Der Frankoromanistenverband trauert um sein Mitglied Prof. Dr. Franz-Joseph Meißner, der nicht nur während seines langjährigen Wirkens an der Universität Gießen die Didaktik der romanischen Sprachen und Literaturen wesentlich geprägt hat.

Nachruf von Hélène Martinez (Universität Gießen), Marcus Reinfried (Universität Jena) und Christiane Fäcke (Universität Augsburg)

In memoriam Franz-Joseph Meißner

Am 29. August 2022 ist er in Linden-Leihgestern bei Gießen im Alter von 76 Jahren gestorben. Mit Franz-Joseph Meißner ist ein außerordentlich engagierter, vielseitig interessierter, sowohl in deutschen Fachkreisen als auch international bekannter Fremdsprachendidaktiker von uns gegangen.
Franz-Joseph Meißner studierte romanische Philologie (Französisch und Italienisch) sowie Geschichte, Philosophie und Pädagogik an den Universitäten Köln, Paris, Pavia und Düsseldorf. Dann unterrichtete er als Lehrer an einem Gymnasium in Duisburg-Rheinhausen, schrieb aber auch noch in seiner Freizeit an einer lexikologischen Dissertation. Anschließend verbrachte Meißner als abgeordneter Oberstudienrat im Hochschuldienst einige Jahre wieder an der Universität Köln und fasste eine zweite lexikologische Qualifikationsschrift ab, eine Habilitationsschrift mit diesmal aber international vergleichender Ausrichtung, für die er den Straßburg-Preis erhielt. Es folgten fünf Jahre als „Oberassistent“ (angemessener wäre wohl die Bezeichnung Hochschuldozent) an der FU Berlin, in denen Meißner für den Bereich Didaktik der spanischen Sprache und Literatur zuständig war. 1994 erhielt er (als Nachfolger von Herbert Christ) den renommierten Lehrstuhl für Didaktik der französischen Sprache und Literatur an der Universität Gießen, dessen Zuständigkeitsbereich auf romanische Sprachen und Literaturen erweitert wurde.
Bereits in der Kölner Zeit hatte Franz-Joseph Meißner ein ausgeprägtes Interesse an Mehrsprachigkeit entwickelt, vor allem unter dem traditionellen sprachwissenschaftlichen Gesichtspunkt des lexikalischen und des strukturellen Vergleichs romanischer Sprachen. Nach der Fertigstellung seiner Habilitationsschrift trug er diesen auf Sprachtransfer ausgerichteten Blickwinkel in die romanistischen Fachdidaktiken hinein. Ein Novum präsentierte der 1993 auf einer Tagung der Deutschen Gesellschaft für Fremdsprachenforschung in Gießen gehaltene und in der Langfassung 1995 gedruckte Vortrag, in dem Meißner Mehrsprachigkeitsdidaktik als Wissensgebiet und als Forschungsprogramm erstmalig systematisch beschrieb. Drei Jahre später erschien ein von Franz-Joseph Meißner und Marcus Reinfried herausgegebener Sammelband mit dem Titel Mehrsprachigkeitsdidaktik, der die umfangreichen Ergebnisse eines Rauischholzhausener Kolloquiums enthält und bis zur Gegenwart hin oft gelesen und zitiert worden ist. Hier werden allgemeine theoretische Überlegungen zu den Vor-, aber auch Nachteilen des mehrsprachigen Unterrichts und des Sprachentransfers dargestellt, es werden Bezüge zwischen Mehrsprachigkeitsdidaktik und Lehrplanentwicklung, bilingualem Fremdsprachenunterricht, muttersprachlichem Deutschunterricht und Werteerziehung analysiert und es wird über mehrsprachige Unterrichtserfahrungen und -modelle in konkreten Lehr-Lern-Bereichen berichtet.
