In memoriam Gerhard Ernst (7.7.1937-26.8.2025)
Am 26. August 2025 ist Gerhard Ernst im Alter von 88 Jahren in Regensburg verstorben. Mit ihm verliert die Romanistik einen Forscher, der mit seinen vielfältigen Themenfeldern und seinem breiten sprachlichen Interesse das Konzept einer umfassenden, historisch fundierten romanistischen Sprachwissenschaft vorbildhaft verkörperte.
Gerhard Ernst wurde 1937 in Ansbach geboren und besuchte dort das Gymnasium Carolinum. Von 1956 bis 1962 studierte er Romanistik und Klassische Philologie an der Universität Erlangen-Nürnberg sowie von 1959 bis 1961 an der Universität La Sapienza in Rom. Er legte sowohl das erste (1962) wie das zweite Staatsexamen (1964) für den höheren Schuldienst ab. Sein Engagement für die Lehre und seine zahlreichen Handbücher, Einführungen und – äußerst erfolgreiche – Sprachkurse verbinden die spätere wissenschaftliche Karriere mit dieser frühen Phase.
Von 1966 bis 1974 war Gerhard Ernst als wissenschaftlicher Assistent bzw. akademischer Rat an der Universität Erlangen-Nürnberg tätig. 1967 promovierte er bei Heinrich Kuen mit einer Arbeit zur Toskanisierung des römischen Dialekts im 15. und 16. Jahrhundert. Ernst hatte Rom während seines Aufenthaltes als Student der Klassischen Philologie und als Assistenzlehrer an einer römischen Schule kennen und lieben gelernt. Einer seiner ‚Klassiker‘, der Einführungskurs Italienisch, ist zu großen Teilen in jener Zeit entstanden. Seine Dissertation nahm mit ihrem Fokus auf kontaktinduzierten Wandel viele der kommenden Entwicklungen in der romanistischen Sprachwissenschaft vorweg. Bis heute ist die Toskanisierung auch in Italien ein wichtiges Fundament für die historische und dialektologische Forschung zum Romanesco, und Gerhard Ernst bleibt bei vielen italienischen Sprachwissenschaftlern als „grande studioso“ und warmherziger Mensch in Erinnerung.
Mit der Habilitation von 1974 Der Wortschatz der französischen Übersetzungen von Plutarchs ‘Vies parallèles’ (1559–1564). Lexikologische Untersuchungen zur Herausbildung des français littéraire vom 16. zum 17. Jahrhundert wandte sich Ernst erneut der Sprachgeschichte der Frühen Neuzeit zu. Viele seiner späteren Publikationen vertieften dieses Interesse für die geschichtlichen Dimensionen der romanischen Sprachen. Es dürfte deshalb kein Zufall sein, dass Gerhard Ernst zu der Gruppe von Wissenschaftlern gehörte, die die dreibändige Romanische Sprachgeschichte in der prestigeträchtigen Reihe der Handbücher der Sprach- und Kommunikationswissenschaften (HSK) konzipierte und die Herausgabe betreute.
1976 wurde Gerhard Ernst als Nachfolger für den überraschend verstorbenen Ludwig Söll auf den Lehrstuhl für Romanische Philologie an der Universität Regensburg berufen. Trotz lockender Angebote blieb er dieser Universität bis zu seiner Emeritierung im Jahre 2002 treu. Ernst beteiligte sich am Aufbau des Ost- und Südosteuropaschwerpunkts der Universität und setzte sich immer wieder für die rumänische Sprachwissenschaft ein. Sein großes Engagement für die romanistische Sprachwissenschaft zeigt sich auch in seiner langjährigen Tätigkeit als Fachgutachter für die DFG (1988-1996).
Außer der Dissertation und den gerade angesprochenen Bänden der Romanischen Sprachgeschichte von 2003 bis 2008 ragen unter seinen fast 80 Aufsätzen, fast ebenso vielen Rezensionen und zehn Herausgeberschaften die beiden Monographien zur historischen Mündlichkeit und standardfernen Schriftlichkeit im vormodernen Frankreich heraus. Die Edition und Analyse von Jean Héroards Histoire particulière de Louis XIII, die den Spracherwerb des Dauphins dokumentierte, war zum Zeitpunkt ihres Erscheinens, 1985, eine kleine Sensation und trug wesentlich zu den Diskussionen um einzelsprachliche und universale Merkmale gesprochener Sprache und zum Verhältnis von Spracherwerb, Sprachwandel und nähesprachlichen Strukturen bei. Die zu Beginn der 2000er Jahre erschienene Monographie mit Editionen standardferner Textes privés aus dem Frankreich des 17. und 18. Jahrhunderts erweiterte nochmals den Blick auf Entwicklungen des vormodernen Französischen, die sich am Rande oder sogar unabhängig von der literarisch dominierten Normschriftlichkeit manifestieren. Ernst maß dieser privaten Schriftlichkeit eine sehr große Relevanz für die sprachgeschichtliche Forschung bei. Davon zeugt die sorgfältig vorbereitete Neuedition der Textes privés von 2019 und eine Reihe von Dissertationen zu italienischen Beispielen einer ‚privaten‘, standardfernen Schriftlichkeit, die er noch über seine Emeritierung hinaus betreute.
Gerhard Ernst setzte seine Forschungen nach seiner Emeritierung, man könnte sagen, nahtlos fort. Auch seine musikalische ‚Karriere‘ als verlässlicher Bratschist im Kammerorchester Regensburg wurde nicht unterbrochen. Ernst war also weiterhin in der romanistischen Sprachwissenschaft sehr präsent, beispielsweise in seinen Funktionen innerhalb der Société de linguistique romane. Das Festkolloquium zu seinem achtzigsten Geburtstag vereinte Vorträge von Weggenossen wie Ugo Vignuzzi, Luca Serianni, Hans Goebl, R. Anthony Lodge und Michael Metzeltin. Trotz einer schweren Krankheit, die seine letzten Lebensjahre überschattete, blieb Gerhard Ernst seinen wissenschaftlichen Kollegen weiterhin eng verbunden. Die „triangoli di ricordi“, die ihn mit seinen Schülerinnen und Schülern und Kolleginnen und Kollegen über die gemeinsam erforschten Themen und das gemeinsame Engagement verbunden haben, werden bleiben.
Gerald Bernhard, Helmut Berschin, Hans Goebl, Sabine Heinemann, Alfred Holl, Dieter Kattenbusch, Franz Lebsanft, Maria Selig
Beitrag von: Maria Selig
Redaktion: Ursula Winter