Stadt: Konstanz

Frist: 2024-12-31

Beginn: 2025-09-22

Ende: 2025-09-25

URL: https://www.romanistiktag.de/xxxix-romanistiktag/sektionen/sektion-11/

Serien, die Geschichte schreiben? Historische Ikonen in romanischen Fernseh- und Streaming-Formaten

Historienserien stellen seit der Erfindung des Fernsehens und der technologischen Weiterentwicklung des Streamings eines der am häufigsten ausgestrahlten Genres innerhalb der internationalen Serienlandschaft dar (Veyrat-Masson 2002). Besonders seit der Jahrtausendwende, die weltweit ein gesteigertes Geschichtsinteresse zu befördern scheint, wie die Erfolge von The Tudors (GB 2007–2010) oder Babylon Berlin (DE 2017–) belegen, greifen auch die romanischen Länder mit langlebigen Kultproduktionen wie Cuéntame como pasó (ES 2001–2023) und von der Kritik gerühmten Überraschungshighlights wie Paris Police 1900 (FR 2021/22) diesen Historientrend auf. Als audiovisuell erzählende Texte eröffnen Serien vielfältige Möglichkeiten der fiktionalen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und kulturellen Identitäten; sie entsprechen Medien des kollektiven Gedächtnisses (Erll 2004). Ihre audiovisuelle Serialität kann als neue Technik des Erinnerns betrachtet werden. Während die vergegenwärtigende Rückbesinnung auf und die mitunter kontroverse Verhandlung von kohäsionsfördernden historischen Wurzeln ein konstantes Anliegen jeder Erinnerungsgemeinschaft ist, wird mit der Verlagerung von dominant literarischen zu vermehrt seriellen Darstellungsverfahren ein medialer Wandel sichtbar, der die Untersuchung immerwährender memorialer Grundbedürfnisse des Menschen unter veränderten Bedingungen der gegenwärtigen Mediengesellschaft zum reizvollen Gegenstand literatur-/kulturwissenschaftlicher und medienwissenschaftlicher Forschung macht.

Nachdem erste Ansätze der romanistischen Serienforschung mit Glokalität (Schrader/Winkler 2014) und Quality-TV (Bobineau/Türschmann 2022) transkulturelle und evaluierende Zugänge gewählt haben, stellt die Sektion die über die Inszenierung der historischen Vergangenheit wirkende gemeinschaftsstiftende Funktion des Serienformats ins Zentrum, um die Potenziale seiner produktions- und rezeptionsseitigen Besonderheiten auszuloten sowie seinen spezifischen Status innerhalb des kulturellen Gedächtnisses zu erörtern. Es sollen Antworten auf die übergeordnete Frage gefunden werden, inwiefern die Serie im Zeitalter der massenmedialen Kommunikations- und Konsumgesellschaft ein adäquates Format der fiktionalen Geschichtsschreibung im 21. Jahrhundert sein kann und sich dem seit Beginn des 19. Jahrhunderts unangefochten populären historischen Roman als fiktionales Erinnerungsmedium zur Seite stellt bzw. diesen ggfs. abzulösen vermag. Fokussiert werden die besonderen Möglichkeiten serieller Medialität, die gewährleisten, alte Notwendigkeiten geschichtsbezogener Selbstvergewisserung einer Kultur in einen neuen, sich den verändernden Gesellschaftsbedingungen anpassenden Rahmen zu setzen. Darüber hinaus sind serielle Handlungsspielräume zwischen den zwei Orientierungspunkten von Geschichte als Dokumentation und Geschichte als Experiment (Monterde et al. 2001), zwischen faktennahem Biopic (Salvador Esteban/Etura Hernández 2015; Fontanel 2018) und hochgradiger Fiktionalisierung, abzustecken. Zur Diskussion stehen gleichzeitig die Grenzen audiovisueller Serialität, die insbesondere mit der permanenten Verfügbarkeit des Streaming-Formats ein gewandeltes Rezeptionsverhalten befördern, das einer Verankerung des Produkts im kollektiven Gedächtnis grundsätzlich entgegensteht und zum raschen Vergessen anregen könnte. Außerdem ist angesichts des aktuellen Interesses an kontrafaktischen und revisionistischen Geschichtsversionen im Zeichen des Fake-News-Booms der ursprüngliche Autoritätsstatus von Geschichtsschreibung neu zu bewerten.

