Stadt: Augsburg

Frist: 2020-12-31

Beginn: 2021-10-04

Ende: 2021-10-07

URL: http://deutscher-romanistenverband.de/romanistentag/

Sektionsleitung: Daniel Winkler & Teresa Hiergeist

Vor dem Hintergrund der aktuellen Krisenerfahrung von COVID19 scheinen bisher allgemeingültige
Praxen und Paradigmen wie die der transarealen Mobilität im Kontext von Ansteckungsrisiken, aber
auch Diskursen der Nachhaltigkeit neu zu perspektivieren sein. Dies ist der Ausgangspunkt für unsere
Sektion die Serie, eine üblicherweise mit den Metropolen der Moderne assoziierte Form, mit dem
Raum der ‚Provinz‘ zu konfrontieren
, d.h. Narrativierungen von Regionalität und Entschleunigung ins
Zentrum zu rücken.
Das ästhetische Prinzip der Serie stellt eine kulturelle Manifestation primär urbanen Charakters dar:
Es bildet sich mit der technisch-industriellen Massenkultur in Form der beschleunigten Bewegung
von Mensch und Maschine heraus. Damit verbunden ist die Optimierung von Produktionsabläufen,
aber auch die zunehmende Reglementierung und Ökonomisierung des menschlichen Alltags. Durch
seine Wiederholungsstruktur rekurriert das Serielle auch mit der Provinz, die
landläufig vielfach als rural-monotoner und ‚langweilig’-immobiler Raum verstanden wird, der von
einem differenten, d.h. von modernistischen Attraktionen und Transformationen scheinbar relativ
abgekoppelten Alltag und Rhythmus geprägt ist.
Die in den Metropolen produzierten Zeitungen und die in ihnen publizierten Feuilletonromane sind
Sinnbild einer radikal beschleunigten Verbreitung von Artefakten, denen nun eine sequenziert-episodisch
Form eingeschrieben ist. Doch in diesen Organen wird die Provinz als das ‚entschleunigte‘
Andere der Moderne
auch zu einem populären Imaginären. Viele serielle Formate zeigen, angesichts
der Industrialisierung und des sozialen Elends, aber auch von Sommerfrische und Massentourismus
eine besondere Affinität zum Regionalen als Gegenraum.
Als Beispiele hierfür können etwa Balzacs Illusions perdues (1837ff.) dienen, wo das Leben der
Restauration anhand zweier rivalisierender Orte der Charente kontrastiv zu Paris verhandelt wird.
Die Episoden der Zeitschrift Novela ideal (1925ff.) wählen die Provinz hingegen, um den widrigen
Lebensbedingungen der Arbeiterklasse eine Alternativwelt entgegenzusetzen. Zeitgenössischer
betreiben die seit einigen Jahrzehnten populären Regionalkrimiserien, etwa Eva García Sáenz und
Dolores Redondos baskische Erfolgsromane, eine Aufwertung des Regionalen. Maurice Pialats
Miniserie La maison des bois (1970), die ein Porträt eines kleinen entlegenen Ortes der Oise zeichnet,
entwickelt mit ihrem Fokus auf lokalen Alltagshandlungen eine unspektakulär-humanistische Poetik
des Seriellen. Die populäre Netflix-Thrillerserie Le chalet (2018) wählt die Provinz hingegen als
Vehikel für die Mise-en-scène verdrängter unbewusster Ängste.
Diese Sektion will unterschiedlichste Manifestationen von Regionalität und Serialität ergründen –
ausgehend von den kultur- und technikgeschichtlichen Umbrüchen einer sich zeitlich und räumlich
sehr unterschiedlich manifestierenden Glokalisierung
. Zum einen will sie dabei ausloten, wie anhand
regionaler Zugriffe soziales Zusammenleben mittels serieller Formen zwischen 1850 und 2020 in
unterschiedlichen romanischen Regionen
ausgehandelt wird. Wie wird in Literatur und Medien über
(post-)moderne Lebensbedingungen in der Provinz reflektiert? Wie werden prototypische Themen
der metropolitanen Moderne wie technischer Fortschritt und Beschleunigung, Massenkultur und
Mode hier anders gefasst? Zum anderen profiliert die Sektion die inszenatorischen Spezifika, welche
der Verbindung der beiden Konzepte entspringen
. Im Fokus stehen dabei ebenso Repräsentationen
regionaler Chronotopoi in seriellen Formaten und Genres wie die dezentrale Produktion,
Vermarktung und Rezeption serieller Artefakte.

