Call for Papers "Kindheit erzählen" im Journal für Erzählforschung "DIEGESIS" (Winterheft 2026)
Stadt: Wuppertal
Frist: 2025-10-15
URL: https://www.diegesis.uni-wuppertal.de/index.php/diegesis/announcement
DIEGESIS 15.2, Winterheft 2026 (Erscheinungstermin: Dezember 2026)
Thema: „Kindheit erzählen“
Sonderausgabe mit Gastherausgeber:innen: Laura Wiemer, Matei Chihaia
Abgabefrist für Abstracts: 15.10.2025
Abgabefrist für angenommene Aufsätze: 30.06.2026
Zum THEMA:
Die Erfahrungen in unserer Kindheit legen den Grundstein für den Rest unseres Lebens. Sie haben tiefgreifende Auswirkungen auf unsere körperliche, kognitive, emotionale und soziale Entwicklung, die bis ins Erwachsenenalter reichen (vgl. UNICEF 2003: 7). Das Erinnern und Erzählen unserer Kindheit stellt demnach ein anthropologisches Grundbedürfnis dar, insbesondere in Krisenzeiten, in denen das glückliche und unbeschwerte Kindsein zunehmend verloren geht und einen Sehnsuchtsort darstellt (vgl. Salmose 2018: 333f.).
Das Themenheft von DIEGESIS widmet sich den Formen und Funktionen von Kindheitserzählungen in unterschiedlichen Gattungen und Medien sowie Kulturen und Epochen. Neben Texten mit heterodiegetischer Erzählinstanz, in denen Kinder als Haupt- oder Reflektorfiguren auftreten und ihre Kindheit ein wesentlicher Bestandteil der Handlung ist (vgl. Hofmann 2010: 104), nehmen homodiegetische Erzählstimmen, welche sich auf ihre eigene Kindheit beziehen, eine besondere Stellung ein: von ungeborenen Erzähler*innen, die das Wort im Bauch ihrer Mutter ergreifen, über Kleinkinder und Schulkinder, die ihre Lebenswelt erkunden, Jugendliche und junge Erwachsene, die keine Kinder mehr sein wollen, sowie ältere oder erkrankte Erzähler:innen, die ihr Leben und ihre Kindheit vor dem Tod Revue passieren lassen, bis hin zu solchen, die bereits im Kindesalter verstorben sind und zu ihren verwaisten Eltern aus dem Jenseits sprechen.
Fallstudien zur Migrations- und Exilliteratur über internationale Familiengeschichten und Kindheiten zwischen Sprachen und Kulturen sind ebenso willkommen wie Beiträge aus dem Bereich der Gender, Queer und Disability Studies, etwa über zwangsverheiratete Mädchen in patriarchalen Gesellschaftsstrukturen, den Eintritt ins Jugendalter in Coming-of-Age- oder Coming-Out-Romanen sowie Alltagsgeschichten von Kindern mit Behinderung. Darüber hinaus bietet sich natürlich auch die Untersuchung der Kinder- und Jugendliteratur an, der die Thematik des Kindseins durch ihr Zielpublikum inhärent ist. Gleiches gilt für All-Age-Texte wie Märchen, mit denen die meisten Kinder ihre ersten literarischen Erfahrungen machen (vgl. Spinner 2020: 55), sowie deren mediale Adaptionen im Bereich der Disney Studies, zumal viele Märchenfiguren selbst noch Kinder sind.
Vor dem Hintergrund der literaturgeschichtlichen Tradition von Kindheitserzählungen, die mit den Märchentexten des 17. und 18. Jahrhunderts, dem reformpädagogischen Kindheitsbild Jean-Jacques Rousseaus und schließlich der Gattung des Bildungsromans ihren festen Platz in den verschiedenen Literaturen und Kulturen gefunden haben (vgl. Hervouet-Farrar 2011: 11), bietet das Themenheft von DIEGESIS zahlreiche Anknüpfungspunkte, um neue Forschungsperspektiven auf die Vielfalt und die Komplexität der Formen und Funktionen zu gewinnen, wie Kindheit erzählt wird.