Neben der Mehrsprachigkeitsdidaktik, von der weiter unten noch die Rede sein wird, interessierte sich Meißner ebenfalls sehr für Sprachenpolitik. 1993 veröffentlichte er ein Buch mit dem Titel Schulsprachen zwischen Politik und Markt: Eine Einführung in die Sprachenberatung. 1994 wurde er zum Ersten Vorsitzenden der Vereinigung der Französischlehrerinnen und -lehrer gewählt, ein arbeitsintensives Ehrenamt, das er bis zum Jahr 2005 bekleidete und mit dem auch noch die 14-jährige schriftführende Herausgeberschaft der Zeitschrift französisch heute verbunden war. Zwischen 2006 und 2009 war Meißner Gründungspräsident des Gesamtverbands Moderne Fremdsprachen und damit auch Mitherausgeber der Zeitschrift Die neueren Sprachen.
Die intensive Beschäftigung mit unterschiedlichen Aspekten der Mehrsprachigkeitsdidaktik wurde in den zwei Jahrzehnten nach der Jahrtausendwende kontinuierlich von Franz-Joseph Meißner fortgesetzt. Es entstanden dabei über hundert Aufsätze zu diesem Themenbereich und eine Reihe von Sammelbänden, in deren Zentrum oft die Interkomprehension in den romanischen Sprachen stand. Vor allem in den nuller Jahren spielte dabei auch die Zusammenarbeit mit Horst G. Klein und Tilbert D. Stegmann, zwei romanistischen Professoren an der Universität Frankfurt a. M., eine größere Rolle. Diese hatten mit dem EuroComRom-Verfahren einen Textlesekurs in sechs romanischen Fremdsprachen entwickelt, zu denen Meißner eine umfangreiche didaktische Theorie beitrug (Meißner & Meissner 2004). In diesen Zeiten erarbeitete er ebenfalls ein psycholinguistisches Modell des Mehrsprachenerwerbs, das Gießener Interkomprehensionsmodell (Meißner 2004), das bis heute als Referenzmodell im Mehrsprachigkeitsdiskurs gilt. Dem mit Peter Doyé, einem anglistischen Fachdidaktikprofessor an der Technischen Universität Braunschweig gemeinsam herausgegebenen Band Lernerautonomie durch Interkomprehension: Projekte und Perspektiven liegt Meißners erweiterten Transfertypologie zugrunde. Dabei wird Interkomprehension zu einer wirkungsvollen Lern- und Lehrstrategie, die zur Förderung von Sprachenlernbewusstheit und Lernerautonomie dient; diese Verbindung zwischen Mehrsprachigkeit und Sprachlernkompetenz führte zu einer intensiven Zusammenarbeit zwischen Franz-Joseph Meißner und Hélène Martinez (Martinez & Meißner 2017).
Mit REDINTER (‘rede europeia de intercompreensão’) und MIRIADI (‘Mutualisation et Innovation pour un réseau de l’Intercompréhension à Distance’) entstand außerdem ein europäisches Netzwerk, das von Meißner mitorganisiert wurde und auf Tagungen in Erscheinung trat. Darüber hinaus wirkte er als Mitglied in wissenschaftlichen Beiräten für einschlägige internationale Fachzeitschriften mit, u.a. für Le français dans le monde und für Recherches et Applications (in Paris).
