Der Aufbruch in die Moderne gestaltete sich als Aufhebung von Grenzen: theologischer und bildungsbezogener Beschränkungen. Die europäische Aufklärung postulierte einen normativen kosmopolitischen Universalismus von Égalité, Fraternité, Liberté. Die philosophischen und pädagogischen Entwürfe, an denen die Literatur teilhatte, zielten programmatisch auf eine allgemeine Menschheitsverbesserung. Sich des eigenen Verstandes zu bedienen (Kant), die Mitleidsfähigkeit auszubilden (Lessing), partizipatorische Praktiken der Wissensorganisation und speicherung wie in der _ Encyclopédie_ zu entfalten, Religions und Zivilisationskritik zu üben (Rousseaus Discours sur l’origine et les fondements de l’inégalité parmi les hommes 1755) – all dies stellte den aufgeklärten, säkularisierten, mündigen Menschen ins Zentrum, aus dessen individueller Weiterentwicklung sich insgesamt eine bessere Gesellschaft ergeben sollte. Doch zeigte sich, dass der Mensch, dem das Projekt der Aufklärung galt, implizit ständisch, ethnisch, geschlechtsspezifisch und religiös verortet war: Das Erziehungsprojekt richtete sich letztlich auf den bürgerlichen Europäer (mit jeweils zu spezifizierendem nationalen Bezug).

Wie exklusiv die eigenen Ideale und die neuen Entwürfe von universalem Menschsein angelegt waren, belegt besonders deutlich der Diskurs über die Sklavenaufstände, wobei Haiti zur Chiffre einer grundlegenden Aporie der Aufklärung wurde: Der Aufstand in der französischen Kolonie St. Domingue offenbarte, dass die universalistisch formulierten Ideale von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit keineswegs für alle gemeint gewesen waren. Es geht in dieser Perspektive um die virulente Frage, wie die „Aufklärung: Das europäische Projekt“ (Geier 2012), welches Freiheit, Fortschritt, Emanzipation, Vernunft, Wissen und Erkenntnis impliziert, mit Kolonialisierung, Eroberung, Ausbeutung von Menschen und Ressourcen, Gewalt und Unterdrückung verbunden sein kann. Zugespitzt formuliert: Wie lässt sich außereuropäische Sklaverei und der Code Noir mit europäischem Humanismus zusammen denken? Exemplarisch ist hier Louis Sala-Molins zu nennen, der in Les Misères des Lumières (1992/2008) eine Geschichte der Aufklärung durch die Lupe des Code noir geschrieben hat. Beim Fortwirken aufklärerischen Denkens außerhalb Europas wurden Grenzziehungen sichtbar, die die eigenen – programmatisch grenzenlosen – Leitvorgaben in Frage stellten (vgl. den Reader Race and the Enlightenment (1997) von Emmanuel Chukwudi Eze). Zugleich wurde die nationale Grenze neu definiert, denn Haiti sagte sich als unabhängige Republik von der französischen Kolonialregierung los. Die Konstellation provozierte die Auseinandersetzung mit bestehenden Grenzen im geographischen und nationalstaatlichen ebenso wie im kulturellen und moralischen Sinn. Die Sektion rückt insbesondere die konsequente Bekämpfung der Sklaverei und die von den Sklaven selbst erkämpfte Abolition in den Vordergrund (besonders sichtbar in der Haitianischen Revolution). Die Haitianische Revolution sprengte zu ihrer Zeit den Begriffsrahmen, denn die Vorstellung vom ‚Schwarzen’ war schlicht unvereinbar mit der Idee einer ‚Sklavenrepublik’. Wie schreibt man eine Geschichte des Unmöglichen? In diesem ambivalenten und von der Historiographie lange als Leerstelle behandelten Feld nimmt die Literatur einen privilegierten „Verhandlungsort“ (Greenblatt) ein – sowohl in affirmativ-bestätigender als auch in subversiver Weise.

