Stadt: Bochum

Frist: 2020-09-30

Beginn: 2021-05-10

Ende: 2021-05-11

URL: https://www.ruhr-uni-bochum.de/romsem/litdidaktik_2021.html

Organisator*innen:
Prof. Dr. Christian Grünnagel (Ruhr-Universität Bochum)
Dr. Herle-Christin Jessen (Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg)
Ángela Calderón Villarino (Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg)
Felix Nickel, M.Ed. (Ruhr-Universität Bochum)

Der bildungsbürgerliche Schulkanon literarischer Werke ist seit geraumer Zeit in die Kritik geraten. Die Tagung „Stellenwert und Relevanz klassischer Texte im Unterricht“, die 2019 an der Universität Heidelberg stattfand, hat grundsätzliche Überlegungen zu (kanonischer) Literatur im Fremdsprachenunterricht angestellt und dabei versucht zu zeigen, welches Potenzial auch diesem Kanon weiterhin innewohnt – ein Potenzial, das didaktisch nicht preisgegeben werden sollte, wenn es um die Frage geht, welche Schullektüren sich in Zeiten der Kompetenzorientierung in besonderem Maße eignen.

Die zweitägige, an der Ruhr-Universität Bochum 2021 geplante Tagung mit Workshop-Charakter (10. bis 11. Mai 2021) soll an diese Ergebnisse anknüpfen, den Blick jedoch stärker auf das richten, was tatsächlich in unserer Gegenwart mit besonderer Regelmäßigkeit an Schulen im Fremdsprachenunterricht gelesen wird. Dass wir nach der vermeintlichen Verabschiedung des ‚alten‘ Kanons nun in einer kanonfreien Zeit unterrichteten, darf bezweifelt werden. Auch kompetenzorientierte Lehrpläne kommen nicht ohne Themensetzungen aus, die ebenfalls bestimmte Textsorten und Gattungen bevorzugen. Es ist daher zu prüfen, welcher Literaturbegriff mit diesen Schullektüren gesetzt wird. Hinzu kommt, dass gerade die Kompetenzorientierung zwar vielfältige Freiräume für Lehrkräfte eröffnet, welche Lektüren sie konkret für ihren Unterricht auswählen. Angesichts eines überaus fordernden Lehrdeputats dürfte sich aber verständlicherweise ein pragmatischer Umgang der Lehrkräfte mit dieser Freiheit zeigen.

So ist im Bochumer Workshop auch die Vermutung zu diskutieren, dass sich in den Verlagsprogrammen der großen Schulbuchverlage (z.B. Klett, Cornelsen, Schöningh, ggf. auch Reclam) ein ‚impliziter Kanon‘ abbildet, aus dem in erster Linie die Auswahl getroffen wird. Diese explizit für einen schulischen Kontext edierten Ausgaben bieten Lehrkräften viele Vorzüge: Regelmäßig wird im Verlagskatalog eine direkte Zuordnung zu Themenfeldern der jeweiligen Kernlehrpläne der Bundesländer sowie zu den Abiturvorgaben vorgenommen; schwierige Lexik wird annotiert und damit eine Vorentlastung geleistet; man findet ggf. bereits Unterrichtsentwürfe und Lehrerhandreichungen zum jeweiligen Werk, muss also das Rad nicht gänzlich neu erfinden.
Ausgehend von der Annahme eines impliziten Lektürekanons wollen wir im Rahmen dieser Tagung einzelne dieser ‚neu-kanonischen‘ Lektüren auf den Prüfstand stellen, uns also als Literaturwissenschaftler*innen und Literaturdidaktiker*innen fragen, ob nicht auch dieser Kanon einer konstruktiv-kritischen und kontinuierlichen Revision bedarf. Von zentraler Bedeutung ist dabei die Frage, welcher Literaturbegriff der Kanonisierung zugrunde gelegt wird: Welchen Stellenwert bekleidet in der Auswahl der literarischen Texte ihre jeweilige ästhetische Dimension und was soll an ihr und an literarischen Werken im Allgemeinen – anders als an Sachtexten – verstanden und vermittelt werden?

Folgende Fragestellungen, methodische Ansätze und Themen sind für uns daher von besonderem Interesse – wobei sich diese Auflistung als offen für weitere Aspekte versteht:

  • Entstehungs- und Wandlungsprozesse der Verlagsprogramme – nach welchen Kriterien wird ausgewählt? Wer wählt aus? Mit welcher Qualifikation wird ausgewählt?
  • Welche Relevanz hat bei diesen Auswahlprozessen noch eine literaturwissenschaftliche Sachanalyse?
  • Halten einzelne Lektüren, was der Verlag verspricht – und was sich Lehrkräfte vom Einsatz dieser Lektüren in ihrem Unterricht versprechen? Erwünscht sind auf jeden Fall auch Erfahrungsberichte zu einzelnen Lektüren aus der konkreten schulischen Praxis.
  • Ließen sich andere Lektüren begründet vorschlagen?
  • Ließen sich aus literaturwissenschaftlicher und literaturdidaktischer Perspektive ggf. elaboriertere und passgenauere Aufgabenformate entwerfen, als dies die vorhandenen Materialien bislang den Lehrkräften anbieten?
  • Welche Qualität erreichen konkrete Schulausgaben – auf der Ebene der Paratexte (flankierende Materialien, Hintergrund- und Kontextinformationen, etc.), der Annotation sowie mit Blick auf eventuell in den Ausgaben bereits skizzierte Überlegungen zur methodischen Arbeit am Text im Unterricht?
    Das Augenmerk sollte in erster Linie auf solchen Schullektüren liegen, die nicht zugleich Teil des o.g. bildungsbürgerlichen Kanons sind, da dies den Schwerpunkt der Heidelberger Tagung 2019 darstellte. Wir wollen uns v.a. den Lektüren zeitgenössischer Literatur zuwenden, die antreten, mehr oder anderes zu leisten, als die ‚Great Books‘ älterer Provenienz.

Organisatorisches
Die Tagung wird ausgerichtet vom Romanischen Seminar der Universität Bochum und dem Romanischen Seminar der Universität Heidelberg. Sie findet statt in Kooperation mit der Professional School of Education der Ruhr-Universität Bochum und der Heidelberg School of Education. Die Heidelberg School of Education (HSE) ist eine gemeinsame hochschulübergreifende Einrichtung von Universität Heidelberg und Pädagogischer Hochschule Heidelberg.
Die Tagung wird vom 10. bis 11. Mai 2020 am Romanischen Seminar der Ruhr-Universität Bochum abgehalten; geplant ist jeweils ein halber Tag mit Vorträgen und genügend Freiraum für Diskussionsrunden. Aller Voraussicht nach können die Fahrt- und Übernachtungskosten übernommen werden.
Wir bitten alle Interessierten um die Zusendung eines Abstracts (max. 250 Wörter) bis zum 30.09.2020 an: info@helix-dossiers.de. Die Teilnehmenden werden um einen 25-minütigen Vortrag gebeten, an den sich eine ausführliche Diskussions- und Fragerunde anschließt. Eine zeitnahe Veröffentlichung der Beiträge in der romanistischen Online-Zeitschrift HeLix. Dossiers zur romanischen Literaturwissenschaft ist vorgesehen (https://journals.ub.uni-heidelberg.de/index.php/helix/index).

Beitrag von: Christian Grünnagel

Redaktion: Ursula Winter