Im Laufe der Zeit entwickelte sich die Universität Gießen auch dadurch immer mehr zu einem Zentrum für Mehrsprachigkeitsdidaktik. So wirkte Franz-Joseph Meißner mit seinem damaligen Team als deutscher Partner an der im Rahmen eines Sokrates-Projekts erstellten Attitudinalstudie „Pour le Multilinguisme. Exploiter la diversité linguistique à l’école“ mit und erforschte empirisch die Haltungen, Einstellungen und Lernmotivationen gegenüber Sprachen und Mehrsprachigkeit von Schüler*innen der Jahrgangsstufen 5 und 9. Die in dem Band Mehrsprachigkeit fördern, Vielfalt und Reichtum Europas in der Schule nutzen (MES) (Meißner, Beckmann & Schröder-Sura 2008) präsentierten Ergebnisse prägen bis heute den Fachdiskurs in der Didaktik der romanischen Sprachen. Ebenso war er an der Entstehung und Bekanntmachung des Referenzrahmens für Plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen (REPA/CARAP) in besonderem Maße beteiligt (Candelier et al. 2009; Meißner 2013). In diesem Zusammenhang wurden zahlreiche Qualifikationsarbeiten, darunter mehrere einschlägige deutsche und französische Dissertationen und Habilitationsschriften (z.B. Bär 2009, Morkötter 2016 und Prokopowicz 2017) von Meißner betreut und begleitet.
In den letzten Jahren widmete sich Franz-Joseph Meißner der Erstellung einer mehrsprachigen Datenbank, dem Kernwortschatz der romanischen Mehrsprachigkeit (KRM) (zuletzt 2021) und erstellte die Lernapp „EuroComDidact ToGo“. Die Lernapp basiert auf der Methode der Interkomprehension und erlaubt den Nutzern die selbstständige Aneignung des Kernwortschatzes der romanischen Sprachen und den Erwerb von Lesekompetenz (https://eurocomdidact.eu/). Konzeptuelle Überlegungen und Ziele dieser enorm umfassenden Arbeit hat Meißner u.a. in der 2016 erschienenen Monographie Der Kernwortschatz der romanischen Mehrsprachigkeit dargestellt.
Diese zahlreichen Publikationen zur Mehrsprachigkeit und zur Interkomprehension trugen zentral zur breiten Erforschung des Themengebiets bei. Daher war es nur konsequent, den etablierten Forschungsdiskurs in einem Handbuch zusammenfassend zu präsentieren. Diesem Projekt widmete Meißner sich gemeinsam mit Christiane Fäcke, die das Handbuch Mehrsprachigkeits- und Mehrkulturalitätsdidaktik 2019 herausgaben.
In einem nächsten Schritt war geplant, diesen Diskurs auf die internationale Bühne zu tragen. Ein weiteres Projekt, The Handbook of Plurilingual and Intercultural Language Learning (hrsg. v. Christiane Fäcke, Andy Gao, Paula Garrett-Rucks. Oxford: Wiley) wurde von Meißner aktiv mitgestaltet, doch kann er dessen Abschluss nun leider nicht mehr selbst miterleben.
Franz-Joseph Meißner liebte Frankreich und war ein überzeugter Europäer. Er lebte für die Wissenschaft und pflegte zu sagen „Le travail, c’est la santé!“ Er war ein hervorragender Wissenschaftler, ein geschätzter akademischer Lehrer und beliebter Kollege und für viele ein Förderer und ein Freund. Er wird uns fehlen.

