Stadt: Leipzig

Frist: 2023-01-31

Beginn: 2023-09-24

Ende: 2023-09-27

URL: https://www.deutscher-romanistenverband.de/wp-content/uploads/2022/10/DRV-Magazin_Herbst_2022.pdf

Sektionsleitung und Kontakt:
Ornella Kraemer (Innsbruck): ornella.kraemer@uibk.ac.at
Roland Ißler (Frankfurt/Bonn): issler@em.uni-frankfurt.de

Details zur Einreichung von Vortragsvorschlägen:
Wir freuen uns über die Zusendung von Abstracts (maximal 500 Wörter zuzüglich Auswahlbibliographie) und kurzen biobibliographischen Angaben (max. 300 Wörter) im Word- oder PDF-Format in einer der Vortragssprachen (Französisch, Italienisch, Spanisch, Deutsch, Englisch) bis spätestens 31. Januar 2023 an die Sektionsleitung.

Sektionsbeschreibung:
Ungeachtet veränderter Grundbedingungen des Lernens und Lehrens an Schulen und Hochschulen zählt das Lesen nach wie vor zu den unbestrittenen Grundfertigkeiten von Sprachnutzern; auf allen Niveaustufen ist das Leseverstehen ein basales Bildungsziel des fremdsprachlichen Unterrichts geblieben. Das funktionalistisch motivierte Training diverser Lesestrategien und Lesestile mit dem kurzfristigen Ziel der Informationsentnahme lässt dabei oftmals die ästhetische Dimension von Texten außer Acht, wie sie anhand von literarischen Texten geschult werden kann. Mit dem Bewusstsein für deren besondere Bildungsrelevanz – durchaus nicht nur im Zusammenhang mit interkulturellen Lernprozessen – ist in den letzten Jahren die Bedeutung von Kinder- und Jugendliteratur (KJL) im Fremdsprachenunterricht gewachsen (vgl. Bedford/Albright 2011; Beseghi/Grilli 2011; Campagnaro 2017b; Allasia 2021). Auch jenseits der Grundschule stellt die KJL einen bedeutenden Fundus zum Erlernen der Sprache, Literatur und Kultur eines Zielsprachenlandes dar und wird nicht zuletzt aufgrund ihrer motivischen Vertrautheit, ihrer sprachlichen Zugänglichkeit und authentischen Ausdruckskraft in den Sekundarstufen I und II sowie in der universitären Lehrerbildung eingesetzt.
Kinder- und Jugendliteratur trotzt so dem vielbeklagten Bedeutungsverlust von Literatur; der Buchmarkt für KJL ist heute so diversifiziert wie niemals zuvor. Gerade die breite Verfügbarkeit einer Fülle kinder- und jugendliterarischer Texte in den romanischen Schulsprachen setzt jedoch eine gute Kenntnis und Auswahl voraus, in der nicht nur klassische und kanonische Autoren, sondern auch zeitgenössische Schriftsteller:innen sowie Themen von aktueller gesellschaftlicher Brisanz ihren Platz finden können und die zudem für bestimmte Zielgruppen verantwortlich getroffen werden muss.
Während die Überzeugung, dass die Beschäftigung mit KJL im universitären Kontext einen gewinnbringenden Zugang zu motivierenden Lehr- und Lernprozessen darstellt, vor allem in der Deutsch- und Englischdidaktik präsent ist, die jeweils vielversprechende und originelle Ansätze für den Einsatz von KJL im schulischen Unterricht vorschlagen (vgl. etwa Kramer Moeller/Meyer 1995; Tosi/Petrina 2011; Bland/Lütge 2013; O’Sullivan/Rösler 2013; Short/Day/Schroeder 2016), hat sich der Bedarf tragfähiger Konzepte seit der Erschließung des Forschungsbereichs für die Romanistik (vgl. Scherer/Ißler 2014) eher noch verstärkt. Sowohl in der Literaturwissenschaft als auch in der Fremdsprachendidaktik wurde das Thema in der Folge nur punktuell und marginal beleuchtet (vgl. Campagnaro 2017a sowie Campagnaro/Daly/Short 2021) und, so unsere Überzeugung, vor allem nicht systematisch im schulischen bzw. universitären Unterricht aufgegriffen. Die akademische Beschäftigung mit KJL, insbesondere aber ihre kompetente literaturdidaktische Einbettung auf literaturwissenschaftlicher Grundlage, stellt mithin gerade in der Romanistik bei wachsendem Bedarf weiterhin ein wichtiges Forschungsdesiderat dar.
Die Sektion fokussiert den Einsatz der KJL im Fremdsprachenunterricht auf verschiedenen Ebenen. Nachdem das heutige primäre Unterhaltungsmedium nicht länger das Buch ist und Kinder nicht mehr zwangsläufig zuhause mit dem Lesen sozialisiert werden, kommt dem Schulunterricht (nicht zuletzt in der Fremdsprache) um so dringlicher die Aufgabe zu, das Lesen gezielt zu lehren und die literarische und interkulturelle Wahrnehmung zu schulen. Daraus ergibt sich auf universitärer Ebene die Notwendigkeit einer Stärkung der Literaturdidaktik in der Lehrerbildung. Gerade im frühen Fremdsprachenunterricht besteht für die Arbeit mit einer guten Auswahl literarischer Texte großer Bedarf. Für die Leseförderung insbesondere in den romanischen Sprachen fehlen motivierende bildungsrelevante Konzepte, die dem spezifisch fremdsprachendidaktischen Lehren und Lernen gerecht werden und dennoch nicht auf der Oberfläche der Texte verharren.
Mit der Sektion ist der Wunsch nach einer Rückkehr zum Lesen verbunden, dessen Attraktivität für junge und potentielle Leser:innen mittels wertvoller kinder- und jugendliterarischer Texte durchaus gesteigert werden kann – denn als Erwachsener liest nur, wer schon vorher Freude daran hatte (vgl. etwa Campagnaro 2015). Als Forschungssektion wendet sie sich an die universitäre und akademische Gemeinschaft, um neue didaktische Konzepte und Programme für Fremdsprachenlernende zu entwickeln und mit dem doppelten Ziel zu erarbeiten, das Erlernen einer romanischen Fremdsprache mit der (Wieder-)Entdeckung mehr oder weniger kanonischer Texte der Literatur eines romanischen Zielsprachenlandes sinnvoll zu verbinden.
Da sich im Laufe der Zeit Lektüre- und Rezeptionsstrategien stark verändert haben, möchte die Sektion den Blick auch auf eine multimedial ausgerichtete KJL richten und jenseits der traditionellen Lektüre auch die Rezeption von Comics, Graphic Novels, Bilderbüchern, Reimen und Gedichten, Liedern, Hörspielen und Podcasts etc. untersuchen. Diese und weitere mediale Darbietungsformen erleichtern das Erlernen einer Fremdsprache besonders hinsichtlich komplexer Inhalte (vgl. bspw. Johnson/Mathis/Short 2017) durch eine zugänglichere (Bild-)Sprache, verlangen aber auch veränderte Wege der Wahrnehmung und Annäherung, Analyse und Vermittlung. Entsprechend dem erweiterten Literaturbegriff aktueller Lehrpläne, also jenseits der Höhenkammliteratur und der Kanones – ohne jedoch diese ganz aufzugeben –, soll auch gezielt die didaktische Aufbereitung von medialen Mischformen und Adaptionen von ‚Klassikern‘ Berücksichtigung finden. Dies bietet darüber hinaus auch Möglichkeiten, die Ästhetik von Texten neu zu erleben und zu bewerten (vgl. bspw. García-González/Deszcz-Tryhubczak 2020 sowie Daly/Forbes 2021).
Die Sektion möchte theoretische, unterrichtspraktische und methodische Aspekte gewinnbringend miteinander verzahnen und den wichtigen interinstitutionellen Dialog zwischen diesen verschiedenen Perspektiven und Herangehensweisen in Gang setzen. Mit Blick auf die universitäre Lehrerbildung sollen hochschuldidaktische Impulse gesetzt und zukünftige Lehrpersonen im Austausch mit Kolleg:innen anderer Sprachen und Disziplinen durch neue Ideen gestärkt werden (vgl. Ißler/Kaenders/Stomporowski 2022).