Die Sektion widmet sich der Frage, wie in der Literatur über und aus Haiti und über andere ‚Sklavenaufstände‘ Grenzen, Grenzziehungen und Grenzüberschreitungen thematisiert und gestaltet werden. Im Sinne einer transatlantischen Romanistik richtet sich der Blick maßgeblich auf die Zirkulation und Transformation von Ideen zwischen Europa und der Karibik (sowie ggf. anderen Regionen ehemaliger Kolonien). Diese Bewegungen über unterschiedlichste Wege können auf die Ausgangssituation zurückwirken und gehen über den bloßen Transfer hinaus.
Vom Gegenstandsbereich der französischen Literatur ausgehend, soll die Beschäftigung komparatistisch geschärft werden, indem der Blick auf andere Literaturen im direkten Kontakt erweitert wird: im geographischen Raum der (ehemaligen) Kolonien sowie im Vergleich mit dem europäischen Nachbarland Deutschland.

Folgende Bereiche sollen in der Sektion behandelt werden:

  • zeitgenössische französische Literatur über Sklavenaufstände in den eigenen Kolonien (spez. St. Domingue/Haiti)
  • zeitgenössische Literatur, die auf den Antillen entstanden ist (z.B. im Bereich Feuilleton, Theater, erzählende Literatur, Lyrik)
  • zeitgenössische deutsche Literatur über Sklavenaufstände (für die Zeit um 1800 zeigt sich, dass über den Gegenstand ein nationaler Antagonismus zu Frankreich ausgespielt wird: Es geht in diesen Texten über die Kolonien Frankreichs oft implizit oder sogar explizit um die sehr viel nähere Grenze zum Nachbarland und die politisch-gesellschaftlichen Auseinandersetzungen im Zuge der Französischen Revolution)
  • französische, deutsche und antillanische Literatur späterer Zeiten (im Vergleich zeigt sich, wie anders der Diskurs über Haiti jeweils geprägt ist und welche unterschiedliche Bedeutung ihm in diachronen Prozessen eigener Selbstverständigung zukommt)

Die Beiträge können sich unter den unterschiedlichsten methodischen Prämissen der gemeinsamen Fragestellung widmen und entweder als exemplarische Einzelstudien oder Textanalysen, als theoretische Überlegungen oder als überschauende Reflexionen angelegt sein. Vorträge in französischer und deutscher Sprache – besonders auch von jüngeren Forscher/innen – sind willkommen.

Ihre aktive Mitarbeit in der Sektion haben zugesagt:
Prof. Dr. Janett Reinstädler (Universität des Saarlandes, Romanistik/Hispanistik)
Prof. Dr. Anja Bandau (Leibniz-Universität Hannover, Romanistik)
Prof. Dr. Christiane Solte-Gresser (Universität des Saarlandes, Komparatistik)
Dr. Axel Arthéron (Université des Antilles/Martinique, Theaterwissenschaften)
Dr. Marianne Beauviche (Université d‘Avignon, Germanistik/Kulturwissenschaft)
Prof. Dr. Brigitte Jirku (Universität València, Germanistik)
Prof. Dr. Gisela Febel (Universität Bremen, Romanistik)
Dr. Julia Borst (Universität Bremen, Romanistik)

Bitte reichen Sie Ihr Abstract bis zum 30. Januar 2016 bei einer der beiden Sektionsleiterinnen ein: PD Dr. Natascha Ueckmann (ueckmannn@uni-bremen.de) oder Prof. Dr. Romana Weiershausen (romana.weiershausen@uni-saarland.de). Die Rückmeldung über die Annahme der Beiträge erfolgt bis zum 15. Februar 2016.

http://www.francoromanistes.de/fileadmin/verband/frv/documents/Bewerbungsaufruf_Saarbruecken2016.pdf
https://blogs.uni-bremen.de/nataschaueckmann/files/2015/10/Sektionsbeschreibung-franz%C3%B6sisch.pdf

Beitrag von: Natascha Ueckmann

Redaktion: Christof Schöch