Da die Medialität der Serie vom Visuellen dominiert wird, bieten sich unter der übergreifenden erinnerungskulturwissenschaftlichen Herangehensweise solche theoretischen Ansätze an, die das Bildhafte unterstreichen und sich auf die serielle Inszenierung der Vergangenheit und exemplarischer Gestalten übertragen lassen. So kann die ‘zugespitzte Visualisierung’, die den Prozess der Ikonisierung auszeichnet, in Serien die Gliederung historischer Narrative übernehmen, wodurch sich medial inszenierte Ikonen zu Schlüsselfiguren für ganze Epochen entwickeln können (Leggewie 2009). Wird der iconic turn (Alexander et al. 2012) am Beispiel serieller Geschichtsdarstellungen untersucht, kann rekonstruiert werden, durch welche Mechanismen symbolischer Gestaltung die mediale Transformation historischer Persönlichkeiten in populärkulturelle Ikonen erfolgt. Auch das Konzept des kollektiven Imaginären (Simonis/Rohde 2014) gewährt mit der Betonung transformatorischer Prozesse und seiner Vermittlungsleistung zwischen individuellen und über-individuellen Vorstellungswelten geeignete Ansatzpunkte für die Analyse serieller Geschichtsdarstellung.

Im Detail ergeben sich folgende mögliche Fragestellungen:

  • Positionierungen zu Faktualität/Fiktionalität: Welche Graduierungen historischer Wirklichkeitsbezüge werden innerhalb der Diegese vorgenommen, welche Botschaften sind mit Biopics wie Leonardo (I/FR 2021) und Serien mit weitreichenden künstlerischen Freiheiten wie Da Vinci’s Demons (US/GB 2015–2017) verbunden?
  • Konventionen der Genrewahl: Inwiefern bestimmen Seriengattungen wie Politthriller oder Kriminalgenre Erinnerungsinhalte, etwa in Esterno Notte (IT/FR 2022) oder La peste (ES 2018–2019)? Welchen Einfluss besitzen Fantasy-, Science Fiction- oder Western-Elemente, etwa in Luna Nera (IT 2020), El ministerio del tiempo (ES 2015–2020) oder Tierra de lobos (ES 2010-2014)?
  • Transmedialität: Welcher transmedialer Verfahren bedienen sich Historienserien, die als filmische Adaptationen historischer Romane gelten, wie z.B. Les Rois maudits (FR 1972 & FR 2005) oder La catedral del mar (ES 2018)?
  • Produktions-/Rezeptionsformen: Wozu führen konzeptuelle Entscheidungen für progressives serial oder Flexi-Drama, TV-Ausstrahlung oder Streaming? Welchen Stellenwert haben Serienfortsetzungen im kollektiven Gedächtnis, etwa Carlos, Rey Emperador (ES 2015/16), einem Sequel zu Isabel (ES 2013–2015)?
  • Transnationalität/Reichweite-Fragen: Inwiefern korrespondiert die über-nationale Strahlkraft bestimmter Ikonen, v.a. vor dem Hintergrund kolonialer Verflechtungen, mit der Serien-Diffusion über nationale Grenzen hinweg und dem internationalen Medienecho, etwa von Kolumbus in Conquistadores: Adventvm (ES 2017)? Wie wird hegemoniale Macht und Gewalt durch Kolonialmächte, z.B. Spaniens in La Reina de Indias y el Conquistador (COL 2020) oder Portugals in African Queens (GB/US 2023), kritisch reflektiert?
  • Serien-Vergleiche und Erinnerungskonkurrenzen: Welche Besonderheiten besitzen Serien gleicher Thematik verschiedener Produktionsländer, etwa Borgia (FR/DE/Ö 2011–2014) und The Borgias (US 2011–2013)?
  • Ikonizität: Wie werden historische Schlüsselfiguren als populärkulturelle Ikonen medienspezifisch inszeniert, etwa Simón Bolívar in Bolívar, una lucha admirable (COL 2019), Emiliano Zapata in Zapata: amor en rebeldía (MEX/US 2010), Ernesto “Ché” Guevara in Cuba Libre (PT 2022) und Eva Perón in Santa Evita (AG 2022)? Welche genderspezifischen Unterschiede sind feststellbar, etwa beim Königspaar in Versailles (FR/CA 2015–2018) und in Marie Antoinette (FR/GB 2022)?
  • Wie partizipieren Serien an Formen von Geschichtsrevisionismus, wenn sie die aus der ‘offiziellen’ Geschichtsschreibung bekannten Entstehungszusammenhänge ikonischer Ereignisse umschreiben, etwa in La Révolution (FR 2020)?