Im Rahmen der Sektion sollen z.B. folgende Aspekte eine nähere Betrachtung erfahren:

  • phantasievoller, bildungsrelevanter Umgang mit Klassikern der KJL (z.B. Fortsetzung, Parodie, Medienwechsel)
  • textzentrierte Konzepte der Leseförderung unter Berücksichtigung des spezifischen fremdsprachendidaktischen Bedarfs
  • Erweiterung des Spektrums der Lesestrategien um hörverstehenszentrierte Ansätze sowie Motivation zur schriftlichen Textproduktion
  • aktivierende kreative und handlungsorientierte Ansätze der Literaturdidaktik, welche die KJL in verschiedenen medialen Darbietungsformen einbeziehen: Bücher, Comics, Graphic Novels, Reime, Lieder, Podcasts etc.
  • die ästhetisch-pragmatische Abwägung und kritische Reflexion über den Bildungsgehalt von Adaptionen und didaktisierten Ausgaben kinder- und jugendliterarischer Texte für die Lektüre im fremdsprachlichen Unterricht
  • innovative Ideen für die altersgerechte Adaption von KJL im Fremdsprachenunterricht
  • angemessene gattungsbezogene Rezeptionsweisen (szenisch, rezitatorisch, narrativ, gestisch etc.)
  • autoreferentielle Texte der KJL, die eine formorientierte Textrezeption ermöglichen
  • ästhetische, kunstpädagogische und musikalische Zugänge zu kinder- und jugendliterarischen Texten
  • Figuren der französischen, italienischen und spanischen Kinder- und Jugendbuchkultur und ihre Transformationen in Buch und Medienverbund
  • nationale und europäische Identität und Erinnerungskultur in der KJL
  • romanische Spezifika und interkulturelle Begegnungen in Texten der KJL
  • historische und kulturgeschichtliche Themen und Fragestellungen in der KJL
  • transkulturelle Entgrenzungen und Reflexionen in der KJL
  • Tabuthemen (Tod, Krankheit etc.) in der KJL (und ihre kulturelle Spezifizität)
  • Umgang mit Gender- und Diversitätsaspekten in KJL
  • übersinnliche und übernatürliche Phänomene in der KJL und ihre Darstellung in verschiedenen Medien
  • das Potential von Übersetzungen kinder- und jugendliterarischer Werke für mehrsprachigkeitsorientierte Unterrichtsarrangement