Bibliographische Angaben

Bär, Marcus (2009): Förderung von Mehrsprachigkeit und Lernkompetenz. Fallstudien zu Interkomprehensionsunterricht mit Schülern der Klassen 8 bis 10. Tübingen: Narr.
Candelier, Michel, Camilleri-Grima, Antoinette, Castellotti Véronique, de Pietro Jean-François, Lörincz Ildiko, Meissner Franz-Joseph, Schröder-Sura, Anna, Noguerol, Artur & Molinié, Muriel (2009): Referenzrahmen für plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen (CARAP/REPA). Graz: Europäisches Fremdsprachenzentrum des Europarates.
[Online: https://carap.ecml.at/Accueil/tabid/3577/language/de-DE/Default.
aspx]
Doyé, Peter & Meißner, Franz-Joseph (Hrsg.) (2010): Lernerautonomie durch Interkomprehension. Promoting Learner Autonomy Trough Intercomprehension. L’autonomie de l’apprenant par l’intercompréhension. Tübingen: Narr.
Martinez, Hélène & Meißner, Franz-Joseph (2017): „Sprachlernkompetenz.“ In: Bernd Tesch, Xenia von Hammerstein, Petra Stanat & Henning Rossa (Hrsg.) (2014): Bildungsstandards aktuell: Englisch/Französisch in der Sekundarstufe II. Braunschweig: Diesterweg, 220-243.
Meißner, Franz-Joseph (1979): Wortgeschichtliche Untersuchungen im Umkreis von französisch enthousiasme und génie. (Kölner romanistische Arbeiten, Bd. 55.) Genf: Droz [Dissertation 1978].
Meißner, Franz-Joseph (1990): Demokratie. Entstehung und Verbreitung eines internationalen Hochwertwortes mit besonderer Berücksichtigung der Romania. Stuttgart: Steiner [Habilitationsschrift 1988].
Meißner, Franz-Joseph (1993): Schulsprachen zwischen Politik und Markt: Sprachenprofile, Meinungen, Tendenzen, Analysen. Eine Einführung in die Sprachenberatung. Frankfurt am Main: Diesterweg. (2., aktualisierte Auflage 2010.)
Meißner, Franz-Joseph (1995): „Umrisse der Mehrsprachigkeitsdidaktik.“ In: Lothar Bredella (Hrsg.): Verstehen und Verständigung durch Sprachenlernen? Dokumentation des 15. Kongresses für Fremdsprachendidaktik (veranstaltet von der Deutschen Gesellschaft für Fremdsprachenforschung (DGFF). Gießen, 4.-6. Oktober 1993. Bochum: Brockmeyer, 172-187.
Meißner, Franz-Joseph (2004): „Transfer und Transferieren. Anleitungen zum Interkomprehensionsunterricht“. In: Horst G. Klein & Dorothea Rutke (Hrsg.): Neuere Forschungen zur Europäischen Interkomprehension. Aachen: Shaker, 39-66.
Meißner, Franz-Joseph (2013): Die REPA-Deskriptoren der ‚weichen‘ Kompetenzen. Eine praktische Handreichung für den kompetenzorientierten Unterricht zur Förderung von Sprachlernkompetenz, interkulturellem Lernen und Mehrsprachigkeit. (GiF:on = Gießener Fremdsprachendidaktik: online, Bd. 2.) Gießen: Giessen University Library Publication.
[URL: http://geb.uni-giessen.de/geb/volltexte/2013/9372/]
Meißner, Franz-Joseph (2016): Der Kernwortschatz der romanischen Mehrsprachigkeit (KRM). Didaktische, lexikologische, lexikographische Überlegungen zur Erstellung und Präsentation einer elektronischen Mehrsprachenwortliste und von Lernapps zur romanischen Mehrsprachigkeit. (GiF:on = Gießener Fremdsprachendidaktik: online, Bd. 7.) Gießen: Giessen University Library Publication.
[URL: http://geb.uni-giessen.de/geb/volltexte/2016/11950/]
Meißner, Franz-Joseph (2021): The Core Vocabulary of Romance Plurilingualism. Word lists. (GiF:on = Gießener Fremdsprachendidaktik: online, Bd. 18.1 und 18.2) Gießen: Giessen University Library Publication.
[URL: http://geb.uni-giessen.de/geb/volltexte/2021/16034/]
[URL: http://geb.uni-giessen.de/geb/volltexte/2021/16035/]
Meißner, Franz-Joseph, Beckmann, Christine & Schröder-Sura, Anna (2008): Mehrsprachigkeit fördern. Vielfalt und Reichtum Europas für die Schule nutzen (MES). Zwei deutsche Stichproben einer internationalen Studie in den Klassen 5 und 9 zu Sprachen und Fremdsprachenunterricht. Tübingen: Narr.
Meißner, Franz-Joseph & Fäcke, Christiane (Hrsg.) (2019): Handbuch der Mehrsprachigkeitsdidaktik und Mehrkulturalität. Tübingen: Narr.
Meißner, Franz-Joseph & Meissner, Claude (2004): „Introduction à la didactique de l’eurocompréhension.“ In: dies., Horst G. Klein & Tilbert D. Stegmann (Hrsg.): EuroComRom – Les sept tamis: lire les langues romanes dès le départ. Aachen: Shaker, 1-140.
Meißner, Franz-Joseph & Reinfried, Marcus (1998): Mehrsprachigkeitsdidaktik: Konzepte, Analysen, Lehrerfahrungen mit romanischen Fremdsprachen. Tübingen: Narr.
Morkötter, Steffi (2016): Förderung von Sprachlernkompetenz zu Beginn der Sekundarstufe. Untersuchungen zu früher Interkomprehension. Tübingen: Narr.
Prokopowicz, Tanja (2017): Mehrsprachige kommunikative Kompetenz durch Interkomprehension. Eine explorative Fallstudie zu romanischer Mehrsprachigkeit aus der Sicht deutschsprachiger Studierender. Tübingen: Narr.

Beitrag von: Annette Gerstenberg

Redaktion: Ursula Winter