit und Männlichkeit führen, so z.B. in Molières L’école des femmes (1662), Lope de Vegas La dama boba (1613) und Goldonis Locandiera (1753). Im Sinne von Judith Butlers Definition von Geschlecht als performative Kategorie müssen insbesondere die zahlreichen Frauen in Männerkleidern der spanischen Komödie des 17. Jahrhunderts und Männerfiguren mit weiblich konnotierten Verhaltensweisen neu betrachtet werden.
Die Tragödie bedient sich hingegen mythologischer sowie mittelalterlicher Stoffe und Figuren, die in Frankreich etwa zur selben Zeit durch Racine und Corneille, in Italien rund ein Jahrhundert später durch Alfieri interessante Neubearbeitungen finden. Wie verhält sich das Spannungsverhältnis zwischen Rekonstruktion und Erneuerung in den Geschlechterinszenierungen und Geschlechterverhältnissen der Tragödie des 17. bzw. 18. Jahrhunderts und ihren antiken Vorbildern? Inwiefern verhalten sich die Figuren affirmativ bzw. subversiv gegenüber bestehenden Geschlechterrollen?
Im 19. Jahrhundert folgt das Theater mit Goethe, Cervantes und Shakespeare neuen romantischen Vorbildern. Inwiefern spiegelt sich der poetologische Wandel vom klassischen Prinzip der Ordnung und Regelhaftigkeit zum romantischen Prinzip der Unordnung und Transgression auch in den zeitgenössischen Geschlechter(re)inszenierungen? Welche Rolle spielt das Hässliche, das Obszöne und das Groteske in der Darstellung von Männlichkeit und Weiblichkeit, etwa im Drama von Victor Hugo, Alessandro Manzoni oder José Zorilla? Welche Rolle spielt die Performance der Schauspieler auf der Bühne im Vergleich zum schriftlich fixierten Dramentext? Beispielsweise in Mussets Lorenzaccio (1834) ist die geschlechtliche Ambiguität des Protagonisten im Text angelegt, was in früheren Aufführungspraktiken dazu geführt hat, dass die Rolle von einer Frau gespielt wurde.
Auch die Moderne schöpft ihre Dramenstoffe privilegiert aus althergebrachten Mythen, biblischen und literarischen Stoffen, in denen berühmte Frauen- und Männerfiguren im Mittepunkt stehen. Inwiefern werden alte Stoffe zu Projektionsflächen zeitgenössischer gesellschaftspolitischer Anliegen? Welche Rolle spielt die Darstellung von Geschlechterverhältnissen im Kontext historischer Sinnbildungsprozesse? Erwünscht sind Beiträge, die einzelsprachlich oder im grenzüberschreitenden Vergleich
- den Wandel in der Darstellung von Geschlecht aus literaturhistorischer Perspektive beleuchten,
- sich dem gattungsspezifischen Zusammenhang von Theatralität und Darstellung von Geschlechterperformanz widmen
- und neue Erkenntnisse der Genderstudies in Bezug auf das Drama fruchtbar machen.

Sektionsleitung: Claudia Jacobi (Bonn), Milan Herold (Bonn)
E-mail: cjacobi@uni-bonn.de, mherold@uni-bonn.de

Wir freuen uns auf Ihre Vorschläge bis zum 31.12.18 (Umfang des Abstracts sollte 3.000 Zeichen inkl. Leerzeichen nicht überschreiten)

Beitrag von: Milan Herold

Redaktion: Christof Schöch