Auswahlbibliographie
Allasia, C. (2021). Balocchi di Carta. Percorsi di letteratura per ragazzi. Novara: Interlinea.
Bedford, A. W., & Albright, L. K. (2011). A master class in children’s literature. Trends and issues in an evolving field. Urbana (Illinois): National Council of Teachers of English.
Beseghi, E. / Grilli, G. (Hrsg.) (2011). La letteratura invisibile. Roma: Carocci.
Bland, J. / Lütge, C. (Hrsg.) (2013). Children’s Literature in Second Language Education. London: Bloomsbury Publishing.
Butler, C. (2006). Teaching children’s fiction. Basingstoke/New York: Palgrave Macmillan.
Campagnaro, M. (2015). „‘These books made me really curious’. How visual explorations shape the young readers’ taste”. In: J. Evans (Hrsg.). Challenging and Controversial Picturebooks. Creative and critical responses to visual texts. Oxford: Routledge. 121-143.
Campagnaro, M. (2017a). „L’organizzazione della ricerca sulla letteratura per l’infanzia in Europa. Appunti per un’esplorazione”. In: G. Bandini und S. Polenghi (Hrsg.), Enlarging one’s vision 2. Strumenti per la ricerca educativa in ambito internazionale. 95-107. Milano: EDUCatt Università Cattolica.
Campagnaro, M. (2017b). Il cacciatore di pieghe: figure e tendenze della letteratura per l’infanzia contemporanea. Lecce: Pensa Multimedia.
Campagnaro, M. / Daly, N. / Short, K.G. (2021). „Teaching Children’s Literature in the University: New Perspectives and Challenges for the Future”. Journal of Literary Education, 4, 1-5.
Daly, N. / Forbes, D. (2021). „Teaching children’s literature online: Co-constructing stories in a Massive Open Online Course (MOOC)”. Journal of Literacy Education, 4, 25-42.
García-González, M. (2021). Enseñando a sentir. Repertorios éticos en la ficción infantil. Metales Pesados.
García-González, M. / Deszcz-Tryhubczak, J. (2020). „New materialist openings to children’s literature studies”. International Research in Children’s Literature, 13(1), 45-60.
Giusti, S. (2011). Insegnare con la letteratura. Bologna: Zanichelli.
Ißler, R. / Kaenders, R. / Stomporowski, S. (Hrsg.) (2022). Fachkulturen in der Lehrerbildung weiterdenken. Göttingen: V&R.
Johnson, H. / Mathis, J. / Short K. G. (Hrsg.) (2017). Critical content analysis of children’s and young adult literature: Reframing perspective. New York: Routledge.
Kurwinkel, T. / Schmerheim, P. (Hrsg.) (2020). Handbuch Kinder- und Jugendliteratur. Stuttgart: Metzler Springer.
Moeller, A. K. / Meyer, R. J. (1995). “Children’s Books in the Foreign Language Classroom: Acquiring Natural Language in Familiar Contexts”. In: G.K. Crouse / P.J. Campana / M.H. Rosenbusch: Broadening the Frontiers of Foreign Language Education, 33-45. http://digitalcommons.unl.edu/teachlearnfacpub/164 [15.06.2022].
Nikolajeva, M. (2016). „Recent trends in children’s literature research: Return to the body”. International Research in Children’s Literature, 9(2), 132-145.
Ommundsen, Å.M. / Haaland, G. / Kümmerling-Meibauer B. (Hrsg.) (2021). Exploring Challenging Picturebooks in Education. International Perspectives on Language and Literature Learning. New York: Routledge.
O’Sullivan, E. / Rösler, D. (2013). Kinder- und Jugendliteratur im Fremdsprachenunterricht. Tübingen: Stauffenburg.
Scherer, L. / Ißler, R. (Hrsg.) (2014). Kinder- und Jugendliteratur der Romania: Impulse für ein neues romanistisches Forschungsfeld. Frankfurt a. M.: Peter Lang.
Short, K. / Day, D. / Schroeder, J. (Hrsg.) (2016). Teaching globally: Reading the world through literature. Portland: Stenhouse.
Tosi, L. / Petrina, A. (2011). Dall’ABC a Harry Potter. Storia della letteratura inglese per l’infanzia e la gioventù, Bologna: Bononia University Press.

Beitrag von: Ornella Kraemer

Redaktion: Ursula Winter