Mögliche Themenfelder der Sektion sind u.a.:
Theorien serieller ‘Provinz’: Konzeptuelle Auseinandersetzungen mit einer spezifischen
Serialität des Regionalen. Wie reflektieren serielle Formen seit dem Feuilletonroman
prekäre rurale Lebensrealitäten vor dem Hintergrund von Industrie- und Agrarkrisen,
aber auch der Privatisierung öffentlicher Strukturen? Wie sind Theorien der mit Blick auf
metropolitane Entwicklungen hin perspektivierten Serialität und Moderne regional zu
adaptieren?
‘Lob der Provinz’: Literatur und Medien rund um regionale Themen und (Sprach-)Minderheiten,
die mit einer zyklisch-seriellen Repräsentation einer Region verbunden sind, oft in Abgrenzung
zur ‚trivialen’ Kulturindustrie der Metropolen: Wie werden hier alternative Alltage in differente
Poetiken übersetzt, d.h. andere Räume, Rhythmen und (Im-) Mobilitäten aufgezeigt (von den
Félibriges über die Arbeiterliteratur bis zum italienischen Regionalkino)?
‘Kommerzialisierung von Provinz’: Literarisch-mediale Hypes rund um touristisch relevante
Regionen wie Sizilien, Südtirol oder die Bretagne: ihre Inszenierung in Feuilleton- oder
Kriminalromanen; Strategien der multimedialen Remediatisierung (Hörbücher, Verfilmungen…)
und des (in-)direkten Nutzbarmachens von Literatur für das ‚Labeling‘ von Regionen (von
Leonardo Sciascia bis zum Kommissar Dupin der ARD).

Wir freuen uns auf Vorschläge für die Sektion in Form eines Abstracts von max. 250 Wörtern bis zum 31.12.20 an teresa.hiergeist@univie.ac.at und daniel.winkler@univie.ac.at

Kurzbibliografie
Rob Allen/Thijs van den Berg ed. 2014, Serialization in Popular Culture. New York, Routledge.
Aubry, Danielle 2006, Du roman-feuilleton à la série télévisuelle. Pour une rhétorique du genre et de
la sérialité. Bern, Lang.
Julie Bartosch 2016, Affirmation oder Dekonstruktion von Provinz. Zwei Grundtypen des
Provinzkrimis, in: Germanica 58.
Julien Bobineau/Jörg Türschmann ed. 2020, TV-Serien in der Romania. Wiesbaden: Springer VS.
Éric Bussière 2012, Régionalisme européen et mondialisation, in: Les Cahiers Irice 9 (1).
Frank Kelleter ed. 2012, Populäre Serialität. Narration – Evolution – Distinktion. Zum seriellen
Erzählen seit dem 19. Jahrhundert. Bielefeld, transcript.
Matthieu Letourneux 2017, Fictions à la chaîne. Littératures sérielles et culture médiatique. Paris,
Seuil.
PROKLA. Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft 23 (90), Der Nationalstaat zwischen globaler
Ökonomie, regionaler Blockbildung und regionalistischem Separatismus.
Roland Robertson 1998, Glokalisierung: Homogenität und Heterogenität in Raum und Zeit, in: Ulrich
Beck ed., Perspektiven der Weltgesellschaft. Frankfurt, Suhrkamp. 192-220.
Sabine Schrader/Daniel Winkler ed. 2014, TV glokal. Europäische Fernsehserien und transnationale
Qualitätsformate. Marburg, Schüren.
Frans Schrijver 2006, Regionalism After Regionalisation: Spain, France and the United Kingdom.
Amsterdam, University Press.
Birgit Wagner ed. 2016, Bruch und Ende im seriellen Erzählen – vom Feuilletonroman zur
Fernsehserie. Göttingen, V & R unipress.
Daniel Winkler/Ingo Pohn-Lauggas/Martina Stemberger ed. 2018, Serialität und Moderne. Feuilleton,
Stummfilm, Avantgarde. Bielefeld, transcript.

Beitrag von: Daniel Winkler

Redaktion: Daniel Winkler