Mögliche Fragestellungen betreffen das Verhältnis zwischen der kindlichen Erzähl- und Lebenswelt und den historischen, politischen und soziokulturellen Bedingungen, unter denen die Kinder aufwachsen; autobiographische Einflüsse aus der Kindheit der Autor*innen; Vergangenheits- und Traumabewältigungen auf individueller oder kollektiver Ebene sowie interdisziplinäre Ansätze, u. a. aus der Soziologie, Psychologie und Linguistik in Bezug auf die Marginalisierung und soziale Teilhabe von Kindern, ihre emotional-soziale Entwicklung von der Geburt bis zur Pubertät und ihren Sprachgebrauch. Hinzu kommen weiterführende Fragestellungen, was das Kindsein je nach kulturellem Kontext bedeutet, wie die Figuren mit dem „inneren Kind“ in sich umgehen (vgl. Bradshaw 1990), wie Kindheitserinnerungen verräumlicht und verzeitlicht werden und wie sich das Erinnern und Erzählen der Kindheit auf die Persönlichkeitsentwicklung auswirkt. Als Journal für Erzählforschung interessieren DIEGESIS vor allem narratologische Betrachtungen, etwa zum authentischen und unvermittelten, aber auch unreflektierten und unzuverlässigen Erzählen dieser Kinder, die ihren eigenen Blick auf die Welt der Erwachsenen werfen.
Wir bitten um Abstracts von 350–400 Wörtern bis spätestens zum 15.10.2025. Bitte fügen Sie außerdem eine akademische Kurzvita bei. Schicken Sie beides an die DIEGESIS-Redaktion: diegesis@uni-wuppertal.de. Über die Annahme der Abstracts entscheiden die Gastherausgeber:innen bis 19. Dezember 2025. Die Zusendung der fertigen Aufsätze erwarten wir bis zum 30.06.2026. Erscheinen wird das DIEGESIS-Themenheft „Kindheit erzählen“ im Dezember 2026.
Wir suchen außerdem fortlaufend REZENSIONEN zu Neuerscheinungen aus allen Bereichen der Erzählforschung (maximal der letzten 2 bis 3 Jahre), und zwar auch hier ausdrücklich disziplinübergreifend, also nicht etwa nur aus den Philologien. Vorschläge für Rezensionen (in Form von einfachen Titelnennungen der zu besprechenden Bücher und ergänzt durch kurze Informationen zum akademischen Lebenslauf) können jederzeit an die oben genannte Redaktionsadresse geschickt werden. In der Regel können wir Rezensionsexemplare bei den Verlagen besorgen.
Willkommen sind uns zudem jederzeit Vorschläge für TAGUNGSBERICHTE zu allen Veranstaltungen im Bereich der Erzählforschung. Wenn Sie Vorschläge dazu einreichen, bitten wir um kurze Informationen zu Thema, Ort, Datum und den Organisator:innen der Veranstaltung sowie zum eigenen akademischen Lebenslauf.
Über DIEGESIS:
Das von der DFG geförderte E-Journal DIEGESIS. Interdisziplinäres E-Journal für Erzählforschung / Interdisciplinary E-Journal for Narrative Research erscheint als Open-Access-Publikation ausschließlich im Internet (www.diegesis.uni-wuppertal.de).
Der hohe wissenschaftliche Standard der in DIEGESIS veröffentlichten Forschungsbeiträge wird durch ein kompetitives Auswahlverfahren für Beiträge zu Themenheften sowie ein Peer Review-Verfahren gesichert.
Herausgegeben wird die Zeitschrift an der Bergischen Universität Wuppertal und in Kooperation mit dem dortigen Zentrum für Erzählforschung (ZEF) (www.zef.uni-wuppertal.de) von den Professor:innen Matei Chihaia (Spanische und Französische Literaturwissenschaft), Sandra Heinen (Anglistische Literatur- und Medienwissenschaft), Matías Martínez (Neuere deutsche Literaturgeschichte), Katharina Rennhak (Anglistische Literaturwissenschaft), Michael Scheffel (Allgemeine Literaturwissenschaft / Neuere deutsche Literaturwissenschaft) und Roy Sommer (Anglistische Literatur-, Kultur- und Medienwissenschaft).
Bibliographie:
Bradshaw, John (1990): Homecoming. Reclaiming and Healing Your Inner Child. New York, NY.
Hervouet-Farrar, Isabelle (2011): Enfance et errance dans la littérature européenne du XIXe siècle. Clermont-Ferrand.
Hofmann, Regina (2010): Der kindliche Ich-Erzähler in der modernen Kinderliteratur. Eine erzähltheoretische Analyse mit Blick auf aktuelle Kinderromane. Frankfurt am Main.
Salmose, Niklas (2018): „‚A past that has never been present‘: The Literary Experience of Childhood and Nostalgia“. In: Text Matters 8, S. 332–351. DOI: https://doi.org/10.1515/texmat-2018-0020.
Spinner, Kaspar H. (2020): „Märchen und Bildung“. In: Anna Braun (Hg.): Bildung in und mit Texten der Kinder- und Jugendliteratur. Baltmannsweiler, S. 55–61.
UNICEF = United Nations Children’s Fund (2003): Early Childhood Development. UNICEF Vision for Every Child. New York, NY.
Beitrag von: Laura Wiemer
Redaktion: Robert Hesselbach