Um einen Vortragsvorschlag einzureichen, senden Sie uns bitte ein Exposé per Email. Das Exposé muss Ihre(n) Namen und Ihre Affiliation(en) sowie den Titel Ihres Beitrags enthalten und es kann maximal 4000 Zeichen, einschließlich Leerzeichen sowie bibliographischer und sonstiger Angaben, umfassen. Die Frist für die Einreichung eines Exposés ist der 31. Dezember 2024. Die definitive Zusage durch die Sektionsleitung erfolgt spätestens bis zum 31. Januar 2025.

Sektionsleitung:
Tobias Berneiser (Universität Siegen) tobias.berneiser@uni-siegen.de
Anna Isabell Wörsdörfer (Universität Münster) woersdoerfer@uni-muenster.de

Bibliographie

Alexander, J. et al. (Hg.): Iconic Power. Materiality and Meaning in Social Life. New York 2012.
Bobineau, J./Türschmann, J. (Hg.): Quotenkiller oder Qualitätsfernsehen? TV-Serien aus französisch- und spanischsprachigen Kulturräumen. Wiesbaden 2022.
Erll, A.: Medium des kollektiven Gedächtnisses: Ein (erinnerungs-)kulturwissenschaftlicher Kompaktbegriff. In: Id./A. Nünning (Hg.): Medien des kollektiven Gedächtnisses. Konstruktivität – Historizität – Kulturspezifik. Berlin 2004, 3–22.
Fontanel, R.: French Television and Political Biography. In: Biography 41/3 (2018), 613–629.
Leggewie, C.: Zur Einleitung: Von der Visualisierung zur Virtualisierung des Erinnerns. In: E. Meyer (Hg.): Erinnerungskultur 2.0. Kommemorative Kommunikation in digitalen Medien. Frankfurt 2009, 9–28.
Monterde, J. E. et al.: La representación cinematográfica de la historia. Madrid 2001.
Salvador Esteban, L./Etura Hernández, D.: Vidas ejemplares y vidas mediáticas. Una aproximación a la narrtiva de los biopics televisivos españoles. In: B. Puebla Martínez et al. (Hg.): Ficcionando en el siglo XXI. La ficción televisiva en España. Madrid 2015, 309–340.
Schrader, S./Winkler, D. (Hg.): TV glokal. Europäische Fernsehserien und transnationale Qualitätsformate. Marburg 2014.
Simonis, A./Rohde, C.: Das kulturelle Imaginäre. Perspektiven und Impulse eines kulturwissenschaftlichen Schlüsselkonzepts. In: Comparatio 6 (2014), 1–12.
Veyrat-Masson, I.: Clio à la télévision, 1953-2000. In: French Cultural Studies 13/3 (2002), 247–258.